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  • 27.06.2023 · IWW-Abrufnummer 236001

    Landgericht Kleve: Urteil vom 29.12.2022 – 6 O 15/21

    Dem Berufunfähigkeitsversicherer ist verwehrt, sich zum Berufsbild seines Versicherungsnehmers mit Nichtwissen zu erklären, wenn er dessen Angaben zum Berufsbild bei seiner außergerichtlichen Leistungsprüfung der medizinischen Überprüfung zugrundegelegt hat


    Landgericht Kleve


    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 1/4 und der Beklagte zu 3/4.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

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    Tatbestand:

    2
    Die Klägerin hat bei dem Beklagten einen Versicherungsvertrag abgeschlossen, der eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung enthält. Der Versicherungs- und Leistungszeitraum der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung endet zum 01.06.2026. Für den Fall der Berufsunfähigkeit ist eine monatliche Rente von 689,25 € vereinbart, sowie eine Freistellung von der Prämienzahlungspflicht, die monatlich zur Zeit 62,90 € beträgt. Wegen der weiteren Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien wird auf den Versicherungsschein vom 13.05.2002 (nicht nummerierte Anlage zur Klageschrift = Bl. 24-27 d.A.) nebst den einbezogenen Allgemeinen Bedingungen für Berufsunfähigkeitsleistungen des Beklagten - BED.BU.0102 -  (nicht nummerierte Anlage zur Klageschrift = Bl. 16-19 d.A.) verwiesen.

    3
    Unter dem 27.04.2020 beantragte die Klägerin beim Beklagten Berufsunfähigkeitsleistungen. Der Antrag enthielt auch eine Beschreibung des Berufsbildes der Klägerin. Wegen der weiteren Einzelheiten des Antragsinhalts wird auf den schriftlichen Antrag vom 27.04.2020 (Anlage B3 zur Klageerwiderung = Bl. 173-178 d.A.) verwiesen. Mit Schreiben vom 15.05.2010 (Anlage B8 zur Klageerwiderung = Bl. 187 d.A.) lehnte der Beklagte die Gewährung von Berufsunfähigkeitsleistungen ab.

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    Mit Schriftsatz vom 14.06.2022 (= Bl. 398 ff. d.A.) beantragte die Klägerin vorsorglich auch Leistungen für eine Berufsunfähigkeit ab Oktober 2020. Mit Schreiben vom 08.08.2022 (nicht nummerierte Anlage zum Schriftsatz vom 02.09.2022 = Bl. 449-451 d.A.) erkannte der Beklagte seine Leistungspflicht ab dem 01.11.2020 an und zahlte im Anschluss daran die begehrten Leistungen für die Zeiträume ab November 2020.

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    Die Klägerin trägt vor, sie sei seit dem 31.10.2019, hilfsweise jedenfalls seit Oktober 2020 berufsunfähig. Sie sei angestellte examinierte Altenpflegerin. Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufsbildes wird auf das Vorbringen auf Seite 4 und 5 der Klageschrift (= Bl. 4-5 d.A.) und den als nicht nummerierte Anlage zur Klageschrift beigefügten "Tagesablauf" (= Bl. 28-29 d.A.), sowie den Schriftsatz vom 14.06.2021 nebst Anlagen (= Bl. 212-219 d.A.) verwiesen. Am 31.10.2019 sei sie am linken Fuß wegen Hallux valgus operiert worden. Seither sei sie durchgängig krankgeschrieben, weil Schmerzen und Bewegungseinschränkungen sie an ihrer Berufsausübung hinderten, insbesondere daran, die Wege zu gehen und die Pfleglinge zu heben, zu stützen und zu begleiten. Eine von ihr versuchte stufenweise Wiedereingliederung habe sie abbrechen müssen, weil sie keine 3 Stunden am Stück habe arbeiten können. Im Februar sei sie gestürzt und habe sich dabei den linken Fuß gebrochen, was zunächst nicht erkannt worden sei. Am 15.12.2020 sei sie erneut am linken Fuß operiert worden und habe danach sechs Wochen einen Gipsverband tragen müssen. Dabei sei aus dem Köpfchen des ersten Mittelfußknochens eine basisnahe Umstellung des Metatarsale 1 und zusätzlich eine varisierende Kalkaneusosteotomie durchgeführt worden. Seither hätten sich ihre Beschwerden verschlimmert. Die Hallux rigidus-Symptomatik des linken Großzehengrundgelenkes bei deutlicher Abkippung des ersten Mittelfußknochens habe zugenommen.

