04.05.2012 · IWW-Abrufnummer 121399
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 08.02.2012 – I-20 U 172/11
1.) Die Beweiserleichterung, wonach in der Fahrzeugversicherung das sog. äußere Bild eines Diebstahls regelmäßig dann gegeben ist, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abstellt, an dem er es später nicht wieder vorfindet, gilt entsprechend für die Entwendung von Teilen eines abgestellten Fahrzeugs. Der Versicherungsnehmer muss beweisen, dass das Fahrzeug unbeschädigt abgestellt und beschädigt wieder aufgefunden wurde. Das Auffinden des Fahrzeugs mit Aufbruchspuren (hier: eine eingeschlagene Seitenscheibe) für sich allein begründet allerdings noch nicht das äußere Bild der Entwendung, weil solche Beschädigungen auch bei einem vorgetäuschten Diebstahl vorhanden sein können.
2.) Zum Beweis der erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Versicherungsfalls in der Kfz-Versicherung (hier: bejaht für den Fall des fachgerechten und ohne jegliche Begleitschäden erfolgten Ausbaus von 2 Vordersitzen und eines Navigationsgerätes aus einem in einer engen Einzelgarage abgestellten Pkw).
I-20 U 172/11
In dem Rechtsstreit
des Herrn
Klägers und Berufungsklägers,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
g e g e n
den
Beklagten und Berufungsbeklagten,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 08. Februar 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zumdick, den Richter am Oberlandesgericht Kilimann und die Richterin am Oberlandesgericht Lincke
für R e c h t erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 1. August 2011 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO)
A. Die Parteien streiten aus Anlass eines vom Kläger behaupteten Kfz-Teilediebstahls, der sich in der Nacht vom 30.11.2009 auf den 01.12.2009 ereignet haben soll, um Entschädigungsansprüche aus einer bei dem Beklagten bestehenden Kraftfahrzeugversicherung.
Wegen des Sach- und Streitstandes 1. Instanz wird gemäß § 540 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Münster Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des Klägers abgewiesen mit der Begründung, dass der Kläger schon den sog. Minimalsachverhalt des äußeren Bildes der bedingungsgemäßen Entwendung der in Rede stehenden Fahrzeugteile nicht geführt habe. Zudem habe der Beklagte Indizien dargelegt, nach denen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit Verdachtsmomente für einen anderen Geschehensablauf vorlägen.
Hiergegen wendet sich der Kl äger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Er rügt, dass das Landgericht die von ihm zum Beweis des äußeren Bildes benannten Zeugen nicht gehört habe und führt des weiteren mit näherer Darlegung aus, dass die vom Landgericht zu seinen Lasten ins Feld geführten Indizien keine erhebliche Wahrscheinlichkeit für das Nichtvorliegen eines Versicherungsfalls belegten.
Der Kläger beantragt nach Teilrücknahme seiner Berufung in Höhe von 150,00 €,
den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu verurteilen, an ihn 7.723,17 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5%-Punkten über dem Basiszins seit dem 30.01.2010 und den Kläger von der Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 661,16 € freizustellen.
Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
B. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch, wie das Landgericht im Ergebnis zu Recht festgestellt hat, aus dem zu dem zum Zeitpunkt des behaupteten Diebstahls bestehenden Kaskoversicherungsvertrag nicht zu, da dem Beklagten der ihm obliegende Beweis der erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Versicherungsfalls gelungen ist.
Zwar werden dem Versicherungsnehmer im Entwendungsfall Darlegungs- und Beweiserleichterungen eingeräumt, die darauf beruhen, dass ihm in der Regel keine Zeugen für den Nachweis der eigentlichen Entwendungshandlung zur Verfügung stehen. Im Regelfall muss es deshalb genügen, wenn ein - vom Versicherungsnehmer zu beweisender - äußerer Sachverhalt (i.e. das sog. "äußere Bild") feststeht, der nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lässt, dass versicherte Gegenstände in einer den Versicherungsbedingungen entsprechenden Weise entwendet worden sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil v. 05.10.1983, IVa ZR 19/82, VersR 1984, 29; Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch 2. Aufl., § 30, Rn 202 ff m.w.N.). Bei der Kfz-Versicherung ist das äußere Bild eines Diebstahls regelmäßig dann gegeben, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abstellt, an dem er es später nicht wieder vorfindet (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil v. 30.01.2002, IV ZR 263/00, NJW-RR 2002, 671; Stiefel/Maier, Kraftfahrversicherung 18. Aufl., AKB A 2.2, Rn 89 m.w.N.). Diese Beweisregelung gilt entsprechend für die Entwendung von Teilen des abgestellten Fahrzeugs (vgl. OLG Köln, Urteil v. 10.05.2005, 9 U 65/04, RuS 2006, 103). Dabei begründet das Auffinden des Fahrzeugs mit Aufbruchspuren (hier: die eingeschlagene Seitenscheibe) für sich allein noch nicht das äußere Bild der Entwendung, weil solche Beschädigungen auch bei einem vorgetäuschten Diebstahl vorhanden sein können (vgl. Senatsentscheidung v. 17.06.1998, 20 U 248/97, ZfS 1998, 467; Stiefel/Maier, Kraftfahrversicherung 18. Aufl., AKB A 2.2, Rn 93).
