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  • 27.09.2022 · IWW-Abrufnummer 231458

    Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht: Urteil vom 24.03.2022 – 16 U 86/21

    Der Beurteilung, ob der Versicherte bedingungsgemäß berufsunfähig geworden ist, ist die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit so zugrunde zu legen, wie sie sich nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in zeitlicher Ausprägung darstellt. Nicht abzustellen ist auf die durchschnittliche Anzahl von Arbeitsstunden bei einer fiktiven 5-Tage-Woche. Maßgebend ist die tatsächlich an einzelnen Wochentagen geleistete Anzahl von Arbeitsstunden, um die Belastung des Versicherten beurteilen zu können.


    Oberlandesgericht Schleswig

    Urteil vom 24.03.2022


    Tenor:

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 30. April 2021 wird zurückgewiesen.

    Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

    Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Gründe

    I.

    Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente, Rückerstattung gezahlter Beiträge sowie rückwirkende Beitragsbefreiung aus einer bei der Beklagten abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung.

    Der Kläger schloss mit der Beklagten im März 2005 einen Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versicherungs-Nr. ... ab. Die Parteien vereinbarten als Versicherungsbeginn den 1. März 2005, für den Fall der Berufsunfähigkeit für deren Dauer die Beitragsbefreiung sowie eine Rentenzahlung von monatlich 1.500 € bis längstens 28. Februar 2022 und einen zu zahlenden monatlichen Beitrag von 101,47 € bei einer Beitragszahlungsdauer von 17 Jahren (Versicherungsschein Anlage BLD1a).

    Gemäß §§ 1 und 2 der dem Versicherungsschein beigefügten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die selbständige Berufsunfähigkeitsvorsorge E 356 (im Folgenden: AVB E 356) vereinbarten die Parteien unter anderem:

    "§ 1 Was ist versichert?

    (1) Wird die versicherte Person während der Versicherungsdauer zu mindestens 50 % berufsunfähig, erbringen wir die nachstehend unter (a) und (b) genannten Versicherungsleistungen. Die Versicherungsleistungen erbringen wir, solange die versicherte Person lebt, längstens jedoch bis zum Ende der vertraglich vereinbarten Leistungsdauer. Wir erbringen keine Versicherungsleistung, wenn der Grad der Berufsunfähigkeit unter 50 % sinkt.

    (a) Wir befreien sie von der Beitragszahlungspflicht für die selbständige Berufsunfähigkeitsvorsorge sowie für einen ggf. eingeschlossenen Baustein Kapitalzahlung bei Erwerbsunfähigkeit (Beitragsbefreiung).

    (b) Wir zahlen die vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente an den vereinbarten Rentenzahlungsterminen, jeweils am ersten banküblichen Arbeitstag. Die erste Rentenzahlung erfolgt ggf. anteilig.

    ...

    § 2 Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?

    (1) Ist die versicherte Person voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande oder bereits 6 Monate ununterbrochen außerstande gewesen, ihren Beruf auszuüben, und übt sie auch keine andere Tätigkeit aus, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, so gilt dieser Zustand von Beginn an als vollständige Berufsunfähigkeit.

    Bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist der zuletzt ausgeübte Beruf maßgebend."

    In dem Nachtrag zur Versicherung Nr. ... (Anlage BLD 2) heißt es, die Versicherung würde ab dem 1. März 2014 unter anderem für den Fall der Berufsunfähigkeit mit einer Rentenzahlung für deren Dauer von 1.973,39 € und einem monatlichen Beitrag von 132,39 € weitergeführt.

    Der Kläger, gelernter Koch und Restaurantfachmann, war, nachdem er zuvor bis 2011 ein eigenes Restaurant betrieben hatte, seit Juni 2013 bis jedenfalls August 2014 in der mit dem Mitgesellschafter, dem Zeugen H1, betriebenen Hausverwaltungsgesellschaft selbstständig tätig. Überdies vermietete er seit 2008 fünf Ferienwohnungen in einem von ihm 1998 erworbenen Mehrfamilienhaus. Im Jahr 2015 veräußerte der Kläger seine Anteile an der Hausverwaltungsgesellschaft.

