08.12.2011 · IWW-Abrufnummer 120684
BGH: Beschluss vom 20.09.2011 – IV ZR 255/10
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 20. September 2011
beschlossen:
Tenor:
Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg 9. Zivilsenat vom 28. Oktober 2010 gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe
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I. Der Kläger, ein Verbraucherschutzverein und eine qualifizierte Einrichtung i.S. von § 4 UKlaG, nimmt die Beklagte auf Unterlassung der Verwendung von Klauseln in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für kapitalbildende Rentenversicherungen nach dem Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen (AltEinkG) "Rürup-Rentenversicherungen" und Erstattung von Kosten in Anspruch.
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Die beanstandeten Klauseln lauten:
"§ 6 Wann können Sie Ihre Versicherung kündigen oder beitragsfrei stellen?
Kündigung (1) Sie können Ihre Versicherung jedoch nur vor dem vereinbarten Rentenbeginn jederzeit mit Frist von einem Monat zum Schluss eines jeden Beitragszahlungsabschnitts ganz oder teilweise schriftlich kündigen, fr ü-hestens jedoch zum Schluss des ersten Versicherungsjahres.
(2) ...
Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung bei Kündigung
(3) Bei Kündigung (Voll- oder Teilkündigung gemäß Absatz 1) wandelt sich die Versicherung ganz oder teilweise in eine beitragsfreie Versicherung mit herabgesetzter Rente um. Ein Anspruch auf einen Rückkaufswert besteht nicht. ...
Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung anstelle einer Kündigung
(7) Anstelle einer Kündigung nach Absatz 1 können Sie zu dem dort genannten Termin verlangen, ganz oder teilweise von der Beitragspflicht befreit zu werden. In diesem Fall gelten die Absätze 4 und 5 entspre chend."
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger weiterhin eine Verurteilung der Beklagten.
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II. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
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1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, weder aus § 168 Abs. 3 VVG noch aus § 169 VVG oder § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG könne geschlossen werden, dass der Gesetzgeber ein Leitbild der Unkündbarkeit sämtlicher Altersvorsorge-Rentenversicherungsverträge habe schaffen wollen. Mit den genannten Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) sollte erreicht werden, dass die Kündigungsmöglichkeit abbedungen werden könne, eine Unkündbarkeit sei damit aber nicht gefordert worden. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG müsse nur gewährleistet sein, dass die Ansprüche des Rentenberechtigten nicht vererblich, übertragbar, beleihbar, veräußerbar und kapitalisierbar seien.
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Die angegriffenen Bestimmungen seien auch weder überraschend oder mehrdeutig i.S. von § 305c BGB noch seien sie intransparent oder unangemessen i.S. von § 307 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BGB. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer könne nicht generell davon a usgehen, dass die Kündigung eines derartigen Rentenversicherungsvertrag es einen Anspruch auf Auszahlung des Rückkauf swerts auslöse. Der Versicherungsnehmer werde wiederholt darauf hingewiesen, dass in keinem Fall der Rückkaufswert gezahlt werde.
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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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a) Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann (Senatsurteile vom 17. Dezember 2008 IV ZR 9/08, VersR 2009, 341 Rn. 16 m.w.N.; vom 23. Juni 1993 IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an (vgl. Senatsurteil vom 23. Juni 1993 aaO 85).
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Das bedeutet hier:
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In § 6 AVB unter der Überschrift "Wann können Sie Ihre Versicherung kündigen oder beitragsfrei stellen?", erfährt der Versicherungsnehmer die Möglichkeiten einer Vertragsbeendigung, wobei in Absatz 1 die Voraussetzungen einer Kündigung genannt sind. In Absatz 3 wird klargestellt, und zwar schon in der Überschrift, dass bei einer Kündigung nur eine Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung erfolgt. Seinem Satz 2 entnimmt der Versicherungsnehmer, dass ein Anspruch auf den Rückkaufswert nicht besteht. In Absatz 5 Satz 1 findet sich zusätzlich der Hinweis, dass die Beitragsfreistellung der Versicherung mit Nachteilen verbunden ist, die im Einzelnen genannt werden. Der Versicherungsnehmer erfährt mithin bei Durchsicht der Klauseln in § 6 AVB, dass eine Kündigung nur mit der Rechtsfolge einer Beitragsfreistellung möglich ist und ein Anspruch auf den Rückkaufswert nicht besteht.
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b) Bei diesem Verständnis sind die Klauseln nicht intransparent i.S. des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Beklagte hat nicht gegen ihre Verpflichtung verstoßen, den Klauselinhalt klar und deutlich zu formulieren.
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aa) Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender allgemeiner Versicherungsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Ums tänden gefordert werden kann (BGHZ 141, 137, 143; 147, 354, 361 f.). Diesen Anforderungen entsprechen die beanstandeten Klauseln.
