Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 29.01.2014 · IWW-Abrufnummer 140303

    Oberlandesgericht Stuttgart: Urteil vom 26.09.2013 – 7 U 101/13

    1. Wird ein Kunde im Wege der sog. "Kaltakquise" (Ausspannen von Kunden) nach wiederholten Besuchen gewonnen, kann dies die üblichen Indizien für Arglist bei unvollständigen Gesundheitsangaben stark entwerten.

    2. Die Platzierung der Hinweise auf die Rechtsfolgen falscher Gesundheitsangaben in einem Antragsformularsatz auf der letzten Seite, mehrere Seiten nach der Unterschrift, kann bei der Antragstellung leicht übersehen werden und ist aus diesem Grund nicht ausreichend, so dass der Versicherer u.a. sein Recht zum Rücktritt nicht ausüben kann (im Anschluss an BGH, VersR 2013, 297 [BGH 09.01.2013 - IV ZR 197/11]).


    Oberlandesgericht Stuttgart

    Urt. v. 26.09.2013

    Az.: 7 U 101/13

    Tenor:

    I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 30.4.2013, AZ 1 O 344/12

    abgeändert:
    1.

    Es wird festgestellt, dass der bei der Beklagten unter der Versicherungsnr. xxx bestehende Krankenversicherungsvertrag des Klägers durch Rücktritt oder Anfechtung der Beklagten nicht erloschen ist und zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
    2.

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.851,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.11.2012 zu bezahlen.
    3.

    Die Beklagte wird verurteilt, vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 1.307,81 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.12.2012 zu bezahlen.
    4.

    Die Widerklage der Beklagten wird abgewiesen.
    II.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
    III.

    Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Geldbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckungsbeginn Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Geldbetrags leistet.
    IV.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Streitwert des Berufungsverfahrens:

    Berufungsantrag Ziffer 1:


    443,79 EUR * 12 * 3,5 (§§ 3, 9 GKG) =


    18.639,18 EUR

    Berufungsantrag Ziffer 2:


    4.851,54 EUR

    Berufungsantrag Ziffer 3:


    kein Wert, da Kosten


    0,00 EUR

    Berufungsantrag Ziffer 4:


    6.972,47 EUR

    Summe:


    30.463,19 EUR
    Gründe

    I.

    Gegenstand der Klage ist die Feststellung des Fortbestandes eines Kranken- und Pflegeversicherungsvertrags trotz Anfechtungs- und Rücktrittserklärung der Beklagten sowie Leistungsansprüche auf Erstattung von Krankheitskostenaufwendungen; widerklagend verlangt die Beklagte Rückzahlung bereits erstatteter Krankheitskosten.

    Der am xxx geborene, als orthopädischer Schuhmachermeister selbständig erwerbstätige Kläger beantragte am 12.2.2009 bei der Beklagten den Abschluss einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung mit Wirkung zum 1.1.2010. Im Formularsatz des Versicherungsantrags (aus Bl. 6/1 - 6/3 d.A. ersichtlich), war auf der 4. Seite die aus Anlage BB1 (Bl. 104 d.A.) ersichtliche "Schlusserklärung des Antragstellers und der zu versichernden Person(en)" abgedruckt und als weiterer Anhang die "Wichtigen Hinweise zur Anzeigepflicht" angefügt (Anlage BB 2, Bl. 105 d.A.). Die Beklagte nahm den Antrag gegen Risikozuschläge wegen Fehlsichtigkeit und Übergewicht an. Grund für den Wechsel vom alten Kranken-Versicherer des Klägers (xxx-Versicherung) zur Beklagten waren Kostenersparnisse von 400 - 500 EUR/Monat.

    Anlässlich verschiedentlicher Krankenkostenabrechnungen ermittelte die Beklagte durch Rückfragen bei den behandelnden Ärzten, dass der Kläger sich im August 2008 mehrfach wegen einer Gonarthrose (Kniegelenksarthrose) und von Februar 2007 bis April 2008 mehrfach wegen arterieller Hypertonie hatte behandeln lassen. Weil der Kläger diese Behandlungen trotz ausdrücklicher Fragen zu seinem Gesundheitszustand im Versicherungsantrag nicht angegeben, sondern der Versicherungsvermittler - wie die Beklagte behauptet - auf die entsprechenden Angaben des Klägers hin lediglich vermerkt hatte "Kontrolluntersuchungen - ohne Befund" (vgl. Anlage Bl. 6 - 6/3 d.A.), erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 19.7.2012 (Anl. Bl. 6/4 d.A.) die Anfechtung ihrer Annahmeerklärung und den Rücktritt vom Vertrag.

    Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Feststellungsbegehren, dass der Versicherungsvertrag ungeachtet der Gestaltungserklärungen der Beklagten fortbestehe. Er machte erstinstanzlich - erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 29.4.2013 - geltend, seine Knie- und Herz-/Kreislaufbeschwerden dem Versicherungsvermittler offenbart zu haben, der dies jedoch nicht für anzeigepflichtig gehalten habe.

    Darüber hinaus verlangt der Kläger die Erstattung weiterer angeblich angefallener Krankheitskosten in Höhe von 4.851,54 EUR, die die Beklagte im Hinblick auf ihre Anfechtungs- und Rücktrittserklärung abgelehnt hatte.

    Widerklagend begehrt die Beklagte Rückzahlung von Krankheitskostenerstattungen, die sie unstreitig in Höhe von 6.972,47 EUR an den Kläger bereits gezahlt hatte.

    Sie ist der Auffassung, dass der Kläger die an ihn gerichteten Gesundheitsfragen vorsätzlich und arglistig täuschend unzutreffend beantwortet habe, indem er seine Vorerkrankungen verschwiegen habe. Sie stützt diesen Vorwurf ergänzend auf neue Erkenntnisse, die sich aus der vor dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme ergeben hätten. In seiner schriftlichen Zeugenaussage gab nämlich der Arzt xxx an, den Kläger nicht nur wegen arterieller Hypertonie ständig medikamentös behandelt zu haben, sondern auch wegen einer chronischen Refluxerkrankung, einer akuten Schwindelattacke im September 2007 und eines Tinnitus nach Knalltrauma im März 2008. Schließlich habe er wegen einer Aortenklappeninsuffizienz Grad I am 1.4.2008 eine Kontrolle durchgeführt. Weiter sei aus den schriftlichen Zeugenangaben des Facharztes für Orthopädie xxx ersichtlich, dass der Kläger wegen eines Innenmeniskus-Hinterhornrisses habe operativ versorgt werden müssen, was auf die verschwiegene Gonarthrose zurückzuführen sei.

    Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags und des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und den Kläger entsprechend dem Widerklageantrag der Beklagten zur Rückzahlung der erhaltenen Krankheitskostenerstattungen verurteilt. Das Landgericht stützte dies maßgeblich auf seine Überzeugung, dass der Kläger seine Vorerkrankungen bei Stellung des Versicherungsantrags vorsätzlich verschwiegen habe. Dies habe die Beklagte zum Rücktritt berechtigt. Als dessen Folge sei das Vertragsverhältnis nur noch auf Rückabwicklung gerichtet. Die Beklagte könne deshalb die Rückzahlung der bereits erstatteten Krankheitskosten verlangen, während dem Kläger aus dem rückabzuwickelnden Versicherungsvertrag keine Leistungsansprüche mehr zustünden.

    Wegen der tatsächlichen Feststellungen, die das Landgericht getroffen hat, sowie seiner rechtlichen Erwägungen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

    Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Ziel in vollem Umfang weiter. Er greift das landgerichtliche Urteil wie folgt an:

    Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts seien fehlerhaft. Tatsächlich habe er dem Versicherungsvermittler alle Vorerkrankungen offenbart. Der Versicherungsvermittler habe dies jedoch für unerheblich erachtet und den unstreitigen Eintrag als Antwort auf die Gesundheitsfragen vorgenommen ("Kontrolluntersuchungen - ohne Befund"). Das Landgericht habe fehlerhaft das Gegenteil festgestellt.

