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  • 13.03.2025 · IWW-Abrufnummer 247056

    Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 06.08.2024 – 4 U ‌682‌/‌24

    1. Die Belehrung über das Widerrufsrecht zu einer Lebensversicherung stellt auch dann eine einseitige Erklärung des Versicherers dar, wenn sie als "Vereinbarung" bezeichnet und vom Versicherungsnehmer zu unterschreiben ist.

    2. Die Berufung auf eine unwirksame Widerrufsbelehrung zu einem Lebensversicherungsvertrag kann nach Treu und Glaube ausgeschlossen sein, wenn der Vertrag im Zeitpunkt der Ausübung des Widerrufsrechts bereits seit mehreren Jahren beiderseitig vollständig erfüllt war und der Versicherungsnehmer während der Laufzeit mehrfach seine Anlagestrategie angepasst hatte.


    Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 06.08.2024, Az. 4 U 682/24

    Tenor:

    1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 14.05.2024, Az. 03 O 1680/23, wird zurückgewiesen.

    2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

    3. Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

    4. Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 82.118,36 EUR festgesetzt.

    Gründe
    I.

    Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Hinweisbeschluss des Senates vom 30.07.2024 Bezug genommen. Hierauf hat der Kläger mit Schriftsatz vom 02.08.2024 Stellung genommen.

    Der Kläger beantragt:

    Die Beklagte unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils zu verurteilen, an den Kläger 82.118,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Klagezustellung zu zahlen.

    II.

    Die zulässige Berufung des Klägers ist nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Sie bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

    Dem Kläger steht der Anspruch auf Rückzahlung der eingezahlten Prämien und Herausgabe der gezogenen Nutzungen aus § 812 ff BGB i.V.m. § 8 Abs. 4 VVG a.F. nicht zu. Zur Begründung wird zunächst auf den Hinweisbeschluss des Senates vom 30.07.2024 Bezug genommen. Die Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 02.08.2024 rechtfertigen keine andere Beurteilung.

    1. Eine Zusammenschau der Widerrufsbelehrungen in Antragsformular und Zusatzbedingungen (Anlage B8) ist schon deshalb nicht geboten, weil die Belehrung in den Zusatzbedingungen eine i.S. des § 8 Abs. 4 VVG a.F. formell ordnungsgemäße Belehrung ist, die nach ihrem Wortlaut die ursprüngliche Widerrufsbelehrung im Antragsformular vollständig ersetzt. Sie ist räumlich von den Zwischenüberschriften und dem auf die "...... Sachversicherungs AG" bezogenen Teil abgesetzt und auch deshalb unschwer wahrzunehmen, weil sich ihr Inhalt auf den Austausch der Widerrufsbelehrungen beschränkt. Eine drucktechnische Hervorhebung war, wie bereits im Hinweisbeschluss dargelegt, nicht erforderlich.

    Dass bei den auf verschiedene Rechtsträger bezogenen Optionen kein Kreuz gesetzt wurde, erweist sich über die Darlegungen im Hinweisbeschluss hinaus auch deshalb als unschädlich, weil es sich bei einer Belehrung über ein Widerrufsrecht nicht um eine vertragliche Vereinbarung, sondern um eine Informationsverpflichtung des Versicherers handelt. Erteilt der Versicherer eine auf mehrere Versicherungen bezogene Belehrung, ohne dass ein vorgesehenes Feld angekreuzt wurde, ist durch Auslegung zu ermitteln, worauf sich diese Belehrung bezieht. Dabei ist im Zweifel zu Lasten des Versicherers die für den Versicherungsnehmer günstigste Variante zu unterstellen. Wird - wie hier - auf einem dem Versicherungsnehmer separat versandten Blatt eine Belehrung neu erteilt, die im Verhältnis zur Ausgangsbelehrung für den Versicherungsnehmer günstiger ist, und hat der Versicherungsnehmer deren Empfang durch Unterschrift zu bestätigen, so kann er im Gegenzug auch davon ausgehen, dass diese Belehrung auch dann gilt, wenn das Formular sich auf verschiedene Versicherungen bezieht, ohne dass eine Option vorangekreuzt ist. Hat er nur bei einem der dort aufgeführten Unternehmen eine Versicherung abgeschlossen, gilt die sich hierauf beziehende Belehrung, anderenfalls gelten beide Belehrungen als zu seinen Gunsten erteilt. An der nach der Rechtsprechung gebotenen Unmissverständlichkeit und Eindeutigkeit der mit den Zusatzbedingungen erteilten Belehrung sind vorliegend auch deswegen keine Zweifel begründet, weil dort zwar verschiedene Unternehmen genannt sind, der Wortlaut der Belehrungstexte indes identisch ist. Selbst wenn der Kläger daher über die Identität seines Vertragspartners im Zweifel gewesen wäre, hätte sich dies auf die Kenntnis von Inhalt und Umfang des Widerrufsrechts nicht ausgewirkt. Damit hatte er aber die Möglichkeit, den Widerruf unter im Wesentlichen denselben Bedingungen auszuüben wie bei einer eindeutig nur auf seinen Vertragspartner bezogenen Belehrung.

    2. Hilfsweise steht dem Kläger selbst bei Unterstellung einer fehlerhaften Belehrung kein Anspruch zu, denn die Beklagte kann sich mit Erfolg auf die Verwirkung des Anspruches auf Rückzahlung berufen (Schriftsätze der Beklagten vom 04.10.2023, 25.03.2024).

