Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 20.04.2021 · IWW-Abrufnummer 221831

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 17.12.2020 – 9 U 124/18

    1. Wenn ein Reifen während der Fahrt durch einen eingedrungenen Fremdkörper platzt, handelt es sich um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis, mithin um einen Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Fremdkörper auf der Fahrbahn liegt und vom Fahrzeug überfahren wird, oder ob sich der Fremdkörper schon vorher im Reifen befand und erst später durch Einwirkungen während der Fahrt das Platzen des Reifens verursacht.

    2. Ein Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung liegt hingegen nicht vor, wenn ein schon vorher bestehender Reifenschaden, eine fehlerhafte Montage oder fehlerhafter Luftdruck alleinige Ursache für das Platzen des Reifens während der Fahrt ist.

    3. Macht der Versicherungsnehmer nach dem Platzen eines Reifens Leistungen aus der Vollkaskoversicherung geltend, muss er die Voraussetzungen eines Unfalls beweisen. Dazu gehört der Nachweis, dass ein eingedrungener Fremdkörper für das Platzen des Reifens ursächlich war.


    Oberlandesgericht Karlsruhe

    Urteil vom 17.12.2020


    In dem Rechtsstreit
    - Kläger und Berufungskläger -
    Prozessbevollmächtigter:
    gegen
    - Beklagte und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigte:

    wegen Ansprüchen aus Versicherungsvertrag

    hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 9. Zivilsenat - durch den Richter am Oberlandesgericht xxx als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2020 für Recht erkannt:

    Tenor:

    1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 05.11.2018 - 14 O 122/18 - wird zurückgewiesen.
    2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
    3. Das Urteil des Senats und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung.
    4. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Der Kläger macht nach einem Fahrzeugschaden Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag gegen die Beklagte geltend.

    Der Kläger war Eigentümer eines Pkw Mercedes-Benz E 270. Für dieses Fahrzeug unterhielt der Kläger bei der Beklagten eine Kfz-Versicherung, wobei eine Vollkaskoversicherung mit 300,00 € Selbstbeteiligung eingeschlossen war. Vertraglich vereinbart waren die AKB der Beklagten mit Stand 01.10.2014. In Ziffer A 2.3 der Versicherungsbedingungen war zum Vollkaskoschutz Folgendes vereinbart:

    Versicherungsschutz besteht bei Beschädigung, Zerstörung, Verlust oder Totalschaden des Fahrzeuges einschließlich seiner mitversicherten Teile durch die nachfolgenden Ereignisse:

    Ereignisse der Teilkasko

    A.2.3.1 Vesichert sind die Schadenereignisse der Teilkasko nach A.2.2.

    Unfall

    A.2.3.2 Versichert sind Unfälle des Fahrzeuges. Als Unfall gilt ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis.

    Nicht als Unfallschäden gelten insbesondere Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs oder reine Bruchschäden. Dazu zählen z. B. Schäden am Fahrzeug durch rutschende Ladung oder durch Abnutzung aufgrund Bedienungsfehler oder Überbeanspruchung des Fahrzeuges und Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen.

    Am 11.11.2017 befuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug die BAB A 5 in der Nähe von Weil am Rhein. Das Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt mit Winterreifen ausgerüstet. Während der Fahrt auf der Autobahn platzte plötzlich der linke Hinterreifen mit einem lauten Knall. Das Fahrzeug geriet ins Schleudern; es gelang dem Kläger den Pkw auf dem Standstreifen zum Stehen zu bringen. Beim Platzen des linken Hinterreifens hatte sich die linke Seitenwand des Reifens vollständig gelöst; die gelösten Reifenteile beschädigten den Radkasten hinten links, die linke Seitenwand und den hinteren Stoßfänger. Der von der Beklagten beauftragte Schadensgutachter Dipl.-Ing. W. stellte einen Totalschaden fest. Den Wiederbeschaffungswert bezifferte er mit 7.500,00 € (vgl. das Gutachten W. nebst Lichtbildern vom Fahrzeug und vom beschädigten Reifen in der Anlage K 3). Der Restwert des beschädigten Fahrzeugs betrug unstreitig 1.500,00 €. Der Sachverständige stellte fest, der geplatzte Reifen hinten links sei so zerstört, dass die Ursache für den Reifenschaden nicht ohne Weiteres festgestellt werden könne. Ein Fremdkörper in der Lauffläche sei nicht festzustellen gewesen. Eine genaue Analyse könne nur durch einen speziellen Reifensachverständigen erfolgen.

    Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die Winterräder seien am selben Tag kurz vor Fahrtantritt in einer Fachwerkstatt montiert worden. Die Winterreifen seien völlig in Ordnung gewesen, was durch Vernehmung von zwei Mitarbeitern der Kfz-Werkstatt, welche die Montage durchgeführt hätten, bestätigt werden könne. Daher stehe fest, dass nur das Überfahren eines für den Kläger nicht erkennbaren Fremdkörpers auf der Straße das Platzen des Reifens verursacht haben könne. Zum Beweis hat der Kläger sich auf die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens berufen, bei dem der noch vorhandene beschädigte Reifen genauer untersucht werden könne. Der Fahrzeugschaden sei mithin durch einen Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen eingetreten, so dass die Beklagte im Rahmen der Vollkaskoversicherung diesen Schaden in Höhe von 5.815,17 € nebst Zinsen regulieren müsse.

    Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat bestritten, dass ein in den Reifen eingedrungener Fremdkörper das Platzen des Reifens verursacht habe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Reifen schon vor der Fahrt beschädigt gewesen sei. Unter diesen Umständen bestehe kein Versicherungsschutz in der Vollkaskoversicherung. Denn ein Fahrzeugschaden, der durch einen geplatzten Reifen verursacht werde, sei kein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen, wenn das Ereignis nicht durch einen in den Reifen eingedrungenen Fremdkörper, sondern durch einen schon vorher bestehenden Reifenschaden ausgelöst worden sei.

    Mit Urteil vom 05.11.2018 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Ein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen könne nicht festgestellt werden. Es sei offenkundig, dass auch ein spezieller Reifensachverständiger durch eine nachträgliche Untersuchung des Reifens die Ursache für das Platzen des Reifens nicht mehr feststellen könne. Daher sei eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen und durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens nicht erforderlich. Der Kläger sei als beweisfällig zu behandeln, weil er das Eindringen eines Fremdkörpers in den Reifen als Schadensursache nicht beweisen könne. Mithin könne ein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen nicht festgestellt werden.

    Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für verfahrensfehlerhaft. Das Landgericht hätte die Klage nicht ohne Beweiserhebung abweisen dürfen. Es sei davon auszugehen, dass der Beweis eines in den Reifen eingedrungenen Fremdkörpers durch die Vernehmung der beiden benannten Zeugen und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu führen sei.

    Der Kläger beantragt:

    1.
    Das Urteil des LG Freiburg vom 05.11.2018 wird aufgehoben.

    2.
    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.815,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2018 zu bezahlen.

    3.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weitere Schadensersatzansprüche aus dem Schadensfall vom 11.11.2017, ca. 16:45 Uhr, auf der BAB 5, Höhe Ausfahrt Efringen-Kirchen, die bei der Reparaturdurchführung entstehen, zu bezahlen.

    4.
    Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen Anwaltskosten des Rechtsanwaltes L., in Höhe von 650,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 21.02.2018, freizustellen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Beklagte verteidigt das Urteil. Sie ergänzt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Der Beweis eines in den Reifen eingedrungenen Fremdkörpers als Schadensursache sei nicht zu führen. Es liege ein sogenannter "Betriebsschaden" vor, für den die Vollkaskoversicherung nicht eintrete.

    Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

    Der Senat hat im Termin vom 23.11.2020 zur Montage des Reifens und zum Zustand des Reifens zwei Zeugen vernommen. Außerdem hat der Senat ein Gutachten des Sachverständigen Dr. L. zur Schadensursache eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 23.11.2020 verwiesen.

    II.

    Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Nach der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Reifen am Fahrzeug des Klägers am 11.11.2017 nicht durch das Eindringen eines Fremdkörpers geplatzt ist, sondern aufgrund eines vorher durch einen Montagefehler entstandenen Reifenschadens. Daher liegen die Voraussetzungen für einen Vollkasko-Versicherungsschutz nicht vor.