    Neu trägt der Kläger vor, der Beklagten sei es signifikant auf eine vollständige Offenbarung aller Vorerkrankungen gar nicht angekommen. Sonst hätte sie nämlich aus dem Begriff der Kontrolluntersuchung ableiten können, dass es Vorerkrankungen geben müsse, die der Kontrolle bedürften. Trotzdem habe sie - von Marginalien wie der Ermittlung des nicht angegebenen Körpergewichtes abgesehen - nicht um weitere Aufklärung gebeten oder gar Rückfrage bei den behandelnden Ärzten gehalten. Dies wäre im Hinblick darauf, dass das Vertragsverhältnis erst 9 1/2 Monate nach Antragstellung beginnen sollte, ohne weiteres und ohne Zeitdruck möglich gewesen. Dies lasse darauf schließen, dass die Beklagte gar nicht an umfassender Aufklärung des Gesundheitszustand interessiert gewesen sei. Im Gegenteil habe sie die bestehende Ungewissheit bewusst ausgenutzt, um sich im Bedarfsfall später auf angeblich verletzte Offenbarungsobliegenheiten berufen zu können.

    Die Widerklage der Beklagten sei im Hinblick auf die Fristenregelung in § 21 VVG verspätet erhoben worden und erweise sich bereits aus diesem Grunde als unbegründet.

    Der Kläger beantragt:

    1)

    Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hechingen vom 30.4.2013, AZ 1 O 344/12, wird festgestellt, dass der bei der Beklagten unter der Versicherungsnr. xxx bestehende Krankenversicherungsvertrag durch Rücktritt oder Anfechtung nicht erloschen ist und zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
    2)

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.851,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.11.2012 zu bezahlen.
    3)

    Die Beklagte wird verurteilt, vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 1.307,81 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung [21.12.2012] zu bezahlen.
    4)

    Die Widerklage der Beklagten wird abgewiesen.

    Die Beklagte beantragt:

    Die Berufung wird zurückgewiesen.

    Unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen verteidigt sie das angefochtene Urteil.

    II.

    Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Die Klage ist nämlich zulässig und begründet.

    1. Zum Berufungsantrag Ziffer 1:

    Zu Recht begehrt der Kläger die Feststellung, dass der Krankenversicherungsvertrag mit der Beklagten unverändert fortbesteht, insbesondere weder durch die Anfechtungserklärung der Beklagten gem. § 142 Abs. 1 BGB rückwirkend wirkungslos noch durch die gleichzeitige Rücktrittserklärung gem. § 19 Abs. 2 VVG in ein Rückabwicklungsverhältnis mit Erlöschen der bisherigen Leistungspflichten umgewandelt worden ist.

    1.1 Die Anfechtungserklärung der Beklagten vom 19.7.2011 ging aus tatsächlichen Gründen ins Leere. Der Senat vermag nämlich nicht festzustellen, dass der Beklagten das erforderliche Anfechtungsrecht zur Seite stand. Die Beklagte machte ein solches allein unter dem Gesichtspunkt der arglistigen Täuschung über den Gesundheitszustand des Klägers gem. § 123 BGB geltend; andere Anfechtungsrechte kommen nach dem Sachvortrag der Beklagten nicht in Betracht. Der Senat konnte sich aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht die Überzeugung verschaffen, dass der Kläger die Beklagte im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss über seinen wahren Gesundheitszustand arglistig getäuscht hat. Dies geht zu Lasten der insoweit beweisbelasteten Beklagten.

    1.1.1 Der Senat verkennt nicht, dass in erheblichem Umfang Indizien vorliegen, die auf eine arglistige Täuschung seitens des Klägers hindeuten:

    1.1.1.1 Bis zur mündlichen Verhandlung vom 29.4.2013 hat sich der Kläger weder vorgerichtlich noch im Rechtsstreit darauf berufen, dem Versicherungsvermittler xxx alle Gesundheitsstörungen offenbart zu haben. Vielmehr argumentierte er bis dahin, dass die zunächst im Mittelpunkt der Erörterung stehende Hypertonie wegen ihrer allgemeinen Verbreitung und die Gonarthrose wegen ihrer Ausheilung nicht offenbarungspflichtig gewesen seien. Eine schlüssige Erklärung für die Argumentationsänderung hat der Kläger nicht abgegeben. Sie spricht dafür, dass der Kläger von Anfang an seinen wahren Gesundheitszustand nicht darlegen wollte.

