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  • 19.06.2023 · IWW-Abrufnummer 235857

    Oberlandesgericht Dresden: Urteil vom 06.12.2022 – 4 U 1215/22

    1. Das Erfordernis einer gesonderten Belehrung über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung bei Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist nur dann gewahrt, wenn die Belehrung in unmittelbarer Nähe zu den Gesundheitsfragen erfolgt und so gefasst ist, dass sie ein durchschnittlich aufmerksamer Versicherungsnehmer schlechterdings nicht übersehen kann.

    2. Fragt der Versicherer nach "Krankheiten oder Beschwerden" muss ein bloßes Lampenfieber unterhalt der Schwelle zur krankhaften Prüfungsangst nicht angegeben werden, auch wenn es Anlass dafür war, einen Arzt aufzusuchen.

    3. Kann der Versicherungsnehmer zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen, einen in der Vergangenheit erfolgten Arztkontakt vergessen zu haben, kann ihm auch dann keine Verletzung der Anzeigepflicht vorgeworfen werden, wenn er es fahrlässig unterlassen hat, sein Erinnerungsvermögen durch Einsicht in vorhandene Unterlagen oder Rückfragen bei Dritten angespannt zu haben.


    Oberlandesgericht Dresden

    Urteil vom 06.12.2022


    In dem Rechtsstreit
    L...... B......, ...
    - Klägerin und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwältin F...... H......, ...
    gegen
    xxx Lebensversicherung AG, ...
    vertreten durch den Vorstand ...
    - Beklagte und Berufungsklägerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    Dr. K... - V... - K... - Dr. F... Rechtsanwälte - Partnerschaft mbB, ...

    wegen Versicherungsleistungen (BUZ)

    hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch
    Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S......,
    Richterin am Oberlandesgericht W...... und
    Richterin am Oberlandesgericht R......

    aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8.11.2022 am 06.12.2022 für Recht erkannt:

    Tenor:

    I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 9.6.2022 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

    II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    III. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Beschluss:

    Der Streitwert wird auf 120.921,60 EUR festgesetzt.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer am 25.6.2013 policierten Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit der Nummer LV xxx in Anspruch. Am 18.6.2013 beantragte sie bei der Beklagten den Abschluss einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung. Die Klägerin vermittelte sich diesen Vertrag selbst und füllte den Antrag auch selbst aus, wobei sie die Gesundheitsfragen jeweils verneinte. Für den Inhalt des Antragsfragebogens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die Anlage B1 Bezug genommen. Am 20.2.2016 stellte die Klägerin einen Leistungsantrag. Die Beklagte nahm Ermittlungen zu ihrem Gesundheitszustand auf und sprach mit Schreiben vom 10.10.2016 (Anl. K4) eine rückwirkende Vertragsanpassung aus, mit der Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend ab Vertragsbeginn aus dem Versicherungsschutz ausgeschlossen wurden, sofern psychische und/oder psychosomatische Erkrankungen oder nachgewiesene Folgen dieses Leidens die Ursache der Berufsunfähigkeit bilden.

    Das Landgericht hat Beweis u.a. durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens sowie schriftliche Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte erhoben und die Beklagte im Anschluss hieran vollumfänglich zur Leistung aus dem Versicherungsvertrag verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen als bedingungsgemäß berufsunfähig wegen einer psychischen Erkrankung anzusehen. Sie habe zwar objektiv Falschangaben im Rahmen des Versicherungsantrages gemacht, indem sie verschwiegen habe, dass sie im Zeitraum zwischen Juni und September 2008 und damit im nach den Antragsunterlagen maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum von ihrer Hausärztin eine Überweisung zu einem Psychotherapeuten erhalten und von diesem anschließend in fünf probatorischen Sitzungen untersucht worden sei, bevor dieser entschieden habe, dass eine Behandlung des Lampenfiebers, das Anlass für die Überweisung gewesen sei, nicht erforderlich sei. Hierin liege eine nach den Antragsfragen mitteilungspflichtige Behandlung. Die Klägerin sei auch ordnungsgemäß über ihre vorvertragliche Anzeigepflicht belehrt worden. Die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichten sei aber gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG unverschuldet erfolgt. Die Klägerin habe sich sowohl gegenüber ihrer Hausärztin als auch bei der Beantwortung der Antragsfragen auf die Einschätzung des Psychologen S... verlassen dürfen, dass sie nicht an einer psychischen Krankheit leide. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