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    Nach übereinstimmender teilweiser Erledigungserklärung beantragt die Klägerin sinngemäß,

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    1.

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    den Beklagten zu verurteilen, an sie 9.025,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

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    2.

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    den Beklagten zu verurteilen, sie freizustellen von der Inanspruchnahme durch ihre Prozessbevollmächtigten wegen der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.590,91 €.

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    Der Beklagte beantragt,

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    die Klage abzuweisen.

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    Der Beklagte erklärt sich zum Berufsbild der Klägerin, zu erlittenen Verletzungen und Behandlungen mit Nichtwissen. Er behauptet, die medizinischen Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit vor Oktober 2020 lägen nicht vor. Erstmals durch die im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten sei - jedenfalls ab Oktober - eine Berufsunfähigkeit nachvollziehbar dargestellt worden. Trotz des Anerkenntnisses der Leistungspflicht durch den Beklagten habe die Klägerin die volle Kostenlast zu tragen. Der behauptete Versicherungsfall sei nicht bewiesen worden, weil am 01.11.2019 keine Berufsunfähigkeit eingetreten sei, sondern erst ab Oktober 2020. Ein solcher Versicherungsfall sei nicht Gegenstand der vorgerichtlichen Leistungsprüfung des Beklagten gewesen, so dass es an einer Fälligkeit im Sinne von § 14 VVG gefehlt habe. Berufsunfähigkeit sei ein "gedehnter Versicherungsfall", der zu einem bestimmten Zeitpunkt eintrete und dann fortdauern müsse. Sei die Berufsunfähigkeit später eingetreten als vom Versicherungsnehmer behauptet, handle es sich um einen anderen Versicherungsfall.

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    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

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    Die Klageschrift ist dem Beklagten am 18.02.2021 (ZU Bl. 60/61 d.A.) zugestellt worden. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Gutachten des Sachverständigen Dr. X. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 06.05.2022 (= Bl. 333-358 d.A.) und das schriftliche Ergänzungsgutachten vom 03.08.2022 (= Bl. 430-432 d.A.) verwiesen. Die Parteien haben den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt; so der Beklagte mit Schriftsatz vom 07.09.2022 (= Bl. 463 ff. d.A.) und die Klägerin mit Schriftsätzen vom 19.09.2022 (= Bl. 472 ff. d.A.) und vom 17.11.2022 (= Bl. 528 d.A.).

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    Entscheidungsgründe:

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    Die zulässige Klage ist unbegründet, soweit sie nicht übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt worden ist.

    18
    I.

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    Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 9.025,80 € aus § 1 S. 1 VVG i.V.m. dem Versicherungsvertrag der Parteien i.V.m. § 1 Abs. 1 BED.BU.0102. § 172 VVG ist - anders als die allgemeinen Bestimmungen des VVG - gemäß Art. 4 Abs. 3, Art. 1 EGVVG nicht anzuwenden, weil der streitgegenständliche Vertrag vor dem 01.01.2008 geschlossen worden ist.

    20
    Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente und eine Beitragsbefreiung nach § 1 Abs. 1 BED.BU.0102 für die noch streitgegenständlichen Monate November 2019 bis (einschließlich) Oktober 2020. Dessen Leistungspflicht begann gemäß § 1 Abs. 4 BED.BU0102 erst am 1. November 2020, weil sie erst im Oktober 2020 berufsunfähig im Sinne von § 2 Abs. 1 BED.BU.0102 geworden ist.

    21
    Davon ist die Kammer nach durchgeführter Beweisaufnahme überzeugt (§ 286 ZPO) aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. X in seinen Gutachten. Davon, dass die ärztlichen Behandlungen und Feststellungen erfolgt sind, wie sie vom Sachverständigen Dr. X in seinem Gutachten ausgeführt sind, ist die Kammer durch die vorgelegten und vom Sachverständigen akzeptierten Behandlungsunterlagen überzeugt.

