20.12.2024 · IWW-Abrufnummer 245544
Landgericht Flensburg: Urteil vom 10.05.2024 – 4 O 256/23
Befindet sich der Fahrer während des Transports eines Kfz auf einem Autozug (hier: Sylt-Shuttle) im Fahrzeug, so unterfällt es der Betriebsgefahr des Kfz und nicht der des Zuges, wenn das Kfz während der Zugfahtr ins Rollen gerät und das vor ihm auf dem Autozug stehende Fahrzeug beschädigt.
In dem Rechtsstreit
XXX
wegen Schadensersatzes
-
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg durch den Richter am Landgericht D... als Einzelrichter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29.04.2024 für Recht erkannt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.408,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.09.,2022 zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen der Beschädigung ihres Pkws durch ein Kraftfahrzeug, für das die Beklagte eintrittspflichtig ist, während der Fahrt auf einem Autozug.
Der Pkw der Klägerin Mercedes-Benz mit dem Kennzeichen ... wurde am 24.08.2022 in N... auf dem Autozug nach S... (S...-Shuttle) verladen. Im Pkw befanden sich der Geschäftsführer der Klägerin, Herr G..., und die Zeugin H.... Entsprechend einer Lautsprecherdurchsage der DB als Betreiberin der Zugverbindung war im klägerischen Fahrzeug die Handbremse angezogen und ein Gang eingelegt. Hinter diesem Pkw stand ein Mercedes Sprinter mit dem französischen Kennzeichen ..., geführt vom Fahrer T.... Dieser Sprinter wurde von DB-Mitarbeitern vor der Fahrt angegurtet. Während des ersten Abschnitts der Fahrt des Zuges nach Sylt kam es zweimal dazu, dass nach einem Anfahren und Abstoppen des Zuges der Sprinter von hinten gegen das klägerische Fahrzeug stieß, die Gurte waren gerissen. Am Klägerfahrzeug entstand ein Schaden in Höhe der Klageforderung.
Die Klägerin behauptet, der französische Fahrer habe die Handbremse nicht angezogen und keinen Gang eingelegt gehabt. Die Gurte hätten nur der zusätzlichen Sicherung neben Handbremse und Gang gedient, unter diesen Umständen das Gewicht des Beklagtenfahrzeugs aber nicht halten können. Nach den zwei Anstößen habe der französische Fahrer die Bremse angezogen, deshalb sei es danach zu keinen weiteren Aufschlägen mehr gekommen.
Die Klägerin beantragt,
zu erkennen wie geschehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet, dass bei dem französischen Fahrzeug die Handbremse nicht aktiviert und ein Gang nicht eingelegt gewesen sei. Sie behauptet, dass auch in diesem Falle die Gurte nicht hätten reisen dürfen, dass dieses Reißen vielmehr nur durch Verschleiß/Materialermüdung der Gurte erklärt werden könne. Sie meint, dass für den Schaden allein die DB verantwortlich sei, während die straßenverkehrsrechtliche Gefährdungshaftung für das Kraftfahrzeug nicht eingreife, weil dieses lediglich wie eine Ware auf dem Zug transportiert worden sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß der prozessleitenden Verfügung vom 05.03.2024 (Blatt 53 f. der Akte) durch Vernehmung der Zeugin H... . Außerdem hat es den Geschäftsführer G... der Klägerin persönlich zur Aufklärung des Sachverhalts angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Zeugenvernehmung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 29.04.2024 (Blatt 72 ff. der Akte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
1. Die Klägerin kann ihren - der Höhe nach unstreitigen - Fahrzeugschaden gemäß § 7 Abs. 1 StVG ersetzt verlangen, wobei die Beklagte für die Haftpflicht des französischen Fahrzeughalters einzustehen hat.
Der Schadensfall vom 24.08.2022 hat sich beim Betrieb des französischen Sprinters ereignet. Er beruhte weder auf höherer Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG), noch auf einem unabwendbaren Ereignis (§ 17 Abs. 3 StVG). Vielmehr hat der französische Fahrer durch fahrlässiges und damit schuldhaftes (§ 276 Abs. 2 BGB) Verhalten zum Entstehen des Schadens beigetragen.
