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  • · Fachbeitrag · Tierhalterhaftpflichtversicherung

    Wechsel von Freistellungs- in Zahlungsanspruch während des Prozesses

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte

    • 1.Die dem VR aus § 100 VVG obliegende Rechtsschutzverpflichtung wird obsolet, wenn der VN den Schaden ausgeglichen hat.
    • 2.Der Freistellungsanspruch wandelt sich dann in einen Zahlungsanspruch gegen den VR um. Dieser ist begründet, wenn und soweit der Anspruch des Geschädigten materiell bestanden hat.

    (LG Dortmund 1.8.13, 2 S 5/13, Abruf-Nr. 133572)

     

    Sachverhalt

    Die VN unterhält für ihr Reitpferd eine Tierhalterhaftpflichtversicherung. Bei einem Ausritt ihrer Tochter soll das Pferd gescheut und dabei ein am Straßenrand geparktes Fahrzeug beschädigt haben. Dieses gehört dem Leasinggeber L. Es war an den Arbeitgeber des Ehemanns der VN verleast, der es seinerseits dem Ehemann als Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt hatte. L nahm die VN deshalb auf Schadenersatz in Anspruch. Nach Schadenmeldung und Prüfung teilte der VR mit, dass die geltend gemachten Schäden nicht auf den geschilderten Hergang zurückgeführt werden können. Er wies deshalb die geltend gemachten Ansprüche als unberechtigt zurück. Zudem informierte er den Rechtsanwalt der Gegenseite, dass er sich mit den Ansprüchen nicht befassen könne. Daraufhin ließ der Leasingnehmer den Schaden unter Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung reparieren und stellte den Selbstbehalt sowie nicht ersetzte Nebenkosten dem Ehemann der VN in Rechnung, der diese an seine Frau weiterreichte. Das Geld wurde vom Gemeinschaftskonto der Eheleute abgebucht.

     

    Im Prozess hat die VN zunächst Freistellung und hilfsweise die Feststellung verlangt, dass der VR Versicherungsschutz zu gewähren habe. Später hat sie die Klage wegen des Rechnungsbetrags in eine Zahlungsklage umgestellt. Diese hat das AG abgewiesen.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Berufung hatte Erfolg. Das LG stützt seine Entscheidung dabei auf folgende Gesichtspunkte:

     

    • Gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 der vereinbarten AHB umfasst die Leistungspflicht des VR die Prüfung der Haftpflichtfrage, die Abwehr unberechtigter Ansprüche sowie den Ersatz der Entschädigung. Damit steht es dem VR zunächst frei, ob er den geltend gemachten Haftpflichtanspruch erfüllen oder den Versuch einer Abwehr (Rechtsschutzverpflichtung) unternehmen will. Deshalb kann der VN - worüber die Parteien in erster Instanz gestritten haben - in der Regel nur auf Feststellung der Gewährung bedingungsgemäßen Versicherungsschutzes klagen, es sei denn, das Bestehen des Haftpflichtanspruchs ist rechtskräftig festgestellt (OLG Karlsruhe VersR 05, 781; OLG Düsseldorf r+s 01, 16; Wendt, r+s 08, 265, 278) oder anerkannt worden. Dann ist Klage auf Freistellung von der Haftpflichtforderung möglich, weil die Rechtsschutzverpflichtung des Haftpflicht-VR obsolet geworden ist. Hat der VN den Haftpflichtgläubiger befriedigt, kann er den Haftpflicht-VR auf Zahlung in Anspruch nehmen (OLG Stuttgart r+s 10, 284 mit Anmerkung Steinborn in Juris Praxisreport - VersR 7/2010 Anmerkung 4; Armbrüster, r+s 10, 441, 447). Demnach ist nach Erfüllung der Haftpflichtforderung der mit der Berufungsinstanz weiterverfolgte Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zulässig.

     

    • Entgegen der im angefochtenen Urteil und auch von der Beklagten vertretenen Auffassung ist der Haftpflichtfall eingetreten. Denn gemäß § 1 AHB gewährt der VR dem VN Versicherungsschutz für den Fall, dass er wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadenereignisses, das u.a. die Beschädigung von Sachen zur Folge hatte, in Anspruch genommen wird. Eine Inanspruchnahme der VN ist bereits mit Schreiben der Fahrzeugeigentümerin erfolgt. Bereits damit war der Versicherungsfall eingetreten und der VR hätte jedenfalls seiner zum damaligen Zeitpunkt noch bestehenden Rechtsschutzverpflichtung nachkommen müssen. Dies ist neben der Verpflichtung zur Befriedigung berechtigter Ansprüche eine gleichrangige Hauptleistungspflicht des Haftpflicht-VR (BGH VersR 07, 1116). Dass der VR bereit war, dieser Rechtsschutzverpflichtung nachzukommen, ergibt sich allerdings nicht mit hinreichender Deutlichkeit aus seinem Ablehnungsschreiben. Beim durchschnittlichen VN, dem die Unterscheidung zwischen Haftpflicht- und Deckungsverhältnis in aller Regel nicht geläufig sein wird, kann ein solches Verständnis nicht vorausgesetzt werden. Trotz des daran anschließenden Anspruchschaos entspricht es keiner lebensnahen Betrachtungsweise, davon auszugehen, dass nicht die VN, sondern nur ihr Mann in Anspruch genommen worden ist. Auch die Weiterreichung der an ihn gerichteten Rechnung durch den Ehemann der Klägerin an seine Ehefrau bedeutet deren Inanspruchnahme, der sich die VN durch Zahlung entledigt hat.

