Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 04.01.2019 · IWW-Abrufnummer 206344

    Landgericht Frankfurt a. M.: Urteil vom 09.11.2018 – 2-23 O 390/17

    Eine in den Verbraucherinformationen enthaltene (falsche) Belehrung ist nicht deshalb unerheblich, weil sich im Policenbegleitschreiben eine zutreffende Frist findet. Ein Policenbegleitschreiben vermag die zeitlich gleichzeitig erteilte falsche Widerrufsbelehrung in den Verbraucherinformationen nicht zu korrigieren. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Verbraucher sich nur an einer Stelle der Vertragsunterlagen über sein Widerrufsrecht informiert.


    Landgericht Frankfurt am Main

    Urt. v. 09.11.2018


    Tenor:

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 47.933,44 nebst Zinsen aus € 33.208,55 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 2. Oktober 2016 zu zahlen.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten um die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von fünf Lebensversicherungsverträgen nach Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.

    Der Kläger beantragte am 30. November 2004 bei der Beklagten fünf identische Lebensversicherungsverträge, auf die Anträge Bl. 41-55 d. Akten, wird verwiesen. Auf dem Antragsformular findet sich unter Punkt 18 direkt über der Unterschriftenzeile folgende Widerrufsbelehrung:

    "Ich kann dem beantragten Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen nach Aushändigung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation in Textform widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."

    Die Beklagte policierte die fünf identischen Lebensversicherungsverträge auf den 1. Dezember 2004. Auf die von der Beklagten ausgestellten Versicherungsscheine wird verwiesen (Versicherungsschein Nr. ........(Bl. 31-32 d. Akten), Versicherungsschein Nr. .......(Bl. 33-34), Versicherungsschein Nr. .......(Bl. 35-36 d. Akten), Versicherungsschein Nr. ....... (Bl. 37-38 d. Akten), Versicherungsschein Nr. ....... (Bl. 39-40 d. Akten).

    Die Versicherungspolicen wurden dem Kläger mit fünf identischen Anschreiben vom 17. Dezember 2004 übersandt (Bl. 56-60 d. Akten, im Folgenden "Policenbegleitschreiben"). Hierin befindet sich folgende Widerrufsbelehrung auf Seite 2 des jeweiligen Anschreibens:

    "Sie können diesem Versicherungsvertrag innerhalb von 30 Tagen nach Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation widersprechen. Zur Wahrung dieser Frist genügt die rechtzeitige Absendung einer Widerspruchserklärung in Textform (schriftlich oder in anderer lesbarer Form). Selbstverständlich werden wir Ihnen in diesem Fall bereits gezahlte Beiträge zurückerstatten."

    Die dem Kläger zusammen mit dem Policenbegleitschreiben übersandten Verbraucherinformation (Anlage K13, Bl. 214ff. d. Akten) enthält auf S. 6 (Bl. 219 d. Akten) folgende Widerrufsbelehrung:

    "Durch unsere Annahme ihres Antrages kommt der Versicherungsvertrag zum Abschluss anschließen wenn sie innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Überlassung des Versicherungsscheins, der Verbraucherinformation unter Versicherungsbedingungen im Abschluss des Versicherungsvertrags widersprechen. Die Frist ist eingehalten, wenn sie die wieder Rufserklärung innerhalb der genannten Zeit absenden, auch wenn sie uns erst nach Ablauf der Frist zugehen sollte".

    Der Kläger zahlte zwischen dem 1. Dezember 2004 und dem 31. Januar 2016 auf jeden Vertrag monatlich zunächst (in den ersten vier Jahren) € 46,67 und später € 93,34. Ab dem 1. Februar 2016 wurden die Verträge beitragsfrei gestellt. Die Prämienzahlungen des Klägers betrugen je Vertrag € 7.143,86 und insgesamt € 35.719,30. Auf die jeweiligen Verträge entfielen Risikokosten von € 502,15, insgesamt auf alle Verträge Risikokosten von € 2.510,75 (Bl. 104 d. Akten).

