24.10.2013 · IWW-Abrufnummer 133291
Sozialgericht Berlin: Urteil vom 12.03.2013 – S 163 U 279/10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Sozialgericht Berlin
verkündet am 12. März 2013
Az.: S 163 U 279/10
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit XXX
hat die 163. Kammer des Sozialgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 12. März 2013 durch den Richter Langbein sowie den ehrenamtlichen Richter Bogatsch-Grandke und den ehrenamtlichen Richter Leidecker für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte dem Kläger nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII).
Der im Jahr 1975 geborene Kläger ist beruflich im Bereich der biotechnologischen Forschung tätig und wohnhaft in Berlin. Vom …. - …. Juli 2009 nahm er an einem Kongress der internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung in Barcelona, Spanien, teil. Nach Beendigung des Kongresses verbrachte er das anschließende Wochenende mit seiner jetzigen Verlobten, der Zeugin B., in Barcelona; der Rückflug war für den 14. Juli 2009 gebucht.
An diesem Tag wurde der Kläger jedoch Opfer eines Überfalls, als er in Begleitung der Zeugin nach einem Restaurantbesuch auf dem Rückweg zum Hotel an der Straßenkreuzung …./… von zwei Männern angesprochen wurde, von denen ihm in der Folge einer die Brieftasche entwendete. Im Verlauf des Überfalls stürzte der Kläger und zog sich einen schweren Trümmerbruch des linken Ellenbogens zu. Hinzugekommene spanische Passanten alarmierten die örtliche Polizei, woraufhin eine Motoradstreife wenige Minuten nach der Flucht der Täter erfolglos deren Verfolgung aufnahm.
Der Kläger wurde zunächst im örtlichen Hospital…. erstversorgt, flog dann mit der Zeugin wie geplant nach Berlin zurück und wurde nach der Ankunft wegen der erlittenen Verletzung bis zum 30. Juli 2009 stationär behandelt.
Mitte August 2009 zeigte er das Geschehen der Beklagten an, wobei er das in katalanischer Sprache abgefasste Protokoll seiner Vernehmung und seiner Strafanzeige, welche unmittelbar vor seinem Abflug auf dem Flughafen durch die dortige Polizeidienststelle gefertigt worden waren, beifügte.
Nach seiner Darstellung ereignete sich der Überfall am 14. Juli 2009 gegen 0.30 Uhr. Die zwei Täter hätten ihn und die Zeugin zunächst auf der Straße angesprochen; sie hätten versucht, darauf nicht einzugehen, seien aber von einem der Täter verfolgt worden. Dieser sei auf ihn zugekommen, habe ihn bedrängt, schließlich versucht, ihn in den Schwitzkasten zu nehmen und sei dann, als ihm dies misslungen sei nach kurzer Rangelei davongelaufen. Sodann habe der Kläger gemerkt, dass ihm die in der vorderen Hosentasche befindliche Brieftasche, welche im Wesentlichen Bargeld in Höhe von ca. 120,- € sowie Bank-, Kreditkarten und Personaldokumente enthielt, fehle. Daraufhin habe er dem Täter nachgesetzt, um ihn zu ergreifen. Während des Nachsetzens habe ihm dann unvermittelt der zweite Täter, der sich bis dahin im Hintergrund gehalten habe, ein Bein gestellt, was seinen Sturz verursacht habe. Diesen Hergang könne die Zeugin B. bestätigen.
Eine von der Beklagten eingeholte Übersetzung des polizeilichen Vernehmungsprotokolls ergab dagegen, dass der Überfall sich am besagten Tag um 12.30 Uhr ereignet haben solle. Zwei Männer seien auf den Kläger und die Zeugin zugegangen, hätten ihm ein Bein gestellt und ihn zu Fall gebracht, auf den Kopf des am Boden liegenden Klägers eingetreten, dann die Brieftasche entwendet und seien dann geflüchtet. Der Kläger habe sodann die Verfolgung aufgenommen, diese aber wegen starker Schmerzen im Arm aufgegeben. Er sei dann „die ganze Nacht“ im Krankenhaus geblieben.
Mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 lehnte die Beklagte es ab, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Schilderung des Unfallgeschehens durch den Kläger weiche stark vom Vernehmungsprotokoll ab. Hiernach sei davon auszugehen, dass die Verletzung beim Überfall selbst und nicht bei der Verfolgung der Täter eingetreten sei, zumal der Kläger das Protokoll unterzeichnet habe. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Die Widersprüche seien damit zu erklären, dass die Vernehmungsbeamtin nur gebrochen Englisch gesprochen und seine Angaben offenbar falsch verstanden habe. Da er selbst kein katalanisch verstehe, aber zur Ausreise ohne Personaldokumente eine polizeiliche Bestätigung über deren Verlust gebraucht habe, habe er das Protokoll ohne Kenntnis des genauen Inhalts unterschrieben. Er sei davon ausgegangen, dass alles seinen Angaben gemäß festgehalten worden sei, zumal die Beamtin mehrfach nachgefragt habe, dann aber keine weiteren Fragen mehr gestellt habe. Die Unrichtigkeit des Protokolls ergebe sich bereits aus logischen Fehlern. So seien gerade im Bereich des Kopfes keine Verletzungsspuren dokumentiert. Der Entlassungsbericht des Hospital…. belege zudem, dass er dort am Unfalltag von 1.30 Uhr bis 13.42 Uhr in Behandlung gewesen sei.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2010 zurück. Selbst wenn die Angaben des Kläger für wahr unterstellt würden, fehle es daran, dass eine auf die Verfolgung von Tatverdächtigen gerichtete Handlungstendenz zu objektivieren sei. Bei lebensnaher Betrachtung sei es dem Kläger ausschlaggebend um die Wiedererlangung seines Eigentums, insbesondere des Geldes und der Personaldokumente, gegangen.
Mit der hiergegen am 16. April 2010 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er gibt an, sein Ziel sei es gewesen, den Täter festzuhalten. Da hinter ihm und der Zeugin im Abstand von ca. 50-100 m drei Spanier auf der Straße gewesen seien, welche ja tatsächlich auch die Polizei alarmiert hatten, die dann wenige Minuten später eintraf, und der Haupttäter einen Kopf kleiner als er gewesen sei, habe er sich gute Chancen ausgerechnet, diesen bis zum Eintreffen von Hilfe festzuhalten. Er habe in keinem Fall Selbstjustiz üben wollen. Der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 13 c) SGB VII schließe es ausdrücklich nicht aus, dass auch das Opfer einer Straftat sich bei der Verfolgung der Täter persönlich einsetze. Eine andere Sichtweise würde dazu führen, dass gerade Opfer von Eigentumsdelikten ohne plausiblen Grund nicht unter Unfallversicherungsschutz stehen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17. März 2010 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem am 14. Juli 2009 stattgefundenen Unfall um einen versicherten Arbeitsunfall handelt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für zutreffend.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin B. Wegen des Inhalts der Zeugenaussage wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12. März 2013 Bezug genommen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren Bl. 1-61 der Kammer im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1.) Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 7. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17. März 2010. Sein Begehren verfolgt der Kläger zutreffend im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage, § 54 Abs. 1, § 55 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Anfechtungsklage richtet sich zulässig gegen die Ablehnung des vom Kläger bei der Beklagten verfolgten Anspruchs auf Anerkennung eines Arbeitsufalls. Die Feststellungsklage ist statthaft auf die gerichtliche Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, nämlich des geltend gemachten Versicherungsfalls, gerichtet. Der Eintritt eines Versicherungsfalls i.S. des § 7 Abs. 1 SGB VII bedeutet die Begründung eines konkreten, nach Inhalt und Umfang durch den Versicherungsfall bestimmten Leistungsrechtsverhältnisses zwischen dem Versicherten und einem bestimmten Unfallversicherungsträger, aus dem konkrete Rechte auf Versicherungsleistungen entstehen können, aber nicht müssen.
Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen gerichtlichen Feststellung, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, also das Leistungsrechtsverhältnis besteht. Insbesondere fehlt es hieran nicht deshalb, weil sie nach ständiger Rechtsprechung des BSG zulässig auch eine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Arbeitsunfalls, also auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes, erheben könnte. Der prozessuale Nachrang der Feststellungsklage im Verhältnis zu den (Gestaltungs- und) Leistungsklagen (Verpflichtungsklagen, allgemeine Leistungsklagen) besteht nur, wenn das jeweilige Rechtsschutzbegehren umfassend und effektiv durch eine dieser spezieller ausgestalteten Klagen verfolgt werden kann. Die Feststellungsklage ist aber gerade bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Versicherungsfalls jedenfalls gleich rechtsschutzintensiv, da die gerichtliche Feststellung des Versicherungsfalls mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit für die Beteiligten auch materiell rechtskräftig wird (§§ 141 Abs. 1, 179, 180 SGG). Allerdings kann die Verpflichtungsklage dem maßgeblichen (§ 123 SGG) Begehren des Verletzten im Einzelfall eher entsprechen. Daher erkennt das BSG ein Wahlrecht des Verletzten zwischen einer zulässigen Feststellungs- und einer zulässigen Verpflichtungsklage an (zuletzt BSG, Urt. v. 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr. 1, Rn. 12 m.w.N.; BSG, Urt. v. 27. April 2010 - B 2 U 23/09 R – Rn. 9 m.w.N. (juris).
2.) Der angegriffene Verwaltungsakt ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines Arbeitsunfalls, weil dessen tatbestandliche Voraussetzungen vorliegend nicht nachweisbar sind.
a.) An der formellen Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen keine Zweifel; insbesondere ist die nach § 28 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) erforderliche Anhörung – da die Ausgangsentscheidung mit einer Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung versehen war – spätestens im Widerspruchsverfahren im Sinne des § 41 Abs. 2 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden.
b.) Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründeten Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist für einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang, vgl. BSGE 96, 196 = SozR 4 2700 § 8 Nr. 17, Rn.10; BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr. 92, S. 257), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil es an der Verrichtung einer versicherten Tätigkeit im Unfallzeitpunkt fehlt.
(1.) Dabei ist die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zunächst davon überzeugt, dass der vom Kläger geschilderte Unfallhergang, insbesondere in der zeitlichen Abfolge der Entwendung der Brieftasche, dem Nachsetzen des Klägers und dem erst hierbei eingetretenen Sturz, zutrifft, denn die Zeugin B. hat diesen Hergang in allen Einzelheiten in einer eigenen und lebhaften, detaillierten Schilderung bestätigt. Sie hat zudem bestätigen können, dass das polizeiliche Vernehmungsprotokoll wie vom Kläger beschrieben angefertigt worden ist, da sie bei der Vernehmung selbst zugegen war. Dabei habe der Kläger den Unfall sowie von ihm geschildert angegeben. Sie selbst habe den Eindruck gehabt, dass die Vernehmungsbeamtin nur gebrochen Englisch spreche, aber den Hergang nach mehreren Nachfragen richtig erfasst habe. Die Zeugin hat ferner bestätigt, dass das Vorweisen eines unterschriebenen Vernehmungsprotokolls nebst Verlustanzeige Voraussetzung dafür gewesen sei, dass die Fluggesellschaft den Kläger ohne Personaldokumente transportiert habe. Die Kammer hält die Zeugin trotz ihrer nahen persönlichen Beziehung zum Kläger auch für glaubwürdig. Denn das Vernehmungsprotokoll enthält in sich deutliche logische Fehler. So wären in der Tat beim Kläger bei stattgefundenen Tritten gegen den Kopf entsprechende Verletzungen zu erwarten gewesen, die aber gerade auch im Rahmen der späteren Anschlussbehandlung nicht dokumentiert worden sind. Auch belegt der Behandlungsbericht des spanischen Krankenhauses eindeutig, dass der Überfall sich zur Nachtzeit abgespielt hat. Schließlich ist für die Kammer die Erklärung, warum der Kläger das fehlerhafte Protokoll unterzeichnet haben soll, in Anbetracht der erheblichen Verletzung und der nachvollziehbaren Motivation, eine längere stationäre Behandlung nicht im Ausland anzutreten, vollständig plausibel, da die Unterschrift zur Ausreise erforderlich war.
