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  • 24.05.2013 · IWW-Abrufnummer 131642

    Oberlandesgericht Nürnberg: Beschluss vom 21.06.2012 – 5 W 1109/12

    1.
    In der Insolvenz eines haftpflichtversicherten Schädigers ermöglicht eine Freigabe des Deckungsanspruches durch den Insolvenzverwalter kein unmittelbares Vorgehen gegen den Versicherer aus einem Absonderungsrecht nach § 110 VVG, solange es an einer Feststellung i.S.d. § 106 VVG fehlt.
    2.
    Ob dem geschädigten Patienten im Geltungsbereich des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes ein Direktanspruch gegen den Berufshaftpflichtversicherer eines Arztes zustehen kann, bleibt offen.


    OLG Nürnberg
    21.06.2012
    5 W 1109/12
    In Sachen
    ...
    - Antragstellerin und Beschwerdeführerin -
    Prozessbevollmächtigter: ...
    gegen
    ...
    - Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
    Prozessbevollmächtigte: ...
    wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld
    hier: PKH-Beschwerde
    erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - 5. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hauck, den Richter am Oberlandesgericht Kimpel und den Richter am Oberlandesgericht Mager am 21.06.2012 folgenden
    Beschluss
    Tenor:
    Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Amberg vom 09.05.2012 wird zurückgewiesen.
    Gründe
    I.
    Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aufgrund mehrerer plastisch-chirurgischer Eingriffe, die der Kiefer- und Gesichtschirurg A K, der bei der Beklagten eine mindestens bis zum 05.09.2009 bestehende Berufshaftpflichtversicherung genommen hatte, zwischen dem 23.11.2004 und dem 26.02.2009 bei der Klägerin zum Zwecke der Figurformung und Gewichtsverringerung vorgenommen hatte.
    Der Versicherungsnehmer der Beklagten nahm am 23.11.2004 bei der damals noch minderjährigen Klägerin einen Eingriff vor, der als Bauchdeckenstraffung und Liposuktion bezeichnet wurde; weitere Eingriffe erfolgten mindestens am 09.11.2005 zum Zwecke einer Narbenkorrektur und am 07.11.2007 erneut zur Narbenkorrektur, ferner am 08.01.2008 und am 26.02.2009. Über den Umfang und die Gestaltung der beiden letztgenannten Eingriffe ist Näheres nicht vorgetragen. Die Klägerin behauptet unter Bezug auf ein im Beweissicherungsverfahren des Landgerichts Amberg 24 OH 1048/10 erstattetes Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H (Universitätsklinikum E), die Erstoperation sei nicht sachgerecht durchgeführt worden; die Klägerin sei dadurch erheblich beeinträchtigt worden. Die Narbenkorrektur vom 07.11.2007 sei, soweit überhaupt feststellbar, jedenfalls nicht fachgerecht erfolgt. Auch hierdurch sei die Antragstellerin erheblich und dauerhaft geschädigt worden; insbesondere sei durch die nicht fachgerechte Ausführung des Eingriffs die Möglichkeit späterer Korrekturen wesentlich eingeschränkt worden. Zu dem Eingriff vom 26.02.2009 konnte der Sachverständige mangels Vorliegens eines Operationsberichtes nicht Stellung nehmen; die Antragstellerin trägt hierzu auch keine Einzelheiten vor. Für die notwendige Korrekturoperation müsse mit Kosten zwischen 8.000,00 und 14.000,00 €, gemittelt also 12.000,00 € (so ausdrücklich die Antragstellerin) gerechnet werden; eine weitere Nachoperation in Gestalt einer Aspirationslipektomie werde (weitere) 4.000,00 € kosten.
    Über das Vermögen des A K ist zu einem nicht genau vorgetragenen Zeitpunkt das Insolvenzverfahren eröffnet worden (Amtsgericht Amberg 64 IN 6/11). Die Antragstellerin hat am 21.04.2011 einen Betrag von 10.000,00 € als "Schmerzensgeld plus Rückzahlung von Arztkosten" zur Insolvenztabelle angemeldet. Die Forderung ist vom Insolvenzverwalter in voller Höhe vorläufig bestritten worden.