    Mit Schreiben vom 29. Juni 2016 widersprach der Kläger den Versicherungsverträgen (K4, Bl. 61 d. Akten).

    Der Kläger holte zum Vertrag Nr. 24128796 ein Versicherungsmathematisches Gutachten .......ein (Bl. 66-72, 74-75 d. Akten). Hiernach sind Abschlusskosten von € 1.951,42 und Verwaltungskosten von € 2.480,55 auf den vorliegenden Vertrag anzurechnen. Auf die Rechnung S. 5 d. Gutachtens wird verwiesen (Bl. 68 d. Akten).

    Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 4. Juli 2016 die "Anerkennung" des Widerspruchs ab (K5, Bl. 62 d. Akten). Mit Schreiben anwaltlichen Schreiben vom 16. November 2016 erklärte der Kläger erneut den Widerspruch zum Vertrag (K6, Bl. 63 ff. d. Akten) und forderte die Beklagte auf, € 9.310,82 je Vertrag zu zahlen.

    Der Kläger behauptet, die Beklagte habe in den vergangenen Jahren Nutzungen in Höhe von € 2.669,11 pro Vertrag gezogen. Seine Annahmen beruhten auf den Kennzahlen aus den Geschäftsberichten der Beklagten. Hinsichtlich der insofern vom Kläger vorgetragenen anwendbaren Nutzungszinsen wird auf Bl. 148f. d. Akten verwiesen.

    Der Kläger beantragt zuletzt,

    I.

    die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 46.554,10 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. aus einem Betrag in Höhe von € 35.719,30 seit dem 2.10.2016 zu bezahlen;

    II.

    die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klagepartei außergerichtliche Kosten in Höhe von € 2.099,75 zu bezahlen und die Klagepartei hinsichtlich der weiteren Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten in Höhe von € 415,20 freizustellen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte ist der Auffassung, ein mögliches Widerspruchsrecht des Klägers sei jedenfalls verwirkt bzw. dessen Ausübung rechtsmissbräuchlich.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

    Gründe

    Die Klage ist zulässig. Der Kläger konnte gemäß §§ 264 Nr. 2, 263 ZPO den Klageantrag zu 2 umstellen. Das angerufen Gericht ist auch örtlich zuständig (§§ 12, 17 ZPO). Bei § 215 VVG, der eine Klage am Wohnsitz des Klägers ermöglicht hätte, handelt es sich nicht um einen ausschließlichen Gerichtsstand.

    Die Klage ist auch im Wesentlichen begründet. Der Kläger kann von der Beklagten nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB wegen ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlung der an die Beklagte gezahlten Versicherungsprämien verlangen, weil er diese ohne Rechtsgrund geleistet hat. Die streitgegenständlichen Versicherungsverträge stellen keinen Rechtsgrund zum Behalten der von dem Kläger gezahlten Versicherungsprämien dar.

    Der Kläger konnte den Versicherungsverträgen aus dem Jahr 2004 noch im Jahr 2016 widersprechen. Die zwischen den Parteien geschlossenen Lebensversicherungsverträge sind durch den vom Kläger mit Schreiben vom 29. Juni 2016 erklärten Widerspruch unwirksam geworden.

    Die Beklagte hat den Kläger nicht richtig über sein Widerrufsrecht aus § 5a VVG a. F. belehrt. Dies ergibt sich aus der Gesamtschau der von der Beklagten erteilten drei unterschiedlichen Widerrufsbelehrungen.

    Indes beruht die hiesige Entscheidung nicht darauf, dass die Widerrufsbelehrung im Antragsformular der Beklagten (unterzeichnet am 30. November 2004) nur auf eine Widerrufsfrist von 14 Tagen hinwies, obwohl spätere im Anschreiben auf eine 30-Tage-Frist hingewiesen wurde. Es ist für die Bewertung der Widerrufserklärung im Antragsformular zu berücksichtigen, dass das Antragsformular den gesetzlichen Vorgaben an die Dauer der Widerrufsfrist im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Antragsformulars entsprach. Im November 2004 galt noch § 5a VVG in der Fassung vom 13.7.2001 (im Folgenden § 5a VVG (2001). § 5a VVG (2001) sah eine Widerspruchsfrist von vierzehn Tagen nach Überlassung der erforderlichen Unterlagen in Textform vor.