Auf der anderen Seite ist der Schaden zwar auch beim Betrieb des klägerischen Kraftfahrzeugs entstanden. Eine Schadensquotelung nach § 17 Abs. 2 StVG hat jedoch nicht stattzufinden, weil der Unfall für die Klägerin und ihren Geschäftsführer als Fahrer ein unabwendbares Ereignis gemäß § 17 Abs. 3 StVG darstellte.
2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Unfall dadurch ereignet hat, dass bei dem französischen Sprinter zu Beginn der Bahnfahrt weder die Handbremse aktiviert noch ein Gang eingelegt war, obwohl die DB vor Fahrtantritt unstreitig durch eine entsprechende Lautsprecher Durchsage darauf hingewiesen hatte, dass das so geschehen müsse, und obwohl es nach den anschaulichen und plausiblen Angaben des Geschäftsführers der Klägerin darüber hinaus auch entsprechende Hinweisschilder im Verladerbereich und auf dem Zug gab.
Wenn der französische Fahrer dieser Aufforderung nicht nachkam, handelte er sorgfaltswidrig. Dabei kann ihn eine fehlende Sprachkenntnis nicht entschuldigen. Wenn er den Autozug benutzen wollte, musste er sicherstellen, dass er die maßgeblichen Anweisungen und Vorgaben der DB verstehen und beachten konnte, oder sich im Voraus darüber informieren.
Dass bei Anziehen der Handbremse und Einlegen eines Ganges der französische Sprinter nicht ins Rollen gekommen und gegen das klägerische Fahrzeug gestoßen wäre, ergibt sich zunächst schon daraus, dass auch der klägerische Pkw durch das Fahrverhalten des Zuges nicht in eine solche Bewegung versetzt worden ist, obwohl er nicht angegurtet war. Dasselbe gilt für alle weiteren auf dem Zug transportierten Fahrzeuge. Außerdem hat nach den übereinstimmenden Angaben der Zeugin H... und des Geschäftsführers G... der Klägerin der französische Fahrer nach den ersten beiden Anstößen und entsprechenden Gesten der Zeugin und des Geschäftsführers während der restlichen Zugfahrt die Bremse angezogen, sodass der französische Sprinter zwar unmittelbar hinter dem klägerischen Fahrzeug stehen blieb und es durch das dauerhafte Berühren noch zu quietschenden Geräuschen kam, er sich aber nicht wieder in Bewegung setzte und es keine weiteren Anstöße gab. Dabei hat sich das Anfahren und Abbremsen des Zuges nach dem Halt in K... ja noch einmal genauso wiederholt, wie es nach dem Losfahren in N... gewesen war.
Das Gericht sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin H... und der Angaben des Geschäftsführers G... zu zweifeln. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass beide Personen in einer engen Beziehung zur Klägerin stehen und insofern ein eigenes Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits haben können. Ihre Angaben sind aber anschaulich, plausibel und widerspruchsfrei.
Soweit die Zeugin und der Geschäftsführer der Klägerin angegeben haben, die Gurte des französischen Sprinters seien nach dem Eintreffen in W... vom Verlademeister der DB untersucht worden, der zu dem Ergebnis gekommen sei, dass sie nur deswegen hätten reißen können, weil der französische Fahrer die Handbremse nicht angezogen und keinen Gang eingelegt gehabt habe, werden diese Angaben zudem durch den entsprechenden Vermerk im Polizeibericht (Anlage K1) bestätigt.
3. Den Beweisangeboten der Beklagten braucht demgegenüber nicht mehr nachgegangen zu werden.
a)
Den Fahrer T... hat die Beklagte auf Seite 2 der Klageerwiderung vom 05.01.2024 (Blatt 36 der Akte) nur für die ohnehin unstreitige Tatsache als Zeugen benannt, dass die Spanngurte im Verlauf der Fahrt rissen und es zu einem Kontakt zwischen dem Sprinter und dem klägerischen Mercedes kam. Hinsichtlich des Anziehens der Handbremse und des Einlegens eines Ganges hat die Beklagte demgegenüber nur den klägerischen Vortrag bestritten, aber nicht ihrerseits positiv behauptet, dass die Handbremse angezogen und der Gang eingelegt gewesen sei, und den Zeugen T... auch nicht für eine solche positive Behauptung benannt.
b)
Ebenso wenig braucht der in der Klageerwiderung angebotene Sachverständigenbeweis zu der Behauptung eingeholt zu werden, die Haltegurte rissen während der Zugfahrt auch dann nicht, wenn die Feststellbremse nicht aktiviert sei; dass die Gurte gerissen seien, sei allein auf einen Fehler der Gurte (etwa Verschleiß oder Materialermüdung) zurückzuführen.