    Mit der Berufung vertritt die Beklagte die Auffassung, die Beweiswürdigung des Landgerichts sei insofern fehlerhaft, als dieses ohne tragfähige Grundlage angenommen habe, die Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen sei unverschuldet gewesen. Tatsächlich sei der Klägerin aber sogar Vorsatz vorzuwerfen. Die Klägerin sei unstreitig am 21.08.2008, am 26.08.2008, am 01.09.2008, am 08.09.2008 und am 23.09.2008 in psychologischer/psychotherapeutischer Behandlung bei Herrn Dipl.-Psych. H...... S...... gewesen und habe anschließend am 25.11.2008 die Ärztin Dr. R...... M...... aufgesucht. Dies hätte sie gegenüber der Beklagten nicht verschweigen dürfen

    Sie beantragt,

    das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

    Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.

    Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, für den Inhalt des Versicherungsvertrages auf die erstinstanzlichen Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat die Klägerin gem. § 141 ZPO ergänzend angehört.

    II.

    Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag bejaht.

    1. Dass die Klägerin infolge einer posttraumatischen Belastungsstörung auf Dauer zu mehr als 50% in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt und damit berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen ist, steht aufgrund der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Dr. A...... gem. § 529 ZPO auch für das Berufungsverfahren fest. Der Senat nimmt insofern in vollem Umfang Bezug auf die entsprechenden Feststellungen in dem angefochtenen Urteil, die auch die Beklagte ausdrücklich gegen sich gelten lässt.

    2. Das Landgericht hat auch zutreffend angenommen, dass die von der Beklagten ausgesprochene Vertragsänderung nicht rückwirkend zu einer Anpassung des Versicherungsvertrages mit Wirkung auch für den streitgegenständlichen Leistungsfall geführt hat.

    a. Allerdings liegen die formellen Voraussetzungen für eine solche Anpassung vor. Die Beklagte hat die Anpassung am 10.10.2016 und damit innerhalb eines Monats nach Kenntnis von den ärztlichen Behandlungen der Klägerin im Fünf-Jahreszeitraum vor Antragstellung (14.6.2008 - 13.6.2013) durch die Auskunft der BKK xxx vom 5.9.2016 (Eingang bei der Beklagten: 12.9.2016) erklärt (§ 21 Abs. 1 VVG). Auch ist die Klägerin in Textform und hinreichend hervorgehoben über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung aufgeklärt worden (§ 19 Abs. 5 VVG). Das Erfordernis einer gesonderten Mitteilung über die Folgen einer Anzeigeverletzung ist bei einer Belehrung auf dem Antragsformular - wie sie hier gegeben ist - zwar nur gewahrt, wenn die Belehrung in unmittelbarer Nähe zu den Gesundheitsfragen erfolgt und drucktechnisch so hervorgehoben wird, dass sie ein durchschnittlich aufmerksamer Versicherungsnehmer schlechterdings nicht übersehen kann (Senat, Urteil vom 6. Juni 2017 - 4 U 1460/16 -, juris). Diese Anforderungen sind hier jedoch erfüllt. Auch inhaltlich entspricht die Belehrung den in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen, insbesondere enthält sie auch einen Hinweis auf die Möglichkeit eines rückwirkenden Leistungsausschlusses bei einer Anzeigepflichtverletzung (zu diesem Erfordernis vgl. Senat, Urteil vom 6.6.2017 - 4 U 1460/16 -juris). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auch insofern auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

