Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 10.06.2020 · IWW-Abrufnummer 216144

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 24.02.2020 – 9 W 55/19

    1. Im selbständigen Beweisverfahren richtet sich der Gegenstandswert nach dem voraussichtlichen Streitwert der Klage in einem späteren Hauptsacheprozess.

    2. Soll ein Sachverständiger Gebäudeschäden und deren Ursachen klären, sind die im Gutachten angegebenen Sanierungskosten für den Streitwert maßgeblich. Auf die Frage, wie hoch der Antragsteller selbst in seinem Antrag den Streitwert angegeben hat, kommt es in der Regel nicht an, wenn die im Gutachten ermittelten Mangelbeseitigungskosten von der Schätzung des Antragstellers abweichen.

    3. Enthält das Gutachten eine Schätzung der Sanierungskosten, sind diese für den Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens auch dann maßgeblich, wenn der Sachverständige bei der Frage nach der Ursache eines Gebäudeschadens keine Gründe für eine Verantwortlichkeit des Antragsgegners festgestellt hat.


    Oberlandesgericht Karlsruhe

    Beschluss vom 24.02.2020

    Az.: 9 W 55/19

    In Sachen
    - Antragstellerin und Beschwerdegegnerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    gegen
    - Antragsgegnerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    - Beschwerdeführer -

    wegen selbstständigen Beweisverfahrens
    hier: Beschwerde

    hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 9. Zivilsenat - durch den Richter am Oberlandesgericht xxx als Einzelrichter am 24.02.2020 beschlossen:

    Tenor:

    Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin wird der Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht Konstanz - N 4 OH 11/18 - in Abänderung der Entscheidung des Landgerichts vom 26.09.2019 auf 43.058,05 € festgesetzt.

    Gründe

    I.

    Die Antragstellerin beauftragte die Antragsgegnerin im Jahr 2012 mit der Erstellung eines Gartenhauses in Holzbauweise. Im Jahr 2017 stellte die Antragstellerin erhebliche Feuchtigkeitsschäden an dem von der Antragsgegnerin errichteten Gebäude fest. Sie war der Auffassung, die Feuchtigkeitsschäden seien durch Mängel der Leistungen der Antragsgegnerin verursacht worden.

    Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29.05.2018 hat die Antragstellerin beim Landgericht Konstanz die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens beantragt. Durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sollten Mängel und Schäden des Gartenhauses geklärt werden. Außerdem sollte der Sachverständige Stellung nehmen zu der Frage, inwieweit die festgestellten Schäden auf mangelhaften Leistungen der Antragsgegnerin beruhten. Schließlich sollte der Sachverständige auch die Kosten einer Sanierung beziffern. In der Antragsschrift hat die Antragstellerin darauf hingewiesen, die Antragsgegnerin habe vorgerichtlich ein Angebot zur Beseitigung von Feuchtigkeitsschäden erstellt, indem sie selbst die Kosten für die Beseitigung mit 23.894,01 € brutto beziffert habe. Unter Berücksichtigung dieser Mangelbeseitigungskosten sei unzweifelhaft die Zuständigkeit des Landgerichts gegeben.

    Am 27.06.2019 hat der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) P. L. ein schriftliches Gutachten erstellt. Das Gutachten ist zu dem Ergebnis gekommen, dass an dem streitgegenständlichen Gebäude erhebliche Feuchtigkeitsschäden vorhanden seien. Ursächlich für diese Feuchtigkeitsschäden seien allerdings nicht mangelhafte Leistungen der Antragsgegnerin. Die Leistungen der Antragsgegnerin seien vielmehr mangelfrei. Ursächlich für die Feuchtigkeitsschäden sei allein ein Wasserschaden im Januar 2017, den die Antragsgegnerin nicht zu vertreten habe. Die Kosten zur Sanierung dieses Wasserschadens hat der Sachverständige auf 43.058,05 € beziffert.

    Mit Beschluss vom 26.09.2019 hat das Landgericht den Streitwert für das selbstständige Beweisverfahren auf 23.894,01 € festgesetzt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin. Sie sind der Auffassung, der Streitwert sei - entsprechend der Kostenschätzung im Sachverständigengutachten - auf 43.058,05 € festzusetzen.