Diese Behauptung ist von der Beklagten nämlich nur pauschal und ohne hinreichenden Bezug zu den konkreten Gegebenheiten des vorliegenden Falls aufgestellt wurden. So hat nach den Angaben des Geschäftsführers der Klägerin der Verlademeister der DB erläutert, dass Sprinter nicht mit den Schwerlastgurten angegurtet würden, wie sie für große Lkws in Gebrauch seien. Sprinter würden vielmehr immer provisorisch angegurtet, weil die DB im Einzelfall nicht beurteilen könne, ob sie als Pkw oder als Lkw zugelassen seien. Diese Gurte für Sprinter könnten aber beim Anfahren nicht halten, wenn kein Gang eingelegt und die Handbremse nicht angezogen sei. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte zunächst einmal darlegen müssen, welche Art von Gurten genau bei dem französischen Sprinter verwendet worden sein soll. Nur dann hätte ein Sachverständiger, der die durchgerissenen Originalgurte ja nicht mehr untersuchen könnte, die abstrakte Frage beantworten können, ob diese Gurte einen Sprinter auch dann halten müssten, wenn keine Handbremse aktiviert sei, und nur bei einem Materialfehler reißen könnten. Jedenfalls bei der provisorischen Verwendung einfacherer Gurte kann das ja nicht ohne weiteres unterstellt werden.
Darüber hinaus widerspricht die Behauptung der Beklagten, die Gurte seien wegen Materialermüdung gerissen, obwohl sie normalerweise auch einen Sprinter mit nicht aktivierte Handbremse halten können müssten, ihrer gleichzeitigen Darstellung, die Handbremse sei aktiviert gewesen. Dann hätten die Gurte ja erst recht halten müssen.
Der Beklagtenvortrag berücksichtigt auch nicht, dass es unstreitig nur die zwei Anstöße gegen das klägerische Fahrzeug im ersten Abschnitt der Zugfahrt gegeben hat, im weiteren Verlauf der Fahrt aber keine mehr, obwohl der Zug ja nach dem Halt in K... genauso wieder beschleunigt und abgestoppt haben muss, wird das nach dem Anfahren in N... getan hat. Gerade weil die Gurte inzwischen unstreitig gerissen waren, hätte sich das Beklagtenfahrzeug dann wieder bewegen und erneut gegen den klägerischen Pkw stoßen müssen, wenn vorher gerade die Gurte für das Halten verantwortlich hätten sein sollen, das Anziehen der Handbremse und das Einlegen eines Ganges für sich genommen dafür hingegen nicht ausgereicht hätten.
Wenn die Beklagte demgegenüber auch davon ausgehen sollte, dass der französische Sprinter während des zweiten Teils der Zugfahrt allein durch die Handbremse und den eingelegten Gang gehalten wurde, dann hätte er ja auch während des ersten Teils der Zugfahrt unbeweglich stehen bleiben müssen, wenn - wie sie vorträgt - die Handbremse angezogen und der Gang eingelegt gewesen wären, völlig unabhängig von den zusätzlichen Gurten. In diesem Falle wäre ein Unterlassen des Anziehens der Handbremse und des Einlegens des Ganges wiederum eben doch kausal für den Schadensfall gewesen.
4. Vor dem Hintergrund des vorstehend geschilderten Geschehensablaufes trifft schließlich das rechtliche Argument der Beklagten nicht zu, im Rahmen des Bahntransports sei die Betriebsgefahr des französischen Sprinters überhaupt nicht zum Tragen gekommen, er sei vielmehr wie jedes andere Ladegut zu beurteilen, maßgeblich für den Schadensfall sei stattdessen die Betriebsgefahr des Zuges gewesen.
Das Merkmal "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" in § 7 Abs. 1 StVG ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen, denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (BGH, Urteil vom 20.10.2020, Az. VI ZR 319/18, bei juris Rn. 7).
