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  • 12.01.2010 | Versicherungsvertragsrecht

    Goslarer Orientierungsrahmen: Quotenbildung nach dem neuen VVG

    Das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG) hat in Fällen der Gefahrerhöhung, der Obliegenheitsverletzung, der Schadensherbeiführung und der Verletzung der Schadensminderungspflicht anstelle des bisher geltenden „Alles-oder-Nichts-Prinzips“ den VR für berechtigt erklärt, im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Wie diese sogenannte Quotenregelung im Einzelnen aussehen soll, ist im VVG nicht geregelt.  

     

    Auf Anregung des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstags in Goslar wurde nun durch ein gemeinsames Gremium aus Vertretern von Verbraucherschutzverbänden, der Versicherungswirtschaft, der Anwaltschaft und der Richterschaft eine Tabelle von Musterquoten und Orientierungsrahmen für den Bereich der Kraftfahrt-Versicherung erstellt. „Versicherung und Recht kompakt“ stellt Ihnen die Ergebnisse vor:  

     

    Übersicht: Goslarer Orientierungsrahmen

    I. Allgemeines  

    1. Zum Verschuldensmaßstab
    Ausgangspunkt der Prüfung sind das objektive Verschulden und die Frage, wie nahe die Schuldschwere der groben Fahrlässigkeit an den bedingten Vorsatz heranreicht. In Extremfällen kann die Kürzungsquote des VR deshalb 0 Prozent bzw. 100 Prozent betragen.

     

    Begriff und Inhalt der groben Fahrlässigkeit müssen nicht neu definiert werden. Zu berücksichtigen sind normative Vorprägungen aus anderen Rechtsgebieten ebenso wie die einschlägige Rechtsprechung zur groben Fahrlässigkeit. Der Rückgriff auf die Rechtsprechung schließt allerdings nicht aus, dort deutlicher zu differenzieren, wo es nach bisheriger Rechtslage auf eine exakte Bewertung des Verschuldensgrads nicht ankam.

     

    Die normative Vorprägung berührt folgende Fragen:
    • Ordnungswidrigkeit oder Straftat?
    • Verstoß gegen konkrete Ge- und Verbote oder Verletzung allgemeiner gesetzlicher Sorgfaltspflichten?
    • Schädigung anderer Rechtsgüter (Mensch/Sachwerte)?
    • Art und Maß staatlicher Sanktionen? (Bußgeld/Strafe, Geld-/Haftstrafe, Entziehung der Fahrerlaubnis/Fahrverbot).

     

    Andere Kriterien des objektiven Verschuldens können sein:
    • Körperliche Beeinträchtigungen/Behinderungen,
    • Mitverschulden Dritter,
    • Voraussehbare (nicht tatsächliche) Schadenshöhe,
    • Dauer der Pflichtverletzung.

     

    Unbeachtlich für den Verschuldensmaßstab sind dagegen:
    • Wirtschaftliche Lage des VN,
    • Vertragsgesichtspunkte (Geschäftsbeziehungen zwischen VR und VN oder Schadensverläufe).

     

    Bei der Bemessung des Verschuldens sollen einschlägige Vorstrafen oder Eintragungen im Verkehrszentralregister nicht zu berücksichtigen sein. Auch wenn diese im Wege der Akteneinsicht in die Strafakten bekannt werden, bestehen gegen eine Verwertung innerhalb zivilrechtlicher Auseinandersetzungen systematische und datenschutzrechtliche Vorbehalte.

     

    Das objektive Verschulden kann durch subjektive Umstände verringert oder gesteigert werden. In Betracht kommen:
    • Augenblicksversagen,
    • Besondere Gründe der Ablenkung (psychische Situation, Kind im Fahrzeug, berufliche oder private Probleme),
    • Gesteigerte Risikobereitschaft.

     

    2. Doppelverwertungsverbot
    Die in der Literatur vertretene Auffassung, das zur Begründung bzw. zur Widerlegung grober Fahrlässigkeit als Argument Verbrauchte dürfe in die Bemessung der Schuldschwere nicht erneut einfließen, wurde als Scheinargument strafrechtlichen Hintergrunds bewertet.

     

    3. Mehrfache Pflichtverletzungen
    Mehrfache Pflichtverletzungen erfordern zur Bemessung der Schuldschwere eine wertende Gesamtbetrachtung.