    Insofern ist auch nicht zu beanstanden, dass dem Kläger im Policenbegleitschreiben vom 17. Dezember 2004 - nur gut 2 Wochen nach Unterzeichnung der Antragsunterlagen - eine abweichende Widerrufsfrist von 30 Tagen mitgeteilt wurde. Auch dies entsprach der Rechtlage im Zeitpunkt der Übersendung des Schreibens vom 17. Dezember 2004. § 5a VVG in der Fassung vom 2. Dezember 2004 (im Folgenden § 5a VVG (2004)) sah eine Widerspruchsfrist von 30 Tagen nach Überlassung der erforderlichen Unterlagen in Textform vor und mit der Gesetzesänderung zum 8. Dezember 2004 war § 5a VVG (2004) auf den vorliegenden Vertrag anzuwenden. Nach Artikel 9 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 2. Dezember 2004, mit dem § 5a VVG (2001) geändert wurde, trat die Neufassung von § 5a VVG a. F. einen Tag nach Verkündung des Gesetzes (Verkündet: 7. Dezember 2004) in Kraft.

    Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte aufgrund der vorab erteilten Widerrufsbelehrung im Antragsformular, welche von der Belehrung im Policenbegleitschreiben abwich und überholt wurde, verpflichtet gewesen wäre, auf die Änderung der Rechtslage ausdrücklich hinzuweisen, um eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Widerrufsbelehrung abzugeben. Hierauf kommt es nicht an. Die Beklagte hat dem Kläger zeitgleich mit der Belehrung im Policenbegleitschreiben in den Verbraucherinformationen eine Widerrufsbelehrung erteilt, die den gesetzlichen Vorgaben im Zeitpunkt der Übersendung (17. Dezember 2004) nicht (mehr) entsprach. Hierin wird auf ein 14-tägiges Widerrufsrecht verwiesen, wobei nach § 5a VVG (2004) bereits eine 30-tägige Frist galt.

    Die in den Verbraucherinformationen enthaltene (falsche) Belehrung war auch nicht deshalb unerheblich, weil sich im Policenbegleitschreiben eine zutreffende Frist findet. Das Policenbegleitschreiben vermag die falsche Belehrung in den Verbraucherinformationen nicht zu korrigieren (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2017 - IV ZR 176/15 -, juris). Insofern ist die von der Beklagtenseite vorgelegte Entscheidung des OLG Frankfurt v. 18. März 2015 (Az. 7 U 79/14) auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil hier anders in der eben zitierten Entscheidung die verschiedenen Widerrufsbelehrungen durchaus Verwirrung stiften können. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Verbraucher sich nur an einer Stellte der Vertragsunterlagen über sein Widerrufsrecht informiert. Danach hinge es vom Zufall ab, ob der Versicherungsnehmer den Lauf seines Widerrufsrechtes richtig oder falsch (also zu kurz) zur Kenntnis genommen hat. Im Übrigen korrigierte das Policenbegleitschreiben vom 17. Dezember weder ausdrücklich noch konkludent die falsche Widerrufsbelehrung, welche in den Verbraucherinformationen enthalten war und zeitgleich erteilt wurde. Beide Widerrufsbelehrungen (Policenbegleitschreiben und Verbraucherinformationen) gingen dem Kläger ausweislich des Policenbegleitschreibens gleichzeitig zu. Darauf, dass eine der Widerrufsbelehrungen in Fettdruck gehalten war oder nicht, kommt es nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht an (ähnlich BGH, Urteil vom 21. Juni 2017 - IV ZR 176/15 -, juris; a. A. wohl BGH, Urteil vom 16. Dezember 2015 - IV ZR 71/14 -, juris; BGH, Beschluss vom 30. Juli 2015 - IV ZR 63/13 -, juris). Insbesondere aufgrund der zusammenfassenden und übersichtlichen Natur der Verbraucherinformationen (in der Form eines "Nachschlagewerks" zum Versicherungsvertrag) ist wahrscheinlich, dass der Verbraucher sich hieran orientiert, ohne das Policenbegleitschreiben ebenfalls oder ergänzend zur Kenntnis zu nehmen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine der beiden Widerrufsbelehrungen deshalb mehr Gewicht hat, weil sie in Fettdruck gehalten ist. Dafür müssten beide Belehrungen überhaupt im sehr engen zeitlichen Zusammenhang vom Verbraucher zur Kenntnis genommen werden. Dass beide Widerrufsbelehrungen nebeneinander gelegt oder in engem zeitlichem Abstand gelesen werden, ist aber nicht zwingend.

