· Fachbeitrag · Berufshaftpflichtversicherung
Direktanspruch des Geschädigten gegen den VN nach altem und nach neuem Recht
von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte
(LG Hannover 15.11.12, 8 O 337/11, Abruf-Nr. 130327) |
Sachverhalt
Der Kläger hatte im Jahre 2000 Anteile an einem geschlossenen Fonds gezeichnet, weil ihm die treuhänderisch tätige Wirtschaftsprüferin (VN) offenbarungspflichtige personelle Verflechtungen und eine ebenso offenbarungspflichtige Vertriebsprovision von 20 Prozent bewusst verschwiegen hatte. Als sich der Fonds schlecht entwickelte, kam es zu Schadenersatzforderungen auch gegen die VN, die aus den beiden genannten Gesichtspunkten dem Grunde nach rechtskräftig festgestellt wurden. Nach Insolvenzeröffnung im Jahre 2010 und Freigabe der Deckungsansprüche aus der Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter machte der Kläger seine Schadenersatzforderungen unmittelbar gegen den VR der VN geltend.
Der Kläger meint, neues Recht sei anwendbar, weil der Versicherungsfall erst mit der Insolvenzeröffnung eingetreten sei. Nach § 115 VVG n.F. bestehe ein Direktanspruch, dem wegen § 117 Abs. 1 VVG auch eine etwaige Leistungsfreiheit des VR gegenüber dem VN nicht entgegengehalten werden könne. Der VR vertritt die Auffassung, dass altes Recht anwendbar sei. Ein Direktanspruch scheitere an der fehlenden Fälligkeit des Schadenersatzanspruchs. Im Übrigen sei er, und zwar auch gegenüber dem Kläger, nach § 4 Ziff. 5 der AVB-W leistungsfrei, weil die VN bewusst pflichtwidrig gehandelt habe.
Entscheidungsgründe
Das LG hat die Klage abgewiesen. Es hat sich dabei von folgenden Überlegungen leiten lassen:
- Auf das Verhältnis der Parteien findet gem. Art. 1 Abs. 1, 2 EGVVG das VVG in der bis zum 31.12.07 geltenden Fassung Anwendung, da der Versicherungsvertrag vor dem 1.1.08 geschlossen wurde und der streitgegenständliche Versicherungsfall vor dem 31.12.08 eingetreten ist. Versicherungsfall ist bedingungsgemäß ein „Verstoß, der Haftpflichtansprüche gegen den VN zur Folge haben könnte“. Ein solcher Verstoß liegt schon in der unterbliebenen Aufklärung über die Vertriebsprovision und die bestehenden personellen Verflechtungen. Unerheblich ist, dass vor der Insolvenzeröffnung weder ein Schadenersatzanspruch wegen Verlusts des Kapitals noch ein Direktanspruch gegen den VR bestanden hat.
- Nach Maßgabe des VVG a.F. besteht kein Direktanspruch. Das zwischen Geschädigtem und Schädiger bestehende Haftpflichtverhältnis ist von dem Deckungsverhältnis, das die Rechtsbeziehungen zwischen dem Schädiger und seiner Versicherung kennzeichnet, zu unterscheiden. Beide Verhältnisse werden getrennt voneinander beurteilt. Im Haftpflichtprozess wird abschließend lediglich über die Haftung des Schädigers entschieden; im Deckungsprozess über die Eintrittspflicht des VR (Trennungsprinzip). Ein direkter Leistungsanspruch kommt nur in Betracht, wenn der Haftpflichtanspruch fällig, d.h. gem. § 154 VVG a.F. durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt ist (BGH VersR 91, 414).
- Der Umstand, dass über das Vermögen der VN das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ändert an diesen Grundsätzen nichts. Zwar sieht § 157 VVG a.F. für den Fall der Insolvenz des Schädigers ein Absonderungsrecht des Geschädigten vor. Die Vorschrift soll ebenso wie nunmehr § 110 VVG n.F. verhindern, dass der Geschädigte im Fall der Insolvenz des Schädigers leer ausgeht oder auf die Insolvenzquote verwiesen werden kann. Das Trennungsprinzip bleibt hiervon aber unberührt. Eine direkte Inanspruchnahme des VR erfordert daher auch in der Insolvenz des VN die Fälligkeit des Haftpflichtanspruchs gem. § 154 Abs. 1 VVG a.F. Hieran fehlt es.
- Zudem ist die Klage aber auch abzuweisen, weil der VR - auch gegenüber dem Geschädigten - leistungsfrei ist. Der VR beruft sich zu Recht auf Leistungsfreiheit wegen wissentlicher Pflichtverletzung durch die VN.
