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  • 09.05.2014 · IWW-Abrufnummer 141404

    Landgericht Köln: Urteil vom 20.02.2013 – 23 O 275/11

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landgericht Köln

    23 O 275/11

    Tenor:

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.393,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.07.2011 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 88 % und die Beklagte zu 12 %.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    Für die inzwischen verstorbene Ehefrau des Klägers bestand bei der Beklagten u.a. eine Krankheitskostenvollversicherung, die seit dem 01.03.2011 den Tarif V 323 S 2 mit einer vereinbarten Selbstbeteiligung von jährlich 600 € umfasste. Dem Versicherungsverhältnis lagen die aus der Akte ersichtlichen Versicherungs- und Tarifbedingungen zugrunde.

    Die Ehefrau des Klägers litt unter einem Kolonkarzinom in fortgeschrittenem Stadium mit Lungen-, Leber- und Knochenmetastasen. Sie begab sich aus diesem Grund parallel zu einer modifizierten Chemotherapie in die Behandlung der Praxisklinik Dr. T. Dort wurde sie mit Tiefenhyperthermie behandelt. Die Beklagte erbrachte zunächst für diese Behandlungen Erstattungsleistungen in tariflichem Umfang. Mit Leistungsabrechnung vom 14.03.2011 erstattete sie auf die ihr zur Erstattung eingereichte Rechnung Dr. T vom 21.02.2011 über 2.585,13 € einen Teilbetrag in Höhe von 1.191,81 €. Im übrigen lehnte sie die Erbringung tariflicher Leistungen ab. Zugleich lehnte sie die Erbringung tariflicher Leistungen für zukünftige Hyperthermiebehandlungen ab und berief sich darauf, dass ein wissenschaftlicher Nachweis für die Wirksamkeit der Behandlungsmethode nicht erbracht sei. Dabei blieb sie auch nach weiterer Korrespondenz mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 26.07.2011. Die Ehefrau des Klägers führte die Behandlung dessenungeachtet fort. Hierfür entstanden erhebliche Kosten, auf die teils Erstattungsleistungen durch die Beklagte erfolgten, teils nicht. Offen sind noch Kosten in Höhe der Klageforderung.

    Der Kläger begehrt mit der Klage die Erstattung der von der Beklagten abgelehnten Kosten für die Tiefenhyperthermiebehandlung seiner Ehefrau. Wegen der Zusammensetzung der Klageforderung wird auf die Klageschrift nebst Anlagen Bezug genommen. Der Kläger behauptet, die streitgegenständliche Behandlungen seien medizinisch notwendig gewesen. Die Behandlung sei auch erfolgreich gewesen, da die Tumoraktivität durch die Behandlung signifikant reduziert worden sei.

    Der Kläger beantragt,

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.378,78 € zuzüglich 5 % Zinsen über dem jeweilig gültigen Basiszinssatz seit dem 29. Juli 2011 zu zahlen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte bestreitet, dass es sich bei der bei der Ehefrau des Klägers angewendeten Tiefenhyperthermiebehandlungen um medizinisch notwendige Heilbehandlungen gehandelt habe. Sie behauptet, die Hyperthermie sei bislang nicht genügend erforscht. Es lägen keine anerkannten Studien vor, die überzeugend einen Nachweis für die Wirksamkeit dieser Behandlungsmethode erbracht hätten.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Urkunden Bezug genommen.

    Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 06.12.2011 in Verbindung mit dem Beschluss vom 17.07.2012 durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und schriftliche Ergänzung desselben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen vom 30.04.2012 sowie seine ergänzende Stellungnahme vom 22.10.2012 Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist nur in Höhe des tenorierten Betrages begründet und im übrigen unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte aus dem zwischen den Parteien seinerzeit bestehenden Vertrag in Verbindung mit §§ 192 VVG, 1 I, II AVB nur in der tenorierten Höhe.