    Der Kläger wurde vom 25. Februar bis 1. April 2015 stationär in der Reha-Klinik X in Y behandelt und mit der ärztlichen Einschätzung, er sei gegenwärtig noch arbeitsunfähig, jedoch nicht berufsunfähig, entlassen (Anlage BLD5). Am 20. April 2015 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung ab September 2014 geltend (Anlage K1). Diese Ansprüche wies die Beklagte mit Schreiben vom 21. Oktober 2015 (Anlage K6) mit der Begründung zurück, aus dem von ihr beauftragten Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie Dr. Z (Anlage K5) ergebe sich ein vollständiges Leistungsvermögen des Klägers.

    Der Kläger übte von Mai 2016 bis 2018 zeitweise in verschiedenem Umfang Teilzeittätigkeiten als Hausmeister auf einem Reiterhof, im Bereich der Gartenpflege sowie im Garten- und Landschaftsbau aus und bot Dienstleistungen im handwerklichen Bereich an. Außerdem nahm er im Rahmen der eigenen Vermietung von Ferienwohnungen, welche er zuvor seiner Mutter überlassen hatte, seit Mitte/Ende des Jahres 2016 wieder gelegentlich Gäste oder Schlüssel in Empfang. Seit dem Jahr 2016 ist der Kläger ehrenamtlich Ratsherr im Rat der Stadt WX und war dies jedenfalls bis März 2021. In dieser Funktion war er Mitglied im Ausschuss für Stadtentwicklung und Planung. Ab April 2019 war er für das Maklerunternehmen EX als freier Mitarbeiter in der Acquise von Kunden tätig.

    Der Kläger hat behauptet, bei ihm liege eine rezidivierende depressive Störung, eine Anpassungsstörung sowie eine maligne Regression vor, und hat insoweit auf den ärztlichen Befundbericht der Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. XY - bei welcher er sich unstreitig ab September 2014 in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befand - vom 30. Dezember 2015 (Anlage K7) verwiesen.

    Seine Fähigkeit zum Autofahren sowie zum Arbeiten bei Lärm, sein Gedächtnis, sein Denken und sein Reaktionsvermögen sowie seine sozialen Fertigkeiten, seine Affektregulation und sein Stressmanagement seien stark eingeschränkt, seine Fähigkeit zum Arbeiten unter Zeitdruck, sein Konzentrationsvermögen und seine psychische Belastbarkeit seien völlig eingeschränkt, wobei der Kläger auf den ärztlichen Bericht zur Berufsunfähigkeit der Ärztin Dr. XY vom 20. Juli 2015 (Anlage K3) Bezug nimmt. Er habe unter mindestens zwei Episoden einer rezidivierenden depressiven Störung mit starker Ausprägung, sowohl 2012 als auch nach dem Auszug seiner Tochter im September 2014, gelitten. Er hat insoweit auf das nicht vorgelegte, sondern lediglich auszugsweise zitierte (Bl. 231 ff.) Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. JX verwiesen.

    Er hat weiter behauptet, er könne infolge dieser Erkrankungen seine selbstständige Tätigkeit zu mindestens 50 % seit bereits über sechs Monaten, nämlich seit September 2014, nicht mehr ausüben. Dies gelte sowohl für die selbstständige Tätigkeit in der Immobilienverwaltung, als auch die selbstständige Tätigkeit als Koch sowie als Restaurantfachmann.