    Dass der Kläger seinen Widerruf auch nicht innerhalb der 30-tägigen-Frist erklärt hat ist im Übrigen nicht entscheidungserheblich (unklar insofern BGH, Urteil vom 16. Dezember 2015 - IV ZR 71/14 -, juris). Eine Kausalität des Fehlers für die (Nicht-)Ausübung des Widerrufsrechts ist kein Kriterium für die Wirksamkeit einer Widerrufsbelehrung, die allein an § 5a VVG in der jeweiligen Fassung zu messen ist.

    Der von dem Kläger im Jahr 2016 erklärte Widerspruch war auch nicht verfristet gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F (2001 und 2004). Das Widerspruchsrecht bestand nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. ist richtlinienkonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung nicht anwendbar ist (BGH, Urteil vom 07.09.2016 - IV ZR 174/14, BeckRS 2016, 16642, Rn. 13 f., Urteil vom 27.1.2016 - IV ZR 488/14, NJOZ 2016, 571, Rn. 13 f., Urteil vom 07. Mai 2014 - IV ZR 76/11 -, BGHZ 201, 101ff.).

    Wegen der Unwirksamkeit des Versicherungsvertrages ist die Beklagte dem Kläger nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB und unter Berücksichtigung der Saldotheorie zur Zahlung von € 46.554,10 verpflichtet.

    Ausgangspunkt der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung sind die vom Kläger geleisteten Prämien in Höhe von € 35.719,30.

    Von diesem Betrag sind € 2.510,75 für den vom Kläger während des Schwebezustands erlangten (faktischen) Versicherungsschutz aus der Lebensversicherung abzuziehen. Der Kläger muss sich im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung als Vermögensvorteil den von ihm genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 07. Mai 2014 - IV ZR 76/11 -, BGHZ 201, 101ff.) und der Risikoanteil für den streitgegenständlichen Vertrag beträgt pro Vertrag € 502,15.

    Einen darüber hinausgehenden Abschlag von den gezahlten Prämien muss der Kläger nicht gegen sich gelten lassen. Abschluss- und Verwaltungskosten sind - wie höchstrichterlich hinreichend geklärt ist - nicht im Rahmen der gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB vorzunehmenden Saldierung anzusetzen. Das Entreicherungsrisiko ist insoweit nach den maßgeblichen Wertungsgesichtspunkten der Beklagten zugewiesen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14 -, juris). Die Beklagte hat durch ein ihr zurechenbares Fehlverhalten - die nicht ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung - wesentlich dazu beigetragen, dass der Vertrag schwebend unwirksam blieb und letztlich nicht wirksam werden konnte (vgl. OLG Frankfurt, Urteil v. 11. Juni 2015, Az. 3 U 1/12).

    Der Kläger kann aber über die Rückzahlung der Prämien hinaus noch Wertersatz hinsichtlich der gezogenen Nutzungen gemäß § 818 Abs. 1 und 2 BGB in Höhe von insgesamt € 13.250 verlangen.

    Hierzu gilt Folgendes:

    Grundsätzlich steht dem Kläger ein Anspruch auf Rückzahlung der von der Beklagten tatsächlich gezogenen Nutzungen zu. Die Kondiktionsansprüche des Versicherungsnehmers umfassen nicht nur die - nach Abzug des Wertersatzes für den genossenen Versicherungsschutz verbleibenden - Versicherungsprämien, sondern gemäß §§ 818 Abs. 1 Alt. 1, 100 BGB auch die durch die Versicherung hieraus gezogenen Nutzungen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14 -, juris).