     

    4. Darlegungs- und Beweislast
    In Fällen der Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 81 VVG) hat der VR, der seine Leistung kürzen will, die grobe Fahrlässigkeit und die zur Bemessung der Kürzungsquote berechtigende Schwere des Verschuldens darzulegen und zu beweisen. Tritt der VN dem entgegen, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast nach allgemeinen Grundsätzen.

     

    Bei Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit (§ 28 VVG) muss der VR Vorsatz beweisen. Ist kein Vorsatz gegeben, gilt die Vermutung grober Fahrlässigkeit. Diese Vermutung kann widerlegt werden. Die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der VN. Die zur Bemessung der Kürzungsquote berechtigende Schwere des Verschuldens ist vom VR zu beweisen.

     

    5. Verhältnis von Quotierung und Regressanspruch
    Es gilt der Grundsatz „Quote vor Regress“.

     

    II. Unverbindlicher Orientierungsrahmen  

    Bei der Findung von Standardquoten galten folgende Überlegungen: Kriterium der Auswahl war nicht die Schwere des Verschuldens innerhalb der groben Fahrlässigkeit oder die Bedeutung des jeweiligen Verkehrsverstoßes für die Verkehrssicherheit. Maßstab war allein, in welchen häufig vorkommenden Fällen der Praxis eine ausgewogene, praktikable Orientierung gegeben werden kann.  

     

    Die Standardquoten mit ihren Kürzungsschritten von jeweils 25 Prozent geben keine exakte Kürzung vor. Angesichts der Vielgestaltigkeit der zugrunde liegenden Sachverhalte schaffen sie einen Rahmen, innerhalb dessen eine der konkreten Schuldschwere angemessene Kürzung gefunden werden muss. Es ist zu berücksichtigen, dass die Ergebnisse der angestrebten Praktikabilität und Orientierung umso mehr entgegenkommen, als Abweichungen ein gewisses individuelles Gewicht haben sollten.  

     

    Soweit in der Praxis Bedarf an weiteren Orientierungsquoten erkennbar werden sollte, bleibt eine Ergänzung bzw. Überarbeitung der Ergebnisse vorbehalten.Die Anwendung der nachfolgenden Kürzungsquoten setzt stets voraus, dass im konkreten Einzelfall das Verschulden in den Bereich grober Fahrlässigkeit einzuordnen ist.  

     

    • Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit
    • Ab 0,3 bis zur Grenze 0,5 Promille (bzw. entsprechender Atemalkoholwert) = keine generelle Quote, sondern Frage des Einzelfalls.
    • Ab 0,5 Promille (bzw. entsprechender Atemalkoholwert) bis zur Grenze der absoluten Fahrunsicherheit = 50 Prozent.
    • Ab 1,1 Promille = 100 Prozent.

     

    • Drogenbedingte Fahrunsicherheit
    Angesichts der Probleme der Strafjustiz, für die unterschiedlichen Drogen und Konsumformen jeweils einen der alkoholbedingten Fahrunsicherheit entsprechenden Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit verbindlich festzulegen, konnte das Symposium innerhalb der Bandbreite einer Kürzungsquote von 50 bis 100 Prozent keine feste Quote ermitteln.

     

    • Überlassen des Fahrzeugs an Fahrer ohne Fahrerlaubnis
    • Im privaten Bereich = 0 Prozent.
    • Im gewerblichen Bereich = 25 Prozent.

     

    (Sofern der Halter den Fahrer kannte und aufgrund objektiver Umstände davon ausgegangen ist, dieser sei im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis).

     

    • Missachtung des STOP-Schildes/(festen) grünen (Abbiege-)Pfeils
    Generell = 25 Prozent.

     

    • Missachtung des Rotlichts
    Generell = 50 Prozent.

     

    • Verkehrsunsichere Bereifung
    Generell = 25 Prozent.

     

    • Diebstahl
    • Schlüssel im Zündschloss = 75 Prozent,
    • sonstiger gefahrengeneigter Umgang mit Kfz-Schlüsseln = 25 Prozent.
     

    Praxishinweis: Ziel des Orientierungsrahmens ist es, im Interesse der Verbraucher, der Anspruchsteller und der VR eine unverbindliche, ausgewogene und zugleich praktikable Orientierung für die alltägliche Regulierungspraxis nach neuem Recht zu erarbeiten.