19.03.2014 · IWW-Abrufnummer 140850
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 08.11.2013 – I-26 U 31/13
Erleidet ein Schüler in der Schule durch zwei Schläge eines Mitschülers eine schwerwiegende Augenverletzung, kann der Geschädigte vom Schädiger ein Schmerzensgeld verlangen, das den vom Schädiger billigend in Kauf genommen Verletzungen Rechnung trägt. Weitergehende, vom Vorsatz des Schädigers nicht umfasste Verletzungsfolgen sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen.
Oberlandesgericht Hamm
26 U 31/13
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 20.12.2012 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Siegen teilweise abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kl äger weitere 500 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2010 zu zahlen.
Im weitergehenden Umfang werden die Berufung sowie die Anschlussberufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 4% dem Beklagten und zu 96% dem Kläger auferlegt.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite jeweils vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Parteien waren Schüler der Hauptschule S. Dort besuchten sie Parallelklassen. Als sie am 28.06.2010 gemeinsam Unterricht hatten, kam es zunächst zwischen dem Beklagten und einem weiteren Mitschüler zu einer Rangelei, über die sich der Kläger lustig machte. Als die Parteien nach dem Unterricht die Treppe in Richtung Pausenhof verließen, fühlte sich der Beklagte vom Kläger provoziert. Er ging auf den Kläger zu, wobei beide in eine Ecke neben der Treppe gelangten. Dort schlug der Beklagte zweimal gegen das rechte Auge des Klägers, der dabei eine schwere Gehirnerschütterung, eine Orbitabodenfraktur, eine Contusio bulbi beidseits und ein ausgeprägtes Hämatom am rechten Auge erlitt. Aufgrund eines eingeklemmten Augenmuskels musste der Kläger sodann operiert und stationär behandelt werden.
Mit der Behauptung, dass er seit dem Vorfall unter Doppelbildern, Einschlafstörungen sowie wiederkehrenden Kopfschmerzen leide, hat der Kläger vom Beklagten u.a. ein Schmerzensgeld von mindestens 20.000 € sowie die Feststellung der Ersatzverpflichtung materieller und immaterieller Schäden verlangt.
Das Landgericht hat die Strafakten 26 Js 780/10 Staatsanwaltschaft Siegen beigezogen und lediglich einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 500 € nebst Zinsen zugesprochen und insoweit eine unerlaubte Handlung festgestellt.
Im weitergehenden Umfang hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass es am doppelten Vorsatz – also auch im Hinblick auf die unglückliche Schadensfolge - fehle.
Dagegen richtet sich die Berufung des Kl ägers, der ein höheres Schmerzensgeld sowie die Feststellung der weitergehenden Ersatzverpflichtung verlangt.
Er macht geltend, dass man schon deswegen von einem doppelten Vorsatz ausgehen müsse, weil der Beklagte ihn in eine Ecke gedrängt habe, so dass er überhaupt keine Möglichkeit zum Ausweichen gehabt habe. Der Beklagte habe zudem mit einer ungeheuren Wucht zugeschlagen. Er habe den Kläger in jedem Fall erheblich verletzen wollen. Es sei nicht erforderlich, die konkreten medizinischen Verletzungen zu kennen, es reiche aus, dass man wisse, dass derartige Schläge gegen den Kopf zu erheblichen Verletzungen führen könnten.
Tatsächlich sei der Kläger erheblich verletzt worden und habe wegen des eingeklemmten Augenmuskels operiert werden müssen. Insoweit behauptet er, dass er noch heute unter Doppelbildern und einer eingeschränkten Beweglichkeit des Auges leide.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung (richtig: Abänderung) des Urteils des Landgerichts Siegen – Aktenzeichen 8 O 68/12 vom 20.12.2012 – zu verurteilen, an ihn ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, das jedoch den Betrag von 20.000 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2010 zu zahlen;
festzustellen, dass der Beklagte unter Aufhebung (richtig: Abänderung) des Urteils des Landgerichts Siegen – Aktenzeichen 8 O 68/12 vom 20.12.2012 – verpflichtet ist, ihm alle materiellen und immateriellen Schäden aus dem Vorfall vom 28.06.2010 zu erstatten, soweit diese nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind;
den Beklagten unter Aufhebung (richtig: Abänderung) des Urteils des Landgerichts Siegen – Aktenzeichen 8 O 68/12 vom 20.12.2012 – zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.023,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.07.2010 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Wege der Anschlussberufung beantragt der Beklagte,
das Urteil des Landgerichts Siegen vom 20.12.2012 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Der Beklagte macht im Rahmen der Anschlussberufung geltend, dass er eine Verletzung des Klägers nicht beabsichtigt habe, so dass wegen § 104 SGB VII ein Anspruch ausscheide. Im Übrigen sei auch eine Aufsplittung des Schmerzensgeldes nicht möglich.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat die Parteien nochmals angehört. Dazu wird auf den Berichterstattervermerk vom 01.10.2013 verwiesen.