    1.1.1.2 Der Kläger hatte einen erheblichen Anreiz, den Versicherer zu wechseln, weil die Beklagte ihren Versicherungsschutz anfänglich zu einem monatlich Prämienbeitrag angeboten hat, der ca. 500 EUR niedriger lag als die Prämie, die er seiner Vorversicherung bezahlen musste. Eine Kostenersparnis von ca. 6.000 EUR p.a. kommt durchaus als Motiv in Betracht, sich den günstigeren Versicherungsschutz der Beklagten durch falsche Angaben zu erschleichen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger nach eigenem Bekunden zu jener Zeit mit seinem Handwerksbetrieb nur mäßige Erträge erwirtschaftete, eine Senkung der Krankenversicherungskosten also sehr willkommen war.

    1.1.1.3 Die im Versicherungsantrag zu den dort gestellten Gesundheitsfragen abgegebene Erklärung "allgemeine Kontrolluntersuchungen - ohne Befund" suggeriert über das bloße Verschweigen der erheblichen Gesundheitsstörungen hinaus, dass sich gerade keine krankhaften Befunde ergeben haben. Damit hätte der Kläger nicht bloß seinen wahren Gesundheitszustand verschwiegen, sondern diesen aktiv wahrheitswidrig dargestellt.

    1.1.2 Diesen Indizien stehen jedoch andere Umstände gegenüber, die den Senat in einem beachtlichen Maße an einer arglistigen Täuschung seitens des Klägers zweifeln lassen:

    1.1.2.1 Der Senat ist schon nicht davon überzeugt, dass die Gesundheitsfragen dem Kläger zur Beantwortung vorgelegt worden sind.

    1.1.2.1.1 Der Kläger gab in seiner Anhörung vor dem Senat an, dass ihn der Zeuge xxx eines Tages aus eigener Initiative und ohne Anlass in seinem Ladengeschäft aufgesucht und ihm eine günstige Krankenversicherung angeboten habe. In diesem Erstgespräch und rund 4 weiteren, nicht abgesprochenen Besuchen des Zeugen in den nachfolgenden 3 Monaten habe er diesem im freien Gespräch seinen Gesundheitszustand eingehend und umfassend unter Offenlegung seiner Vorerkrankungen mündlich dargestellt. Beim 6. Besuch habe er sich schließlich im Hinblick auf den erheblichen Kostenvorteil und das Drängen des Zeugen dazu entschlossen, den bereits fertig ausgefüllten Versicherungsantrag zu unterzeichnen. Dabei habe der Zeuge die Gesundheitsfragen nicht angesprochen, weil "er [scil.: der Zeuge xxx] ja schon alles [wusste]".

    1.1.2.1.2 Diese Angaben lassen sich mit den Bekundungen des Zeugen xxx nicht widerlegen. Der Zeuge erklärte, sich an den Fall des Klägers nicht erinnern zu können, so dass ihm lediglich Angaben zum gewöhnliche Ablauf einer Vertragsanbahnung möglich seien. Danach habe er im Allgemeinen die Gesundheitsfragen wörtlich vorgelesen und die Antworten der Kunden auf das Antragsformular übertragen.

    1.1.2.1.3 Ob der Zeuge auch im vorliegenden Fall so vorgegangen ist, steht nicht zur Überzeugung des Senats fest. Der Zeuge bestätigte den Vortrag des Klägers, dass er diesen im Wege der sog. Kaltakquise - des anlasslosen Ansprechens einer bislang nicht bei der Beklagten versicherten Person mit dem Ziel eines Neuvertragsabschlusses - für einen Wechsel seiner Krankenversicherung geworben habe. Der Zeuge bestätigte weiter, dass seine Werbung mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht bereits beim Erstgespräch Erfolg hatte. Ansonsten bekundete er, an den Fall keine Erinnerung mehr zu haben, wollte es auf Vorhalt der klägerischen Angaben jedoch nicht ausschließen, dass er den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg vielfach in dessen Ladenlokal aufgesucht habe, um ihn schließlich zur Beendigung seines bei einem Wettbewerber der Beklagten bestehenden Versicherungsvertrags und zum Neuabschluss bei der Beklagten zu bewegen.