    22
    Der Sachverständige Dr. X, der die Klägerin selbst untersucht hat, führt darin in sich schlüssig und nachvollziehbar aus, dass (erst) ab Oktober 2020 eine Berufsunfähigkeit der Klägerin eingetreten sei, als ihr eine neuerliche Revisionsoperation des linken Fußes angeraten worden sei.

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    Zum 31.10.2019 seien die Beschwerden noch nicht ausreichend gewesen, um eine Berufsunfähigkeit zu begründen. Damals sei, wie zuvor am rechten Fuß, lediglich eine Operation mit Korrekturosteotomie des ersten Mittelfußknochens durchgeführt worden, welche üblicherweise mit einer Arbeitsunfähigkeit von bis zu 12 Wochen einhergehe. Die postoperative Aufnahme vom 1.11.2019 belege die regelrechte Gelenkstellung des Großzehengrundgelenkes, wenngleich bei einem präoperativ vorliegenden Intermetatarsal-Winkel von 18 Grad hier bereits ein basisnahes Vorgehen zu empfehlen gewesen sei. Auch die erlittene Befundverschlechterung im Rahmen des Treppensturzes im Februar 2020, bei bis dahin beschriebenen unauffälligen Heilverlauf nach Vor-OP und nachgewiesener knöcherner Absprengungen im Bereich des Kalkaneokuboidalgelenkes, sei primär nicht geeignet gewesen, eine voraussichtliche weitere Unfähigkeit zur Berufsausübung von 6 Monaten zu begründen. Die vorliegenden Röntgenaufnahmen vom 24.3.2020 und vom 15.9.2020 belegten eine noch kongruente Gelenkstellung des Großzehengrundgelenkes, jedoch belegten sie zugleich eine erneute Zunahme der Hallux valgus-Deformität.

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    Nach der erneuten Revisionsoperation habe aber ausweislich der vorliegenden Röntgendiagnostik die Fehlstellung im Bereich des Großzehengrundgelenkes deutlich zugenommen, hier mit hochgradiger Gelenkinkongruenz bei Subluxationsstellung des MFK 1 Köpfchens, Abkippen der Grundgliedbasis und bis zum heutigen Tage fortschreitender Gelenkzerstörung im Sinne einer nun vorliegenden Großzehengrundgelenksarthrose bei weiterhin bestehender insuffizienten Gelenkführung und Subluxationsstellung.

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    Bei Versagen der durchgeführten komplexen Revisionsoperation bzw. deutlichen Zunahme der Gelenksfehlstellung im Großzehengrundgelenk, sei davon auszugehen gewesen, dass die Klägerin ihren versicherten Beruf als examinierte Altenpflegerin mit Notwendigkeit einer Fußbelastbarkeit im Rahmen der Pflege sowie entsprechender Steh- und Laufleistung über den gesamten Arbeitstag, sei bei der vorliegenden Gelenksdeformität im Bereich des Großzehengrundgelenkes mit persistierender Reizsymptomatik und Belastungsinsuffizienz die Klägerin weder im Sinne der Funktionalität, geschweige denn Zumutbarkeit in der Lage, ihren versicherten Beruf zu mindestens 50 % so auszuüben, wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet gewesen sei. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei unter den eingeleiteten Therapiemaßnahmen auch in Zukunft nicht von einer Befundbesserung oder Zunahme der Belastbarkeit des Fußes der Klägerin auszugehen.

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    Die Klägerin leide - so der Sachverständige überzeugend weiter - an einer Beschwerdesymptomatik mit Belastungsinsuffizienz des linken Vorfußes und medialer Schmerzprojektion. Im Rahmen der klinischen und radiologischen Untersuchung zeige sich eine ausgeprägte Fehlstellung im Großzehengrundgelenk mit nahezu bestehender Subluxation des ersten Mittelfußköpfchens 2-maliger Voroperation. Eine suffiziente Gelenkführung sei hier nicht mehr gegeben und zusätzlich das Großzehengrundgelenk im Sinne einer fortgeschrittenen Großzehengrundgelenksarthrose degenerativ verändert. Die von der Klägerin angegebene Beschwerdesymptomatik sei eindeutig auf die radiologische Deformität des Großzehengrundgelenkes mit progredienter Fehlstellung im Sinne einer Subluxation und Zunahme der degenerativen Veränderungen zurückzuführen.