    1. Für den Umfang des Vollkasko-Versicherungsschutzes ist die Regelung in Ziffer A.2.3 der Versicherungsbedingungen der Beklagten (im Folgenden abgekürzt: AKB 2014) maßgeblich. Entscheidend ist der Begriff des Unfalls. Für diesen Begriff ist von den Grundsätzen in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 06.02.1954 (NJW 1954, 596 [BGH 06.02.1954 - II ZR 65/53]) auszugehen.

    a) Wenn ein Reifen während der Fahrt durch einen eingedrungenen Fremdkörper platzt, handelt es sich um ein von außen mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis. (Vgl. entsprechend zu einem Schaden, der durch einen im Motor befindlichen Fremdkörper verursacht wird, BGH, a. a. O..) Dabei kann dahinstehen, ob der Fremdkörper (ein spitzer Stein oder beispielsweise ein Nagel) auf der Fahrbahn liegt und vom Fahrzeug überfahren wird, oder ob sich schon vorher ein Fremdkörper im Reifen befindet, der während der Fahrt tiefer in den Reifen eindringt, so dass erst dadurch ein plötzlicher Druckverlust - oder ein Reifenplatzen - erfolgt. (Vgl. entsprechend bei einem Schaden durch einen Fremdkörper im Motor BGH, a. a. O..) In jedem Fall handelt es sich um eine Einwirkung von außen, die unmittelbar und plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkt (BGH, a. a. O.; vgl. im Übrigen auch LG Karlsruhe, NJW-RR 2014, 210 [LG Karlsruhe 20.08.2013 - 9 O 95/12]).

    b) Der von den Parteien und vom Landgericht erörterte Begriff des "Betriebsschadens" spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Während in älteren Versicherungsbedingungen teilweise der Begriff des "Betriebsschadens" verwendet wird, findet sich in den vorliegenden Bedingungen lediglich die Formulierung, dass ein "Brems- oder Betriebsvorgang oder reine Bruchschäden" sowie Schäden "durch Abnutzung" oder durch "Überbeanspruchung des Fahrzeugs" "nicht als Unfallschäden gelten" sollen. Bei diesen Formulierungen in den Versicherungsbedingungen der Beklagten handelt es sich nicht um Ausschlussklauseln, sondern um den Versuch einer Erläuterung des Begriffs "Unfall". Die Formulierungen ändern nichts daran, dass der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärte Begriff des "Unfalls" entscheidend bleibt. Die zitierten Erläuterungen in Ziffer A.2.3.2 der Versicherungsbedingungen der Beklagten haben lediglich eine deklaratorische Bedeutung und bedürfen keiner gesonderten Prüfung, wenn ein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen vorliegt. (Vgl. zum deklaratorischen Charakter der Formulierungen Prölss/Klimke, Versicherungsvertragsgesetz, 30. Auflage 2018, A.2.2.2 AKB 2015 Rn. 16; Koch in Bruck/Möller, VVG, Band 12, 9. Auflage 2018, A.2 AKB 2015 Rn. 268, Rn. 300.) Der in früheren Versicherungsbedingungen gebräuchliche Begriff des "Betriebsschadens" und der in den vorliegenden Bedingungen verwendete Begriff von "Betriebsvorgängen" führt mithin nicht zu einer Einschränkung des Unfallbegriffs. Die in den Vollkasko-Versicherungsbedingungen üblichen Erläuterungen des "Unfalls" ändern daher nichts daran, dass ein Schaden, der dadurch entsteht, dass ein auf der Fahrbahn liegender Fremdkörper in den Reifen eindringt, als Unfall im Sinne der Vollkasko-Versicherungsbedingungen anzusehen ist. (Unzutreffend daher OLG Hamm, Urteil vom 21.04.1989 - 20 U 255/88 -, zitiert nach Juris.) Würde man dem Begriff des "Betriebsvorgangs" hingegen eine selbstständige - den Unfallbegriff einschränkende - Bedeutung beimessen, wäre eine solche Einschränkung wegen Intransparenz gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam (vgl. die zutreffenden Erwägungen in LG Stuttgart, NJW-RR 2012, 1500 [LG Stuttgart 17.02.2012 - 22 O 503/11]; Prölss/Klimke, a. a. O., A.2.2.2 AKB 2015 Rn. 16).