    Mit der Klageschrift hat der Kläger vorgetragen, der durchschnittliche tägliche Zeitaufwand für die Hausverwaltung habe ausschließlich Bürotätigkeiten beinhaltet und insgesamt 2 Stunden, derjenige für die Tätigkeit als Koch insgesamt 10,5 Stunden und derjenige für die Tätigkeit als Restaurantfachmann ebenfalls 10,5 Stunden betragen. Mit Schriftsatz vom 9. November 2016 hat er dargelegt, er habe in der Hausverwaltung ca. vier Tage im Monat, zwölf Tage pro Monat als Koch im Restaurant S und an ca. zwei Tagen pro Monat als Restaurantfachmann gearbeitet, und dazu auf das Anlagenkonvolut K 14 (anwaltliches Schreiben vom 9. Juli 2015 nebst Anlagen) Bezug genommen. Dieses enthält unter anderem die Rechnung der NN Immobilien GmbH an die MM Hausverwaltung GmbH vom 31. August 2014, mit welcher die Gesellschaft des Klägers der Hausverwaltung-GmbH 650 € netto für im August 2014 geleistete 13 Stunden "Dienstleistung Hausverwaltung" in Rechnung stellte. Aus der "Konten-Information August 2013 - Juli 2014" (K 14) ergeben sich unter "Haben" betreffend die "MM Hausverwaltung" Beträge von monatlich 2.500 €, ab dem 6. Mai 2014 allerdings Beträge von monatlich höchstens 650 €. Er, der Kläger, habe im Grunde die ganze Hausverwaltung gemacht, der Zeuge H1 nur auf dem Papier gestanden. Er habe ca. 30-40 Einheiten bis nach Lauenburg betreut, die ganze Organisation gemacht, Dienstleistungsrechnungen geschrieben, Handwerker beauftragt und Wohnungsbesichtigungen durchgeführt. Der Zeuge H1 habe ihn als Selbstständigen bis August 2014 mit Aufgaben der Hausverwaltung betraut, wofür er ein monatliches Honorar in Höhe von 2.500 € zuzüglich Umsatzsteuer erhalten habe. Bis zum 21. September 2014 habe er sämtliche Termine wahrgenommen und sei für die Kunden rund um die Uhr mobil erreichbar gewesen, seit dem 22. September 2014 sei er erkrankt.

    Die Beklagte hat den Inhalt und insbesondere den behaupteten zeitlichen Umfang seiner Tätigkeit bestritten. Der vom Kläger behauptete zeitliche Umfang seiner Tätigkeit sei mit den von ihm erstellten Rechnungen bzw. Konten-Informationen (BLD7a, 7b), aus welchen sich ein jährlicher Umfang der Tätigkeit als Koch bzw. Restaurantfachmann von 276 Stunden ergebe, nicht in Einklang zu bringen.

    Sie hat bezugnehmend auf Anlage K2 die Auffassung vertreten, die Tätigkeitsbeschreibung des Klägers sei angesichts dessen unschlüssig, dass dieser, die Tätigkeit als Koch bzw. Restaurantfachmann betreffend, für Zeiträume von 8-9 Stunden verschiedenste Teiltätigkeiten aufgezählt habe, ohne darzulegen, welche Teiltätigkeit er wie lange ausgeübt habe.

    Sie hat die Diagnose der behandelnden Ärztin Dr. XY bestritten. Für diese gebe es keine Grundlage. Zudem stünden ihr der Entlassungsbericht der Klinik Y vom 13. April 2015 (Anlage BLD5) sowie die Einschätzung der Gutachterin Dr. Z (Anlage K5) entgegen, welche zutreffend lediglich zur Diagnose einer Dysthymie, also einer chronischen Verstimmung, die weder schwer noch anhaltend genug sei, um die Kriterien einer depressiven Störung zu erfüllen, und einer vollständigen Leistungsfähigkeit des Klägers gekommen sei (K5). Sie hat gemeint, selbst im Falle einer festgestellten Berufsunfähigkeit habe der Kläger allenfalls Anspruch auf eine monatliche Rente von 1.973,39 € (BLD 2).

    Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des Klägers und Vernehmung der Zeugen H1, W1, Findig und zu P1 sowie der Zeuginnen K1 und Dr. XY und Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Professor Dr. HX abgewiesen. Dem Kläger sei der Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nicht gelungen. Er sei zuletzt als Angestellter einer Hausverwaltung mit durchschnittlich 2 Stunden täglich und als Koch bzw. Servicekraft in der Gastronomie mit durchschnittlich 3,25 Stunden täglich tätig gewesen. Der Nachweis, dass er seit September 2014 für wenigstens sechs Monate ununterbrochen aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, diese Tätigkeiten zumindest im Umfang von 50 % (ca. 2,75 Stunden pro Tag) auszuüben, sei dem Kläger nicht gelungen. Der Sachverständige habe überzeugend ausgeführt, dass dem Kläger selbst bei Vorliegen einer hier sicher feststellbaren, allenfalls leichten bis phasenweise mittelgradigen depressiven Erkrankung eine tägliche Arbeitszeit von 2,75 Stunden seit 2014/2015 bis heute unproblematisch möglich (gewesen) sei. Lediglich erhebliche Belastungsspitzen könne der Kläger krankheitsbedingt nicht durchhalten. Das Ableisten der Hälfte der im Gastronomiebereich anfallenden maximalen täglichen Stundenzahlen von 5 bis zu 8/9 Stunden, nämlich 2,5 bis maximal 4/4,5 Stunden, sei für den Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen gesundheitlich möglich. Ergänzend wird - insbesondere auch im Hinblick auf die erstinstanzlichen Anträge - auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

    Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung. Das Landgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass er in der Hausverwaltung lediglich 2 Stunden pro Tag gearbeitet habe. Die vernommenen Zeugen hätten einen deutlich höheren zeitlichen Umfang seiner Arbeitstätigkeit bestätigt, von welchem deswegen auszugehen sei. Das Landgericht habe unzutreffend einen zeitlichen Arbeitsumfang seiner Tätigkeit in der Gastronomie von lediglich 3,25 Stunden pro Tag zugrunde gelegt. Tatsächlich sei, was er in seiner Arbeitsbeschreibung detailliert dargelegt habe und die Zeugen bestätigt hätten, der Arbeitsumfang erheblich höher gewesen. Selbst ausgehend von einem täglichen Arbeitsumfang von lediglich 5,5 Stunden läge jedoch bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vor. Denn der Sachverständige komme zum Ergebnis, dass er höchstens noch als Koch im Umfang von 1 Stunde und 45 Minuten täglich und in der Hausverwaltung im Umfang von 1 Stunde täglich tätig sein könne. Dies betrage exakt 50 % von 5,5 Stunden, sodass eine vertraglich vereinbarte Berufsunfähigkeit vorliege.

    Im Rahmen seiner Anhörung durch den Senat hat der Kläger behauptet, er habe damals ganzjährig etwa 2 bis eher 4 Stunden pro Tag an fünf Tagen in der Woche für die gemeinsam mit dem Zeugen H1 betriebene Hausverwaltung gearbeitet. In der Küche des Restaurants "S" sei er etwa 6-9 Stunden pro Tag an zwei bis drei Tagen in der Woche während der Saison, die etwa von Mai bis Oktober gedauert habe, als Koch tätig gewesen. Im Service im "PX" in WX habe er etwa 6-8 Stunden pro Tag an ein bis zwei Tagen in der Woche gearbeitet. Wegen der Einzelheiten dieser Tätigkeiten wird auf den Berichterstattervermerk zur mündlichen Verhandlung vom 7. März 2022 Bezug genommen.

    Der Kläger beantragt,

    das Urteil des Landgerichts Kiel vom 30. April 2021 abzuändern und

    1.
    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 34.699,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

    2.
    die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine monatliche Rente in Höhe von 2.041,13 €, beginnend ab dem 1. Februar 2016, längstens bis zum 1. März 2022 zu zahlen;

    3.
    die Beklagte zu verurteilen, ihn rückwirkend zum 1. September 2014 von der Beitragspflicht für die Berufsunfähigkeitsversicherung, Versicherungsschein Nr. ... freizustellen und die gezahlten Beträge ihm zu erstatten.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Beklagte meint, das Gericht sei an den Prozessvortrag des Klägers gebunden gewesen, wonach er lediglich 2 Stunden täglich in der Hausverwaltung gearbeitet habe, zumal der Kläger erstinstanzlich daran festgehalten und sich gerade nicht die Aussage des Zeugen H1 zu eigen gemacht habe. Die vom Landgericht vorgenommene Umrechnung auf eine tägliche durchschnittliche Stundenzahl beruhe auf dem Vortrag des Klägers. Der Sachverständige habe entgegen der Auffassung des Klägers nicht festgestellt, dass bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliege.

