14.05.2019 · IWW-Abrufnummer 208825
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 29.08.2018 – 20 U 52/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Hamm
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 27. Februar 2018 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
G r ü n d e
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I.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
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Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung von Krankentagegeld in Höhe von täglich 75,- € für den Zeitraum vom 21.10.2014 bis einschließlich zum 19.01.2015, insgesamt also 6.825,- € nebst Zinsen, verurteilt.
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1.
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Dem Kläger steht der Anspruch auf Zahlung weiteren Krankentagegeldes für den genannten Zeitraum aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag zu.
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a)
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Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass ursprünglich ein Versicherungsvertrag wirksam zustande gekommen ist.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Versicherungsverhältnis nicht gemäß § 15 Abs. 1 lit. a) der dem Vertrag zugrunde liegenden MB/KT 2009 beendet worden. Danach endet das Versicherungsverhältnis zum Ende des Monats, in dem eine Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit wegfällt. Dies kann unter anderem dann der Fall sein, wenn der Versicherungsnehmer zu einer Tätigkeit wechselt, die nach dem bisherigen Tarif nicht versicherbar ist (Prölss/Martin-Voit, VVG, 30. Aufl. 2018, § 15 MB/KT Rn. 10).
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Vorliegend hat die Beklagte zwar unwidersprochen vorgetragen, dass eine Tätigkeit als Automatenaufsteller bei ihr nicht versicherbar ist. Dennoch wechselte der Kläger nicht im vorstehenden Sinne zu einer nicht versicherbaren Tätigkeit. Denn seine Tätigkeit als Automatenaufsteller trat vielmehr, wie die Beweisaufnahme durch Anhörung des Klägers und durch Vernehmung des Zeugen M zur Überzeugung des Senats ergeben hat, lediglich neben die nach dem Versicherungsvertrag versicherte Tätigkeit des Klägers als Gastronom. Dieser Fall ist jedenfalls dann nicht von § 15 Abs. 1 lit. a) MB/KT 2009 erfasst, wenn die neu hinzutretende Tätigkeit nicht einmal den Schwerpunkt bildet, sondern – wie hier – allenfalls gleichberechtigt neben der bereits bestehenden Tätigkeit ausgeübt wird. Dass seine Tätigkeit als Gastronom weiterhin die Hälfte seiner beruflichen Tätigkeit ausmachte, hat der Kläger bei seiner Anhörung für den Senat glaubhaft erläutert.
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b)
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Der Versicherungsfall ist eingetreten.
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Diesen regeln die dem Vertrag zugrunde liegenden MB/KT 2009 in § 1 Abs. 2 und 3 wie folgt:
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„(2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen. […]
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(3) Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht.“
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Der Kläger hat den ihm obliegenden Beweis erbracht, dass diese Voraussetzungen über den 20.10.2014 hinaus erfüllt waren.
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aa)
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Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Versicherungsfall im September 2009 im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 2 MB/KT 2009 begann, weil wegen einer Burn-Out- und Depressionserkrankung eine medizinisch notwendige Heilbehandlung des Klägers erfolgte und in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wurde.
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bb)
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Die Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestand im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 3 MB/KT 2009 über den 20.10.2014 hinaus jedenfalls bis einschließlich zum 19.01.2015 fort.
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Der Kläger hat bewiesen, dass er auch in diesem Zeitraum bedingungsgemäß arbeitsunfähig war, nämlich seine berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben konnte und auch nicht ausübte (§ 1 Abs. 3 MB/KT 2009).
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Dabei kann der Senat offen lassen, ob Anknüpfungspunkt für diese Beurteilung ausschließlich der im Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages ausgeübte Beruf des Klägers als Gastronom oder das zuletzt ausgeübte Nebeneinander der Tätigkeiten als Gastronom und Automatenaufsteller ist.
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(1)
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Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger zunächst selbstständig als Gastronom tätig war und in dieser Zeit sämtliche damit verbundenen Verrichtungen wie die Erledigung der Einkäufe, die Bedienung der Gäste, die Reinigung der Räumlichkeiten, den Kassenabschluss und die allgemeine Buchführung erledigte. Ebenso ist der Senat überzeugt, dass die Tätigkeit des Klägers im weiteren Verlauf in einem Nebeneinander dieser Gastronomietätigkeit und einer Tätigkeit als Automatenaufsteller bestand, wobei zu letzterem insbesondere die Wartung und Reparatur sowohl eigener als auch fremder Geräte gehörte.