    c) Teilweise ist in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten worden, ein in der Vollkasko-Versicherung erfasstes Unfallereignis liege nicht vor, wenn sich lediglich ein beim Betrieb des Fahrzeuges übliches und vorhersehbares Risiko verwirklicht habe. (Dies wird - anders als im vorliegenden Fall - in neueren Versicherungsbedingungen teilweise durch eine ausdrückliche Regelung klargestellt, vgl. A.2.2.2.2 Abs. 3 der AKB 2015 bei Prölss/Klimke, a. a. O..) Damit sollten spezielle Risiken vor allem bei der Verwendung von Fahrzeugen im gewerblichen Bereich berücksichtigt werden (insbesondere von Baustellenfahrzeugen), deren Kosten vom Versicherungsnehmer beim Betrieb des Fahrzeugs ohnehin einkalkuliert werden (vgl. Prölss/Klimke, a. a. O., A.2.2.2 AKB 2015 Rn. 27, 30 ff.; Koch, a. a. O., A.2 AKB 2015 Rn. 308, 309; vgl. auch BGH, NJW 1969, 96 [BGH 23.10.1968 - IV ZR 515/68]). Ob und inwieweit eine solche Einschränkung oder Klarstellung den Versicherungsbedingungen im vorliegenden Fall zu entnehmen ist, kann dahinstehen. Denn das Überfahren eines Fremdkörpers auf der Autobahn mit der Konsequenz eines Reifenschadens ist - auch bei einem kleinen Gegenstand - kein vorhersehbares Risiko, dass der Versicherungsnehmer beim Betrieb des Fahrzeugs generell in Kauf nehmen will.

    d) Hingegen liegt kein versichertes Unfallereignis vor, wenn ein schon vor Fahrtantritt bestehender Reifenschaden die alleinige Ursache dafür ist, dass der Reifen bei einer normalen Fahrt auf der Autobahn plötzlich platzt. Denn in einem solchen Fall beruht der Schaden nicht auf einem Ereignis, welches unmittelbar von außen mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkt, sondern allein auf einer "inneren" Ursache durch ein schadhaftes Fahrzeugteil. Mithin kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Ursache für das Platzen des Reifens bei dem Ereignis vom 11.11.2017 an. Bei einem eingedrungenen Fremdkörper liegt ein Unfall im Sinne der Vollkasko-Versicherungsbedingungen vor, während das Platzen eines Reifens während der Fahrt allein aus "inneren" Gründen (schon vorher bestehender Reifenschaden, fehlerhafte Montage oder fehlerhafter Luftdruck) kein Unfall ist, für den Vollkasko-Versicherungsschutz besteht. Dabei obliegt die Beweislast für die Voraussetzungen eines Unfalls dem Versicherungsnehmer.

    2. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Reifen am Fahrzeug des Klägers bei dem Ereignis vom 11.11.2017 nicht durch einen eingedrungenen Fremdkörper zerstört wurde. Vielmehr hatte eine vorausgegangene fehlerhafte Montage das Material des Reifens beschädigt. Dies war die Ursache für das Platzen des Reifens.

    Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. L., der den beim Kläger gelagerten geplatzten Reifen besichtigt und untersucht hat, handelte es sich um einen Runflat-Reifen. Ein solcher Reifen hat eine verstärkte Seitenwand, die es erlaubt, dass das Kraftfahrzeug auch bei erheblichem Druckverlust noch mit geringerer Geschwindigkeit gefahren werden kann, um beispielsweise zur nächsten Werkstatt zu gelangen. Die Montage von Runflat-Reifen ist nach dem Gutachten des Sachverständigen aufwändiger und komplizierter als die Montage normaler Reifen. Es sind Spezialwerkzeuge zur Montage erforderlich, die Montage sollte zudem nur von zertifizierten Monteuren durchgeführt werden. Wenn die besonderen Regeln für eine Montage von Runflat-Reifen nicht beachtet werden, dann kann es geschehen, dass der äußere Wulstkern des Reifens, der kleiner als die Felge ist, bei der Montage zu stark beansprucht wird. Durch eine Überbeanspruchung bei der Montage leidet der Reifen, und der entstandene Schaden kann dazu führen, dass der Wulstkern während der Fahrt irgendwann auseinanderreißt und der Reifen platzt. Eine solche Folge tritt nicht unmittelbar nach der fehlerhaften Montage ein, sondern kann erfahrungsgemäß auch erst ein oder zwei Jahre später erfolgen.

    Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist vorliegend von einer fehlerhaften Montage mit der Folge eines Reifenschadens und mit der späteren Folge des Ereignisses vom 11.11.2017 auszugehen. Am 11.11.2017 wurden kurz vor Fahrtantritt am Fahrzeug des Klägers - nach den Angaben der beiden vernommenen Zeugen - die vorher beim Kläger gelagerten kompletten Winterräder montiert. Das bedeutet, dass die fehlerhafte Montage nicht am 11.11.2017 erfolgt ist, sondern wesentlich früher - ein oder zwei Jahre vorher -, als die Winterreifen auf die Felgen aufgezogen wurden. Aus der Untersuchung des Reifens ergab sich nach dem Gutachten des Sachverständigen ein typischer Montagefehler. Der äußere Wulstkern des Reifens war nicht mehr vorhanden, was nur dadurch erklärbar ist, dass der Wulstkern als Ursache des Schadensfalls gerissen ist. Dies ist nicht durch das Eindringen eines Fremdkörpers möglich, sondern nur durch einen schon länger bestehenden Schaden aufgrund des beschriebenen Montagefehlers. Indizien für den Montagefehler sind auch die auf einem Lichtbild im Schadensgutachten W. an der Felge erkennbaren Werkzeugspuren (vgl. das Lichtbild Nr. 10 im Gutachten W., Anlage K 1), die bei einer ordnungsgemäßen Montage - mit entsprechenden Spezialwerkzeugen - nicht entstehen können. Vor allem lässt das völlige Fehlen der äußeren Seitenwand des beschädigten Reifens nur den Schluss zu, dass die gesamte Seitenwand plötzlich geplatzt ist. Dies ist nach dem Gutachten des Sachverständigen nur durch einen Vorschaden des Wulstkerns und ein plötzliches Reißen dieses Wulstkerns - als typische Folge eines früheren Montagefehlers - erklärbar, und nicht durch einen in die Lauffläche des Reifens eingedrungenen Fremdkörper. Die Angaben der im Termin vom 23.11.2020 vernommenen Zeugen stehen diesen Feststellungen des Sachverständigen nicht entgegen. Denn die beiden Zeugen konnten lediglich die Art und Weise der Montage der Kompletträder am 11.11.2017 - und eine Sichtkontrolle der Reifen zu diesem Zeitpunkt - bestätigen; die Zeugen konnten jedoch keine näheren Angaben zum Aufziehen des Reifens auf die Felge machen, die ein oder zwei Jahre früher erfolgt sein muss.

    Dass der Sachverständige bei der Untersuchung des beschädigten Reifens einen langen Nagel in der Lauffläche des Reifens festgestellt hat, steht den Feststellungen nicht entgegen (vgl. das im Senatstermin vom Sachverständigen vorgelegte Lichtbild in der Anlage zum Protokoll vom 23.11.2020). Zum einen könnte ein solcher Nagel in der Lauffläche nach den Ausführungen des Sachverständigen das plötzliche Abplatzen der gesamten äußeren Seitenwand des Reifens nicht erklären. Zum anderen hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass dieser Nagel zum Zeitpunkt des Schadensfalls am 11.11.2017 noch nicht in der Lauffläche des Reifens steckte. Dies ergibt sich aus einem Vergleich der vom Sachverständigen Dr. L. aufgenommenen Lichtbilder mit den Lichtbildern, die der Schadensgutachter Dipl.-Ing. W. kurz nach dem Schadensereignis aufgenommen hat (vgl. das Lichtbild Nr. 10 in der Anlage zum Gutachten W., Anlage K 1). Wie der Nagel nachträglich in die Lauffläche des Reifens gelangt ist - ob er beispielsweise während der Lagerung beim Kläger nach dem Schadensfall in den Reifen geschlagen wurde -, kann unter den gegebenen Umständen dahinstehen.

    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.

    4. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Rechtsfragen sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt.

    RechtsgebietAKBVorschriftenAKB 2.2.2.2