    Der Senat hat den Kläger als Partei angehört und Beweis erhoben durch ergänzende Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. HX. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk zur mündlichen Verhandlung vom 7. März 2022 Bezug genommen.

    II.

    Die Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Weder beruht das Urteil des Landgerichts Kiel auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

    1.

    Das Landgericht Kiel hat die Klage zu Recht mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger den Beweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit gemäß § 172 VVG, §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 AVB E 356 nicht geführt hat. Der Kläger ist nicht seit September 2014 oder danach voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen infolge Krankheit außerstande oder bereits 6 Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande gewesen, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. Daher hat er gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf die mit den Anträgen zu 1. und 2. geltend gemachte Berufsunfähigkeitsrente, noch die mit dem Antrag zu 3. begehrte Freistellung von der Beitragspflicht oder auf Rückerstattung bereits im Zeitraum ab September 2014 gezahlter Beiträge.

    Beim Kläger besteht zwar (jedenfalls) seit September 2014 eine Krankheit, nämlich eine depressive Spektrumsstörung (a)). Trotz gegenüber den Feststellungen des Landgerichts größerem Umfang der Arbeitstätigkeit des Klägers in seinem zuletzt ausgeübten Beruf i. S. v. § 2 (1), 2. Absatz, S. 1 AVB E 356 (b) sind die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nicht erfüllt und waren dies zu keinem Zeitpunkt seit September 2014. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. HX (c)).

    a)

    Beim Kläger besteht (jedenfalls) seit 2014 Kläger eine depressive Spektrumsstörung in Form einer rezidivierenden depressiven Störung (ICD-10: F 33.9) und einer Dysthymie (ICD-10: F 34.1). Diese vom Sachverständigen nach ausführlicher Anamnese des Klägers und Einsatz diverser klinischer und prognostische Verfahren getroffene Diagnose wird von keiner Partei angegriffen. Weitere psychische Erkrankungen hatte der Kläger im hier in Rede stehenden Zeitraum nicht. Weder lag bei ihm eine maligne Regression vor, noch bestand eine Anpassungsstörung, wie sich aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt.

    b)

    Als zuletzt ausgeübter Beruf i. S. v. § 2 (1), 2. Absatz, S. 1 AVB E 356 ist eine Tätigkeit des Klägers als Koch in der Küche des Restaurants "S" im Umfang von 5-8 Stunden pro Tag an zwei bis drei Tagen pro Woche in der Sommersaison etwa von April/Mai bis Oktober und im Service im "PX" in WX im Umfang von 6-9 Stunden pro Tag an etwa fünf bis sechs Tagen in der Sommersaison sowie eine ganzjährige Tätigkeit in der Hausverwaltung im Umfang von 2-4 Stunden pro Tag an fünf Tagen in der Woche zugrundezulegen.

    Mit dem "zuletzt ausgeübten Beruf" im Sinne der Bedingungen, welcher für die Bemessung der Berufsunfähigkeit maßgeblich ist, ist die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Berufstätigkeit gemeint. Danach setzt Berufsunfähigkeit voraus, dass der Versicherte seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge der in den Bedingungen (hier: § 2 Abs. 1 AVB E 356) genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ganz oder teilweise nicht mehr ausüben kann (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2019 - IV ZR 182/17 - juris, Rn. 18). Beruf beschränkt sich dabei nicht notwendigerweise auf eine einzelne Berufstätigkeit, sondern kann auch mehrere nebeneinander ausgeübte Tätigkeiten erfassen (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2019 - IV ZR 182/17 - juris, Rn. 19).

