09.08.2011 · IWW-Abrufnummer 112712
BGH: Urteil vom 06.07.2011 – IV ZR 108/07
VVG a.F. § 6 Abs. 3
In der Fahrzeugversicherung ist eine zu hohe Angabe vorhandener Fahrzeugschlüssel generell nicht geeignet, Interessen des Versicherers zu gefährden.
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
durch die Vorsitzende Richterin Dr. Kessal-Wulf
die Richter Wendt, Felsch, Lehmann
und die Richterin Dr. Brockmöller
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2011
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 28. März 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte wegen des behaupteten Diebstahls eines LKW aus einer Kfz-Kasko-Versicherung auf Zahlung von 41.225,90 € nebst Zinsen in Anspruch.
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Er meldete das Fahrzeug am 6. März 2004 als gestohlen. Sowohl gegenüber der Polizei als auch in der schriftlichen Schadenanzeige an die Beklagte vom 11. März 2004 gab der Kläger an, dass es vier Schlüssel zu dem LKW gebe, und zwar je einen bei ihm, zwei Mitarbeitern und einen vierten Schlüssel in einem verschlossenen Werkzeugschrank im Büro der Halle. Gegenüber der Polizei teilte er zusätzlich mit, überpr üft zu haben, dass alle vier Schlüssel vorhanden seien.
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An die Beklagte gelangten jedoch nur drei Schlüssel. Der Kläger behauptet nunmehr, dass es auch nur noch diese drei Schlüssel gebe, weil einer der Mitarbeiter ohne sein Wissen einen der beiden ursprünglichen Originalschlüssel nach Austausch des Zündschlosses im LKW entsorgt habe. Er habe irrtümlich angenommen, dass sich dieser Schlüssel noch im Werkzeugschrank befinde. Die Beklagte hält sich wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit für leistungsfrei.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
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Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass dem Kläger zwar entgegen der Auffassung des Landgerichts der Nachweis des äußeren Bildes einer Fahrzeugentwendung gelungen sei. Die Beklagte sei jedoch gemäß § 7 I (2) Satz 3, V (4) AKB i.V.m. § 6 Abs. 3 VVG leistungsfrei, weil der Kläger durch falsche Angaben zu den vorhandenen Fahrzeugschlüsseln eine vorsätzliche Verletzung seiner Aufklärungsobliegenheit begangen habe.
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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
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1. Keine Bedenken bestehen dagegen, dass das Berufungsgericht in der objektiv falschen Angabe zur Anzahl der vorhandenen Schlüssel eine Obliegenheitsverletzung i.S. von § 7 I (2) Satz 3 AKB gesehen hat. Die dem Versicherungsnehmer hiernach obliegende Aufklärung gebietet es, auf Fragen des Versicherers zutreffende Angaben zur Anzahl der Fahrzeugschlüssel zu machen. Rechtsfolge einer Verletzung dieser Obliegenheit ist gemäß § 7 V (4) AKB Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 VVG a.F.
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Dass das Berufungsgericht die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG a.F. als nicht widerlegt angesehen hat, nimmt die Revision hin. R e-visionsrechtlich erhebliche Bedenken gegen diese Annahme sind auch nicht ersichtlich.
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2. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Grundsätze der Relevanzrecht sprechung des Senats der Leistungsfreiheit nicht entgegenstünden. Nach dieser Rech t-sprechung setzt die Leistungsfreiheit des Versicherers im Falle einer zwar vorsätzlichen, aber folgenlos gebliebenen Obliegenheits verletzung des Versicherungsnehmers ein erhebliches Verschulden des Versicherungsnehmers, dessen ordnungsgemäße Belehrung über die Folgen e i-ner Obliegenheitsverletzung sowie deren generelle Eignung, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden , voraus (Senatsurteile vom 28. Februar 2007 - IV ZR 331/05, VersR 2007, 785 unter II 2 b; vom 26. Januar 2005 - IV ZR 239/03, VersR 2005, 493 unter 2 c; vom 21. Januar 1998 - IV ZR 10/97, VersR 1998, 447 unter 2 b; weitere Nachweise siehe bei Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 6 Rn. 54 ff.; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 6 Rn. 101 und Stie- fel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung 17. Aufl. § 6 VVG Rn. 33 ff. und § 7 AKB Rn. 88 ff.).
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a) Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht im Ansatz noch zutreffend gesehen. Da es von einer Folgenlosigkeit der Obliegenheitsverletzung des Klägers ausgegangen ist, ist diese auch für das Revisionsverfahren zugrunde zu legen. Zudem ist ein der Beklagten entstandener Nachteil durch die falsche Anga be nicht ersichtlich. Insbesondere sind die Aufklärungsmöglichkeiten der Beklagten, ob tatsächlich ein Versicherungsfall vorgelegen hat, durch die unzutreffende Angabe des Klägers nicht beeinträchtigt worden.
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b) Anders als bei zu niedriger Angabe der Anzahl der Schlüssel ist deren zu hohe Angabe - was das Berufungsgericht verkannt hat - in der Fahrzeugversicherung generell nicht geeignet, Interessen des Versich e-rers zu gefährden.
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Denn in diesem Falle wird der Versicherer wegen des aus seiner Sicht fehlenden Schlüssels allenfalls dazu veranlasst werde n, die Regulierung zurückzustellen, bis der Verbleib des vermeintlich fehlenden Schlüssels geklärt ist. Dementsprechend hat hier die Beklagte mit Schreiben vom 14. April 2004 reagiert, indem sie den Kläger um ergänzende Stellungnahme bat.
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Im Zusammenhang mit den Schlüsseln geht das Interesse des Versicherers bei einem gemeldeten Fahrzeugdiebstahl regelmäßig dahin, alle vom Hersteller ausgelieferten und noch vorhandenen Fahrzeugschlüssel sachverständig untersuchen zu lassen, unter anderem darauf, ob Kopierspuren vorhanden sind, was auf das Fertigen von Nachschlüsseln deutet und weitere Nachforschungen nach sich zieht. Ferner ist für den Versicherer generell wichtig, prüfen zu können, ob alle Schlüssel vorhanden sind, weil das Fehlen eines Schlüssels Hinw eise darauf geben kann, dass dieser einem Dritten zur Verfügung gestellt worden ist, damit er das Fahrzeug - zur Vortäuschung eines Diebstahls - von seinem Standort verbringt (vgl. Senatsurteil vom 7. Juli 2004 - IV ZR 265/03, VersR 2004, 1117 unter 3). Ob alle Schlüssel vorhanden und gegebenenfalls einem Sachverständigen zur Untersuchung übergeben sind, kann der Versicherer aber nicht feststellen, wenn der Versicherungsnehmer ihm die Existenz eines oder mehrerer Schlüssel verschweigt, indem er deren Anzahl zu niedrig angibt. Durch die zu hohe Angabe gefährdet der Versicherungsnehmer dagegen allenfalls sein eigenes Interesse an einer schnellen Schadenregulierung.
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3. Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache ist gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwecks Klärung der vom Berufungsgericht bislang offen gelassenen Frage der erheblichen Wahrscheinlichkeit eines nur vorgetäuschten Diebstahls an dieses zurückzuverweisen.
Dr. Kessal-Wulf
Wendt
Felsch
Lehmann
Dr. Brockmöller
Von Rechts wegen
Verkündet am: 6. Juli 2011