01.06.2006 | Unfallversicherung
Wann besteht eine Vorinvalidität und wie ist sie in der Unfallversicherung zu berücksichtigen?
1. Vorinvalidität in der Unfallversicherung liegt nur vor, wenn die normale körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des VN bereits vor dem Unfallereignis dauerhaft beeinträchtigt war. Hierbei ist auf die Altersgruppe abzustellen, welcher der VN angehört. |
2. Eine altersentsprechende Weitsichtigkeit bei einem über 60-jährigen VN entspricht daher der normalen körperlichen Leistungsfähigkeit der Vergleichsgruppe und begründet keine Vorinvalidität. |
3. Auch die Notwendigkeit, zeitweise beim Lesen kleiner Schriften eine Lesebrille tragen zu müssen, begründet, anders als beim stark kurzsichtigen VN (BGH VersR 83, 581 = r+s 83, 137), keine Vorinvalidität. |
(OLG München 21.3.06, 25 U 3483/04, Abruf-Nr. 061130) |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der 62-jährige VN verlor bei einem Unfall sein rechtes Auge. Der dafür vereinbarte Invaliditätsgrad war 50 Prozent. Wegen altersbedingter Weitsichtigkeit musste er beim Lesen (kleinerer Schriften) eine Lesebrille tragen. Der VR hielt dies für eine Vorinvalidität, die mit zwei Prozent zu bemessen sei. Deshalb verweigerte er die für einen Invaliditätsgrad ab 50 Prozent vereinbarte Rente. Die Klage des VN hatte in beiden Instanzen Erfolg.
Praxishinweis
Im Streitfall hatte ein sonst eher unwichtiger Abzug erhebliche Konsequenzen, weil so die ansonsten geschuldete Rente nicht, auch nicht anteilig, zu zahlen war. Es stellt sich daher die wichtige Frage, wann eine Vorinvalidität gegeben ist (z.B. § 7 I Abs. 3 AUB 94):
- Die Klausel „Wird durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen, die schon vorher dauernd beeinträchtigt war, ist ein Abzug in Höhe dieser Vorinvalidität zu machen“, ist auslegungsbedürftig. Aus dem Wort „Vorinvalidität“ folgt, dass nicht jede Beeinträchtigung des Wohlbefindens ausreicht. Erheblich ist nur eine solche, die zu einer Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit führt (Definition der Invalidität in § 7 I Abs. 1 AUB 94).
- Dabei ist auf die Leistungsfähigkeit einer gesunden Person aus der Altersgruppe des VN abzustellen. Man kann nicht von einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit sprechen, wenn ein 60-jähriger nicht genauso schnell läuft, reagiert oder denkt oder eben genauso scharf sehen kann wie ein 20-jähriger.
- Erst wenn das alterstypische Maß deutlich überschritten ist, kann Vorinvalidität in Betracht gezogen werden (bejahend BGH VersR 83, 581 = r+s 83, 137 für Kurzsichtigkeit von 4/4,5 sph). Das traf im Fall des OLG München nicht zu.
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