    Das Landgericht hat mit Beschluss vom 09.12.2019 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - zur Entscheidung vorgelegt. Maßgeblich für die Wertfestsetzung im selbstständigen Beweisverfahren sei die Kostenschätzung der Antragstellerin im Antrag vom 29.05.2018. Aufgrund eines vorliegenden Angebots der Antragsgegnerin habe die Antragstellerin selbst einen in Betracht kommenden Hauptsacheanspruch auf 23.894,01 € geschätzt. Da der Sachverständige in seinem späteren Gutachten Mängel der Werkleistungen der Antragsgegnerin nicht bestätigt habe, komme es auf die vom Sachverständigen angegebenen (höheren) Sanierungskosten für die Wertfestsetzung nicht an.

    Die Parteien und die Prozessbevollmächtigten hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen und verteidigt die Wertfestsetzung des Landgerichts.

    II.

    Die zulässige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin ist begründet.

    1. Die Beschwerde ist zulässig gemäß § 68 Abs. 1 GKG i. V. m. § 32 Abs. 2 RVG. Die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin sind berechtigt, die Beschwerde im eigenen Namen einzulegen. Denn bei einem höheren Streitwert ergeben sich für die Prozessbevollmächtigten höhere Anwaltsgebühren. Der Wert des Beschwerdegegenstands (die Gebührendifferenz) übersteigt 200,00 € (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG).

    2. Die Beschwerde ist begründet. Der Streitwert für das selbstständige Beweisverfahren vor dem Landgericht ist auf 43.058,05 € festzusetzen.

    a) Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 40, 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO. Maßgeblich ist das zu schätzende Interesse der Antragstellerin an der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens. Ein selbstständiges Beweisverfahren soll die Voraussetzungen eines möglichen Anspruchs der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin klären, der eventuell in einem späteren Hauptsacheverfahren geltend gemacht wird. Daher ist für den Wert des selbstständigen Beweisverfahrens grundsätzlich der Wert des Hauptsacheanspruchs maßgeblich, dessen Voraussetzungen im vorbereitenden Beweisverfahren geklärt werden sollen (vgl. BGH, NJW 2004, 3488). Aus dem Antrag der Antragstellerin ergibt sich, dass diese beabsichtigte, die erforderlichen Mangelbeseitigungskosten von der Antragsgegnerin zu verlangen, wenn das einzuholende Gutachten eine Verantwortung der Antragsgegnerin für die Feuchtigkeitsschäden bestätigen sollte. Der Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens richtet sich daher nach den Mangelbeseitigungskosten, die aus der Perspektive der Antragstellerin in Betracht kamen.

    b) Die Antragstellerin hat zwar im Antrag vom 29.05.2018 mögliche Mangelbeseitigungskosten mit 23.894,01 € brutto beziffert. Dieser Betrag ist für die Wertfestsetzung jedoch nicht maßgeblich. Bei Baumängeln richtet sich der Streitwertfestsetzung nicht nach einer vorläufigen Schätzung in der Antragsschrift, sondern in der Regel nach den Kosten, die der Sachverständige später in seinem Gutachten für die Mängelbeseitigung schätzt (vgl. BGH, NJW 2004, 3488, Rn. 18; OLG Karlsruhe - 4. Zivilsenat -, NJW-RR 2011, 22 [OLG Karlsruhe 31.05.2010 - 4 W 17/10]; OLG Hamburg, NJW-RR 2000, 827 [OLG Hamburg 01.02.2000 - 9 W 2/00]). Maßgeblich für diese Regel ist die Überlegung, dass die Antragstellerin in einem selbstständigen Beweisverfahren wegen Baumängeln bei Antragstellung meistens noch keine abschließende Vorstellung hat, in welcher Höhe Kosten für die Beseitigung von Mängeln anfallen. Bei Baumängeln ist der Antrag im selbstständigen Beweisverfahren daher in der Regel von Anfang an mit der Vorstellung verknüpft, dass die Höhe ihres Hauptsacheanspruchs noch nicht feststeht, sondern durch das einzuholende Gutachten festgelegt werden soll.