In diesem Sinne gehörte der Bahntransport durchaus noch zum Betrieb des französischen Sprinters. Er war sozusagen Teil einer Fahrt dieses Fahrzeugs nach S.... Nur deswegen, weil es keine direkte Straßenverbindung vom Festland auf die Insel gibt, war das Fahrzeug für eine vergleichsweise kurze Zeit auf den Autozug verladen worden. Es war dabei nach wie vor voll betriebsbereit. Anders als im Falle des von der Beklagten als Anlage BLD 1 vorgelegten Urteils des OLG Karlsruhe befand sich der Fahrer weiterhin im Wagen und hatte nach wie vor Einflussmöglichkeiten auf das Geschehen, der Sprinter war nicht etwa vollständig und ausschließlich in die Obhut der DB übergegangen.
Von dem Sprinter ging gerade auch auf dem Autozug die fahrzeugtypische Gefahr aus, dass er sich in Bewegung setzen und dadurch Schäden am Zug oder an anderen auf dem Zug befindlichen Fahrzeugen verursachen könnte. Dieser Gefahr sollte möglicherweise auch das Angurten entgegenwirken, zumindest daneben - nach der vorstehend wiedergegebenen Überzeugung des Gerichts sogar vorrangig bis ausschließlich - aber das Verhalten des Fahrers durch Anziehen der Handbremse und Einlegen eines Ganges. Gerade deshalb wurden die Kraftfahrer ja unstreitig durch eine entsprechende Durchsage der DB und nach den glaubhaften Angaben des Geschäftsführers der Klägerin auch durch entsprechende Hinweisschilder zu diesen Sicherungsmaßnahmen aufgefordert. Wie ebenfalls oben schon dargelegt, waren diese Maßnahmen erforderlich, aber auch ausreichend, um auch bei nicht angegurteten Fahrzeugen ungewollte Bewegungen während der Zugfahrt zu verhindern.
Entsprechendes gilt im Ausgangspunkt auch für das klägerische Fahrzeug, nur war der Unfall für die Klägerseite unabwendbar, weil der Geschäftsführer der Klägerin und die Zeugin H... nicht mehr tun konnten, als das Fahrzeug ordnungsgemäß auf dem Zug abzustellen, die Handbremse anzuziehen und einen Gang einzulegen. Das Klägerfahrzeug hat sich unstreitig ja auch während der Zugfahrt nicht bewegt. Gegen einen Anstoß durch das Beklagtenfahrzeug konnten sich der Geschäftsführer der Klägerin und die Zeugin nicht sichern.
5. Die zuerkannten Zinsen stehen der Klägerin nach § 288 Abs. 1 BGB als gesetzliche Verzugszinsen zu. Die Beklagte ist unstreitig durch das klägerische Mahnschreiben vom 08.09.2022 gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verzug gesetzt worden.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1, 2 ZPO.
XXX
wegen Schadensersatzes
-
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg durch den Richter am Landgericht D... als Einzelrichter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29.04.2024 für Recht erkannt:
Tenor:
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Pkw der Klägerin Mercedes-Benz mit dem Kennzeichen ... wurde am 24.08.2022 in N... auf dem Autozug nach S... (S...-Shuttle) verladen. Im Pkw befanden sich der Geschäftsführer der Klägerin, Herr G..., und die Zeugin H.... Entsprechend einer Lautsprecherdurchsage der DB als Betreiberin der Zugverbindung war im klägerischen Fahrzeug die Handbremse angezogen und ein Gang eingelegt. Hinter diesem Pkw stand ein Mercedes Sprinter mit dem französischen Kennzeichen ..., geführt vom Fahrer T.... Dieser Sprinter wurde von DB-Mitarbeitern vor der Fahrt angegurtet. Während des ersten Abschnitts der Fahrt des Zuges nach Sylt kam es zweimal dazu, dass nach einem Anfahren und Abstoppen des Zuges der Sprinter von hinten gegen das klägerische Fahrzeug stieß, die Gurte waren gerissen. Am Klägerfahrzeug entstand ein Schaden in Höhe der Klageforderung.
Die Klägerin behauptet, der französische Fahrer habe die Handbremse nicht angezogen und keinen Gang eingelegt gehabt. Die Gurte hätten nur der zusätzlichen Sicherung neben Handbremse und Gang gedient, unter diesen Umständen das Gewicht des Beklagtenfahrzeugs aber nicht halten können. Nach den zwei Anstößen habe der französische Fahrer die Bremse angezogen, deshalb sei es danach zu keinen weiteren Aufschlägen mehr gekommen.