    Bezüglich der von der Beklagten gezogenen Nutzungen trifft den Kläger die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 -, juris; BGH, Urteil vom 26. September 2018 - IV ZR 304/15 -, juris). Bei der Schätzung der Höhe der Nutzungen kann das Gericht nicht eine durchschnittliche Nettoverzinsung von ähnlichen Kapitalanlagen zugrunde legen; es kann nicht vermutet werden, dass der Versicherer Nutzungszinsen in bestimmter Höhe erzielt hat (BGH, Urteil vom 26. September 2018 - IV ZR 304/15 -, juris). Der insoweit darlegungsbelastete Versicherungsnehmer kann sich nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe berufen (v BGH, Urteil vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14 -, juris; BGH, Urteil vom 26. September 2018 - IV ZR 304/15 -, juris).

    Das Gericht konnte die von der Beklagten gezogenen Nutzungen gemäß § 287 ZPO auf € 2.650 pro Vertrag schätzen (gerundet), wobei für die Bestimmung des Herausgabeanspruchs auf Nutzungen hinsichtlich Sparbeiträge, Abschluss-, Risiko- und Verwaltungskosten zu differenzieren ist.

    Der Kläger hat durch Vorlage eines versicherungsmathematischen Gutachtens für den hier streitgegenständlichen Vertrag ........ hinreichend dargetan, dass die Beklagte auf den Sparbeitrag - also die Summe, die der Beklagten zur Nutzungsziehung nach Abzug der Abschluss- und Verwaltungskosten tatsächlich zur Verfügung stand - Nutzungen von in etwa € 1.305,68 pro Vertrag gezogen hat. Der Kläger hat hinreichend dargelegt, dass diese auf die Sparbeiträge entfallenden Nutzungen auf der konkreten Ertragslage der Beklagten beruhen. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Vertragszeitraum jährliche schwankende Ertragszinsen zwischen -0,167 % (2008) bis zu maximal 0,893 % (2014) geltend gemacht und dargetan, dass dem Aktuar, der für den Kläger das hier vorgelegte versicherungsmathematische Gutachten erstellt hat, die konkrete Ertragslage der Beklagten aus anderen Gerichtsverfahren und aufgrund von Geschäftsberichten der Beklagten bekannt war. Diese Werte sind angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Lage in den streitrelevanten Jahren auch plausibel. Insofern hat der Kläger für das Jahr 2008 sogar einen negatives Zinsergebnis gegen sich geltend lassen. Diesen konkreten Vortrag zur Ertragslage der Beklagten hat die Beklagte nicht ausreichend erschüttert. Angesichts des konkreten Vortrags des Klägers genügte es nicht, dass die Beklagte die von ihr gezogenen Nutzungen bestreitet und vorträgt, die Beklagte veröffentliche keine Geschäftsberichte. Wegen des auf die Beklage zugeschnittenen Vortrags hätte es auf Beklagtenseite greifbaren weiteren Vortrags bedurft, warum die vom Kläger angegebene Schätzgrundlage falsch ist, beispielsweise durch Bezifferung der nach Auffassung der Beklagten tatsächlich gezogenen Nutzungen.

    Richtigerweise hat der Kläger auch auf die auf Abschlusskosten, die er zugunsten der Beklagten in von dieser nicht angegriffener Höhe ansetzt, und die unstreitigen Risikokosten keine Nutzungen geltend gemacht. Bezüglich des auf die Abschluss- und Risikokosten entfallenden Prämienanteils ist eine Verpflichtung des Versicherers zur Herausgabe von Nutzungen nicht gegeben. Der auf diese Positionen entfallende Prämienanteil bleibt für Nutzungsersatzansprüche außer Betracht. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Versicherer diesen Prämienanteil nicht zur Kapitalanlage nutzen konnte (BGH, Urteil vom 17. Mai 2017 - IV ZR 403/15 -, juris).