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    Dem schließt sich die Kammer nach eigener inhaltlicher Prüfung vollumfänglich an und ist demgemäß davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass die Klägerin (erst) seit Oktober 2020 berufsunfähig ist, während bis Oktober 2020 keine Berufsunfähigkeit bestand.

    28
    II.

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    Mangels Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch auf dessen Verzinsung nach §§ 291, 288 BGB.

    30
    III.

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    Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch aus §§ 280 Abs. 2, 286 BGB auf Freistellung von ihren Anwaltskosten für die vorgerichtliche Rechtsverfolgung. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat nicht dargetan, dass sich der Beklagte im Verzug befand, als sie ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten mit ihrer außergerichtlichen Vertretung beauftragt hat. Das Ablehnungsschreiben des Beklagten vom 15.05.2020 hat keinen Verzug nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB begründet, weil sich ihm keine ernsthafte und endgültige, sondern nur eine (einfache) Leistungsablehnung entnehmen lässt. Überdies bestand zu diesem Zeitpunkt noch kein Anspruch, weil die Klägerin ausweislich der überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. X - wie vorstehend bereits dargestellt - erst ab Oktober 2020 berufsunfähig gewesen ist.

    32
    IV.

    33
    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 91a ZPO.

    34
    Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit ihre Klage abgewiesen worden ist.

    35
    Soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, entspricht es billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

    36
    Die Parteien haben den Rechtsstreit übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt. Dass die Erledigungserklärung des Beklagten derjenigen der Klägerin zeitlich voranging, ist unerheblich, weil die Reihenfolge der Erklärungen bei übereinstimmender Erledigung ohne Belang ist (Flockenhaus in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 91a, Rn. 12).

    37
    Es entspricht billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes dem Beklagten insoweit die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, weil die Klage im Umfang der übereinstimmenden Erledigungserklärung zulässig und begründet gewesen ist, ohne dass es einer weiteren Beweisaufnahme bedurft hätte.

    38
    Dabei kann vorliegend im Ergebnis offenbleiben, ob der Eintritt der Berufsunfähigkeit im Oktober 2020 ein Versicherungsfall ist, der von einem Versicherungsfall bei Eintritt der Berufsunfähigkeit zum 31.10.2019 zu unterscheiden ist. Selbst wenn das der Fall sein sollte, wäre die Klage begründet gewesen. Die Klägerin hat ihre Klage zumindest seit dem 14.06.2022 (Bl. 398 d.A.) auch darauf gestützt, jedenfalls seit Oktober 2020 berufsunfähig zu sein.

    39
    Die Klägerin ist seit Oktober 2020 berufsunfähig im Sinne des Versicherungsvertrags der Parteien. Davon ist die Kammer nach durchgeführter Beweisaufnahme überzeugt (§ 286 ZPO) aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. X in seinen Gutachten. Insoweit wird auf die Ausführungen unter I. verwiesen, um überflüssige Wiederholungen zu vermeiden.

    40
    Es bedurfte keines weiteren Vorbringens zum Berufsbild der Klägerin im Sinne von § 3 BED.BU.0102. Ihr Vorbringen war hinreichend substantiiert. Die Anforderungen an die Darlegung der Tätigkeit in gesunden Tagen sind kein Selbstzweck und sollen die Durchsetzung berechtigter Ansprüche nicht verhindern (OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. Oktober 2014 ‒ 4 U 104/13, juris, Rn. 53). Eine weitergehende Substantiierung des Vorbringens darf nicht verlangt werden, wenn auf der Grundlage des Sachvortrags die Tätigkeit für einen Außenstehenden ausreichend nachvollziehbar ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. Oktober 2014 ‒ 4 U 104/13, juris, Rn. 53). Die Tätigkeit der Klägerin war aus ihrem Vorbringen für die Kammer nachvollziehbar und ersichtlich auch für den Sachverständigen Dr. X, der auf dieser Grundlage in der Lage war, sein Gutachten zu erstatten.