    Zuletzt ausgeübter Beruf des Klägers in diesem Sinne ist dessen Tätigkeit im bzw. im Zeitraum unmittelbar vor September 2014. Soweit der Kläger mit der Berufungsbegründung erstmals vorgetragen hat, es komme auf seine Tätigkeit im Jahr 2011 an, hat er daran auf Nachfrage im Verhandlungstermin am 7. März 2022 ausdrücklich nicht mehr festgehalten, vielmehr erklärt, es solle auf den Sommer 2014 abgestellt werden (Protokoll vom 7. März 2022, Seite 2).

    aa)

    Danach ist als Tätigkeit des Klägers als Koch im Restaurant "S" im Zeitraum von etwa April bis August/September 2014 eine Tätigkeit des vom Kläger und dem Zeugen W1, deren Angaben sich im wesentlichen decken, geschilderten Inhalts zugrundezulegen. Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs dieser Tätigkeit ist allerdings, insoweit geringfügig abweichend von den Angaben des Klägers in der Berufungsverhandlung, lediglich von einem zeitlichen Umfang von 5-8 Stunden pro Tag an zwei bis drei Tagen in der Woche auszugehen. Denn lediglich dieser Umfang ist durch die Angaben des Zeugen W1 bewiesen. Bei Zugrundelegung dieses zeitlichen Umfangs weicht der Senat nicht von der Beweiswürdigung des Landgerichts ab. Denn aus den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils ergibt sich, dass das Landgericht diese Schilderung des Zeugen als nachvollziehbar und plausibel erachtet hat - ohne dass insoweit Fehler der landgerichtlichen Beweiswürdigung erkennbar sind - und den vom Zeugen genannten zeitlichen Umfang der Tätigkeit des Klägers seiner Umrechnung in Durchschnittszeiten, ausgehend von einer fünf-Tage-Woche, gerade zugrunde gelegt hat (Entscheidungsgründe, Seite 8-9). Bei Annahme von durchschnittlich 2,5 Arbeitstagen pro Woche als Koch und durchschnittlich 6,5 Arbeitsstunden ergibt sich eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 16,25 Stunden bzw. eine Arbeitszeit pro Tag - ausgehend von einer fünf-Tage-Woche - von 3,25 Stunden.

    Eine solche Umrechnung der tatsächlichen Arbeitstätigkeit des Klägers auf eine fünf-Tage-Woche bei gleichmäßiger Arbeitsbelastung pro Tag ist allerdings nicht vorzunehmen.

    Denn dadurch wird zu Unrecht eine von der tatsächlichen, durch genauen Inhalt und zeitlichen Umfang bestimmten, letzten Tätigkeit des Klägers als Koch in gesunden Tagen verschiedene, fiktive Arbeitsbelastung, auf die es gerade nicht ankommt, zugrunde gelegt.

    Entscheidend ist, wie die Erwerbstätigkeit des Versicherten konkret ausgestaltet war, als er unfähig wurde, sie so, wie er sie in gesunden Tagen ausgeübt hat, fortzusetzen. Bei der Beurteilung, ob der Versicherte bedingungsgemäß berufsunfähig geworden ist, kommt es zunächst darauf an, wie sich seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen in seiner konkreten Berufsausübung ausgewirkt haben. Es muss bekannt sein, wie das Arbeitsumfeld tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt (Prölss/Martin/Lücke, VVG, 31. Aufl. 2021, VVG § 172 Rn. 55). Aus diesem Grund hat derjenige, der den Eintritt von Berufsunfähigkeit geltend machen will, hierzu substantiiert vorzutragen und im Fall des Bestreitens Beweis für sein Vorbringen anzutreten. Deswegen genügt als Sachvortrag nicht die Angabe des Berufstyps und der Arbeitszeit, vielmehr muss eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs sowie ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 2004, IV ZR 200/03, Rn. 10).

    Zugrunde zu legen ist dann aber das als bewiesen erachtete Tätigkeitsbild genauso, wie es sich nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in zeitlicher Ausprägung darstellt. Denn ein Versicherungsnehmer, dem es trotz krankheitsbedingter Einschränkung möglich ist, werktäglich eine gleichbleibende, relativ geringe Stundenzahl zu arbeiten, kann durchaus krankheitsbedingt dauerhaft gehindert sein, an einer geringeren Anzahl von Tagen pro Woche jeweils - gegebenenfalls erheblich - längere Zeit zu arbeiten, insbesondere dann, wenn auch gegen Ende der längeren Arbeitszeit besondere Belastungsfaktoren wie Zeitdruck pp. hinzukommen können. Dies hat auch der Sachverständige betont, als er im Verhandlungstermin vor dem Landgericht am 9. März 2021 ausgeführt hat, der Kläger sei selbst bei anschließendem dreiwöchigen Urlaub nicht in der Lage, etwa 16 Stunden pro Tag zu arbeiten, weil solche Belastungsspitzen für ihn bei Vorliegen einer depressiven Episode nicht möglich bzw. zumutbar seien.

