28.11.2013 · IWW-Abrufnummer 133668
Landgericht Bonn: Urteil vom 22.01.2013 – 10 O 179/12
An die Feststellung des Haftungstatbestandes im Haftpflichtprozess ist der Haftpflichtversicherer im Deckungsprozess auch nach neuem Recht und auch dann gebunden, wenn die Feststellung auf einem Geständnis des Versicherungsnehmers beruht, dessen Unrichtigkeit nicht erwiesen ist.
Landgericht Bonn
10 O 179/12
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 13.135,83 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.3.2010 sowie weitere 225,86 € zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
Die Klägerin schloss bei der Beklagten eine Privathaftpflichtversicherung ab. In dem Rechtsstreit # O ###/10 Landgericht B nahm Herr F die Klägerin auf Schadensersatz in Anspruch. Er behauptete, die Klägerin habe am 5.10.2009, als sie an einem hinter seinem Wohnhaus liegenden Hang über einen Wall aus abgelegten Baumstämmen gestiegen sei, einen Stamm losgetreten. Dieser Stamm sei in den an sein Haus angebauten Wintergarten eingeschlagen und habe diesen sowie eine innen liegende Badkonstruktion erheblich beschädigt. Für die Kl ägerin bestellten sich zunächst die heutigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten, die von dieser für die Klägerin mandatiert worden waren. Mit Schriftsatz vom 7.12.2010 legten die Prozessbevollmächtigten das Mandat für die Klägerin nieder. Zugleich trat die Beklagte dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin als Nebenintervenientin bei. Die Beklagte trug vor, nicht die Klägerin sondern deren damaliger Lebensgefährte sei für den geltend gemachten Schaden verantwortlich. Mit Schriftsatz vom 14.1.2011 bestellten sich die Prozessbevollmächtigten der Klägerin für diese. Die Klägerin wandte sich ausschließlich gegen die Höhe des geltend gemachten Schadens und machte ein angebliches Mitverschulden des Geschädigten geltend. Im Verhandlungstermin vom 18.3.2011 hörte das Landgericht B die Klägerin zu dem von dem Geschädigten behaupteten Vorfall persönlich an. Nach Belehrung über die Strafbarkeit eines versuchten oder vollendeten Prozessbetrugs erklärte die Klägerin, als sie an dem Hang über einen Wall geklettert sei, um ihrem an dem Hang arbeitenden Lebensgefährten Proviant zu bringen, habe sich aus dem Wall ein etwa 80 Zentimeter langes Rundholz gelöst und sei den Hang hinuntergerollt. Nach einer Beweisaufnahme zur Schadenshöhe entschied das Landgericht B mit Urteil vom 19.1.2012, ein vorangegangenes Versäumnisurteil insoweit aufrechtzuerhalten, als die Klägerin verurteilt worden war, an Herrn F 13.135,83 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.3.2010 zu zahlen. Zur Begründung führte das Landgericht aus, der Hergang des Schadensereignisses sei auf Grund der Erklärungen der Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung unstreitig; die Beklagte als Streithelferin sei daran gehindert, sich mit ihrem Sachvortrag dazu in Widerspruch zu setzen. Gegen das allen Beteiligten am 23.1.2012 zugestellte Urteil wurde kein Rechtsmittel eingelegt.
Die Beklagte weigerte sich, die Klägerin von der gegen sie titulierten Forderung freizustellen. Herr F leitete daraufhin die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin ein und forderte deshalb von ihr den Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 225,86 €. Mit Schreiben vom 21.12.2012 bestätigten die Prozessbevollmächtigten des Herrn F der Klägerin, dass sie die Forderung gemäß dem Urteil vom 19.1.2012 vollständig ausgeglichen habe.
Die Klägerin behauptet, sie habe die Forderung des Herrn F zwischenzeitlich ausgeglichen. Sie meint, die Beklagte müsse ihr die an Herrn F gezahlten Beträge erstatten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 13.135,83 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.3.2010 sowie weitere 225,86 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte sieht sich an das im Vorprozess ergangene Urteil nicht gebunden und bestreitet das darin festgestellte Schadensereignis. Sie behauptet, um den im Vorprozess festgestellten Schaden zu verursachen, hätte es eines Baumstammes von erheblicher Größe bedurft, der mit menschlichen Kräften nicht bewegt werden könne. Es sei deshalb zu vermuten, dass dem damaligen, selbst nicht haftpflichtversicherten Lebensgefährten der Klägerin bei seiner Arbeit mit einem Bagger ein Missgeschick passiert sei und er den Stamm ins Rollen gebracht habe.
