· Fachbeitrag · Unfallversicherung
So zählen Vorschäden bei einem Unfall
| Das passiert häufig: Der Versicherer behauptet, die Unfallfolgen eines Versicherten seien deshalb so schlimm, weil bereits Vorerkrankungen vorlagen. Das OLG Karlsruhe sagt dazu: Auch dann gilt Versicherungsschutz. Trotzdem kann es Abzüge beim Invaliditätsgrad geben. Nämlich wenn Vorinvalidität oder ein mitwirkendes Gebrechen vorlagen. |
Sachverhalt
Der damals 62-jährige Kläger stürzte auf seine rechte Schulter. Diagnose: Komplettruptur der Rotatorenmanschette. Ärztliche Behandlungen und Operation folgten. Der Kläger machte Leistungen aus seiner privaten Unfallversicherung geltend. Der Versicherer meinte: Die Schulterbeschwerden gingen nicht auf den Unfall zurück. Eine Rotatorenmanschetten-Veränderung bleibe häufig symptomlos („stumm“). Wird sie dann irgendwann erkennbar, kann nicht auf den Zeitpunkt rückgeschlossen werden, wann sie genau entstand. In der ersten Instanz war dem Kläger eine Entschädigung von 20.000 EUR zugesprochen worden. Das OLG reduzierte den Anspruch auf 11.000 EUR.
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In der privaten Unfallversicherung genießt der Versicherungsnehmer im Grundsatz auch dann Versicherungsschutz, wenn Unfallfolgen durch bereits vor dem Unfall vorhandene gesundheitliche Anlagebedingtheit verschlimmert werden; anders als im Sozialversicherungsrecht reichen im privaten Unfallversicherungsrecht grundsätzlich auch sogenannte „Gelegenheitsursachen“ aus (Abruf-Nr. 191183). |
Entscheidungsgründe
Das vorinstanzliche LG hatte zu Recht entschieden, dass der Versicherte die unfallbedingte Invalidität nachgewiesen hat. Treten Beeinträchtigungen erstmals nach einem Unfall auf, sei zu vermuten, dass der Unfall auch (mit) ursächlich ist. Etwas anderes gälte nur, wenn ausnahmsweise festgestellt würde, dass der Versicherte ohne den Unfall an denselben Beschwerden leiden würde. Ein Gutachter ging ausdrücklich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ von einer Unfallkausalität aus, ein weiterer Gutachter sah die Schulterprellung als „letzten Tropfen“, der das Glas zum Überlaufen bringen und zusätzliche Funktionsbeeinträchtigungen auslösen konnte.
Der Gutachter bestimmte den Invaliditätsgrad zu Recht nach dem European Disability Scale (Kriterien für Schulterschäden) auf 11 bis 12 Prozent. Dieser Grad war jedoch nicht insgesamt unfallbedingt, sondern lediglich zu 40 Prozent, da beim Kläger Vorschäden an der rechten Schulter vorlagen, die das alterstypische Maß überschritten. Die Anspruchshöhe berechnet das Gericht daher wie folgt: Grundsumme 250.000 EUR, hiervon Anteil von 11 Prozent für die bestehende Invalidität (= 27.500 EUR) und hiervon wiederum 40 Prozent anteilig unfallbedingt (= 11.000 EUR).
PRAXISHINWEIS | Da das Schultergelenk in der Gliedertaxe zu Verlust oder völlige Funktionsbeeinträchtigung eines Arms nicht erwähnt ist, sei der Invaliditätsgrad für die Schulter nicht nach der Gliedertaxe, sondern nach den Regeln der Invaliditätsbestimmung für andere Körperteile zu ermitteln. Das sei hier der Fall, so das OLG. Maßgebend war daher, wie die normale körperliche Leistungsfähigkeit unter ausschließlich medizinischen Gesichtspunkten beeinträchtigt ist, was ein Gutachter festzustellen hat. |
Relevanz für die Praxis
Älter werden bedeutet auch, dass sich häufig degenerative Erkrankungen oder Verschleißerscheinungen entwickeln. Diese machen sich nicht zwingend früh mit Beschwerden oder Schmerzen bemerkbar. Wie degenerative Erkrankungen beim Mandanten verlaufen, kann durch hausärztliche oder sonstige Arztberichte dokumentiert werden. Diese sollten daher auch beim Arzt angefragt oder das Gericht hierauf hingewiesen werden, wenn dies den Klageantrag stützt.
In der privaten Unfallversicherung ist entscheidend, ob erst der Unfall dazu führte, dass zusätzliche gesundheitliche Beeinträchtigungen auftraten. Dies muss nicht vollständig nachgewiesen werden. Der BGH sagt klar: Es genügt, dass es nicht gänzlich außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegt, dass der Unfall mitgewirkt hat (BGH 19.10.16, IV ZR 521/14). Dies gilt auch dann, wenn die durch den Unfall auf den Körper einwirkenden Kräfte gering waren und erstmals Beschwerden auslösen, nachdem die Erkrankung zuvor „klinisch stumm“ verlief.
Weiterführender Hinweis
- BGH entscheidet zur Kürzung wegen Vorschäden und zum Zeitpunkt der gerichtlichen Erstfestsetzung: VK 15, 98