04.02.2010 | Vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung
Nach welchem Recht richten sich die Rechtsfolgen bei einem Altvertrag?
von RiLG Dr. Sven Marlow, Berlin
Die Rechtsfolgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung bestimmen sich nach § 16 ff. VVG a.F., wenn in einem vor dem 1.1.08 geschlossenen Versicherungsvertrag (Altvertrag) der Versicherungsfall bis 31.12.08 eingetreten ist (LG Dortmund 16.11. und 28.12.09, 2 S 27/09, Abruf-Nr. 100304). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Wegen eines 2008 eingetretenen Versicherungsfalls begehrte der VN Leistungen aus einem 2006 geschlossenen Zahnzusatzversicherungsvertrag. Bei der Leistungsprüfung stellte der VR fest, dass der VN bei Antragstellung falsche Angaben gemacht hatte. Er erklärte daraufhin noch 2008 den Rücktritt und lehnte Leistungen ab. Die vom VN 2009 erhobene Klage auf Feststellung des Vertragsfortbestands und Leistungen wies das AG ab: Dem VR stehe nach § 16 ff. VVG a.F. ein Rücktrittsrecht zu, da der VN seine Anzeigeobliegenheit fahrlässig verletzt habe. Den Kausalitätsgegenbeweis nach § 21 VVG a.F. habe der VN nicht führen können. Mit seiner Berufung rügte der VN, das AG habe zu Unrecht ein Rücktrittsrecht bejaht. Es sei fehlerhaft von der Anwendbarkeit des alten VVG ausgegangen. Nach neuem Recht begründe eine leicht fahrlässige Anzeigepflichtverletzung kein Rücktritts-, sondern nur noch ein Kündigungsrecht nach § 19 Abs. 3 S. 2 VVG. Ein solches sei aber nicht erklärt worden.
Das LG bestätigte jedoch die Klageabweisung. Das AG habe zu Recht den § 16 ff. VVG a.F. angewendet. Nach Art. 1 Abs. 2 EGVVG sei hier auch über den 31.12.08 hinaus das alte VVG maßgebend geblieben. Das folge aus der amtlichen Gesetzesbegründung zu § 19 VVG. Hier sei ausgeführt, dass zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Rückwirkung in Art. 1 Abs. 2 EGVVG bestimmt ist, dass bei Eintritt des Versicherungsfalls bis zum 31.12.08 auf die sich hieraus ergebenden Rechte und Pflichten der Vertragsparteien weiterhin das alte VVG anzuwenden ist (BT-Drucks. 16/3945 S. 118). Aber selbst bei einer Einengung des Anwendungsbereichs von Art. 1 Abs. 2 EGVVG nur auf Rechte aus dem Versicherungsfall, also etwa auf den unmittelbaren Leistungsanspruch, wie dies dem VN hier vorschwebe, wäre das Ergebnis kein anderes, da über § 21 VVG a.F. und § 21 Abs. 2 VVG von der Anwendbarkeit des Rücktrittsrechts bei vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung auch der unmittelbare Leistungsanspruch betroffen sei. Deshalb gehe die h.M. zu Recht von einer über den 31.12.08 hinausreichenden Anwendbarkeit des § 16 ff. VVG a.F. bei Altverträgen auch hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung aus, wenn der Versicherungsfall jedenfalls noch im Jahre 2008 eingetreten ist. Wäre § 16 ff. VVG a.F. im vorliegenden Fall nicht anwendbar, hätte es der VN in der Hand gehabt, durch ein Zuwarten mit der Klage bis zum Beginn des Jahres 2009 das anzuwendende Recht zu beeinflussen.
Praxishinweis
Die Frage nach der zeitlichen Geltung von Normen des VVG a.F. oder derjenigen des VVG n.F. hat für die große Masse der (vor dem 1.1.08 geschlossenen) Altverträge in der Praxis erhebliche Bedeutung und wird die Gerichte noch intensiv beschäftigen (vgl. ausführlich dazu Marlow/Spuhl, Das neue VVG kompakt, 4. Aufl. März 2010, u.a. allgemein unter XXIV).
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