Danach ist zur Überzeugung der Kammer mithin davon auszugehen, dass der Kläger den Sturz, also den Unfall, erlitt, als er dabei war, einem der Täter nachzueilen.
(2.) Diese Verrichtung unterfällt nicht dem Unfallversicherungsschutz aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, weil es an einem Bezug zur versicherten Beschäftigung des Klägers als Biotechnologe fehlt. Auch wenn der Kongress selbst in Ausübung seiner Beschäftigung besucht wurde, war dieser im Unfallzeitpunkt bereits seit deutlich mehr als einem Tag beendet. Der Kläger und die Zeugin haben den Anschlussaufenthalt in Barcelona vielmehr erkennbar zu privaten Zwecken genutzt, womit der innere Zusammenhang zur versicherten Beschäftigung gelöst war.
(2.) Einzig in Betracht kommt somit eine Versicherung nach § 2 Abs 1. Nr. 13 c) SGB VII. Danach sind kraft Gesetztes versichert Personen, die sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzten. Hierbei kommt vorliegend weiter nur die erste Variante in Betracht, da der rechtswidrige Angriff auf den Kläger mit der Entfernung des Räubers bereits vollendet war und das Nacheilen daher nicht mehr als Handlung „zum Schutz“ eines Angegriffenen (im Sinne der Abwehr von diesem weiterhin drohenden Gefahren) gewertet werden kann.
Der nach dieser Vorschrift begründete Versicherungsschutz erstreckt sich zunächst vorliegend dem Grunde nach auch auf den – hier vorliegenden – Fall der Verfolgung eines Straftäters im Ausland. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 3 S. 5 SGB VII. Hiernach gilt § 2 Abs. 1 Nr. 13 SGB VII auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Letzteres ist im Fall des Klägers ohne weiteres der Fall. Entgegen den Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid ist diese gesetzlich angeordnete Geltungserstreckung auch für die in § 2 Abs. 1 Nr. 13 c) SGB VII erfassten Konstellationen nicht teleologisch zu reduzieren. Zwar treten insoweit, wie schon Leube in ZESAR 2009, 176, 180, festgestellt hat, bedenkliche rechtliche Verwerfungen auf, wenn etwa das jeweilige ausländische Recht entweder dem deutschen Recht entsprechende Straftatbestände oder aber auch ein dem deutschen Strafprozessrecht nach § 127 StPO entsprechendes Jedermanns-Festnahmerecht nicht kennt. Allerdings wollte der Gesetzgeber bei Einführung des § 2 Abs. 3 S. 5 SGB VII ausdrücklich den – zuvor auf Fälle des § 2 Abs. 1 Nr. 13 a) SGB VII beschränkten – Versicherungsschutz für Auslandsfälle ausdrücklich auf alle Fallgruppen der Nr. 13 übertragen, vgl. BT-Drucks. 13/2333, S. 5, 32; BT-Drucks. 13/4853, S. 29, hierzu auch Riebel, in Hauck/Noftz, SGB VII, § 2 Rn. 196, 314. Vor diesem Hintergrund bleibt für eine teleologische Einschränkung – die ggfs. de lege ferenda erwägenswert wäre – nach der derzeitigen Rechtslage kein Raum, so auch Leube, a.a.O., S. 180 f. Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass jedenfalls im vorliegenden Fall hierfür auch deshalb kein Raum besteht, weil das spanische Recht ein der deutschen StPO vergleichbares Festnahmerecht kennt, vgl. Art. 490 des Ley de Enjuiciamento criminal de España.
(3.) Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (BSG, Urt. v. 9. November 2010 – B 2 U 14/10 R) und (subjektiv) – zumindest auch – auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese auch als „Handlungstendenz“ bezeichnete subjektive Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten ist eine innere Tatsache.
