16.12.2013 · IWW-Abrufnummer 133976
Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 21.10.2013 – I-20 W 32/13
Für den Insolvenzverwalter über das Vermögen des Versicherungsnehmers ist der Wahlgerichtsstand aus § 215 Abs. 1 ZPO weder am Wohnort des Versicherungsnehmers noch am Sitz des Insolvenzverwalters eröffnet.
Oberlandesgericht Hamm
Beschluss
In dem Rechtsstreit
des Herrn W als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Frau H,
Klägers und Beschwerdeführers,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt
g e g e n
die S Pensionskasse AG, vertr. d. d. Vorstand,
Beklagte und Beschwerdegegnerin,
hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Zumdick, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ebmeier und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Wohlthat
am 21.10.2013
b e s c h l o s s e n :
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Essen vom 22.07.2013 wird zurückgewiesen.
Das Prozesskostenhilfeverfahren wird an das Landgericht Hamburg verwiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Der Beschwerdewert beträgt bis zu 2.000,00 Euro.
Gründe
I.
Der Kläger hat als Insolvenzverwalter der mit der Beklagten über eine Rentenversicherung verbundenen Versicherungsnehmerin Klage vor dem Landgericht Dortmund auf Auszahlung einer Rückvergütung erhoben und dafür die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Das Landgericht hat der in Hamburg ansässigen Beklagten die einfache Abschrift der Antragsschrift übersandt und den Kläger zugleich darauf hingewiesen, dass die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund nicht ersichtlich sei. Auf entsprechenden Antrag des Klägers hat das Landgericht Dortmund sich mit Beschluss vom 29.04.2013 für örtlich unzuständig erklärt und das Prozesskostenhilfeverfahren nach § 281 ZPO an das „nach § 215 Abs. 1 VVG zuständige“ Landgericht Essen verwiesen.
Nach Hinweis auf Bedenken im Hinblick auf die eigene örtliche Zuständigkeit hat das Landgericht Essen mit Beschluss vom 22.07.2013 den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Eröffnung der Wohnsitzzuständigkeit in § 215 VVG nF nach der Gesetzesbegründung ausschließlich den Interessen des Versicherungsnehmers Rechnung tragen sollte, weshalb sie auf Ansprüche Dritter und insbesondere Klagen des Insolvenzverwalters nicht anzuwenden sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägers, mit der er geltend macht, dass er als Insolvenzverwalter dem in § 215 VVG geschützten Versicherungsnehmer zumindest gleichzustellen sei, weil er für das Schuldnervermögen tätig werde. Hilfsweise beantragt er die Verweisung an das örtlich zuständige Gericht.
II.
Die zulässige als sofortige Beschwerde statthafte Beschwerde des Klägers gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe führt in der Sache zur Verweisung des Prozesskostenhilfeverfahrens an das erstinstanzlich zuständige Landgericht Hamburg.
1.
Das Landgericht hat dem Kläger zu Recht keine Prozesskostenhilfe gewährt, weil die hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage mangels örtlicher Zuständigkeit nicht gegeben ist.
Die Beklagte hat ihren Sitz iSd § 17 Abs. 1 ZPO nicht im Bezirk des Landgerichts Essen, sondern in Hamburg.
Eine Zuständigkeit nach § 215 Abs. 1 ZPO hat das Landgericht zu Recht verneint.
Zwar schließt § 215 Abs. 1 VVG nF nach seinem Wortlaut die Annahme einer örtlichen Zuständigkeit am Wohnsitz des Versicherungsnehmers für Klagen Dritter nicht aus. Jedoch ist die Vorschrift nach ihrem Sinne und Zweck nicht auf Klagen des Insolvenzverwalters über das Vermögen des Versicherungsnehmers anzuwenden. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die vom Kläger erstrebte direkte Anwendung des § 215 Abs. 1 VVG mit der Eröffnung eines Gerichtsstands am Wohnort des Versicherungsnehmers als auch für eine denkbare analoge Anwendung der Norm und einen Wahlgerichtsstand am Sitz des Insolvenzverwalters.