    b. Vorliegend fehlt es jedoch an einem Anpassungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 4 S. 2 VVG. Hiernach ist der Versicherer zur Vertragsanpassung berechtigt, wenn ein Rücktrittsgrund nach § 19 Abs. 2 VVG oder ein Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 3 S. 2 VVG vorliegt, der Rücktritt oder die Kündigung aber nach § 19 Abs. 4 S. 1 VVG ausgeschlossen ist, weil der Antragsteller den Nachweis führen könnte, dass es an der Vertragskausalität fehlt. Die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 4 VVG entstehen nur dann, wenn der Versicherungsnehmer seine Obliegenheit verletzt, dem Versicherer die ihm bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung bekannten Gefahrumstände anzuzeigen. Daran fehlt es hier.

    c. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist bereits zweifelhaft, ob der Klägerin eine unzutreffende Beantwortung der Frage 6.14 nach "Krankheiten, Funktionsstörungen, Beschwerden, Behandlungen der Psyche" zur Last fällt. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiserhebung, gegen das insoweit auch die Beklagte nichts erinnert, war Anlass für die Vorstellung der Klägerin beim Hausarzt und die Überweisung an eine Fachärztin die Befürchtung der Mutter, die Klägerin könne in den vor ihr liegenden Abiturprüfungen an "Lampenfieber" leiden. Eine generalisierte oder spezifische Angststörung im Sinne der ICD-10 Kategorisierung wurde nach den von einem Psychologen durchgeführten Untersuchungen nicht festgestellt. Als Krankheit im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung kommt jedoch nur ein Zustand in Betracht, der vom normalen Gesundheitszustand so stark und so nachhaltig abweicht, dass er geeignet ist, die berufliche Leistungsfähigkeit oder die berufliche Einsatzmöglichkeit dauerhaft zu beeinträchtigen (allg. Auffassung vgl. nur Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. § 2 BU Rn 4 m.w.N.). Hierzu zählt ein alterstypisch ausgeprägtes "Lampenfieber" unterhalb der Schwelle zur krankhaften Prüfungsangst indes nicht. Es stellt nach Auffassung des Senats auch noch keine "Beschwerde" der Psyche dar. Zwar darf der Versicherer auch solche Beeinträchtigungen erfragen, die noch keinen Krankheitswert haben, weil ihm allein die Entscheidung obliegt, unter welchen Voraussetzungen er einen Versicherungsvertrag abschließen will. Die weit gefasste Pflicht des Versicherungsnehmers zur Offenbarung findet aber ihre Grenze bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen. (Senat, Beschluss vom 29. April 2021 - 4 U 2453/20 -, Rn. 16, juris Beschluss vom 18.09.2020 - 4 U 1059/20 - juris, Rz. 4). Dies prägt auch das Verständnis des Begriffs der "Beschwerden" im Sinne der Antragsfragen. Ein keiner weiteren Behandlung bedürfendes "Lampenfieber", das nicht in ein Vermeidungsverhalten mündet und unter Umständen der Konzentration des Vortragenden sogar noch dienlich ist, kann angesichts dieser immanenten Beschränkung keine Anzeigepflicht begründen.