    1.1.2.1.4 Dass ein solches Vorgehen ein möglicherweise wettbewerbswidriges, mindestens jedoch gegen Ziffer 65 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2 S. 1 a) der Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft verstoßendes Ausspannen eines Kunden sein könnte, hielt der Zeuge auf entsprechenden Vorhalt des Senats für unproblematisch. Er räumte ein, dass ihm die Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft zwar "ein Begriff", deren Inhalte jedoch nicht gegenwärtig seien. Wie sich aus seinen Angaben weiter ergibt, hat er den Kläger nicht auf die denkbaren Nachteile hingewiesen, die mit einem solchen Versicherungswechsel einhergehen können.

    Der Senat entnimmt diesen Angaben, dass der Zeuge nicht die sachgerechte Beratung und Aufklärung des Klägers in den Vordergrund stellte, sondern sein Abwerbeversuch maßgeblich durch sein eigenes Provisionsinteresse motiviert war. Der Senat hält es vor diesem Hintergrund keineswegs für ausgeschlossen, dass der Zeuge gerade bei dem für einen Abwerbeversuch zunächst nicht empfänglichen Kläger auch die sonst übliche Sorgfalt bei der Erhebung etwaiger Gesundheitsstörungen hintangestellt hat, um doch noch einen Vertragsabschluss herbeiführen zu können.

    1.1.2.1.5 Die Skepsis des Senats wird durch die auffällige inhaltliche Kargheit der Zeugenaussage weiter gefördert. Sicher war sich der Zeuge letztlich nur darin, als Versicherungsagent für die Beklagte tätig gewesen zu sein und den Kläger durch "Kaltakquise" geworben zu haben. Zwar hat der Senat grundsätzlich Verständnis dafür, dass ein Versicherungsagent keine genaue oder vollständige Erinnerung an die Werbung eines Neukunden vor 4 oder 5 Jahren hat. Dass der Zeuge xxx nach seinen Bekundungen jedoch nicht einmal ansatzweise bruchstückhafte Erinnerungen an die Gespräche mit dem Kläger haben wollte, ist außergewöhnlich und nach der Erfahrung des Senats aus der Vernehmung zahlreicher anderer Versicherungsvermittler in ähnlich gelagerten Fällen durchaus bemerkenswert.

    1.1.2.2 Selbst die Schilderung des Zeugen, wie er üblicherweise die im Versicherungsantrag gestellten Gesundheitsfragen behandelte, blieb so farblos und wenig detailliert, dass der Senat sich hiervon keine konkrete Vorstellung machen kann.

    1.1.3 All dies wirft für den Senat die drängende Frage auf, ob der Zeuge den bekundeten umfassenden Erinnerungsverlust lediglich vorspiegelte, um nicht einen wahren Sachverhalt einräumen zu müssen, der der Schilderung des Klägers entspräche und seiner ehemaligen Geschäftsherrin, der Beklagten, nachteilig wäre. Der Senat hält es deshalb ernstlich für möglich, dass der Zeuge im konkreten Fall darauf verzichtet hat, die Gesundheitsfragen so zu stellen, wie dies im Versicherungsantrag vorgesehen war. Damit kann ein objektiver Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige abgefragter gefahrerheblicher Umstände gem. § 19 Abs. 1 VVG nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden.

    1.1.4 Ob in Ermangelung einer nachweisbaren objektiven Verletzung der in § 19 Abs. 1 VVG als "Antwortpflicht" ausgestalteten Anzeigepflicht gefahrerheblicher Umstände auch notwendigerweise eine arglistige Täuschung über eben solche Umstände ausgeschlossen ist, wie dies in der Literatur teils angenommen, teils verneint wird (vgl. z.B. Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. A., § 22 VVG Rdnr. 3 m.w.N.), kann vorliegend dahinstehen. Denn der Senat hält es aus den oben dargelegten Gründen auch für möglich, dass der Kläger dem Zeugen xxx seine Gesundheitsstörungen im Rahmen der stattgefundenen Gespräche tatsächlich offenbart hat. Dies hätte nicht nur zur Folge, dass dem Kläger schon in objektiver Hinsicht keine Täuschungshandlung zur Last fiele, weil er mit der Offenbarung gegenüber dem Zeugen als Agenten der Beklagten und damit deren "Auge und Ohr" dieser selbst seine Gesundheitsstörungen angezeigt hätte, sondern entzöge auch der Annahme des Landgerichts die Grundlage, der Kläger habe täuschend auf die Willensentschließung der Beklagten Einfluss nehmen wollen oder dies wenigstens billigend in Kauf genommen.