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bb) Allerdings verbindet ein Versicherungsnehmer mit dem Begriff "Kündigung" üblicherweise die Erwartung einer vollständi gen Vertragsauflösung. Bei Lebens- und Rentenversicherungen hat der Gesetzgeber diese Rechtsfolge aber nicht ausnahmslos mit einer Kündigung verknüpft. So regelt § 2 Abs. 2 Satz 5 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, dass sich die Altersversorgung bei einer Kündigung in eine prämienfreie Versicherung umwandelt . Ferner zeigt § 166 Abs. 1 VVG für den Fall einer Kündigung des Versicherers, dass sich das Versicherungsverhältnis in eine prämienfreie Versicherung ändert.
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Die Klauseln in § 6 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 7 AVB enthalten zudem eine klare und durchschaubare Regelung, die dem Versicherungsnehmer auch die Nachteile aufzeigt, die mit einer Kündigung verbunden sind. Mag die Überschrift von § 6 AVB und dessen Absatz 1 noch die Alternative von Kündigung oder Beitragsfreistellung nahe legen, so wird in Absatz 3 und seiner Überschrift unmissverständlich klargestellt, dass Rechtsfolge einer Kündigung die Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung mit herabgesetzter Rente ist und ein Anspruch auf einen Rückkaufswert nicht besteht. Auch in § 6 Abs. 7 AVB wird nochmals ausgeführt, dass der Versicherungsnehmer die Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung verlangen kann.
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Dem Versicherungsnehmer werden in § 6 Abs. 5 AVB die Nachteile einer Kündigung deutlich vor Augen geführt. Es ist für ihn b ei Durchsicht der Klauseln in § 6 AVB ohne weiteres erkennbar, dass eine Kündigung nur im Sinne einer Beitragsfreistellung möglich ist und ein Anspruch auf den Rückkaufswert nicht besteht. Dies ergibt sich auch aus der Leistungsbeschreibung und der Versicherungsurkunde unter der Rubrik "Rückkaufswerte".
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c) Die angegriffenen Klauseln weichen auch nicht vom gesetzlichen Leitbild des § 168 Abs. 3 VVG ab (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
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Nach § 168 Abs. 1 VVG kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis bei Lebensversicherungen jederzeit für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode kündigen, wenn laufende Prämien zu zahlen sind. Grundsätzlich kann sich der Versicherer auf eine Vereinbarung, die zum Nachteil des Versicherungsnehmers von dem Kündigungsrecht abweicht, nicht berufen. Die Regelung dient dem Schutz des Versicherungsnehmers vor überlangen Versicherungs verträgen und ist daher gemäß § 171 Satz 1 VVG halbzwingendes Recht.
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§ 168 Abs. 3 VVG enthält nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung eine dieser Regelung vorgehende Sonderregelung (BT -Drucks. 16/886, S. 14). Die Norm bestimmt, dass die Absätze 1 und 2 nicht auf einen für die Altersvorsorge bestimmten Versicherungsvertrag anzuwenden sind, bei dem der Versicherungsnehmer mit dem Versicherer eine Verwertung vor dem Eintritt in den Ruhestand unwiderruflich ausgeschlossen hat. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass nichts dafür ersichtlich sei, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung ein neues Leitbild der Unkündbarkeit sämtlicher Altersvorsorge -Rentenversicherungsverträge habe schaffen wollen, sondern lediglich eine Ausnahme vom Grundsatz der Kündbarkeit zugelassen habe. In Übereinstimmung damit ist in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts ausgeführt, dass generell darauf verzichtet wurde, für die einzelnen Versicherungszweige gesetzliche "Leitbilder" oder "Standardverträge" festzulegen (BT-Drucks. 16/3945, S. 51). Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision auch nicht aus der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschuss es für Arbeit und Soziales zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes (BT-Drucks. 16/3007, S. 23), der inhaltlich mit der Begründung der Bundesregierung zum genannten Regierungsentwu rf übereinstimmt (BT-Drucks. 16/886, S. 14). Soweit es dort heißt "unberührt von diesem Ausschluss der ordentlichen Kündigung", gibt es keinen Hinweis darauf, dass dieser Ausschluss zwingend sein soll. Sinn und Zweck der Sonderregelung war die Anpassung des Versicherungsvertragsgesetzes an die Änderungen der Rahmenbedingungen der privaten Altersvorsorge zu Beginn des Jahres 2005. Wegen der Gewährung steuerlicher Förderung, des Ausschlusses der Anrechnung bei Sozialleistungen und der Gewährung von Pfändungsschutz bestimmter Lebensversicherungsverträge zur Altersvorsorge, soll der Versicherungsnehmer hier ausnahmsweise langfristig gebunden werden können. Auch in der Literatur wird § 168 Abs. 3 VVG in diesem Sinn nur als Sonderregelung zu §§ 168 Abs. 1, 171 VVG verstanden (Reiff in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 168 Rn. 15; Ortmann in Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht § 168 Rn. 28 ff.; Looschelders/Pohlmann, VVG-Kommentar § 168 Rn. 7).
Dr. Kessal-Wulf
Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski
Lehmann
Dr. Brockmöller
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Zurückweisungsbeschluss erledigt worden.