    Die Kostenschätzung des Sachverständigen - vorliegend 43.058,05 € - ist für die Wertfestsetzung sowohl maßgeblich, wenn der Sachverständige die Mängel bestätigt, als auch dann, wenn der Sachverständige Sanierungskosten beziffert, für welche die Antragsgegnerin nicht verantwortlich ist (vgl. BGH, a. a. O.; OLG Düsseldorf, OLGR 2009, 364, OLG Jena, OLGR 2001, 132). Soweit die Rechtsprechung gelegentlich trotz der Einholung eines Sachverständigengutachtens die (normalerweise nicht verbindliche) Schätzung der Antragstellerin im Antrag auf Durchführung des Verfahrens heranzieht, ist dies dadurch erklärbar, dass in den entsprechenden Fällen eine bessere - objektive - Schätzungsgrundlage fehlte. Wenn bei behaupteten Baumängeln das Sachverständigengutachten keine Kostenschätzung enthält, liegt es nicht fern, wenn das Gericht bei der Wertfestsetzung mangels besserer Grundlagen eine Schätzung der Antragstellerin in der Antragsschrift heranzieht. Wenn der Sachverständige hingegen zur Sanierung eines Gebäudeschadens im Gutachten konkrete Kosten angibt, sind diese in der Regel der "richtige" Hauptsachewert auch dann, wenn der Sachverständige eine Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin nicht bestätigt.

    c) Entscheidend bei der Wertfestsetzung im selbstständigen Beweisverfahren ist der Grundsatz, dass das von der Antragstellerin mit ihrem Antrag verfolgte Interesse maßgeblich ist. Es sind zwar bestimmte Konstellationen denkbar, bei denen es nicht auf eine spätere Schätzung in einem Sachverständigengutachten ankommen kann. Umstände, die eine solche abweichende Schätzung rechtfertigen könnten, sind vorliegend jedoch nicht gegeben.

    aa) Der Bezifferung in der Antragsschrift wäre dann der Vorrang - gegenüber einem späteren Gutachten - zu geben, wenn in der Antragsschrift der später geltend zu machende Hauptsacheanspruch abschließend konkretisiert worden wäre. Dies war vorliegend nicht der Fall. Aus der Antragsschrift lässt sich nicht entnehmen, dass die Antragstellerin - im Falle einer Bestätigung der Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin - ihre Ansprüche in einer Höhe von 23.894,01 € beschränken wollte. Vielmehr ergibt sich aus ihrer Beweisfrage zu den Sanierungskosten, dass sie letztlich - unabhängig von der Schätzung in der Antragsschrift - voraussichtlich die vom Sachverständigen zu ermittelnden Kosten von der Antragsgegnerin verlangen wollte, wenn Mängel in der Werkleistung der Antragsgegnerin für die Gebäudeschäden ursächlich sein sollten.

    bb) Schließlich ist bei der Wertfestsetzung im selbstständigen Beweisverfahren nur von denjenigen Ansprüchen auszugehen, die in der Antragsschrift in allgemeiner Form genannt werden. Wenn - wie vorliegend - nur Mangelbeseitigungskosten erwähnt werden, können auch nur diese (in Höhe der späteren Kostenschätzung durch den Sachverständigen) die Wertfestsetzung bestimmen. Andere mögliche Vermögensbeeinträchtigungen, die mit der Mangelbeseitigung nichts zu tun haben, spielen in einem derartigen Fall für die Wertfestsetzung keine Rolle. Das gilt bei Baumängeln beispielsweise für Mangelfolgeschäden, wie Nutzungsausfall, wenn solche Schäden nicht Gegenstand des Antrags sind (vgl. zu dieser Problematik bei der Wertfestsetzung im selbstständigen Beweisverfahren Senat, JurBüro 2016, 368). Solche Gesichtspunkte spielen vorliegend keine Rolle. Denn die Kostenschätzung im Sachverständigengutachten enthält lediglich Sanierungskosten, bei denen es sich um Mangelbeseitigungskosten handeln würde, wenn die Antragsgegnerin für die Feuchtigkeitsschäden des Gebäudes verantwortlich wäre.

    3. Im Beschwerdeverfahren werden keine Gerichtsgebühren erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).

    RechtsgebietStreitwertVorschriften§ 40 GKG; § 68 Abs. 1 GKG; § 32 Abs. 2 RVG