    Ein unterstellter Bereicherungsanspruch des Klägers ist gemäß § 242 BGB wegen widersprüchlichen Verhaltens ausgeschlossen, weil auch bei einer unwirksamen Belehrung eine Verwirkung in Betracht kommt, wenn besonders gravierende Umstände vorliegen (vgl. BGH, Beschl. v. 03.06.2020 - IV ZB 9/19 - juris; Senat, Beschl. v. 09.07.2020 - 4 U 800/20 - juris; vgl. BGH, Beschl. v. 27.01.2016 - IV ZR 130/15 - juris). Solche Umstände liegen vor.

    a) Das Zeitmoment ist erfüllt, denn der Widerruf wurde mit Schreiben vom 02.03.2023 erklärt und damit mehr als 31 Jahre nach Vertragsschluss am 30.01.1992 und zwei Jahre nach dessen vollständiger beiderseitiger Erfüllung.

    b) Die Beklagte durfte angesichts der vorliegenden Umstände auch darauf vertrauen, dass der Kläger sein Widerrufsrecht nicht mehr ausüben wird.

    Das Umstandsmoment ist erfüllt, wenn der Verpflichtete aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wird. Eine Rechtsausübung kann dann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (OLG Hamburg 3.1.2020 - 9 U 236/19, BeckRS 2020, 59072; bestätigt durch BGH 13.1.2021 - IV ZR 67/20, BeckRS 2021, 222). Ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrages gegeben ist, hängt dabei von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, die der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten bleiben (vgl. BGH Urteil vom 01.06.2016 - IV ZR 482/14, Rn. 24; Hinweisbeschluss vom 27.09.2017 - IV ZR 506/15, Rn. 15). Eine Schutzwürdigkeit kann sich in besonderem Maße auch daraus ergeben, dass die Parteien den Vertrag einverständlich beendet haben und seitdem eine längere Zeit verstrichen ist, so dass der Versicherer keine Veranlassung mehr hat, Vorkehrungen gegen einen Widerruf zu treffen (BGH, Hinweisbeschluss vom 23.1.2018 - XI ZR 298/17, Rn. 16; Senat in NJW-RR 2023, 541 [OLG Dresden 22.11.2022 - 4 U 740/22], Rn. 17, beck-online).

    Die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages und die Zahlung der Prämien sind für sich gesehen zwar noch nicht ausreichend (vgl. Senat, Beschl. v. 09.07.2020 - 4 U 800/20 - juris). Auch eine Kündigung eines Vertrages schließt einen späteren Widerruf nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2013, IV ZR 52/12 - juris). Dies hat jedoch seinen Grund darin, dass der Versicherungsnehmer sein Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerruf bereits mangels ausreichender Belehrung über sein Widerrufsrecht nicht sachgerecht ausüben konnte (vgl. BGH a.a.O.). Bei Fehlen einer ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerrufsrecht ist nicht sichergestellt, dass dem Versicherungsnehmer zur Zeit der Kündigung bewusst ist, neben dem Kündigungsrecht ein Recht zum Widerruf zu haben, um so die Vor- und Nachteile einer Kündigung gegen die eines Widerrufs abwägen zu können (BGH a.a.O.). Mit der Kündigung bringt der Versicherungsnehmer zum Ausdruck, an dem Vertrag nicht festhalten zu wollen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 22.05.2020 - 6 U 112/19 - juris). Dies ist jedoch bei der vollständigen beidseitigen Erfüllung des Vertrages zum Ablaufzeitpunkt nicht der Fall. Die vollständige Erfüllung mag nicht automatisch zu einem Erlöschen des Widerrufsrechtes führen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 22.05.2020 - 6 U 112/19 - juris). Dies besagt aber nicht, dass Umstände der vollständigen Vertragserfüllung im Rahmen von Treu und Glauben nicht als besonders gravierende Umstände im Einzelfall gewürdigt werden dürfen (so KG a.a.O.).

    Im vorliegenden Fall wurde der Vertrag über die vertraglich vereinbarte Zeit durchgeführt und vollständig bereits zwei Jahre vor Erklärung des Widerrufes erfüllt. Zudem hat der Kläger unstreitig während der drei Jahrzehnte der Vertragslaufzeit dreimal einer Prämienerhöhung widersprochen und damit seine Anlagestrategie angepasst. Die Beklagte durfte angesichts dieser Umstände darauf vertrauen und sich darauf einrichten, dass der Kläger sein Widerrufsrecht nicht mehr ausüben werde (KG Berlin, Beschluss vom 22.05.2020 - 6 U 112/19 - juris). Es kommt schließlich auch nicht darauf an, wann der Kläger Kenntnis von seinem Widerrufsrecht erhalten hat. Die Verwirkung hängt nicht davon ab, dass der Gläubiger sein Recht kennt. Einen Rechtsverlust durch widersprüchliches Verhalten kann wegen der an Treu und Glauben ausgerichteten objektiven Beurteilung selbst dann eintreten, wenn der Berechtigte keine Kenntnis von seiner Berechtigung hat (vgl. BGH, Urt. v. 16.07.2014 - IV ZR 73/13 - juris; BGH, Hinweisbeschluss vom 23.1.2018 - XI ZR 298/17, Rn. 17).

    II.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 48 GKG i.V.m. §§ 3 ff ZPO.

    Vorschriften§ 242 BGB, § 8 Abs. 4 VVG a.F.