    1.1.5 Diese Erwägungen gelten im Ergebnis auch hinsichtlich der Schwerhörigkeit und Fehlsichtigkeit des Klägers. Dieser hat zwar selbst eingeräumt, dass er den Zeugen xxx auf seine Schwerhörigkeit möglicherweise, auf seine Fehlsichtigkeit sicher nicht hingewiesen habe. Der letztgenannte Umstand war nicht aufklärungspflichtig, da der Kläger sichtbar eine Brille trägt und damit die Fehlsichtigkeit für den Zeugen xxx offensichtlich war. Unstreitig bot die Beklagte insoweit Versicherungsschutz auch nur gegen Zahlung eines Risikozuschlags, was der Kläger akzeptierte. Hinsichtlich der möglicherweise nicht aufgedeckten Schwerhörigkeit lässt sich jedenfalls die subjektive Tatseite einer arglistigen Täuschung nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Die - ernstlich in Betracht zu ziehende - Offenbarung der übrigen Gesundheitsstörungen begründet vernünftige Zweifel, dass die (mögliche!) objektive Nichtanzeige der Schwerhörigkeit auf einem solchen Täuschungsvorsatz beruhte und nicht etwa ihren Grund darin gehabt haben könnte, dass dem Kläger diese Gesundheitsstörung im freien, nicht durch eine "Check-Liste" strukturierten Gespräch nicht präsent gewesen sei oder er diese Gesundheitsstörung im Hinblick auf ihren dauerhaften Ausgleich mittels eines Hörgerätes für unerheblich gehalten habe.

    1.1.6 Der Senat übersieht nicht, dass der Kläger einräumte, bei der Unterzeichnung des Versicherungsantrags durchaus den vom Zeugen xxx angebrachten Vermerk "Kontrolluntersuchungen - ohne Befund" bemerkt, jedoch nicht korrigiert zu haben. Zweifellos spricht dies als gewichtiges Indiz für eine arglistige Täuschung. Allerdings bestehen auch insoweit beachtliche Restzweifel hinsichtlich der subjektiven Tatseite.

    1.1.6.1 Der Kläger behauptete nämlich ergänzend, wegen seiner Vorerkrankungen einem Versicherungswechsel skeptisch gegenüber gestanden zu haben. Der Zeugen xxx habe diese Bedenken jedoch beiseitegeschoben mit dem Bemerken, die Versicherung "werde sich schon wehren, wenn sie etwas zahlen müsse". Diese Erläuterung des Klägers kann zwar ebenfalls als Ausdruck eines Täuschungsvorsatzes gewertet werden; bei genauerer Betrachtung erweist sie sich jedoch als ambivalent und damit als Indiz für einen Täuschungsvorsatz ungeeignet. Denkbar ist nämlich auch, dass der Kläger in Wahrheit auf die Richtigkeit der Aussage des in Versicherungsangelegenheiten versierten und kundigen Zeugen xxx vertraute und daran glaubte, es habe alles seine Richtigkeit, insbesondere seien die Vorerkrankungen deshalb kein Hindernis für den Vertragsabschluss, weil die Risikoprüfung in die Leistungsprüfung im Einzelfall verlagert werde ("Die Versicherung werde sich schon wehren, wenn sie etwas zahlen müsse!"). Die Anmerkung im Versicherungsantrag "Kontrolluntersuchungen - ohne Befund" könnten sich dabei im Verständnis des Klägers insoweit als "richtig" dargestellt haben, als er seine Vorerkrankungen selbst nicht als "Krankheiten", sondern als bloße "Alterserscheinungen" definierte, mit denen jeder Versicherer aufgrund ihrer Häufigkeit bei einem Versicherungsnehmer seines Alters eh rechne. Dieser Auffassung entspricht auch das Schreiben des Klägers vom 25.9.2012 als Antwort auf die Anfechtungs- und Rücktrittserklärung der Beklagten.

