· Fachbeitrag · Forderungsausfallversicherung
Muss ein ungewöhnlich und gefährliches Tun ein auf Dauer angelegtes Verhalten sein?
von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte
(OLG Koblenz 20.6.14, 10 U 927/13, Abruf-Nr. 142493) |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der VN hatte eine Privathaftpflichtversicherung mit Forderungsausfallschutz abgeschlossen. Für Letzteren galten die Vertragsbedingungen des VN (BBR, AHB) auch für den Dritten. Allerdings war auch vorsätzliches Handeln des Dritten versichert. Voraussetzung für den Versicherungsschutz war ferner, dass der VN gegen den Dritten einen rechtskräftig gewordenen und vollstreckbaren Titel (Urteil, Vollstreckungsbescheid, gerichtlicher Vergleich) erwirkt hatte. Gleichgestellt war ein notarielles Schuldanerkenntnis mit Unterwerfungsklausel, aus der hervorgeht, dass sich der Dritte persönlich der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen unterwirft.
2010 war der VN von dem Dritten aufgelauert und mit einem Schlagstock zusammengeschlagen worden. Nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Dritten wurde die Schmerzensgeldforderung des VN zur Insolvenztabelle festgestellt. Der VR, daraufhin vom VN in Anspruch genommen, stellte seine Leistungspflicht mit der Begründung in Abrede, nach Nr. 1.1.2 BBR PHV bestehe kein Versicherungsschutz, wenn es sich bei der Handlung des Dritten um ein ungewöhnliches und gefährliches Tun handele. Darum handele es sich bei der überfallartigen Attacke des Dritten mit einem Schlagstock auf den VN. Außerdem stehe die Anerkennung der (weit überhöhten) Forderung des VN zur Insolvenztabelle einem bedingungsgemäß erforderlichen rechtskräftigen und vollstreckbaren Titel nicht gleich. Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG hat ihr stattgegeben. Hierfür war maßgeblich:
- Die Klage scheitert nicht daran, dass der Dritte vorsätzlich gehandelt hat. Zwar schließt Nr. 7.1 AHB die Ansprüche aller aus, die den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben. Dies gilt grundsätzlich auch für die Forderungsausfalldeckung. Jedoch ist insoweit ausdrücklich eine Ausnahme für den Fall vereinbart worden, dass der Dritte vorsätzlich handelt.
- Der VR ist auch nicht leistungsfrei, weil das Verhalten des Dritten ein bedingungsgemäß ausgeschlossenes ungewöhnliches und gefährliches Tun ist. Denn dieser Ausschluss erfordert ein Verhalten, das auf längere Dauer angelegt ist und so einen von den normalen Gefahren des täglichen Lebens abgrenzbaren Bereich besonderer Gefahrenlagen bildet, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederholt eintreten (BGH NJW-RR 12, 551).
- Davon kann bei einer vorsätzlichen Körperverletzung nicht ausgegangen werden. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der VR vorliegend nicht die Gefahren einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung vom Versicherungsschutz ausnimmt, sondern eines ungewöhnlichen und gefährlichen Tuns. Zwar impliziert der Begriff des „Tuns“ noch keine zeitliche Dauer, während der Begriff der „Beschäftigung“ eher für ein länger andauerndes Verhalten spricht. Indes lässt sich auch allein aus dem Begriff des „Tuns“ nicht herleiten, dass vom Versicherungsschutz alle ungewöhnlichen und gefährlichen Handlungen ausgenommen sein sollen. Denn aus dem Vergleich des Begriffs des „ungewöhnlichen und gefährlichen Tuns“ mit den übrigen, im selben Satz in Nr. 1.1.1 enthaltenen Ausnahmen, folgt, dass mit dem „Tun“ nicht lediglich eine einzige Handlung, sondern ein Gefahrenbereich gemeint ist. Es wird also eine allgemeine, in gewissen Zeitabständen wiederholte oder wiederkehrende Betätigung vorausgesetzt. Die anderen aufgezählten Ausnahmetatbestände betreffen nämlich alle eine Betätigung, die auf eine gewisse Dauer angelegt sind (Dienst, Amt, Ehrenamt, etc.). Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sind diese Tätigkeiten mit der Vorstellung verbunden, dass sie in der Regel über einen längeren Zeitraum hinweg die Lebensumstände des Betroffenen prägen (BGH, a.a.O.). Das führt den VN zu der Annahme, auch mit einem ungewöhnlichen und gefährlichen „Tun“ sei ein Verhalten angesprochen, das - ähnlich wie die Ausübung eines Amts - über eine nicht nur kurze Zeit fortdauert, sondern auf eine längere Dauer angelegt ist (BGH, a.a.O., m.w.N.). Damit ist eine Körperverletzungshandlung wie im vorliegenden Fall mangels einer mit der Tätigkeit eines Amts vergleichbaren Dauer nicht als ungewöhnliches und gefährliches Tun im Sinne der Nr. 1.1.2 BBR anzusehen.