Nach der Gesetzesbegründung sollten nach § 215 VVG die Unsicherheiten ausgeräumt werden, die bei Klageerhebung nach § 48 VVG aF (Gerichtsstand der Agentur) für den Versicherungsnehmer auftraten und die sich über § 29c ZPO nicht umgehen ließen, weil dessen Anwendbarkeit auf Versicherungsverträge nicht eindeutig sei (BT-Drs. 16/3945, S. 848). Aus dieser (auch) verbraucherschützenden Intention von § 215 VVG lässt sich zwar darauf schließen, dass auch für Versicherte und Bezugsberechtigte sowie für Personen, die in die Vertragsstellung des Versicherungsnehmers nachfolgen, eine Wohnsitzzuständigkeit in analoger Anwendung von § 215 Abs. 1 VVG gegeben ist, weil sie wie der Versicherungsnehmer in einer vertraglichen Sonderbeziehung zum Versicherer stehen und dabei eine potentiell unterlegene Position innehaben (Römer/Langheid, VVG 3. Aufl. 2012 , § 215, Rn. 3; Prölls/Martin/Klimke, VVG 28. Aufl. 2010, § 215, Rn. 13 ff, 17 ff).
Für den Insolvenzverwalter gilt dies nicht. Gerade weil er nicht eigene Rechte aus einer vertraglichen Sonderbeziehung zum Versicherer geltend macht, sondern für eine fremde Vermögensmasse tätig wird, fehlt es an seiner persönlichen Schutzbedürftigkeit und damit an einer dem Versicherungsnehmer vergleichbaren Interessenlage. Insoweit ist der Insolvenzverwalter auch nicht mit Grundpfandgläubigern oder Zessionaren zu vergleichen, die (zumindest zeitweise) eigene Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend machen und nach der Konzeption des VVG (in §§ 94, 142-149 VVG) in Teilbereichen ebenso schutzwürdig sein könnten wie der Versicherungsnehmer (streitig, vgl. dazu MünchKomm/Looschelders, VVG 2011, § 215, Rn. 25; Looschelders/Pohlmann/Wolf, VVG, 2. Aufl. 2011, § 215, Rn. 6). Das Interesse des Insolvenzverwalters an der Durchführung des Rechtsstreits am Wohnort des Versicherungsnehmers bzw. – in entsprechender Anwendung von § 215 Abs. 1 VVG – am Ort der eigenen Niederlassung ist von reinen Praktikabilitätserwägungen getragen und rührt nicht daher, dass er persönlich in einer Sonderverbindung zum Versicherer steht und dabei eine potentiell unterlegene Position innehat. Die Anwendung von § 215 Abs. 1 VVG ist damit nicht gerechtfertigt (ebenso zum Zessionar und Pfandgläubiger Prölls/Martin/Klimke aaO, Rn. 21, 22; Bruck/Möller/Brand, VVG, 9. Aufl. 2012, § 215, Rn. 19).
Zu Recht hat sich das Landgericht Essen auch durch den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Dortmund nicht gehindert gesehen, das Prozesskostenhilfegesuch zurückzuweisen. Zwar entfaltet die Verweisung entsprechend § 281 ZPO für das Empfangsgericht eine Bindungswirkung für das Prozesskostenhilfeverfahren, die es ihm verwehrt, das Verfahren wieder zurückzuverweisen (BGH, NJW-RR 1992, 578, Juris-Rn. 5 mwN; BGH, NJW-RR 1991, 1342, Juris-Rn. 5). Allerdings darf es den Prozesskostenhilfeantrag mit der Begründung zurückweisen, dass ihm die Zuständigkeit für den beabsichtigten Rechtsstreit fehle (Zöller/Geimer, ZPO 29. Aufl. 2012, § 114, Rn. 22a).
2.
Auf den hilfsweise gestellten Verweisungsantrag des Klägers ist das Prozesskostenhilfeverfahren in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO an das nach § 17 Abs. 1 ZPO zuständige Landgericht Hamburg zu verweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
IV.
Der Beschwerdewert orientiert sich an der Gebührenbelastung des Klägers in erster Instanz.