    41
    Es wäre auch keine Beweisaufnahme zum Berufsbild der Klägerin erforderlich gewesen. Das Berufsbild ist unstreitig, weil der Beklagte es nicht wirksam bestritten hat. Seine Erklärung mit Nichtwissen ist vorliegend unzulässig und hat daher keine Bestreitenswirkung. Dem Berufunfähigkeitsversicherer ist verwehrt, sich zum Berufsbild seines Versicherungsnehmers mit Nichtwissen zu erklären, wenn er - wie vorliegend - dessen Angaben zum Berufsbild bei seiner außergerichtlichen Leistungsprüfung der medizinischen Überprüfung zugrundegelegt hat (Wermeckes/Seggewiße, VersR 2019, 271 ff.). Das folgt aus einer prozessvertraglichen Nebenabrede, welche einem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag immanent ist. Diese Nebenabrede ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Berufsunfähigkeitsversicherung, den gesteigerten Treuepflichten der Parteien eines Versicherungsvertrages, den umfangreichen Auskunftsansprüchen des Versicherers (hier in § 5 BED.BU.0102) und den Rechtsgedanken der §§ 14, 173 VVG (Wermeckes/Seggewiße, VersR 2019, 271 ff.). Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Parteien dächten vorgerichtlich nicht an eine gerichtliche Auseinandersetzung (so aber Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl. 2020, Kapitel 18, Rn. 12). Es erscheint lebensfremd, den Parteien zu unterstellen, ihnen sei nicht klar, dass es bei Berufsunfähigkeitsleistungen zu einem Rechtsstreit kommen könne. Dem widerspricht bereits, dass die Musterbedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung eine Gerichtsstandsklausel enthalten. Eine solche wäre nicht erklärlich, wenn die Parteien die Möglichkeit eines Rechtsstreits nicht in Erwägung zögen. Das gleiche gilt für den in den streitgegenständlichen Vertrag einbezogenen § 7 BED.BU.0102, der (wenngleich seit dem 01.01.2008 nach § 307 BGB unwirksam) eine Klagefrist von 6 Monaten für die gerichtliche Geltendmachung nach Leistungsablehnung vorsieht. Die Vereinbarung einer Klagefrist belegt, dass den Parteien die Möglichkeit einer gerichtlichen Auseinandersetzung bereits bei Vertragsschluss ersichtlich bewusst gewesen ist.

    42
    Die Richtigkeit der vorstehend dargestellten Auffassung zeigt sich insbesondere vorliegend. Der Beklagte hat seine Leistungspflicht ab dem 01.11.2020 nach § 173 VVG anerkannt, nachdem der gerichtliche Sachverständige Dr. X deren medizinische Voraussetzungen festgestellt hatte. Der Beklagte hat vor seiner Anerkenntniserklärung nach § 173 VVG keinerlei Notwendigkeit oder Anlass zu irgendwelchen weiteren - gerichtlichen oder eigenen - Feststellungen zum Berufsbild der Klägerin gesehen. Spätestens mit Abgabe des Anerkenntnisses nach § 173 VVG ist das Berufsbild der Klägerin damit als unstreitig anzusehen. Es belegt, dass der Beklagte die Angaben der Klägerin zu ihrem Berufsbild als ausreichend und richtig anerkannt hat. Andernfalls wären die notwendigen Ermittlungen zur Feststellung des Versicherungsfalles bei Abgabe des Anerkenntnisses noch nicht abgeschlossen gewesen. Durch die Bewilligung einer Versicherungsleistung vor Abschluss der nötigen Erhebungen hätte der Beklagte aber gegen seine Pflicht zur Gleichbehandlung seiner Mitglieder (§ 177 Abs. 1 Fall 2 VAG) und seine aus § 294 Abs. 2 S. 2 VAG folgende Pflicht zur Wahrung der Interessen der Versicherten verstoßen. Die Gewährung von Versicherungsleistungen auf unzureichender Tatsachengrundlage würde gegen die Sorgfalt eines ordentlichen Versicherers verstoßen und die Belange der Versichertengemeinschaft beeinträchtigen, weil das die Gefahr unberechtigter Auszahlungen zulasten der Versichertengemeinschaft erhöhen würde. Zugleich würde die unzureichende Prüfung eine Ungleichbehandlung der Versicherten begünstigen. Dies kann daher dem Beklagten nicht unterstellt werden, wenn - wie vorliegend - dazu keine Anhaltspunkte dargetan oder sonst ersichtlich sind.