Die Akten # O ###/10 Landgericht B sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Die Beklagte war auf Grund des zwischen den Parteien zustande gekommenen Haftpflichtversicherungsvertrags verpflichtet, die Klägerin von der im Urteil des Landgerichts B vom 19.1.2012 titulierten Forderung freizustellen (§ 100 VVG). Dass die Inanspruchnahme der Klägerin durch Herrn F grundsätzlich von der Haftpflichtversicherung der Klägerin gedeckt ist, stellt die Beklagte nicht in Abrede. An die im Vorprozess erfolgte Feststellung des Haftungstatbestandes ist die Beklagte auf Grund des Versicherungsvertrages der Parteien gebunden:
Nach ständiger, noch auf das Reichsgericht zurückgehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt nämlich in der Haftpflichtversicherung, dass der vorangegangene Haftpflichtprozess zwischen dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer Bindungswirkung im nachfolgenden Deckungsprozess zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer hat, soweit es um den Haftungstatbestand geht. Die Bindungswirkung verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung und auch deren Grundlagen nochmals zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer infrage gestellt werden können (z.B. Urteil vom 30.9.1992 – IV ZR 314/91, BGHZ 119, 276, 278 m.w.N.).
Allerdings wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass die Bindungswirkung auf Grund der seit dem 1.1.2008 geltenden Neuregelung des § 106 Abs. 1 Satz 1 VVG allenfalls noch eingeschränkt gelte (Langheid, in: ders./Römer, Versicherungsvertragsgesetz, 3. Auflage, München 2012, § 100, Rdnr. 35; ders., VersR 2009, 1043, 1045 f.).
Nach der genannten Vorschrift setzt die Fälligkeit der Versicherungsleistung – anders als nach der Vorgängervorschrift des § 154 Abs. 1 Satz 1 VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung – voraus, dass der Anspruch des Dritten „mit bindender Wirkung“ durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist. Dazu heißt es in der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung vom 20.12.2006, es werde klargestellt, dass ein Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich bezüglich des Anspruchs des Dritten die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs nur herbeiführen könne, wenn die Feststellung des Anspruchs des Dritten mit verbindlicher Wirkung für den Versicherer erfolge. Dieser müsse die Möglichkeit haben, die Berechtigung des vom Dritten geltend gemachten Anspruchs zu prüfen; dies sei vor allem auch wegen des Wegfalls des Anerkenntnis- und Befriedigungsverbots notwendig (Bundestagsdrucksache 16/3945, Seite 86).
Dem kann jedoch nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber die Absicht hatte, die Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile im Haftpflichtprozess grundsätzlich infrage zu stellen. Denn die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit langem anerkannte Bindungswirkung zählt zu den elementaren Grundprinzipien der Haftpflichtversicherung; ihre Beseitigung hätte einen gewissen Begründungsaufwand erfordert, an dem es in der Entwurfsbegründung fehlt. Zudem ergibt sich die Bindungswirkung bereits aus der Vertragsauslegung, während § 106 VVG n.F. insoweit ohnehin nur untergeordnete Bedeutung hat (Armbrüster, r+s 2010, 441, 446; Schlegelmilch, VersR 2009, 1467).
Es verbleibt deshalb auch nach dem neuen Versicherungsrecht dabei, dass es – von seltenen Ausnahmefällen abgesehen – nicht Aufgabe des Deckungsprozesses sein kann, rechtskräftige Urteile infrage zu stellen. Einwendungen gegen ein rechtskräftiges Urteil sind deshalb, sieht man vom Einwand der Kollusion ab, jedenfalls dann nur schwer vorstellbar, wenn es sich um ein kontradiktorisches Urteil handelt. Anders werden lediglich Anerkenntnis- und Versäumnisurteile zu behandeln sein, bei denen dem Versicherer der Einwand erlaubt sein muss, dass das Anerkenntnis zu Unrecht erfolgt ist bzw. dass das Versäumnisurteil nicht der wahren Rechtslage entspricht (Lücke, in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage, München 2010, § 106, Rdnr. 5 und Nr. 5 AHB 2008, Rdnr. 8).