II.
Die Berufung ist nur in einem geringen Umfang begründet.
Dem Kläger steht ein weitergehender Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 500 € gemäß §§ 823, 253 Abs. 2 BGB i.V.m. § 223 StGB zu; im weitergehenden Umfang scheitern die geltend gemachten Ansprüche an dem Haftungsausschluss der §§ 104, 105 SGB VII.
Es ist unstreitig, dass der Beklagte dem Kläger aus reiner Wut zwei Schläge ins Gesicht versetzt hat. Nach seinen eigenen Angaben vor dem Landgericht fühlte er sich vom Kläger provoziert, hat ihn in eine Ecke gedrängt und zweimal zugeschlagen, weil ihm „die Sicherungen durchgebrannt“ sind. Hintergrund war eine Auseinandersetzung zwischen dem Beklagten und einem weiteren Jungen, dem der Beklagte unterlegen war. Weil sich der Kläger darüber lustig gemacht hat, fühlte sich der Beklagte ohne Not provoziert. Eine vorsätzliche und rechtswidrige Körperverletzung lag mithin vor.
Dies reicht aber bei einem Schulunfall wegen der anzuwendenden Vorschriften der §§ 104,105 SGB VII (BGH VersR 1977, 129f, VersR 1978, 441f) nicht aus, um Ersatzansprüche zu begründen. Erforderlich ist vielmehr ein doppelter Vorsatz, der nicht nur die vorsätzliche Handlung, sondern auch die vorsätzlich herbeigeführte Schadensfolge erfordert (BGH VersR 2003, 595f).
Ebenso wie das Landgericht geht auch der Senat nicht davon aus, dass der Beklagte die hier tatsächlich eingetretene schwere Folge beabsichtigt oder dies auch nur annähernd für möglich gehalten hat. Wegen seiner übergroßen Wut ist der Senat aber durchaus davon überzeugt, dass er dem Kläger ernstlich wehtun wollte und dabei nicht nur das erheblich blaue Auge sondern auch die Gehirnerschütterung mindestens billigend in Kauf genommen hat. Wer nämlich mit solch einer heftigen Wucht auf den Kopf zuschlägt, wei ß auch mit 14 Jahren, dass dies nicht völlig ohne Folgen bleiben wird. Der Beklagte hat ja auch selbst eingeräumt, dass der Kläger sich in einer engen Ecke befand, so dass er keine Möglichkeit hatte, aus der Situation herauszukommen.
Aufgrund des noch sehr jungen Alters und des entsprechenden Bildungsstandes hat der Beklagte aber sicherlich nicht die tatsächlich eingetretene Folge auch nur annähernd vor Augen gehabt.
Der Senat hat auch keine Bedenken, für die vorsätzlich zugefügten Verletzungen in Form des blauen Auges und der Gehirnerschütterung ein Schmerzensgeldanspruch zuzusprechen; denn es handelt sich dabei nicht um eine unzulässige Aufspaltung eines Schmerzensgeldes, sondern um ein einheitliches Schmerzensgeld für eine bestimmte zurechenbare Folge einer Körperverletzung. Es wäre auch nicht einsichtig, warum der Kläger schlechter gestellt werden sollte als ein Opfer, das bei einer Auseinandersetzung tatsächlich nur diese leichteren Verletzungen erlitten hat und dementsprechend nicht durch den Haftungsausschluss in seinen Ansprüchen begrenzt wird.
Vor diesem Hintergrund hält der Senat ein Schmerzensgeld von 1.000 € für angemessen, aber auch ausreichend um den tatsächlich zurechenbaren Teil der Verletzungen zu entschädigen. Dabei ist nämlich auch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Beklagten um ein Kind handelt, das wirtschaftlich noch nicht auf eigenen Beinen steht und über kein eigenes Einkommen verfügt. Es kommt hinzu, dass eine gewisse Genugtuungsfunktion auch schon über die strafrechtliche Verurteilung eingetreten ist.
Aus den vorgenannten Ausführungen lässt sich entnehmen, dass der Feststellungsantrag unbegründet ist, weil er am Haftungsausschluss der §§ 104, 105 SGB VII scheitert.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.
Hinsichtlich der vorgerichtlichen Kosten ist schon fraglich, ob die Berufung überhaupt zulässig ist, weil in keiner Weise dargestellt wurde, aus welchen Gründen das landgerichtliche Urteil angegriffen wird. In jedem Fall ist es aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung unbegründet.
Die Anschlussberufung ist aus den bereits dargestellten Gründen unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Einer Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.