- Der Leistungspflicht des VR steht auch nicht entgegen, dass der VN gegen den Schädiger kein rechtskräftiges und vollstreckbares Urteil, keinen Vollstreckungsbescheid oder gerichtlichen Vergleich erwirkt hat (Nr. 10.1.4 BBR). Denn die Eintragung in die Insolvenztabelle wirkt für die festgestellte Forderung ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern, § 178 Abs. 3 InsO. Sie ist damit ein vollstreckbarer Titel, wie ihn Nr. 10.1.4 BBR erfordert. Aus der Sicht des durchschnittlichen VN, auf dessen Verständnis es insoweit ankommt, ist deshalb auch kein Grund ersichtlich, warum die Feststellung zur Insolvenztabelle nicht ebenso ausreichend sein soll wie die exemplarisch in der Zusatzklammer genannten Arten Urteil, Vollstreckungsbescheid und gerichtlicher Vergleich.
Praxishinweis
In den meisten Verträgen gelten die für die PHV vereinbarten Ausschlüsse der AHB auch für die ForderungsausfallVers. Dann besteht kein Versicherungsschutz, wenn der Schädiger vorsätzlich den Schaden herbeigeführt hat, wobei, wie immer in den HaftpflichtVers, eine vorsätzliche Tathandlung allein den Ausschluss nicht begründen kann. Hier waren aber Vorsatztaten ausdrücklich als versichert bezeichnet worden. Dann greift der Ausschluss (nur) für die ForderungsausfallVers nicht, wie das Gericht überzeugend entschieden hat.
Zu Unrecht hat das Gericht aber m.E. entschieden, dass der VR sich nicht auf den vereinbarten Ausschluss für „ungewöhnliches und gefährliches Tun“ berufen könne, weil dies ein Verhalten voraussetze, das auf längere Zeit angelegt sei. Richtig ist daran nur, dass der BGH (VersR 12, 172) dies für seinen Fall überzeugend entschieden hat. Unrichtig ist, dass dies mit dem vom OLG zu entscheidenden Fall vergleichbar ist.
- Der BGH begründet seine Auffassung von der Erforderlichkeit eines ungewöhnlichen und gefährlichen Gefahrenbereichs einerseits damit, dass die in demselben Satzeinschub enthaltenen Ausnahmen (Betrieb, Beruf, Dienst, Amt, Verein) allesamt auf Dauer angelegt sind, und dass der durchschnittliche VN dies deshalb auch auf die ebenfalls dort genannte ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung beziehen dürfe. Andererseits deute auch das Wort Beschäftigung auf eine längere Tätigkeit hin. Die Entscheidung ist zu den BBR PHV 2001 ergangen, auf die beides zutraf.
- Mit Rücksicht auf diese Rechtsprechung haben die VR die Bedingungen, wie das OLG völlig verkannt hat, in beiden Punkten geändert. In den vereinbarten BBR PHV 2008 (wie im Prölss/Martin) werden Betrieb und Beruf nur noch als Abgrenzung zu den allein versicherten Gefahren als Privatperson genannt. Die ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung ist durch ein gleichartiges Tun ersetzt worden und erscheint nicht mehr in einem Satzeinschub, sondern in gesonderten Ziffern. Der durchschnittliche VN, der allerdings nur die Neufassung kennen wird, wird deshalb den vom BGH vorgenommenen Vergleich nicht vornehmen. Das Bedingungswerk gibt ihm dazu keinen Anlass. Das Wort „Tun“ deutet anders als das Wort „Beschäftigung“ auch nicht auf einen längeren Zeitraum hin. Beide Argumente des BGH greifen deshalb für die neuen Bedingungen nicht. Der durchschnittliche VN kann deshalb nur zu dem Ergebnis kommen, dass das anlasslose Einschlagen mit einem Schlagstock auf einen wehrlosen Passanten ein ungewöhnliches und gefährliches Tun ist und deshalb dem Ausschluss unterfällt. Mir scheint es auch offensichtlich zu sein, dass ein derartiger Täter auch gar keinen Versicherungsschutz für seine Tat erwartet (und deshalb auch der VN keinen Versicherungsschutz genießt).
Eher nachvollziehbar ist, dass die Feststellung zur Insolvenztabelle einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Titel gleichgestellt werden soll. Anderenfalls wären ausgerechnet die Fälle, in denen die bedingungsgemäß erforderliche Nichtbeitreibbarkeit der Forderung am offensichtlichsten ist, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.
Das Urteil belegt wieder einmal, dass nicht nur die Bedingungen in jedem Fall beigezogen und ausgewertet werden müssen. Es belegt auch, dass scheinbar einschlägige Urteile gar nicht einschlägig sind, weil inzwischen die Bedingungen in den entscheidenden Punkten geändert worden sind. Dies muss, und auch das belegt das Urteil, selbst erfahrenen Versicherungssenaten regelmäßig aufgezeigt werden. Der Senat hat die Revision wegen der beiden in den Leitsätzen ausgeurteilten Rechtsfragen zugelassen. Es bleibt zu hoffen, dass der BGH die Gelegenheit erhält und wahrnimmt, diese auch zu entscheiden.