    Aufgrund der oben zu den Nutzungen auf Abschlusskosten gemachten Ausführungen kann der Kläger aber auch Nutzungen auf Verwaltungskosten in Höhe von € 1.350,00 verlangen.

    Dass Verwaltungskosten im Rahmen des Vertrages zu berücksichtigen sind, ist zwischen den Parteien nicht streitig und die vom Kläger angesetzten Verwaltungskosten wurden von der Beklagten nicht ausreichend angegriffen.

    Der Kläger hat darüber hinaus auch seiner Darlegungslast hinsichtlich der Nutzungsziehung auf Verwaltungskosten in konkreter Höhe genügt.

    Nutzungen aus dem Verwaltungskostenanteil der Prämie sind zu erstatten sein, wenn der Versicherer dadurch, dass er diesen Prämienanteil zur Bestreitung von Verwaltungskosten aufgewandt hat, den Einsatz sonstiger Fremdmittel erspart (BGH, Urteil vom 29.7.2015 - BGH Aktenzeichen IVZR44814 IV ZR 448/14; OLG Dresden Urt. v. 28.3.2017 - 4 U 1624/16, BeckRS 2017, 106459). Dass dies hier - ausnahmsweise - nicht der Fall ist, hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht geltend gemacht. Die Berechnung des Klägers ist insofern auch schlüssig (s.o.).

    Die Sache konnte auch durch Endurteil entscheiden werden. Das Gericht musste die Parteien insbesondere nicht auf seine Rechtsauffassung zur Bestimmung der gezogenen Nutzungen vorab hinweisen. Zum einen haben die Parteien diesbezüglich nicht im Sinne von § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO einen für die Entscheidung relevanten Gesichtspunkt übersehen oder für unerheblich gehalten. Sie haben sich schriftsätzlich umfassend zur Bemessung der gezogenen Nutzungen und der hierzu relevanten Rechtsprechung ausgetauscht. Zum anderen betreffen Nutzungen nur eine Nebenforderung im Sinne von §§ 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO, 4 ZPO, 100 BGB, für die eine Hinweispflicht aus § 139 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht bestehend würde.

    Der Einwand der Beklagten, das Widerspruchsrecht sei verwirkt, andernfalls dessen Ausübung rechtsmissbräuchlich, steht der Durchsetzung der Ansprüche nicht entgegen. Der Kläger verstößt nicht mit seiner Berufung auf sein Widerspruchsrecht gegen Treu und Glauben. Die Beklagte konnte kein schutzwürdiges Vertrauen auf das Ausbleiben des Widerspruchs für sich in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst dadurch herbeigeführt hat, dass sie dem Kläger keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (vgl. BGH, Urteil vom 07. Mai 2014 - IV ZR 76/11 - juris; OLG Frankfurt, Urteil v. 11. Juni 2015, Az. 3 U 1/12). Die vom Kläger am 1. Februar 2016 beantragte Beitragsfreistellung des Versicherungsvertrags steht dem späteren Widerspruch auch nicht entgegen. Hierdurch hat der Kläger keinen Vertrauenstatbestand bei der Beklagten erweckt, der schutzwürdig wäre. (vgl. BGH, Urteil vom 07. Mai 2014 - IV ZR 76/11 - juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09. Juni 2015 - 12 U 106/13, 12 U 106/13 (14) -, juris).

    Indes kann der Kläger die von ihm geltend gemachten Rechtsanwaltskosten nicht in voller Höhe verlangen. Sein insofern nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 249ff. BGB geltend gemachter Schadenersatzanspruch ist nur in Höhe von 1.474,89 begründet. Der Kläger kann vorgerichtliche Anwaltskosten nur in Höhe einer 1,3-Gebühr aus einem Gegenstandswert von € 33.208,55 inkl. Portokosten und Umsatzsteuer verlangen (§ 13 RVG Wertgebühr von € 1.219,40; plus Post- und Telekommunikationspauschale von € 20 plus Umsatzsteuer von 19%, insgesamt € 1.474,89).