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Der Kläger hat beide Tätigkeiten detailliert und lebensnah beschrieben. Seine Angaben wurden durch den Zeugen M jedenfalls in den zentralen Punkten bestätigt. Dass der Zeuge, der im fraglichen Zeitraum nur eine untergeordnete Tätigkeit in der Gastwirtschaft ausübte, nicht zu allen Einzelheiten der Tätigkeiten des Klägers Angaben machen konnte, lag in der Natur der Sache, schon weil er deutlich kürzere Arbeitszeiten hatte als der Kläger. Der Umstand, dass der Zeuge zu einigen Details offen angegeben hat, hierzu nichts sagen zu können, bestätigte aus Sicht des Senats aber nur die Glaubhaftigkeit seiner Aussage im Übrigen. Auch wenn es sich bei dem Zeugen um den Bruder des Klägers handelt, hat der Senat keinerlei Bedenken gegen seine Glaubwürdigkeit, da einseitige Be- oder Entlastungstendenzen nicht erkennbar waren. Da mithin die Angaben des Klägers in den zentralen Punkten vom Zeugen bestätigt wurden, hatte der Senat keine Bedenken, seine Schilderung auch bezüglich derjenigen Einzelheiten als glaubhaft anzusehen, hinsichtlich derer der Zeuge keine Angaben machen konnte.
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(2)
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Unabhängig davon, ob auf die Tätigkeit ausschließlich als Gastronom oder auf das Nebeneinander von Gastronomie und Automatenaufsteller abzustellen ist, war der Kläger im Zeitraum vom 21.10.2014 bis zum 19.01.2015 vollständig außer Stande, seine berufliche Tätigkeit auszuüben.
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Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S sowie aus seiner mündlichen Anhörung im Senatstermin am 29.08.2018.
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Der Sachverständige hat für den Senat überzeugend ausgeführt, dass die Angaben des Klägers für ihn aus medizinischer Sicht insgesamt stimmig seien und sich daraus – auch wenn die Bewertung im Nachhinein schwierig sei – insgesamt doch das Bild einer zumindest mittelgradigen Depression ergebe. Er hat dies nachvollziehbar mit den Steigerungen bei den Therapieversuchen des Arztes Dr. T begründet. Gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen ist der Senat auch überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankung im streitgegenständlichen Zeitraum völlig außerstande war, seine berufliche Tätigkeit weiter auszuüben. Auf die Frage, ob der Kläger nicht trotz seiner Symptome etwa für ein bis zwei Stunden buchhalterische Tätigkeiten hätte ausüben können, hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass er dem Kläger als behandelnder Arzt im Interesse eines möglichst schnellen Therapieerfolges jegliche Berufstätigkeit untersagt hätte. Damit steht für den Senat fest, dass der Kläger eine auch nur stundenweise Tätigkeit nur unter Raubbau an seiner Gesundheit hätte erbringen können, was ihm aber nicht zumutbar war.
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c)
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Auf eine Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers gemäß § 9 Abs. 5, Abs. 10 S. 1 MB/KT 2009 in Verbindung mit § 28 Abs. 2, 3 VVG kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen.
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Denn eine Obliegenheitsverletzung liegt wohl schon tatbestandlich nicht vor. Zwar sieht § 9 Abs. 5 MB/KT 2009 vor, dass "jeder Berufswechsel der versicherten Person [...] unverzüglich anzuzeigen [ist]". Im Streitfall traf den Kläger eine solche Pflicht aber wohl nicht, da er nicht im Sinne von § 9 Abs. 5 MB/KT 2009 den Beruf gewechselt hat.
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Denn es spricht viel für die Auffassung, wonach von einem „Berufswechsel“ dem Wortlaut nach nicht gesprochen werden kann, wenn der Versicherungsnehmer neben dem fortbestehenden ursprünglichen beruflichen Einsatz lediglich zusätzlich eine weitere Tätigkeit aufnimmt (OLG Saarbrücken, Urteil vom 31.05.2006 – 5 U 267/04, VersR 2007, 52, juris Rn. 32; zustimmend Prölss/Martin-Voit, VVG, 32. Aufl. 2018, § 9 MB/KT 2009 Rn. 15 a.E.).
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Jedenfalls aber hat der Kläger die Obliegenheit nach Auffassung des Senats nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich verletzt.
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2.
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Der vom Landgericht zugesprochene Zinsanspruch ergibt sich aus § 280 Abs. 1, Abs. 2, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 288 Abs. 1 BGB.
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3.
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Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte schließlich auch zur Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 729,23 € verurteilt. Der entsprechende Anspruch des Klägers folgt aus § 280 Abs. 1, Abs. 2, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 249 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass er seine Prozessbevollmächtigten erst nach Erhalt des Schreibens beauftragte, mit dem die Beklagte ihre Leistungspflicht ablehnte.
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4.
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Soweit das Landgericht die Klage wegen eines Betrages von 150,- € - nämlich des auf den 22. und 23.01.2015 entfallenden Krankentagegeldes – abgewiesen hat, stand dies mangels einer Anschlussberufung des Klägers in der Berufungsinstanz nicht mehr im Streit.
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II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.
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III.
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Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).