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  • 06.09.2010 | Vermögensschadenhaftpflichtversicherung

    Bindungswirkung des Deckungsprozesses für den Haftpflichtprozess

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte

    1. Auch ein rechtskräftiges Versäumnisurteil hat Bindungswirkung für den nachfolgenden Deckungsprozess.  
    2. Eine wissentliche Pflichtverletzung ist vom VR darzulegen und zu beweisen. Eine Bindungswirkung durch Feststellungen des Haftpflichtprozesses besteht nicht.  
    3. Wissentlich ist eine Pflichtverletzung nur, wenn bewusst dem VN bekannte Verhaltensvorschriften außer Acht gelassen werden, er also wusste, was zu tun war, er es aber gleichwohl nicht getan hat.  
    4. In der Pflichtversicherung schadet eine Verletzung der Anzeigepflicht des VN dem Geschädigten allenfalls dann, wenn dieser eigene Anzeigepflichten verletzt hat.  
    (OLG Karlsruhe 24.9.09, 12 U 47/09, Abruf-Nr. 102632)

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Der Kl. hatte die VN, eine Rechtsanwältin (RA), beauftragt, Schadenersatzansprüche wegen ärztlicher Fehlbehandlung geltend zu machen. Wegen Untätigkeit der RA verjährten die Ansprüche. Der Kl. erwirkte daraufhin gegen die RA ein Versäumnisurteil, das rechtskräftig wurde. Nachdem dem Kl. der VR der RA bekannt geworden war, pfändete er deren Ansprüche gegen den VR und ließ sie sich zur Einziehung überweisen. Erst durch die Zustellung der Beschlüsse erfuhr der VR von den Vorgängen. Im Prozess, in dem der Kl. seine Ansprüche gegenüber dem VR einklagte, berief er sich auf Leistungsfreiheit wegen des vereinbarten Ausschlusses der wissentlichen Pflichtverletzung, auf Obliegenheitsverletzung wegen der vereinbarten, aber unterbliebenen Anzeige vom Versicherungsfall und gerichtlicher Geltendmachung der Ansprüche durch VN und Kl. sowie auf Verjährung.  

     

    Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte weitgehend Erfolg.  

     

    • Der Zugriff auf den Haftpflichtanspruch der RA gegen die Beklagte durch den Kl. setzt zunächst einen Haftpflichtfall voraus, d.h. eine Haftung der RA gegenüber dem Kl. aus schuldhafter Verletzung des Anwaltsvertrags. Eine solche Haftung steht schon aufgrund der Bindungswirkung des rechtskräftigen Versäumnisurteils des LG fest. Nach herrschender Rechtsprechung entfalten die Urteile im Haftpflichtprozess bezüglich des Haftungsgrundes Bindungswirkung für den nachfolgenden Deckungsprozess (BGH VersR 07, 641; 04, 590; 01, 1103; NJW 06, 291; OLG Saarbrücken VersR 92, 994). Dies gilt auch für den Fall, dass es sich - wie vorliegend - im Haftpflichtprozess nur um ein Versäumnisurteil ohne tatsächliche Feststellungen handelt (BGH VersR 03, 635; OLG Hamm VersR 88, 1172; OLG Koblenz VersR 95, 1298; OLG München r+s 00, 58; Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 100 Rn. 61). Insoweit ist bei der Prüfung des Umfangs der Bindungswirkung auf den Tenor des Versäumnisurteils i.V.m. dem Klagevorbringen zurückzugreifen (BGH VersR 03, 635; Prölss/Martin, a.a.O.).

     

    • Die für die Beurteilung der Pflichtverletzung als „wissentlich“ erforderlichen Tatsachen sind im vorliegenden Deckungsprozess festzustellen, denn die Feststellungen im vorangegangenen Haftpflichtprozess zwischen dem Geschädigten und dem VN entfalten im nachfolgenden Deckungsprozess zwischen dem VN und dem VR Bindungswirkung nur bei Voraussetzungsidentität. Nach dem in der Haftpflichtversicherung geltenden Trennungsprinzip ist grundsätzlich im Haftpflichtprozess zu entscheiden, ob und in welcher Höhe der VN dem Dritten gegenüber haftet. Notwendige Ergänzung des Trennungsprinzips ist die Bindungswirkung des rechtskräftigen Haftpflichturteils für den nachfolgenden Deckungsrechtsstreit. Damit wird verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung und die zugrunde liegenden Feststellungen im Deckungsprozess erneut überprüft werden können. Die Bindungswirkung geht aber nicht weiter, als sie danach geboten ist. Geboten ist sie nur insoweit, als eine für die Entscheidung im Deckungsprozess maßgebliche Frage sich auch im Haftpflichtprozess nach dem vom Haftpflichtgericht gewählten rechtlichen Begründungsansatz bei objektiv zutreffender rechtlicher Würdigung als entscheidungserheblich erweist, also Voraussetzungsidentität vorliegt (BGH VersR 07, 641).