    d. Es spricht allerdings einiges dafür, dass die von der Hausärztin im Juni 2008 veranlasste Überweisung an einen Psychologen bereits eine anzeigepflichtige "Behandlung der Psyche" im Sinne der Antragsfragen war. Da in den Antragsfragen nicht nach "Untersuchungen" gefragt war, ist die "Behandlung" allerdings hiervon abzugrenzen. Sie liegt fraglos dann vor, wenn eine Therapie eingeleitet wird, etwa durch eine Medikation oder einen Eingriff. Demgegenüber fehlt es an einer solchen Behandlung, wenn eine Untersuchung ohne Befund bleibt. Ob dies auch dann der Fall ist, wenn der untersuchende Arzt zuvor eine weiter gehende Abklärung für erforderlich gehalten hat, auch wenn weder durch ihn noch im weiteren Verlauf eine konkrete Diagnose gestellt wird, erscheint allerdings fraglich, weil die Überweisung jedenfalls dokumentiert, dass für den Behandler die Situation nicht eindeutig ist und in medizinischer Sicht Abklärungsbedarf besteht (vgl. hierzu OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.02.2019 - 8 U 1782/18, zitiert nach; Neuhaus, jurisPR-VersR 2/2021 Anm. 3). Bei der Klägerin tritt hinzu, dass bei dem Psychologen Dr. S... immerhin fünf probatorische Sitzungen von jeweils einer Stunde Umfang stattfanden; angesichts dieses Umfangs hält der Senat es für wahrscheinlich, dass die in diesem Zusammenhang geführten Gespräche zumindest auch eine krankheitsklärende und damit auch therapeutische Zielrichtung hatten. Unabhängig hiervon spricht hier einiges dafür, dass die Überweisung vom Hausarzt zu einem Psychologen zumindest eine "Abklärungsuntersuchung" im Sinne von Ziff. 9 der Antragsfragen darstellt, die die Klägerin wahrheitswidrig nicht angegeben hat.

    e. Diese Frage muss jedoch nicht abschließend entschieden werden. Im Anschluss an die mündliche Anhörung der Kläger im Verhandlungstermin vom 8.11.2022 ist davon auszugehen, dass im Zeitpunkt der Antragstellung eine positive Kenntnis der Klägerin von den anzeigepflichtigen Umständen nicht (mehr) vorlag. Der Senat verkennt dabei nicht, dass der Versicherungsnehmer in der Regel mindestens grob fahrlässig handelt, wenn er sich über präzise Fragen in dem Antragsformular hinwegsetzt (Prölss/Martin, aaO. § 19 VVG Rn 110 m.w.N.). Wie ausgeführt, ist die Frage, ob die Überweisung an einen Facharzt und die Durchführung probatorischer Sitzungen ohne eine Therapie im eigentlichen Sinne bereits eine "Behandlung" darstellt, nicht so eindeutig, dass deren Verkennung dem Versicherungsnehmer als grob fahrlässig angelastet werden könnte. Entscheidend kommt es hier aber darauf an, dass die Klägerin in ihrer Anhörung für den Senat glaubhaft bekundet hat, sie habe den gesamten Sachverhalt, der im Antragszeitraum nahezu fünf Jahre zurücklag, aus dem Gedächtnis gelöscht, weil sie nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur auf Drängen ihrer Mutter der Abklärung ihres "Lampenfiebers" zugestimmt habe, bis auf ein "nettes Gespräch" aus den probatorischen Sitzungen bei Dipl. Psych. S... nichts hervorgegangen sei und es anschließend in ihrem Leben zahlreiche einschneidende Veränderungen (Auslandsaufenthalt, Studienbeginn) gegeben habe. Bei Antragstellung seien ihr daher weder der Kontakt zu Frau Dr. M... noch die Sitzungen bei Dipl. Psych. S... mehr erinnerlich gewesen. Angesichts der auch in dem Gutachten des Dr. Dr. A...... zum Ausdruck kommenden regressiven und zur Verdrängung neigenden Tendenzen im Persönlichkeitsbild der Klägerin sowie des Umstandes, dass sie im Jahr 2008 gerade erst 18 Jahre alt war, hält der Senat diese Angaben für noch glaubhaft, auch wenn es grundsätzlich schwer vorstellbar erscheint, dass die Teilnahme an mehreren psychologischen Sitzungen rückblickend einfach vergessen werden kann. In ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat hat die Klägerin aber einen zwar psychisch stark beanspruchten, jedoch zugleich glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Ihre diesbezügliche Einlassung entspricht dem Vorbringen erster Instanz und ist damit auch konsistent, was ebenfalls für deren Glaubhaftigkeit spricht. Der Klägerin ist zwar vorzuwerfen, bei Antragstellung in ihrer Erinnerung nicht stärker nachgeforscht und auch ihre Mutter zu Arztterminen im Antragszeitraum nicht befragt zu haben, zumal sie sich den Vertrag selber vermittelt und angegeben hat, über die Folgen einer falsch beantworteten Antragsfrage geschult worden zu sein. Es kann aber dahinstehen, ob dieses Versäumnis seinerseits einen Fahrlässigkeitsvorwurf gegen die Klägerin begründen könnte, wobei auch zu berücksichtigen wäre, dass sie glaubhaft angegeben hat, sie hätte 2013 ohnehin auf Unterlagen aus dem Jahr 2008 keinen Zugriff mehr gehabt. Hierauf kommt es nämlich nicht an. Ein Versicherungsnehmer verletzt bereits seine Anzeigepflicht nicht, wenn er einen Umstand nicht angibt, der ihm aufgrund von Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist (BGH, BGH, Hinweisbeschluss vom 25.9.2019 - IV ZR 247/18, NJW-RR 2020, 94 Rn. 16, beck-online - juris; so bereits BGH NJW-RR 2009, 606 [BGH 11.02.2009 - IV ZR 26/06]; NJW-RR 1994, 859). Fahrlässige Unkenntnis, wie sie hier möglicherweise gegeben ist, vermag mithin die fehlende Kenntnis eines anzeigepflichtigen Umstandes nicht zu ersetzen (BGH aaO.).