    43
    Die Klage ist nicht unbegründet gewesen, weil die in § 7 Abs. 1 BED.BU.0102 genannte 6monatige Klagefrist bei Klageerhebung verstrichen war. Diese § 12 Abs. 3 VVG 1908 nachgebildete Klausel ist ab dem 01.01.2008 unwirksam. Fristen nach § 12 Abs. 3 VVG 1908 können ab dem 01.01.2008 auch bei Altverträgen nicht mehr gesetzt werden (BGH, Urteil vom 08.02.2012 - IV ZR 223/10 = VersR 2012, 470, 471, Rn. 17, 18). Dem widersprechende AVB sind nach § 307 BGB unwirksam (Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, Art. 1 EGVVG, Rn. 44; Gal in: Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl. 2022, Art. 1 EGVVG, Rn. 33; Looschelders in: MüKo-VVG, 2. Aufl. 2017, Art. 1 EGVVG, Rn. 37).

    44
    Selbst wenn man - anders als die Kammer - die Vereinbarung einer 6monatigen Klagefrist weiterhin für grundsätzlich möglich hielte, könnte sich der Beklagte vorliegend nicht auf deren Verstreichen berufen, weil er entgegen der unabdingbaren Vorgaben der §§ 12 Abs. 3 S. 2, 15a VVG 1908 - die in § 7 Abs. 2 BED.BU.0102 nachvollzogen werden - in der Leistungsablehnung vom 15.05.2020 nicht auf die mit dem Fristablauf verbundenen Rechtsfolgen hingewiesen hat.

    45
    Der Klägerin sind die Kosten für den übereinstimmend für erledigt erklärten Teil auch nicht nach dem Rechtsgedanken des § 93 ZPO aufzuerlegen. Auch wenn man davon ausginge, dass sie die nach § 173 VVG anerkannten Leistungen erst mit Schriftsatz vom 14.06.2022 beantragt hätte, wäre das Anerkenntnis des Beklagten nicht sofort erfolgt. Das folgt bereits aus dem Rechtsgedanken des § 14 Abs. 2 S. 1 VVG, da seit dem Antrag dann mehr als ein Monat verstrichen gewesen wäre. Zudem lag dem Beklagten das Gutachten des Sachverständigen Dr. X bereits seit dem 23.05.2022 (EB Bl. d.A.) vor. Das Ergänzungsgutachten war für die Feststellung der Leistungspflicht unerheblich. Auch der Beklagte hat das Ergänzungsgutachten ersichtlich für seine Prüfung für unnötig erachtet. Er hat sein Anerkenntnis nach § 173 VVG bereits mit Schreiben vom 08.08.2022 erklärt. Das Ergänzungsgutachten lag ihm ausweislich des Empfangsbekenntnisses seiner Prozessbevollmächtigten (= Bl. 445 d.A.) aber erst am 19.08.2022 vor, so dass es nicht Gegenstand seiner Entscheidungsfindung gewesen sein kann.

    46
    V.

    47
    Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

    48
    VI.

    49
    Streitwert: 35.802,34 € (siehe Beschluss vom 05.02.2021; die teilweise Erledigungserklärung ist wegen § 40 GKG für die Streitwertfestsetzung unbeachtlich)

    50
    Rechtsbehelfsbelehrung zur Streitwertfestsetzung:

    51
    Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Landgericht Kleve statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,- € übersteigt. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Kleve, Schloßberg 1 (Schwanenburg), 47533 Kleve, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

    RechtsgebieteZPO, VVGVorschriftenZPO § 138 Abs. 4; VVG §§ 172 ff.