    Die Antragstellerin beabsichtigt nunmehr, die Beklagte als Haftpflichtversicherer des A K auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen (Betragsvorstellung 8.000,00 €), von 16.000,00 € "als Vorschuss gem. §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, Abs. 3 BGB" sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich aller materieller und immaterieller Schäden der Antragstellerin aus der Behandlung zwischen 2004 und 2009 in Anspruch zu nehmen. Sie beruft sich auf ihr Absonderungsrecht gem. § 110 VVG sowie auf einen Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 1. Alternative VVG. Die Verpflichtung des A K, sich gegen Haftpflichtansprüche aus beruflicher Tätigkeit zu versichern, beruhe auf der Berufsordnung für die bayerischen Zahnärzte, damit handele es sich um eine Pflichtversicherung im Sinne des § 113 VVG.
    Die Antragsgegnerin meint, sie sei nicht passiv legitimiert.
    Mit Beschluss vom 09.05.2012 hat das Landgericht den Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.
    Ein Direktanspruch nach § 115 VVG scheitere daran, dass die vom Behandler genommene Haftpflichtversicherung keine Pflichtversicherung im Sinn des § 113 Abs. 1 VVG sei, denn eine solche liege nur vor, wenn zu ihrem Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift bestehe; unter einer Rechtsvorschrift sei zwar auch eine Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, nicht aber die Satzung einer berufsständischen Kammer zu verstehen. Derzeit könne die Antragstellerin auch nicht aus § 110 VVG vorgehen. Da der Insolvenzverwalter der Feststellung der Forderung zur Tabelle widersprochen habe, bleibe er passiv legitimiert. Folglich müsse der Haftpflichtgläubiger entweder gegen den Verwalter vorgehen oder im Falle der Freigabe gegen den Schuldner selbst; erst dann könne er den Versicherer in Anspruch nehmen.
    Gegen diesem ihrem Prozessbevollmächtigten am 22.05.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 31.05.2012 eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie sowohl hinsichtlich eines Direktanspruches wie auch eines Anspruches auf abgesonderte Befriedigung unter Vertiefung ihrer Rechtsausführungen an ihrem Rechtsstandpunkt festhält.
    Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 01.06.2012 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.
    II.
    Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss vom 09.05.2012 ist gem. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere rechtzeitig (§§ 569 Abs. 1 Satz 1, 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO) eingelegt. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg; zu Recht hat das Landgericht die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage verneint.
    1. Soweit die Antragstellerin wegen des Anspruches des behandelnden Arztes gegen die Beklagte als dessen (Berufs-)Haftpflichtversicherer gem. § 110 VVG abgesonderte Befriedigung begehrt, gilt Folgendes:
    Nach ständiger, an das Urteil des Reichsgerichts vom 21.06.1918 (RGZ 93, 209) anknüpfender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (VersR 1954, 578; VersR 1987, 655; VersR 1993, 1222) kann der Schadensersatzgläubiger im Falle des Konkurses (der Insolvenz) des Schädigers dessen Haftpflichtversicherer nach Feststellung seines Schadensersatzanspruches unmittelbar auf Zahlung der Entschädigung in Anspruch nehmen. Dies beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 1282 BGB. Der Versicherer ist aber auch im Fall des § 110 VVG nicht eher zur Zahlung verpflichtet, bevor nicht der Streit über das Bestehen der Schadensersatzforderung zwischen den Beteiligten (dem Geschädigten und dem Insolvenzverwalter) rechtskräftig ausgetragen ist (BGH VersR 1954, 578; RGZ 93, 209, 212). Dabei ersetzt die Eintragung in die Insolvenztabelle gem. § 178 Abs. 3 InsO für die festgestellten Forderungen ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter. Eine Forderung gilt als festgestellt, soweit gegen sie kein Widerspruch erhoben worden ist oder soweit ein erhobener Widerspruch beseitigt ist (§ 178 Abs. 1 InsO). Die Feststellung zur Tabelle wirkt auch gegenüber dem Haftpflichtversicherer (BGH VersR 1954, 578).