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Zwar ist die im Senatstermin vom 8.11.2022 erörterte Frage, ob § 19 Abs. 4 S. 2 VVG insoweit einen Wertungswiderspruch zu § 19 Abs. 3 VVG aufweist, als ein Rücktritt vom Vertrag nur bei mindestens grober Fahrlässigkeit vorgesehen ist, während die rückwirkende Vertragsanpassung bereits bei einfacher Fahrlässigkeit möglich ist, in der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - bislang ungeklärt. Im Schrifttum werden hierzu verschiedene Auffassungen vertreten: Zum Teil wird die Auffassung vertreten, es sei eine teleologische Reduktion des § 19 Abs. 4 S. 2 VVG vorzunehmen und auch die rückwirkende Vertragsanpassung nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit zuzulassen, weil der Versicherungsnehmer ansonsten Ansprüche verliere, die er im Falle des Rücktritts gehabt habe (HK-VVG/Schimikowski, § 19 Rn. 41; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle, VVG § 19 Rn. 127f.; Looschelders, VersR 2011, 697, (703); Knappmann in Beckmann/Matuschke-Beckmann, § 4 Rn. 112). Andere Stimmen sprechen sich für eine Vergleichsbetrachtung mit dem Rücktritt aus und lassen die rückwirkende Vertragsanpassung bei einfacher Fahrlässigkeit immer dann zu, wenn bei einem möglichen Rücktritt gem. § 21 Abs. 2 eine Leistungspflicht bestünde (Lange r+s 2008, 56, 61). Die wohl h.M. verweist indes darauf, dass bei einem bloßen Ausschluss für die Zukunft in Fällen einfacher Fahrlässigkeit der Versicherungsnehmer, der seine Anzeigepflicht erfüllt und daher von vornherein mit einem Risikoausschluss belastet wird, schlechter stünde als derjenige, dem immerhin vorbehaltlich des Abs. 4 hätte gekündigt werden können, was "noch weniger akzeptabel" sei (Prölss/Martin, aaO. § 19 Rn 147 m.w.N). Auf die Entscheidung dieses Rechtsstreits kommt es vorliegend indes nicht an, da - wie dargestellt - der Klägerin bereits keine Anzeigepflichtverletzung vorgeworfen werden kann.

    RechtsgebieteZPO, VVGVorschriften§ 97 ZPO, § 19 VVG