Die Klägerin beantragt,
zu erkennen wie geschehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet, dass bei dem französischen Fahrzeug die Handbremse nicht aktiviert und ein Gang nicht eingelegt gewesen sei. Sie behauptet, dass auch in diesem Falle die Gurte nicht hätten reisen dürfen, dass dieses Reißen vielmehr nur durch Verschleiß/Materialermüdung der Gurte erklärt werden könne. Sie meint, dass für den Schaden allein die DB verantwortlich sei, während die straßenverkehrsrechtliche Gefährdungshaftung für das Kraftfahrzeug nicht eingreife, weil dieses lediglich wie eine Ware auf dem Zug transportiert worden sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß der prozessleitenden Verfügung vom 05.03.2024 (Blatt 53 f. der Akte) durch Vernehmung der Zeugin H... . Außerdem hat es den Geschäftsführer G... der Klägerin persönlich zur Aufklärung des Sachverhalts angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Zeugenvernehmung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 29.04.2024 (Blatt 72 ff. der Akte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
1. Die Klägerin kann ihren - der Höhe nach unstreitigen - Fahrzeugschaden gemäß § 7 Abs. 1 StVG ersetzt verlangen, wobei die Beklagte für die Haftpflicht des französischen Fahrzeughalters einzustehen hat.
Der Schadensfall vom 24.08.2022 hat sich beim Betrieb des französischen Sprinters ereignet. Er beruhte weder auf höherer Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG), noch auf einem unabwendbaren Ereignis (§ 17 Abs. 3 StVG). Vielmehr hat der französische Fahrer durch fahrlässiges und damit schuldhaftes (§ 276 Abs. 2 BGB) Verhalten zum Entstehen des Schadens beigetragen.
Auf der anderen Seite ist der Schaden zwar auch beim Betrieb des klägerischen Kraftfahrzeugs entstanden. Eine Schadensquotelung nach § 17 Abs. 2 StVG hat jedoch nicht stattzufinden, weil der Unfall für die Klägerin und ihren Geschäftsführer als Fahrer ein unabwendbares Ereignis gemäß § 17 Abs. 3 StVG darstellte.
2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Unfall dadurch ereignet hat, dass bei dem französischen Sprinter zu Beginn der Bahnfahrt weder die Handbremse aktiviert noch ein Gang eingelegt war, obwohl die DB vor Fahrtantritt unstreitig durch eine entsprechende Lautsprecher Durchsage darauf hingewiesen hatte, dass das so geschehen müsse, und obwohl es nach den anschaulichen und plausiblen Angaben des Geschäftsführers der Klägerin darüber hinaus auch entsprechende Hinweisschilder im Verladerbereich und auf dem Zug gab.
Wenn der französische Fahrer dieser Aufforderung nicht nachkam, handelte er sorgfaltswidrig. Dabei kann ihn eine fehlende Sprachkenntnis nicht entschuldigen. Wenn er den Autozug benutzen wollte, musste er sicherstellen, dass er die maßgeblichen Anweisungen und Vorgaben der DB verstehen und beachten konnte, oder sich im Voraus darüber informieren.
Dass bei Anziehen der Handbremse und Einlegen eines Ganges der französische Sprinter nicht ins Rollen gekommen und gegen das klägerische Fahrzeug gestoßen wäre, ergibt sich zunächst schon daraus, dass auch der klägerische Pkw durch das Fahrverhalten des Zuges nicht in eine solche Bewegung versetzt worden ist, obwohl er nicht angegurtet war. Dasselbe gilt für alle weiteren auf dem Zug transportierten Fahrzeuge. Außerdem hat nach den übereinstimmenden Angaben der Zeugin H... und des Geschäftsführers G... der Klägerin der französische Fahrer nach den ersten beiden Anstößen und entsprechenden Gesten der Zeugin und des Geschäftsführers während der restlichen Zugfahrt die Bremse angezogen, sodass der französische Sprinter zwar unmittelbar hinter dem klägerischen Fahrzeug stehen blieb und es durch das dauerhafte Berühren noch zu quietschenden Geräuschen kam, er sich aber nicht wieder in Bewegung setzte und es keine weiteren Anstöße gab. Dabei hat sich das Anfahren und Abbremsen des Zuges nach dem Halt in K... ja noch einmal genauso wiederholt, wie es nach dem Losfahren in N... gewesen war.