    Im vorliegenden Falle hat die Antragstellerin lediglich einen Schmerzensgeldanspruch sowie einen Anspruch auf Rückzahlung ärztlichen Honorars, der nicht Gegenstand des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens ist, in Höhe von insgesamt 10.000,00 € zur Tabelle angemeldet; der Forderung ist seitens des Insolvenzverwalters widersprochen worden. Hinsichtlich der behaupteten weiteren Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer der Beklagten ist nicht einmal eine Anmeldung zur Tabelle erfolgt. Es ist auch nicht vorgetragen, dass der Insolvenzverwalter insoweit ein Anerkenntnis abgegeben habe, sodass es an einer Feststellung des Anspruches der Antragstellerin gegen den Versicherungsnehmer der Beklagten im Sinn des § 106 VVG fehlt; diese ist aber Voraussetzung für das Bestehen eines unmittelbaren Zahlungsanspruches des Geschädigten gegen den Versicherer nach § 157 VVG (BGH VersR 1993, 1222; VersR 2004, 634). Der Geschädigte erlangt durch die Regelung des § 110 VVG keine weitergehende Rechtsstellung als der Versicherungsnehmer selbst (BGH a.a.O. zu § 157 VVG a. F.).
    Entgegen der mit der Beschwerdebegründung vertretenen Auffassung ändert die vom Insolvenzverwalter erklärte Freigabe des Deckungsanspruches an dieser Rechtslage nichts. Die Freigabe einer Forderung aus der Insolvenzmasse ist keine Abtretung; der Haftpflichtversicherer wird durch die Freigabe hinsichtlich der Abwicklung des Schadensfalles an seinen Versicherungsnehmer selbst, den Insolvenzschuldner, zurückverwiesen (BGH ZIP 2009, 874). Die Freigabe bewirkt, dass der Insolvenzschuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des freigegebenen Deckungsanspruches zurückerhält. Das Absonderungsrecht der Antragstellerin überdauert das Insolvenzverfahren als Pfandrecht an der Entschädigungsforderung selbst. Gleichwohl muss aber für eine Inanspruchnahme der Haftpflichtversicherung die Fälligkeit der Versicherungsleistung nach Maßgabe des § 106 VVG gegeben sein, woran es nach wie vor fehlt. Eine unmittelbare Klage auf Zahlung gegen den Insolvenzverwalter, beschränkt auf Leistung aus der Entschädigungsforderung gegen den Haftpflichtversicherer (BGH ZIP 1989, 857), scheidet infolge der Freigabe allerdings aus.
    2. Auch eine Klage auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Antragstellerin weiteren Schaden aus der streitgegenständlichen Arztbehandlung zu erstatten (BGH VersR 1991, 414), hat in der beabsichtigten Form keine Aussicht auf Erfolg, weil es wiederum an den Voraussetzungen des § 106 VVG fehlt.