    bb)

    Der Kläger war im Zeitraum von etwa April/Mai bis September 2014 im "PX" in WX im Umfang von 6-9 Stunden pro Tag an etwa fünf bis sechs Tagen in der Sommersaison tätig, wobei diese Tätigkeit den vom Kläger und dem Zeugen F1, wiederum ganz überwiegend übereinstimmend, geschilderten Inhalt hatte.

    Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs ist abweichend von den Angaben des Klägers in der Berufungsverhandlung, er habe nach seiner Erinnerung saisonunabhängig an etwa ein bis zwei Tagen pro Woche im Service am PX gearbeitet, lediglich eine Tätigkeit im Umfang von insgesamt fünf bis sechs Tagen in der gesamten Sommersaison zugrundezulegen. Lediglich dieser zeitlich geringere Umfang der Tätigkeit des Klägers ist durch die Bekundung des Zeugen F1, die das Landgericht - wiederum ohne Fehler in der Beweiswürdigung - als nachvollziehbar und plausibel eingestuft hat (Entscheidungsgründe, Seite 8-9), bewiesen.

    Wiederum kommt eine Umrechnung dieser Tätigkeit auf Durchschnittszeiten, ausgehend von einer (fiktiven) 5-Stundenwoche, nicht in Betracht. Zur Begründung wird auf die Ausführungen zu aa) Bezug genommen.

    cc)

    In der gemeinsam mit dem Zeugen H1 betriebenen Hausverwaltungsgesellschaft war der Kläger im Jahr 2014 bis zum August/September im Umfang von 2-4 Stunden pro Tag an fünf Tagen in der Woche tätig, wobei seine Tätigkeit den vom Kläger und dem Zeugen H1 in allen wesentlichen Zügen übereinstimmend geschilderten Inhalt hatte.

    c)

    Auch von diesem geänderten Anforderungsprofil ausgehend, ist der Kläger seit September 2014 oder danach weder voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen infolge Krankheit außerstande oder bereits 6 Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande gewesen, seinen zuletzt ausgeübten Beruf, wie unter b) im einzelnen dargestellt, auszuüben; § 2 (1) Abs. 1 AVB E 356.

    Der insoweit beweisbelastete Kläger hat den Beweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit im vorstehend aufgeführten Sinne nicht geführt. Die Beweiserhebung durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. HX war im Sinne der klägerischen Behauptung nicht ergiebig. Denn der Sachverständige hat die Behauptung des Klägers, er sei aufgrund der genannten psychischen Erkrankungen seit September 2014 jedenfalls für 6 Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande gewesen, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben, nicht bestätigt. Er hat im Gegenteil vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass - selbst für den Fall, dass der Kläger aufgrund einer vom Sachverständigen allerdings nicht festgestellten, sondern lediglich als möglich erachteten schweren depressiven Episode nach dem Auszug der Tochter gegen Ende September 2014 kurzzeitig zu jedenfalls 50 % außerstande gewesen sein sollte, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben - die mögliche schwere depressive Episode jedenfalls Anfang des Jahres 2015 wieder abgeklungen gewesen war. Jedenfalls ab Anfang des Jahres 2015 und seitdem durchgehend war der Kläger damit sicher nicht zu jedenfalls 50 % außerstande, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben.

    Der Sachverständige hat u. a. auf den ärztlichen Entlassungsbericht der Reha-Klinik X vom 13. April 2015 (Anlage BLD5) Bezug genommen, aus welchem sich ergibt, dass die behandelnden Ärzte für den Zeitraum des dortigen Aufenthalts des Klägers ab 25. Februar 2015 lediglich eine leichte depressive Episode festgestellt haben. Der Kläger wurde aus der Reha-Klinik hinsichtlich einer Tätigkeit mit mittelschweren Arbeiten als vollschichtig leistungsfähig entlassen.