Das Gericht sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin H... und der Angaben des Geschäftsführers G... zu zweifeln. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass beide Personen in einer engen Beziehung zur Klägerin stehen und insofern ein eigenes Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits haben können. Ihre Angaben sind aber anschaulich, plausibel und widerspruchsfrei.
Soweit die Zeugin und der Geschäftsführer der Klägerin angegeben haben, die Gurte des französischen Sprinters seien nach dem Eintreffen in W... vom Verlademeister der DB untersucht worden, der zu dem Ergebnis gekommen sei, dass sie nur deswegen hätten reißen können, weil der französische Fahrer die Handbremse nicht angezogen und keinen Gang eingelegt gehabt habe, werden diese Angaben zudem durch den entsprechenden Vermerk im Polizeibericht (Anlage K1) bestätigt.
3. Den Beweisangeboten der Beklagten braucht demgegenüber nicht mehr nachgegangen zu werden.
a)
Den Fahrer T... hat die Beklagte auf Seite 2 der Klageerwiderung vom 05.01.2024 (Blatt 36 der Akte) nur für die ohnehin unstreitige Tatsache als Zeugen benannt, dass die Spanngurte im Verlauf der Fahrt rissen und es zu einem Kontakt zwischen dem Sprinter und dem klägerischen Mercedes kam. Hinsichtlich des Anziehens der Handbremse und des Einlegens eines Ganges hat die Beklagte demgegenüber nur den klägerischen Vortrag bestritten, aber nicht ihrerseits positiv behauptet, dass die Handbremse angezogen und der Gang eingelegt gewesen sei, und den Zeugen T... auch nicht für eine solche positive Behauptung benannt.
b)
Ebenso wenig braucht der in der Klageerwiderung angebotene Sachverständigenbeweis zu der Behauptung eingeholt zu werden, die Haltegurte rissen während der Zugfahrt auch dann nicht, wenn die Feststellbremse nicht aktiviert sei; dass die Gurte gerissen seien, sei allein auf einen Fehler der Gurte (etwa Verschleiß oder Materialermüdung) zurückzuführen.
Diese Behauptung ist von der Beklagten nämlich nur pauschal und ohne hinreichenden Bezug zu den konkreten Gegebenheiten des vorliegenden Falls aufgestellt wurden. So hat nach den Angaben des Geschäftsführers der Klägerin der Verlademeister der DB erläutert, dass Sprinter nicht mit den Schwerlastgurten angegurtet würden, wie sie für große Lkws in Gebrauch seien. Sprinter würden vielmehr immer provisorisch angegurtet, weil die DB im Einzelfall nicht beurteilen könne, ob sie als Pkw oder als Lkw zugelassen seien. Diese Gurte für Sprinter könnten aber beim Anfahren nicht halten, wenn kein Gang eingelegt und die Handbremse nicht angezogen sei. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte zunächst einmal darlegen müssen, welche Art von Gurten genau bei dem französischen Sprinter verwendet worden sein soll. Nur dann hätte ein Sachverständiger, der die durchgerissenen Originalgurte ja nicht mehr untersuchen könnte, die abstrakte Frage beantworten können, ob diese Gurte einen Sprinter auch dann halten müssten, wenn keine Handbremse aktiviert sei, und nur bei einem Materialfehler reißen könnten. Jedenfalls bei der provisorischen Verwendung einfacherer Gurte kann das ja nicht ohne weiteres unterstellt werden.
Darüber hinaus widerspricht die Behauptung der Beklagten, die Gurte seien wegen Materialermüdung gerissen, obwohl sie normalerweise auch einen Sprinter mit nicht aktivierte Handbremse halten können müssten, ihrer gleichzeitigen Darstellung, die Handbremse sei aktiviert gewesen. Dann hätten die Gurte ja erst recht halten müssen.
Der Beklagtenvortrag berücksichtigt auch nicht, dass es unstreitig nur die zwei Anstöße gegen das klägerische Fahrzeug im ersten Abschnitt der Zugfahrt gegeben hat, im weiteren Verlauf der Fahrt aber keine mehr, obwohl der Zug ja nach dem Halt in K... genauso wieder beschleunigt und abgestoppt haben muss, wird das nach dem Anfahren in N... getan hat. Gerade weil die Gurte inzwischen unstreitig gerissen waren, hätte sich das Beklagtenfahrzeug dann wieder bewegen und erneut gegen den klägerischen Pkw stoßen müssen, wenn vorher gerade die Gurte für das Halten verantwortlich hätten sein sollen, das Anziehen der Handbremse und das Einlegen eines Ganges für sich genommen dafür hingegen nicht ausgereicht hätten.