    1.1.6.2 Der Senat ist weit davon entfernt, diesen Erklärungsversuchen des Klägers Glauben zu schenken; für zweifelsfrei ausgeräumt hält er sie jedoch nicht, insbesondere im Hinblick auf die auffällig schwache Aussageleistung des Zeugen xxx. Auch erscheinen die Angaben des Klägers keineswegs derart lebensfremd, dass sie schon aus diesem Grunde als widerlegt angesehen werden müssten.

    1.1.7 Die Einlassung des Klägers, der Zeuge xxx habe darauf verwiesen, "die Versicherung werde sich schon wehren, wenn sie etwas zahlen müsse", kann selbstverständlich auch als Indiz für ein kollusives Zusammenwirken von Versicherungsinteressent und Versicherungsagent gewertet werden. Allerdings gelten die obigen Ausführungen zur Beweiskraft dieser Einlassung auch für diesen rechtlichen Gesichtspunkt entsprechend. Der Senat ist daher auch nicht überzeugt, dass der Kläger und der Zeuge xxx kollusiv zum Nachteil der Beklagten zusammen gewirkt haben.

    1.2 Die Rücktrittserklärung der Beklagten vom 19.7.2011 ging ebenfalls ins Leere.

    1.2.1 Das gem. § 19 Abs. 1, 2 VVG in Betracht zu ziehende Rücktrittsrecht der Beklagten ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte den Kläger nicht in der erforderlichen Form auf die Rechtsfolgen einer Anzeigenpflichtverletzung hingewiesen hatte (§ 19 Abs. 5 S. 1 VVG). Das Landgericht hat zwar als unstreitig und für den Senat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend festgestellt, dass der Kläger durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigenpflichtverletzung hingewiesen worden sei. Dies greift die Berufung auch nicht an. Ob die Belehrung über die Rechtsfolgen einer etwaigen Anzeigepflichtverletzung die gem. § 19 Abs. 5 S. 1 VVG erforderliche Form einhält, ist jedoch keine reine Tatsachenfrage, über die die Parteien disponieren können, sondern zugleich eine Frage der nicht disponiblen Rechtsanwendung. Der Senat ist daher im Rahmen seiner Pflicht zur umfassenden Rechtsprüfung auf der Grundlage des ihm zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalts berechtigt und verpflichtet, auch die Einhaltung der formellen Anforderungen an die genannte Belehrung zu prüfen.

    1.2.2 Nähere Aufklärung, wie der Formularsatz des Versicherungsantrags im Original aussah und ob die "Wichtigen Hinweise zur Anzeigepflicht" (vgl. Anl. BB 2, Bl. 105 d.A.) in diesen Formularsatz intergiert oder auf einem "Extra-Blatt" abgedruckt waren, konnten die Parteien nicht geben; der Original-FormularSatz 1iegt bei der Beklagten offenbar nicht mehr vor.

    1.2.3 Die nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG gebotene Belehrung über die im Falle der Verletzung einer Anzeigepflicht drohenden Rechtsfolgen soll dem Versicherungsnehmer vor der Beantwortung von Fragen des Versicherers zu Gefahrumständen eindringlich vor Augen führen, welche Bedeutung die vollständige und wahrheitsgemäße Information des Versicherers für dessen Leistungsverpflichtung und den (Fort-) Bestand des Vertrags hat. Der Versicherungsnehmer soll damit zu einer ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Anzeigeobliegenheiten angehalten, aus Gründen der Fairness zugleich aber auch vor den ihm anderenfalls drohenden Rechtsnachteilen gewarnt werden (so BGH VersR 2013, 297 ff [BGH 09.01.2013 - IV ZR 197/11] TZ 18 zum gleich gelagerten Problem der "gesonderten Mitteilung" gem. § 28 Abs. 4 VVG).