- Unter wissentlicher Verletzung einer Pflicht ist das bewusste Abweichen einer versicherten Person von einer gesetzlichen oder anderweitig normierten Pflicht oder auch einer Weisung zu verstehen. Dabei ist sowohl positive Kenntnis von der Pflicht (Pflichtbewusstsein) als auch positive Kenntnis des Abweichens von dieser Pflicht (Pflichtverletzungsbewusstsein) erforderlich (Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, § 28 Rn. 118). Darüber hinaus muss der Pflichtenverstoß für den angeblichen Schaden ursächlich sein. Auf den Schaden muss sich das Wissen nicht erstrecken (Prölss/Martin, AVB Vermögen, § 4 Rn. 5). All das ist tatsächlich unumstritten. Unabhängig hiervon erscheint eine wissentliche Pflichtverletzung auch mit Blick auf den Stellenwert der verletzten Pflichten plausibel. Der objektive Verstoß gegen eine Berufspflicht kann den Schluss auf ein wissentliches Handeln zulassen, wenn etwa berufsspezifische fundamentale Grundregeln nicht beachtet werden bzw. die verletzte Regel zum Elementarwissen des Berufsangehörigen gehört (OLG Köln 29.11.11, 9 U 75/11, Abruf-Nr. 120678; OLG Köln VersR 90, 193). Bei den verletzten Aufklärungspflichten handelt es sich jeweils um solche, die zum Elementarwissen eines treuhänderisch tätigen Wirtschaftsprüfers gehören bzw. berufsspezifische fundamentale Grundregeln darstellen.
- Die Leistungsfreiheit wirkt auch gegenüber dem Geschädigten. Zwar bleibt gemäß § 158c VVG a.F. im Falle einer Pflichtversicherung der VR trotz Leistungsfreiheit dem Geschädigten gegenüber verpflichtet. Der Schutzbereich des geschädigten Dritten erstreckt sich jedoch nach § 158c Abs. 1 VVG lediglich auf die Fälle, in denen „der VR von der Verpflichtung zur Leistung dem VN gegenüber ganz oder teilweise frei“ ist. Gemeint sind die Fälle, in denen sich das Gesetz oder der Vertrag der Wendung „von der Verpflichtung zur Leistung frei“ bedienen, sofern darin nicht eine Risikobeschränkung liegt (Prölss/Martin, VVG, 27 Aufl., § 158c Rn. 5). Ein wissentlicher Pflichtenverstoß führt nicht zu einer „Leistungsfreiheit“ im Sinne des § 158c Abs. 1 VVG a.F. Er hat vielmehr zur Folge, dass von vornherein kein Versicherungsschutz besteht (BGH VK 11, 49). Diesen Einwand kann der VR auch dem Geschädigten entgegenhalten.
Praxishinweis
Für die Frage, ob altes oder neues Recht anwendbar ist, kommt es bei Altverträgen nur auf das Datum des Versicherungsfalls an. Was Versicherungsfall ist, wird - das VVG sagt dazu nichts - ausschließlich durch die Bedingungen bestimmt. Versicherungsfall kann deshalb, wie im Streitfall, der Pflichtenverstoß sein. Es kann aber auch, wie in den AHB, der Eintritt des Schadenereignisses oder, wie in der D&O-Versicherung, die erstmalige Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs sein. Hier ist exaktes Studium der Bedingungen erforderlich.
Nach altem Recht kam wegen des Trennungsprinzips ein Direktanspruch, sieht man von einer wirksamen Abtretung oder Pfändung des Deckungsanspruchs ab, nur dann in Betracht, wenn der Schadenersatzanspruch für den VR nach § 154 VVG a.F. bindend festgestellt war. Das galt auch im Insolvenzfall, wobei die Feststellung zur Insolvenztabelle allerdings, wie alle abschließenden Entscheidungen, vorbehaltlich der Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung für den VR bindend war. Nach neuem Recht ist in solchen Fällen nach § 115 Abs. 1 VVG davon abweichend eine Direktklage ohne Weiteres zulässig. Einer Abtretung oder Pfändung bedarf es auch bei ungeklärter Schadenersatzverpflichtung nicht mehr.
Zutreffend hat das LG auch entschieden, dass bei einem wirksam vereinbarten Leistungsausschluss, wie hier für wissentliche Pflichtverletzung, der Anspruch nicht nach § 158c Abs. 1 VVG a.F. für den Geschädigten als fortbestehend fingiert wird. Für § 117 VVG n.F. gilt dasselbe (MünchKomm-VVG/Schneider, § 117 Rn. 10; Prölss/Martin/Knappmann, § 117 VVG Rn. 6). Nicht übersehen werden darf aber, dass davon abweichend in Notarfällen nach § 19a Abs. 2 S. 2 BNotO der VR an den Ersatzberechtigten zu leisten hat, wenn nur dieser Ausschlussgrund streitig ist. Der VR kann dann lediglich gemäß § 19a Abs. 2 S. 3 BNotO beim Notar Regress nehmen. In allen diesen Fällen ist der Anspruch der Höhe nach auf die Mindestversicherungssumme beschränkt.
Weiterführender Hinweis
- Vorsätzlicher Unfall: Kein Direktanspruch gegen den VR wegen Ansprüchen gegen den Fahrer: OLG Oldenburg VK 10, 12