Nach den vorstehenden Grundsätzen ist die Beklagte an die Feststellung des Haftpflichttatbestandes im Vorprozess gebunden:
Dem Urteil des Landgerichts B liegt kein Anerkenntnis im Sinne des § 307 ZPO zu Grunde. Die Klägerin hat den Haftpflichtanspruch auch nicht auf andere Weise anerkannt. Sie hat sich im Vorprozess lediglich gegen die Höhe des geltend gemachten Haftpflichtanspruchs verteidigt und hat ein Mitverschulden des Geschädigten geltend gemacht, was ihr offensichtlich nicht verwehrt war. Das Gericht hat sie daraufhin persönlich angehört. Bei ihrer Anhörung hat sie den Vorfall aus ihrer Sicht geschildert, wobei sie gemäß § 138 Abs. 1 ZPO zur Wahrheit verpflichtet war. Damit ist sie ersichtlich keine rechtsgeschäftliche Bindung eingegangen. Es handelte sich vielmehr um bloße – wahrheitsgemäße oder wahrheitswidrige – Erklärungen über Tatsachen, die nicht als Anerkenntnis gewertet werden können (vgl. Lücke, a.a.O., § 105, Rdnr. 12, 14).
Die Bindungswirkung entfällt auch nicht deshalb, weil feststünde, dass die Klägerin den Versicherungsfall vorgetäuscht hat (vgl. Lücke, a.a.O., § 100, Rdnr. 67 ff.). Denn die Beklagte geht selbst nicht davon aus, diesen ihr obliegenden Beweis führen zu können. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die von der Beklagten aufgezeigten Indizien geeignet sind, hinreichende Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Darstellung der Klägerin zu begründen. Denn jedenfalls lässt sich nicht ausschließen, dass die Darstellung der Wahrheit entspricht. Sie erscheint jedenfalls nachvollziehbar. Die Annahme, dass die behauptete Handlung geeignet ist, auch ohne größere Kraftaufwendung einen unglücklich liegenden schweren Baumstamm in Bewegung zu setzen, ist plausibel. Zu dem dadurch verursachten Schadensbild hat die Klägerin aus eigener Wahrnehmung überhaupt keine Angaben gemacht, so dass insoweit eine Täuschung von vornherein nicht in Betracht kommt. Hinsichtlich der Höhe des geltend gemachten Schadens hat die Klägerin sich im Übrigen aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten gegen die Klage verteidigt.
Allein der Umstand, dass die Verurteilung der Klägerin auf ihrem Geständnis (§ 288 ZPO) beruht, dessen Unrichtigkeit nicht erwiesen ist, steht der Bindungswirkung nicht entgegen. Wollte man dies anders sehen, bestünde für einen Versicherungsnehmer, der sich unter Beachtung der prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) nicht erfolgreich gegen eine berechtigte Inanspruchnahme verteidigen kann und der gleichwohl nicht in der Lage ist, den Haftpflichttatbestand selbst nachzuweisen, die Gefahr, für einen Haftpflichtschaden mit seinem gesamten Vermögen haften zu müssen, ohne von seinem Versicherer Freistellung verlangen zu können. Die Zuweisung dieses Risikos an den Versicherungsnehmer widerspräche dem Leistungsversprechen des Haftpflichtversicherers. Dessen Risiko, auf Grund eines nicht nachweislich falschen Geständnisses des Versicherungsnehmers und auf Grund einer darauf beruhenden rechtskräftigen Verurteilung zu Unrecht in Anspruch genommen zu werden, muss dahinter zurücktreten.
Da sich nach den vorstehenden Ausführungen nicht feststellen lässt, dass die Klägerin der Beklagten gegenüber falsche Angaben gemacht hat, liegt keine Obliegenheitsverletzung vor, auf Grund derer die Beklagte ganz oder teilweise leistungsfrei sein könnte (§ 28 Abs. 2 VVG).
Da die Beklagte hinsichtlich ihrer Freistellungsverpflichtung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB i.V.m. § 106 Abs. 1 Satz 1 VVG mit Ablauf des 10.3.2012 – zwei Wochen nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist (§ 517 ZPO) – in Verzug geraten war, musste sie die Klägerin gemäß den §§ 280, 286, 257 BGB auch von den nachfolgend entstandenen Vollstreckungskosten freistellen.
Dadurch, dass die Klägerin die Forderungen des Herrn F beglichen hat, hat sich ihr Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch umgewandelt. Die Zahlungen der Klägerin sind durch das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Herrn F vom 21.12.2012 belegt. Die Beklagte ist dieser Behauptung nach Vorlage des Schreibens auch nicht mehr entgegengetreten. Die für den Zeitraum nach der Zahlung geltend gemachten Zinsen schuldet die Beklagte der Klägerin gemäß § 288 Abs. 1 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 709 ZPO.
Streitwert: bis 16.000 €