     

    • Gemäß § 106 S. 2 VVG hat der Haftpflicht-VR die Entschädigung innerhalb von zwei Wochen nach der Befriedigung des Dritten an den VN zu zahlen, wenn der Dritte von dem VN mit bindender Wirkung für den VR befriedigt worden ist. Da in der Zahlung der VN ein Anerkenntnis der Haftpflichtforderung im Umfang der Inanspruchnahme zu sehen ist, ist der VR nach neuem Recht an dieses ohne seine Zustimmung zustande gekommene Anerkenntnis gebunden, soweit der Anspruch auch ohne Anerkenntnis bestanden hätte (Lücke in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 106 Rn. 10). § 106 VVG 2008 findet Anwendung, weil der Versicherungsfall nach 2008 eingetreten ist, Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme besteht auch kein Zweifel, dass die Unfallschilderung der VN zutrifft.

     

    • Entgegen der vom VR vertretenen Auffassung greift der Ausschluss nach § 4 Abs. 2 Nr. 2a AHB a.F. (Angehörigenklausel) nicht. Der VR meint offenbar, dass es sich um einen Schadenfall des Ehemanns der VN handelt. Diese Ansicht trifft jedoch nicht zu. Der Schadenfall ist durch das beim VR versicherte Reitpferd der VN verursacht worden, das unzweifelhaft nicht die weiteren in § 4 Abs. 2 Nr. 2a AHB genannten Voraussetzungen erfüllt.

     

    Praxishinweis

    Zutreffend weist das LG darauf hin, dass, was auch hier missachtet worden ist, regelmäßig zunächst nur Feststellung beantragt werden kann, dass Versicherungsschutz wegen eines bestimmten, näher zu bezeichnenden Ereignisses zu gewähren ist. Steht die Haftpflichtforderung zwischen Haftpflichtgläubiger und -schuldner (z.B. wegen eines Anerkenntnisses) bindend fest, wird die Rechtsschutzverpflichtung des VR obsolet. Dann gibt es nichts mehr abzuwehren. Der Antrag geht dann richtigerweise auf Freistellung von dieser Verpflichtung. Hat der VN bezahlt, muss der Antrag auf Zahlung an den VN umgestellt werden.

     

    Zutreffend hat das LG weiter darauf hingewiesen, dass der Versicherungsfall mit der Inanspruchnahme durch den Leasinggeber (=Eigentümer) eingetreten war, und dass das Ablehnungsschreiben des VR vom VN dahin verstanden werden durfte, dass Versicherungsschutz insgesamt abgelehnt worden ist. Rechtlich maßgeblich dafür ist allerdings nicht das Verständnis des durchschnittlichen VN, auf das es nur bei der Auslegung von Geschäftsbedingungen ankommt. Maßgeblich sind die §§ 133, 157 BGB, die aber zu demselben Ergebnis führen.

     

    Problematisch war, dass der geschädigte Eigentümer seine Ansprüche offenbar gar nicht weiterverfolgt hat und es vom Zahlungsantrag her um Ansprüche des Arbeitgebers gegen seinen Angestellten, den Ehemann, ging, die auch von seinem Konto beglichen worden sind. Dann wäre die Klage, wie es das AG auch getan hat, abzuweisen gewesen. Begründet konnte diese nur sein, wenn der Leasinggeber seine Ansprüche an den Leasingnehmer abgetreten hat und dieser zumindest auch die VN in Anspruch genommen und diese gezahlt hat. Die Inanspruchnahme der VN durch ihren Ehemann hätte eine Zahlungsklage allenfalls dann rechtfertigen können, wenn dieser seinerseits zu Recht in Anspruch genommen worden wäre. Das LG hat einen Schadenfall des Ehemanns mit der wirklich bemerkenswerten Begründung verneint, dass das Pferd nicht mit der VN verwandt sei (!). Dem liegt überdies das Missverständnis zugrunde, dass das Pferd versichert sei. Versichert ist aber allein die gesetzliche Haftpflicht der VN als nicht gewerbsmäßige Tierhalterin. Dass deren Ehemann unter die Angehörigenklausel fällt, steht aber außer Frage.

     

    Das LG hat die Sache nach dem Motto „Wir sind die letzte Instanz“ mit einem Ergebnis entschieden, dass ich sogar für wünschenswert halte, weil der VR für den Versicherungsfall eintrittspflichtig war. Besser wäre allerdings gewesen, wenn von vornherein ein richtiger Antrag gestellt worden wäre und die Voraussetzungen des letztlich geltend gemachten Zahlungsanspruchs vorab geklärt und aufgezeigt gewesen wären.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Kein sofortiges Anerkenntnis des VR bei Klageumstellung durch den VN: LG Dortmund VK 11, 102
    • Zum Umfang der Rechtsschutzverpflichtung bei vermutetem Versicherungsbetrug: BGH VK 11, 24
    Quelle: Ausgabe 01 / 2014 | Seite 4 | ID 42460237