Als derartige Handlung kann vorliegend allein das (schnelle) Laufen gewertet werden, da es die von außen beobachtbare Tätigkeit des Klägers im Unfallzeitpunkt darstellt. Dieses allein ist für eine Zuordnung zur versicherten Tätigkeit indes nicht konkret genug, da die „Verfolgung“ ein willentlich zielgerichtetes Handeln erfordert. Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes, soweit die Intention objektiviert ist (sog. objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung (erst recht nicht eine niedrigere Vorsatzstufe) reicht hingegen nicht.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist nach diesem Maßstab davon auszugehen, dass die Handlungstendenz des Klägers jedenfalls auch in der Verfolgung eines Straftäters bestand. Zwar haben Kläger und Zeugin wiederum übereinstimmend angegeben, dass der Kläger beim Nacheilen oder zuvor keine entsprechenden Äußerungen getätigt hat. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht aus heiterem Himmel in eine beliebige Richtung loslief, sondern zielgerichtet gerade hinter dem Räuber seiner Brieftasche her. Die erforderliche Objektivierung der (inneren) Verfolgungsintention ergibt sich damit aus der Zielrichtung des Laufens.
Als weitere Motivation kommt vorliegend jedoch das Interesse hinzu, die geraubten Dokumente und das Geld wiederzubeschaffen. Auch diese Intention ist nach dem Tathergang dadurch objektiviert, dass der Kläger erst (und unmittelbar) nachdem er bemerkt hatte, dass seine Brieftasche fehlt, die Verfolgung aufnahm. Somit ist vorliegend von einer Verrichtung mit gemischter Handlungstendenz auszugehen.
(5.) Eine Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz steht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dann im inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der versicherten Handlungstendenz findet. Insoweit ist nicht auf Vermutungen über hypothetische Geschehensabläufe außerhalb der konkreten Verrichtung und der objektivierten Handlungstendenzen, sondern nur auf die konkrete Verrichtung selbst abzustellen. Es ist zu fragen, ob die Verrichtung, so wie sie durchgeführt wurde, objektiv die versicherungsbezogene Handlungstendenz erkennen lässt (vgl. BSG, Urt. v. 12. Mai 2009 – B 2 U 12/08 R, Rn. 16; Urt. v. 9. November 2010 – B 2 U 14/10 R, Rn. 24, ferner Keller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 8 Rn. 25).
Nach diesem Maßstab kann die Kammer vorliegend eine versicherte Verrichtung nicht feststellen. Denn der maßgebliche Auslöser der Verfolgung des Straftäters lag hier gerade im Feststellen des Verlustes der Brieftasche, dies war der Grund für die sodann aufgenommene Verfolgung. Dies war in Anbetracht der hierin enthaltenen Dinge, vor allem der für die am Nachmittag desselben Tages geplante Heimreise wichtigen Personaldokumente, in den Augen der Kammer die weit überwiegende Handlungsmotivation. Hypothetische Erwägungen, was der Kläger getan hätte, wenn jemand anderes Opfer des Raubes geworden wäre, sind nach den oben dargestellten Ausführungen des BSG irrelevant und müssen daher außer Acht bleiben. Die Motivation, die Brieftasche wiederzuerlangen, kann indes nach Auffassung der Kammer nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Verfolgung entfiele. Auch wenn der Kläger angegeben hat, er habe vor allem den Täter festhalten wollen und auf Hilfe von Dritten gehofft, so stellt dies letztlich nur einen Zwischenschritt im erstrebten Endziel, der Wiedererlangung der Brieftasche dar. Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass bei dieser Würdigung Opfer von Eigentumsdelikten stets aus dem Schutzbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 13 c) SGB VII ausscheiden, obwohl eine derartige Einschränkung sich aus dem Tatbestand nicht ergibt. Denn zu diesem Ergebnis kommt es auch bei den übrigen Versicherungstatbeständen immer, wenn eine Verrichtung mit gemischter Handlungstendenz vollzogen wird und der versicherte „Anteil“ die Verrichtung nicht wesentlich prägt. Insofern liegt keine Andersbehandlung einer besonderen Personengruppe vor, vielmehr ergibt die Anwendung allgemeiner unfallversicherungsrechtlicher Erwägungen vorliegend, dass der innere Zusammenhang zwischen Verrichtung und versichertem Tatbestand nicht gegeben ist.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
4.) Da der Kläger vorliegend keinen auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung gerichteten Verwaltungsakt begehrt, ist gegen dieses Urteil die Berufung ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 143 SGG.