Vorliegend kann allerdings im Ergebnis die Frage offen bleiben, ob der Kläger, dem - wie seine Anhörung vor dem Senat ergeben hat - Zeugen für das sog. äußere Bild entgegen der mit der Berufung erhobenen Rüge nicht zur Verfügung stehen (weder kann der von ihm als Zeuge benannte Vater das Abstellen des Fahrzeugs in der Garage im unbeschädigten Zustand noch kann die als Zeugin benannte Ehefrau das Wiederauffinden des Fahrzeugs im beschädigten Zustand bekunden), den ihm auf der sog. "1. Stufe" obliegenden Beweis des äußeren Bildes durch seine eigenen Angaben erbringen kann oder die im Regelfall zu Gunsten des Versicherungsnehmers streitende Redlichkeitsvermutung hier ausnahmsweise erschüttert ist. Denn jedenfalls hat der Beklagte auf der sog. "2. Stufe" den Beweis der erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Versicherungsfalls (vgl. dazu BGH, Urteil v. 05.10.1983, IVa ZR 19/82, VersR 1984, 29; Stiefel/Maier, Kraftfahrversicherung 18. Aufl., AKB A 2.2, Rn 101 m.w.N.) erbracht.
Bereits der - unstreitige und im gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft K auch dokumentierte - sorgfältige und fachgerechte Ausbau der als gestohlen gemeldeten Vordersitze und des Navigationsgerätes (sogar die Verkabelung wurde fachgerecht abgeklemmt und nicht etwa durchtrennt) ohne jegliche Beschädigung der sonstigen Inneneinrichtung, was einen nicht unerheblichen Arbeits- und Zeitaufwand erforderte und damit das Entdeckungsrisiko für einen Dieb erheblich vergrößerte, spricht gegen den behaupteten Teilediebstahl (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 21.09.1999, 4 U 154/98). Hinzu kommt, dass ein Ausbau der vom Kläger als gestohlen gemeldeten Fahrzeugteile nur in der Garage, in der sich das Fahrzeug befand, erfolgen konnte, da das mit einem Automatikgetriebe ausgestattete Fahrzeug nach eigenen Angaben des Klägers von ihm in Parkposition (Getriebestellung auf "P") abgestellt worden war und deshalb ohne ein - unstreitig nicht erfolgtes - Anschalten des Motors nicht aus der Garage bewegt werden konnte. Vor diesem Hintergrund ist der Abtransport der beiden als gestohlen gemeldeten Vordersitze in keiner Weise nachvollziehbar: Denn unstreitig konnte der Kofferraum von den vermeintlichen Dieben weder von innen noch von außen geöffnet werden, so dass ein Abtransport der sperrigen Sitze durch die Kofferraumklappe per se ausscheidet. Hinzu kommt, dass nach den - vom Kläger nicht in Abrede gestellten - Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens links und rechts des in der Garage geparkten Fahrzeugs nur ca. 55cm Abstand zwischen Pkw und Garagenwand vorhanden waren. Nach Öffnen der Fahrzeugtüren verblieb eine Öffnungsbreite von lediglich 35cm. Ein Abtransport der beiden Vordersitze im vollständigen Zustand durch die - bei Ausscheiden der Kofferraumklappe allein verbleibenden - Fahrzeugtüren war deshalb (unstreitig) nicht möglich, zumal es sich um elektrisch verstellbare Sitze gehandelt hat, die sich (ebenfalls unstreitig) manuell nur nach vorn und hinten bewegen, nicht aber in der Höhe verstellen oder in eine Liegeposition verbringen lassen. Letzteres ist vielmehr nur nach Inbetriebnahme der Fahrzeugelektrik möglich, die mangels Fahrzeugschlüssels von den vermeintlichen Tätern jedoch nicht in Betrieb genommen werden konnte bzw. nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens auch nicht in Betrieb genommen worden ist. Dass die Sitze - wie vom Kläger behauptet - von den Tätern in ihre sämtlichen Einzelteile zerlegt worden wären, um sie überhaupt durch den 35cm-Spalt verbringen zu können (und anschließend wieder mühsam zusammensetzen zu müssen), und dabei - wie vorliegend der Fall - weder Beschädigungen im Innenraum noch - trotz des dann erforderlichen Abtransports durch den 55cm-Spalt zwischen Garagenwand und Fahrzeug - am Lack des Pkw verursacht worden sein sollen, ist kaum vorstellbar. Es ist auch kein Grund dafür ersichtlich, weshalb die vermeintlichen Diebe das Fahrzeug unter Inkaufnahme der damit notwendig verbundenen zeitlichen Verzögerung und des damit in der Folge weiter verbundenen erhöhten Entdeckungsrisikos derart hätten schonen sollen.
Nach allem ist daher die Annahme der erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Vortäuschung des behaupteten Teilediebstahls im Ergebnis gerechtfertigt.
C. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713, 543 Abs. 2 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen sind solche des Einzelfalls.