    1.2.4 Zwar erfordert eine "gesonderte Mitteilung" gem. § 19 Abs. 5 S. 1 VVG nicht zwingend ein gesondertes Dokument im Sinne eines "Extra-Blattes" (BGH a.a.O., TZ 19). Möglich und ausreichend ist vielmehr auch, den Belehrungstext in das Formular des Versicherungsantrags aufzunehmen. In einem solchen Fall ist jedoch zu fordern, dass die Belehrung drucktechnisch so gestaltet sein muss, dass sie sich deutlich vom übrigen Text abhebt und vom Versicherungsnehmer nicht übersehen werden kann. Hieran fehlt es vorliegend.

    1.2.5 Da die Beklagte hinsichtlich sämtlicher Voraussetzungen ihres geltend gemachten Rücktrittsrechts darlegungs- und beweisbelastet ist, somit auch hinsichtlich der ausreichenden Gestaltung ihrer "gesonderten Mitteilung" über die Rechtsfolgen einer etwaigen Verletzung der Anzeigepflicht gem. § 19 Abs. 1 VVG, ist mangels ausreichender anderweitiger Darlegung zu ihren Lasten davon auszugehen, dass die aus Anlage BB 2 (Bl. 105 d.A.) ersichtlichen "Wichtigen Hinweise zur Anzeigepflicht" als letzte Seite des Antragsformulars dessen integraler Bestandteil waren. Die Platzierung dieser Belehrung erst mehrere Seiten nach dem Fragenkatalog zu etwaigen Gesundheitsstörungen des Kunden und seiner Unterschrift bietet nicht die erforderliche Gewähr dafür, dass der Versicherungsnehmer sie nicht übersehen kann. Vielmehr besteht eine erhebliche Gefahr, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer jeglichen Text, der nach seiner Unterschrift angefügt ist, für unwichtig und typisches "Kleingedrucktes" hält, das seine Bedeutung allenfalls bei Eintritt des Versicherungsfalles gewinnt, also erst dann gelesen zu werden braucht. Eine solche Platzierung genügt daher nicht den Anforderungen, die an eine "gesonderte Mitteilung" zu stellen sind. Ob sie als "Extra-Blatt" diesen Anforderungen genügen würden, braucht nicht entschieden zu werden, weil - wie dargelegt - hiervon nicht ausgegangen werden kann.

    2. Zum Berufungsantrag Ziffer 2:

    Der Berufungsantrag Ziffer 2 hat ebenfalls vollen Erfolg. Durch die Vorlage der Rechnungen in der Anlage Bl. 44 hat der Kläger hinreichend schlüssig vorgetragen, dass ihm wegen eines versicherten Risikos Aufwendungen entstanden sind, die die Beklagte im Falle eines fortbestehenden Versicherungsvertrags bedingungsgemäß zu erstatten hat. Die Beklagte hat ihre diesbezügliche Leistungspflicht allein mit der Begründung geleugnet, dass der Versicherungsvertrag mit seinen bisherigen Leistungspflichten infolge ihrer Anfechtungs- und Rücktrittserklärung weggefallen sei, im Übrigen die Darlegungen des Klägers jedoch nicht bestritten. Damit ist der Erfolg des Berufungsantrags Ziffer 2 unmittelbar an den - oben begründeten - Erfolg des Berufungsantrags Ziffer 1 geknüpft.

    3. Zum Berufungsantrag Ziffer 3:

    Entsprechendes gilt für den Berufungsantrag Ziffer 3 (Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten).

    4. Zum Berufungsantrag Ziffer 4:

    Auch der Berufungsantrag Ziffer 4 hat vollen Erfolg. Da der Senat den Fortbestand des Versicherungsvertrags feststellt, kommt eine Rückzahlung bereits erstatteter Krankheitskosten nicht in Betracht. Eine Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses findet weder nach Rücktrittsrecht noch nach dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung statt. Die Widerklage ist daher unbegründet und entsprechend dem Antrag des Klägers abzuweisen.

    5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf § 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

    6. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind allesamt bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt. Der Fall wirft deshalb weder grundsätzliche noch solche Rechtsfragen auf, die der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Rechtsfortbildung bedürften. Auch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist nicht berührt; der Senat weicht nicht von rechtlichen Obersätzen gleich- oder höherrangiger Gerichte ab.

    RechtsgebieteVVG, BGBVorschriften§ 19 VVG; § 123 BGB