· Fachbeitrag · Luftfahrthaftpflichtversicherung
Das ist bei der Auslegung zum Umfang der Versicherungsbedingungen zu beachten
von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte
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Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der Kläger (VN) nimmt den VR im Wege der Feststellungsklage aus einer für sein Flugzeug abgeschlossenen Luftfahrt-Haftpflichtversicherung auf Versicherungsschutz in Anspruch. Er betreibt eine Fallschirmsportschule. In seiner Cessna, mit der die Fallschirmspringer abgesetzt werden, wurde 2009 gegen ein geringes Entgelt auch der Passagier P mitgenommen. Dieser trug einen sog. Schülerfallschirm, dessen Öffnungsautomatik versehentlich nicht abgestellt worden war. Im Landeanflug öffnete sich der Fallschirm. Durch den Fahrtwind wurde der Fallschirm zusammen mit P aus dem Flugzeug gezogen. P wurde beim Aufprall am Boden erheblich verletzt.
P hat den VN auf Schadenersatz in Anspruch genommen. Zu seinen Gunsten ist ein rechtskräftiges Grundurteil ergangen. Der vom VN seinerseits auf Deckung in Anspruch genommene VR hat seine Einstandspflicht abgelehnt. Er sei nach § 81 VVG wegen grober Fahrlässigkeit zur Kürzung auf „Null“ berechtigt. Außerdem habe es sich um einen (nicht versicherten) gewerblichen Passagierflug gehandelt, der zur Gefahrerhöhung geführt habe. Er wolle aber Rechtsschutz für die Abwehr des Schadenersatzanspruchs des P gewähren. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung war erfolgreich.
- Die Feststellungsklage ist auch mit Blick darauf zulässig, dass die Haftpflicht des VN gegenüber P dem Grunde nach bereits rechtskräftig festgestellt ist und der VN insoweit Befreiung vom VR verlangen könnte. Zwar ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse zu verneinen, wenn das Rechtsschutzziel ebenso oder umfassender mit einer Leistungsklage erreicht werden kann (Zöller/Greger, ZPO 29. Aufl. 2012, § 256, Rn. 7a). Allerdings lässt die erst im Prozess eingetretene Möglichkeit der Leistungsklage die einmal bestehende Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entfallen. Der Kläger ist also - jedenfalls in 2. Instanz - nicht gezwungen, seine Anträge auf eine ihm mögliche Leistungsklage umzustellen, wenn der Leistungsanspruch erst während des Prozesses erhoben werden kann (Zöller, a.a.O., Rn. 7c). Das Feststellungsinteresse selbst folgt daraus, dass der VR dem VN nur die anwaltliche Vertretung finanzieren wollte.
- Das versicherte Risiko hat sich verwirklicht. Versichert waren Schadenfälle, die aus dem Flugzeugeinsatz zu den vertraglich bezeichneten Verwendungszwecken resultieren. Also auch Schadenfälle, die durch einen Absetzflug eintreten. Unerheblich ist, ob der Geschädigte selber einen Fallschirmsprung durchführen wollte. Dieses Verständnis der Leistungsbeschreibung ergibt sich aus der Auslegung des vertraglichen Regelwerks. Dabei sind die Versicherungsbedingungen nach dem Verständnis eines durchschnittlichen VN bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs auszulegen. Es kommt so auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGH VersR 09, 1617; VersR 12, 1149). AGB sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen (BGH VersR 11, 202). Der mit ihr verfolgte Zweck und der erkennbare Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den VN erkennbar sind.
- Vom Standpunkt eines verständigen VN ging es um die Absicherung sämtlicher Risiken des Flugzeugbetriebs. Diese beschränkten sich nicht auf denkbare Schadensereignisse während eines Reise- oder Geschäftsflugs oder während eines Absetzvorgangs. Sie waren auch im Zusammenhang mit Flugzeugeinsätzen zu erwarten, die zwar im weiteren Sinne den angegebenen Verwendungszwecken dienten, aber nicht unmittelbar als Reise-, Geschäfts- oder Absetzflug einzuordnen sein würden, wie etwa Werkstatt- und Abnahmeflüge, Überführungsflüge sowie Flüge zu Trainingslagern und Vergleichsspringen auf anderen Flugplätzen.
- Jedenfalls waren bei einem Absetzflug Schadensereignisse denkbar, die mit dem Absetzen selber nicht zusammenhingen und sowohl die mitfliegenden Personen als auch unbeteiligte Dritte treffen konnten. Die Mitnahme von nicht hinreichend ausgebildeten bzw. eingewiesenen Personen stellt entgegen der Wertung der Beklagten auch keine Erhöhung des vertraglich übernommenen Risikos dar.