    Dem Kläger sei nach Überzeugung des Sachverständigen spätestens ab Anfang 2015 eine Tätigkeit in der Hausverwaltung im Umfang von 2 Stunden pro Tag an fünf Tagen in der Woche möglich und zumutbar gewesen, ebenso - und auch zusätzlich zur Tätigkeit in der Hausverwaltung am selben Tag - eine Tätigkeit als Koch bzw. im Service jeweils im Umfang von viereinhalb Stunden. Auf Nachfrage hat der Sachverständige dies dahin klargestellt, dass der Kläger jedenfalls seit Anfang des Jahres 2015 durchgehend nicht mehr im Umfang von mindestens 50 % unfähig gewesen sei, seine bis dahin ausgeübte Berufstätigkeit auszuüben. Dieser Tätigkeitsumfang entspreche vielmehr dem, was aus therapeutischer Sicht an schwerer Depression - also erheblich schwerer als der Kläger seit spätestens Anfang 2015 - erkrankten Menschen empfohlen werde, um nicht vollständig aus dem Arbeitsleben herauszukommen.

    Die beim Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen festgestellten qualitativen Störungen betreffen hauptsächlich den affektiven Bereich, es handelt sich um Antriebsstörungen. Von Antriebs- und Konzentrationsstörungen sowie Lustlosigkeit und Schwunglosigkeit hat der Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen diesem auch übereinstimmend mit dessen Feststellungen berichtet. Festzustellen ist eine gewisse Verbitterung sowie eine Schwierigkeit, sich gegen die Krankheit zu stemmen. Der Kläger braucht länger für Dinge. Demgegenüber sind kognitive Beeinträchtigungen durch den Sachverständigen nicht festzustellen gewesen. Der Senat folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen. Eine bedingungsmäßige Berufsunfähigkeit lässt sich nicht feststellen.

    Für ein erhaltenes Leistungsniveau des Klägers spricht zudem, worauf es letztlich allerdings schon nicht mehr ankommt, dass er im weiteren zeitlichen Verlauf des Jahres 2015 seine Anteile an der Hausverwaltungsgesellschaft selbstständig veräußert, im Zeitraum von 2016 - 2018 verschiedene, wenngleich nicht seiner zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit entsprechende, Tätigkeiten ausgeübt, in gewissem Umfang seine Tätigkeit in der Ferienhausvermietung wieder aufgenommen hat und seit 2016 ein Mandat als Ratsherr der Stadt WX innehat.

    Entsprechend hat der Sachverständige festgestellt, die beim Kläger gegenwärtig noch bestehenden depressiven Restsymptome seien eher der Dysthymie zuzuordnen, mithin Ausdruck einer leichtgradigeren Störung, für welche unter anderem typisch sei, dass die Personen ein vergleichsweise hohes Funktionsniveau aufrechterhalten könnten. Auch dem folgt der Senat.

    Vor diesem Hintergrund ist auch eine voraussichtliche Berufsunfähigkeit von sechs Monaten ab September 2014 retrospektiv nicht festzustellen. Ungeachtet des Umstands, dass der Kläger hierzu nicht näher vorträgt, sondern auf die aus seiner Sicht schon mehr als sechs Monate andauernde Berufsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Klagerhebung im Februar 2016 abstellt (vgl. Klagschrift S. 12 [Bl. 12] sowie ausdrücklich Schriftsatz vom 9. November 2016 S. 3 [Bl. 97]), sind keine Anknüpfungstatsachen dafür ersichtlich, dass bereits im September 2014 hätte festgestellt werden könne, dass die beginnende depressive Phase ununterbrochen voraussichtlich sechs Monate dazu führen würde, dass der Kläger außerstande sein könnte, seinen Beruf auszuüben.

    2.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 2 ZPO.

    Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Es handelt sich um eine auf Grundlage gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung getroffene Einzelfallentscheidung.

    RechtsgebieteVVG, AVBVorschriften§ 172 VVG, §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 AVB