    Grundsätzlich schuldet die Beklagte aufgrund Verzugs dem Kläger Schadensersatz, wegen der dem Kläger in diesem Zusammenhang entstandener Rechtsverfolgungskosten. Die Beklagte befand sich zum beantragten Zeitpunkt und im Zeitpunkt des Tätigwerdens des Klägervertreters in Verzug gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 4. Juli 2016 die "Anerkennung" des Widerspruchs und damit auch die Begleichung der hier streitgegenständlichen Forderungen ab.

    Von den von der Beklagten nach §§ 249ff. BGB zu erstattenden notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung wird aber nicht der volle vom Kläger geltend gemachte Betrag erfasst. Anwaltskosten aus Forderungen, die nach dem Urteil nicht begründet waren, müssen nicht von der Beklagten erstattet werden. Nach § 249 Abs. 1 u. 2 BGB sind nur diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten in Form vorprozessualer Anwaltskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (OLG München, Urt. v. 23.05.2014 - 10 U 5007/13 Rn. 5, juris).

    Dabei sind hier die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren nur aus einem Gegenstandswert aus von bis zu € 35.000 gerechtfertigt. Für die Bestimmung des vorgerichtlichen Gegenstandswerts sind nur die (berechtigten) Hauptforderungsbeträge maßgeblich (vgl. BeckOK RVG/Hofmann, 41. Ed. 1.9.2018, RVG VV 3305 Rn. 31, 32) (hier: € 33.208,55 wegen Rückerstattung der Sparbeiträge). Die Nutzungen bleiben bei der Bestimmung des Gegenstandswertes unberücksichtigt.

    Ersatzfähig ist hier im Übrigen lediglich eine 1,3-Gebühr nach RVG VV 2300 Anl. 2 und nicht die geltend gemachte 1,8-Gebühr. Der vorgetragene Lebenssachverhalts rechtfertigt nicht die Einschätzung, dass es sich hier um einen umfangreichen oder schwierigen Sachverhalt handelt. Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war (BGH, Urt. v. 05.02.2013 - VI ZR 195/12 Rn. 7, juris; LG Dortmund, Urteil vom 22. August 2017 - 1 S 388/16 -, juris; BeckOK RVG/Hofmann, 41. Ed. 1.9.2018, RVG VV 2300 Rn. 5, 6). Dies ist hier gerade nicht der Fall. Es handelt sich vielmehr um höchstrichterlich mehrfach und detailliert geklärte Rechtsprobleme beim Widerruf nach § 5a VVG a. F und der Umfang der Sache war angesichts dessen, dass hier fünf gleichlautende Verträge Gegentand der vorgerichtlichen Tätigkeit waren ebenfalls nicht in besonderen Maße "umfangreich".

    Die Beklagte war im Hinblick auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auch zur Zahlung der € 1.474,89 zu verurteilen. Der Klageantrag zu 2 des Klägers war dahingehend auszulegen, dass im Zweifel Zahlung des gesamten erstattungsfähigen Betrags (und nicht etwa partielle Freistellung) begehrt wird.

    Die Zinsen rechtfertigen sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 BGB. Zum beantragten Zeitpunkt befand die Beklagte sich mit der Hauptforderung in Verzug (s.o.). Zinsen auf die Risikokosten konnten mangels Ersattungsfähigkeit indes nicht verlangt werden.

    Die Kostentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Zwar ist sind die Nebenforderungen (Nutzungen, vorgerichtliche Anwaltskosten) trotz der Vorschrift über die Streitwertbestimmung in §§ 4 ZPO, 43 GKG bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen, weil bei der Kostenentscheidung zwischen Haupt- und Nebenforderungen nicht zu unterscheiden ist (vgl. BGH, NJW 1988, 2173). Allerdings war die Zuvielforderung verhältnismäßig geringfügig im Sinne von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Klagabweisung betraf nur einen verhältnismäßig geringfügigen Teil der vorgerichtlichen Anwaltskoten und der Zinsen.

    Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

    RechtsgebietVVG a.F. Vorschriften§ 5a VVG a. F.