- Dass die vom VN am Unfalltag im Sprungbetrieb eingesetzten Personen die Einhaltung der vorgegebenen Sicherheitsvorschriften unstreitig versäumt haben, ist dem VN nach § 81 VVG nicht zuzurechnen.
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Voraussetzung der Haftung des VN für das Fehlverhalten Dritter ist, dass der Dritte als gesetzlicher Vertreter bzw. Organ oder als Repräsentant des VN tätig wird (vgl. Prölss/Martin/Prölss, VVG, 28. Aufl. 2010, § 81, Rn. 6). Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des VN getreten ist. Die bloße Überlassung der Obhut über die versicherte Sache reicht dabei nicht aus. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbstständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutendem Umfang für den VN zu handeln (Risikoverwaltung) (vgl. nur BGH ZfSch 03, 411; OLG Oldenburg VersR 98, 839; Prölss/Martin/Prölss, VVG, a.a.O., § 28, Rn. 65). |
- Eine solche Stellung hatte weder der Pilot noch der Sprungleiter. Es fehlt so an einem dem VN zurechenbaren kausalen Sorgfaltspflichtverstoß.
- Der VR muss nach § 101 Abs. 1 S. 1 VVG dem VN die von ihm bereits aufgewandten Rechtsanwaltskosten erstatten, soweit diese den Umständen nach geboten waren. Muss der VN die Kosten seiner Rechtsverteidigung aufgrund der Leistungsverweigerung des VR selbst aufwenden, wandelt sich sein Rechtsschutzanspruch aus § 100, § 101 Abs. 1 VVG in einen entsprechenden Zahlungsanspruch um (Prölss/Martin/Lücke, a.a.O). Der Erstattungsanspruch beschränkt sich aber gem. § 101 Abs. 1 S. 1 VVG auf die nach den Umständen gebotenen Kosten der Rechtsverteidigung.
Praxishinweis
Es handelt sich um einen spektakulären Fall, der in Fernsehen und Presse große Beachtung gefunden hat. Das gilt allerdings nicht für die vorliegend vorgestellte Entscheidung des OLG Hamm. Gegen die Begründung dafür, dass auch der Schadenfall P versichert ist, gibt es m.E. nichts zu erinnern. Ein versicherter Absetzflug wird nicht dadurch zu einem nicht versicherten Passagierflug, weil ein nicht absprungwilliger Passagier mitgeflogen ist, der den Absetzvorgang nur aus nächster Nähe beobachten wollte.
Ständiger Rechtsprechung entspricht, dass eine bis dahin zulässige Feststellungsklage zulässig bleibt, auch wenn sie im Laufe des Rechtsstreits auf eine Zahlungsklage, bzw. eine Klage auf Freistellung, umgestellt werden könnte. Eine andere Frage ist, ob der Anwalt sie nicht sinnvollerweise umstellen sollte. Nicht nur wegen des höheren Streitwerts, sondern auch um einen vollstreckungsfähigen Titel zu schaffen und einen weiteren Prozess zu vermeiden.
Unklar ist aber, warum der Senat meint, die Klage habe umgestellt werden können. Ein rechtskräftiges Grundurteil lässt das ebenso wenig zu, wie der im Streitfall über die Höhe abgeschlossene Widerrufsvergleich. Denn dafür ist gem. §§ 100, 106 VVG der Anspruch eines Dritten erforderlich, der durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich für den VR bindend festgestellt worden ist. Ob eine solche Bindung für den VR im Streitfall schon deshalb anzunehmen sein könnte, weil er statt Versicherungsschutz zu gewähren nur den Abwehranspruch anerkannt hat (Prölss/Martin-Lücke § 106 VVG Rn. 6), erscheint sehr zweifelhaft, weil dabei auch über die Höhe zu streiten gewesen wäre. Ein Widerrufsvergleich reicht jedenfalls in keinem Fall.
Wenn der VR die Erfüllung des Abwehranspruchs zugesagt hatte, ist er allein deshalb zur Freistellung oder, nach Ausgleichung durch den VN, zur Zahlung der Kosten des Schadenersatzprozesses verpflichtet. Soweit, wie es allerdings der Fall zu sein scheint, es um die vorprozessualen Kosten des Deckungsprozesses geht, ist der Hinweis auf meine Bemerkungen im Prölss/Martin (§ 101 VVG Rn. 2) allerdings verfehlt. Der Ausgleich dieser Kosten ist kein versicherungsrechtliches, sondern, und zwar ausschließlich, ein schadenersatzrechtliches Problem.
Und wichtig ist schließlich, dass § 81 VVG in der HaftpflichtV nicht anwendbar ist.
Weiterführender Hinweis
- Zum Versicherungsumfang: Versichert ist gewöhnliche Tätigkeit eines Betriebs, nicht ein Berufsbild als solches: OLG Karlsruhe VK 10, 185