Wenn die Beklagte demgegenüber auch davon ausgehen sollte, dass der französische Sprinter während des zweiten Teils der Zugfahrt allein durch die Handbremse und den eingelegten Gang gehalten wurde, dann hätte er ja auch während des ersten Teils der Zugfahrt unbeweglich stehen bleiben müssen, wenn - wie sie vorträgt - die Handbremse angezogen und der Gang eingelegt gewesen wären, völlig unabhängig von den zusätzlichen Gurten. In diesem Falle wäre ein Unterlassen des Anziehens der Handbremse und des Einlegens des Ganges wiederum eben doch kausal für den Schadensfall gewesen.
4. Vor dem Hintergrund des vorstehend geschilderten Geschehensablaufes trifft schließlich das rechtliche Argument der Beklagten nicht zu, im Rahmen des Bahntransports sei die Betriebsgefahr des französischen Sprinters überhaupt nicht zum Tragen gekommen, er sei vielmehr wie jedes andere Ladegut zu beurteilen, maßgeblich für den Schadensfall sei stattdessen die Betriebsgefahr des Zuges gewesen.
Das Merkmal "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" in § 7 Abs. 1 StVG ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen, denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (BGH, Urteil vom 20.10.2020, Az. VI ZR 319/18, bei juris Rn. 7).
In diesem Sinne gehörte der Bahntransport durchaus noch zum Betrieb des französischen Sprinters. Er war sozusagen Teil einer Fahrt dieses Fahrzeugs nach S.... Nur deswegen, weil es keine direkte Straßenverbindung vom Festland auf die Insel gibt, war das Fahrzeug für eine vergleichsweise kurze Zeit auf den Autozug verladen worden. Es war dabei nach wie vor voll betriebsbereit. Anders als im Falle des von der Beklagten als Anlage BLD 1 vorgelegten Urteils des OLG Karlsruhe befand sich der Fahrer weiterhin im Wagen und hatte nach wie vor Einflussmöglichkeiten auf das Geschehen, der Sprinter war nicht etwa vollständig und ausschließlich in die Obhut der DB übergegangen.
Von dem Sprinter ging gerade auch auf dem Autozug die fahrzeugtypische Gefahr aus, dass er sich in Bewegung setzen und dadurch Schäden am Zug oder an anderen auf dem Zug befindlichen Fahrzeugen verursachen könnte. Dieser Gefahr sollte möglicherweise auch das Angurten entgegenwirken, zumindest daneben - nach der vorstehend wiedergegebenen Überzeugung des Gerichts sogar vorrangig bis ausschließlich - aber das Verhalten des Fahrers durch Anziehen der Handbremse und Einlegen eines Ganges. Gerade deshalb wurden die Kraftfahrer ja unstreitig durch eine entsprechende Durchsage der DB und nach den glaubhaften Angaben des Geschäftsführers der Klägerin auch durch entsprechende Hinweisschilder zu diesen Sicherungsmaßnahmen aufgefordert. Wie ebenfalls oben schon dargelegt, waren diese Maßnahmen erforderlich, aber auch ausreichend, um auch bei nicht angegurteten Fahrzeugen ungewollte Bewegungen während der Zugfahrt zu verhindern.
Entsprechendes gilt im Ausgangspunkt auch für das klägerische Fahrzeug, nur war der Unfall für die Klägerseite unabwendbar, weil der Geschäftsführer der Klägerin und die Zeugin H... nicht mehr tun konnten, als das Fahrzeug ordnungsgemäß auf dem Zug abzustellen, die Handbremse anzuziehen und einen Gang einzulegen. Das Klägerfahrzeug hat sich unstreitig ja auch während der Zugfahrt nicht bewegt. Gegen einen Anstoß durch das Beklagtenfahrzeug konnten sich der Geschäftsführer der Klägerin und die Zeugin nicht sichern.
5. Die zuerkannten Zinsen stehen der Klägerin nach § 288 Abs. 1 BGB als gesetzliche Verzugszinsen zu. Die Beklagte ist unstreitig durch das klägerische Mahnschreiben vom 08.09.2022 gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verzug gesetzt worden.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1, 2 ZPO.