    3. Die Antragstellerin kann auch nicht mit Erfolg einen Direktanspruch nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 VVG (neuer Fassung) geltend machen. Dem Landgericht dürfte allerdings nicht darin zu folgen sein, dass Berufshaftpflichtversicherungen, deren Abschluss und Unterhaltung einem Arzt durch eine Berufsordnung auferlegt wird, schlechthin keine Pflichtversicherung im Sinn des § 113 Abs. 1 VVG darstellten. Das Landgericht bezieht sich hier - ohne eigene Begründung - auf eine Kommentarstelle (Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, zu § 113 VVG), die es ihrerseits an einer Begründung fehlen lässt. Nach der amtlichen Begründung (Bundestags-Drucksache 16/3945, Seite 87) soll unter dem Begriff "Rechtsvorschrift", der mit der Neufassung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag an die Stelle des Begriffes "gesetzlich" in § 158 b Abs. 1 VVG getreten ist, nicht nur ein Gesetz im formellen Sinn verstanden werden, sondern auch eine Rechtsverordnung oder die Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Um eine solche handelt es sich bei der Berufsordnung der bayerischen Zahnärzte, deren § 10 die Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung statuiert. Nach Art. 20 des Bayerischen Gesetzes über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichen- Psychotherapeuten (Heilberufe-Kammergesetz, GVBl. 2002, 43) wird die Berufsordnung von der Landesärztekammer erlassen; diese ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 10 Abs. 1 Satz 3 des Heilberufe-Kammergesetzes). Die Berufsordnung stellt damit, auch wenn in diesem Zusammenhang das Heilberufe-Kammergesetz nicht ausdrücklich von einer Satzung spricht, eine Satzung eines autonomen Berufsverbandes, und zwar einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, dar (BVerfGE 33, 125). Fraglich kann nur sein, worauf die Beschwerdeführerin zutreffend hinweist, ob es einer gesetzlichen Ermächtigung der Körperschaft bedarf, ihren Mitgliedern die Verpflichtung aufzuerlegen, sich gegen Berufshaftpflichtfälle zu versichern; an einer solchen ausdrücklichen Ermächtigung fehlt es nämlich - was die Antragstellerin übersieht - im Bayerischen Heilberufe-Kammergesetz (im Gegensatz etwa zu § 31 des Baden-Württembergischen Heilberufe-Kammergesetzes, der nicht nur eine solche Ermächtigung, sondern eine indirekt wirkende eigenständige Anordnung enthält; s. hierzu auch Weidinger MedR 2012, 238). Im vorliegenden Falle braucht der Senat diese Frage jedoch nicht zu entscheiden. Der Direktanspruch gegen Pflichtversicherungen im Sinne des § 113 VVG im Insolvenzfall des Versicherungsnehmers ist durch das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl. I Seite 2631) in das VVG eingefügt worden. Das bis dahin geltende Versicherungsvertragsgesetz kannte ihn nicht. Nach Art. 1 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zu dem Gesetz über den Versicherungsvertrag in der Fassung des Art. 2 des genannten Gesetzes vom 23.11.2007 ist für Versicherungsfälle, die bis zum 31.12.2008 eingetreten sind, das VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung weiter anzuwenden, wenn es sich um einen Altvertrag im Sinne des Art. 1 Abs. 1 des EGVVG handelt, also um ein Versicherungsverhältnis, das vor dem Inkrafttreten des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23.11.2007 am 01.01.2008 entstanden ist. Dies ist vorliegend der Fall. Versicherungsfall im Sinne der Haftpflichtversicherung ist das Schadensereignis, das Haftpflichtansprüche gegen den Versicherungsnehmer zur Folge haben könnte (BGHZ 25, 34); die Anspruchserhebung gegenüber dem Versicherungsnehmer durch den Geschädigten ist nicht maßgebend. Demnach handelt es sich bei Schadensersatzansprüchen der Antragstellerin, die an fehlerhafte oder nicht aufgrund wirksamer Einwilligung vorgenommene ärztliche Eingriffe des Behandlers K anknüpfen, versicherungsvertragsrechtlich um Versicherungsfälle, auf die das VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung anzuwenden ist, soweit es nicht um Behandlungen nach dem 31.12.2008 geht; es kann somit Direktansprüche nach § 115 VVG (neuer Fassung) allenfalls geben, soweit der zugrunde liegende Schadensersatzanspruch der Antragstellerin durch die einzige nach dem 31.12.2008 erfolgte Behandlung ausgelöst worden ist, nämlich diejenige vom 26.02.2009. Diesbezüglich ergibt sich jedoch weder aus dem vorgelegten Sachverständigengutachten noch aus dem Vorbringen der Antragstellerin ein rechtswidriger Eingriff in die körperliche Integrität der Antragstellerin, der für die geklagten Schäden auch nur mitursächlich sein könnte. Mithin kann die Antragstellerin derzeit nicht unmittelbar gegen die beklagte Haftpflichtversicherung vorgehen.
    Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht (§ 127 Abs. 4 ZPO).

    RechtsgebietVVGVorschriften§ 106 VVG, § 110 VVG, § 113 Abs 1 VVG, § 115 Abs 1 Nr 2 VVG