    Gemäß § 1 I a AVB gewährt der Versicherer im Versicherungsfall in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Versicherungsfall ist gemäß § 1 II AVB Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung der versicherten Person wegen Krankheit. Darunter ist nach ständiger Rechtsprechung zu verstehen, dass es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, die Maßnahme des Arztes als medizinisch notwendig anzusehen. Vertretbar ist eine Heilbehandlung dann, wenn sie in fundierter und nachvollziehbarer Weise das zugrunde liegende Leiden diagnostisch hinreichend erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet (vgl. BGH VersR 1979, 221; BGH VersR 1987, 287; BGH VersR 1991, 987; BGH VersR 2006, 535; OLG Köln r+s 1995, 431; OLG Köln r+s 1998, 34). Davon ist dann auszugehen, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewendet wird, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Im Bereich der alternativen oder Naturmedizin ist eine Behandlungsmethode in diesem Sinne auch dann als notwendig anzusehen, wenn sie in ärztlicher Praxis erprobt und erfahrungsgemäß erfolgversprechend ist und in ihrer Wirksamkeit etwaigen Methoden der Schulmedizin gleichkommt (vgl. BGH MDR 93, 841). Beurteilungsgrundlage bildet auch insoweit die Schulmedizin (vgl. OLG Köln VersR 1997, 729 (730)). Bei unheilbaren Krankheiten ist die objektive Vertretbarkeit der Behandlung bereits zu bejahen, wenn sie nach medizinischen Erkenntnissen als wahrscheinlich geeignet angesehen werden kann, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Krankheit oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Bei lebensbedrohenden Erkrankungen ist nicht erforderlich, dass der Behandlungserfolg näher liegt als sein Ausbleiben; es reicht aus, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht das Erreichen des Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt (vgl. BGH VersR 1996, 1224; OLG Köln VersR 1997, 729 (730)).

    Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Kläger nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung der Kammer beweisen können, dass die streitgegenständliche Behandlung seiner Ehefrau mit Tiefenhyperthermie medizinisch notwendig war, § 286 ZPO. Der Sachverständige ist im Gegenteil in seinem Gutachten unter sorgfältiger Auswertung der Krankenunterlagen und der wissenschaftlichen Studienlage zu der streitgegenständlichen Behandlungsmethode zu dem Ergebnis gelangt, dass im Jahr 2011 zu Beginn der alternativmedizinischen Behandlungsmaßnahmen bei der Ehefrau des Klägers von einer verzweifelten Behandlungssituation auszugehen gewesen sei. Es gebe jedoch bis heute keine sicheren Daten zur Wirksamkeit einer zusätzlichen Hyperthermiebehandlung bei einem Krankheitsbild, wie es bei der Ehefrau des Klägers vorgelegen habe. Die vorhandenen Studien ließen sich insgesamt nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, insbesondere da es sich bei der Erkrankung der Ehefrau des Klägers nicht um eine regional begrenzte Tumorerkrankung gehandelt habe. Würde man die in den vorhandenen Studien erzielten Ergebnisse übertragen wollen, dann hätten bei der Ehefrau des Klägers alle Metastasen auf deutlich höhere Temperatur gebracht und der Gesamtkörper mit entsprechend hoher Dosis bestrahlt werden müssen. Beides sei medizinisch nicht möglich. Die Behandlung entspreche von ihrer Konzeption her keinem qualifizierten Behandlungsversuch mit zu erwartendem Heilungs- oder Linderungserfolg, dies auch unter den erweiterten Voraussetzungen der medizinischen Notwendigkeit bei unheilbaren Krankheiten. Das Gutachten ist überaus überzeugend und nachvollziehbar, der Sachverständige Prof. Dr. T3 der Kammer aus einer Vielzahl anderer Rechtsstreitigkeiten als ausgewogen und differenziert beurteilender und auch alternativmedizinischen Behandlungen aufgeschlossen gegenüberstehender Sachverständiger bekannt. An seiner Fachkunde bestehen keine Zweifel. An seinen Feststellungen hat der Sachverständige im Rahmen der zu den Einwendungen des Klägers eingeholten ergänzenden Stellungnahme unter sorgfältiger inhaltlicher, dabei sachlicher und im Ton angemessener Auseinandersetzung mit denselben in vollem Umfang festgehalten. Die hiernach verbleibenden Zweifel gehen zu Lasten des für die medizinische Notwendigkeit der in Rede stehenden Behandlungsmaßnahmen beweisbelasteten Klägers.

    Ungeachtet der fehlenden medizinischen Notwendigkeit der streitgegenständlichen Behandlungsmaßnahmen ist die Beklagte jedoch aus dem Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung nach Treu und Glauben verpflichtet, dem Kläger den noch offenen Restbetrag aus der Rechnung Dr. T vom 21.02.2011 zu erstatten. Denn die Beklagte hatte in der Vergangenheit sämtliche bei ihr eingereichten Rechnungen über die streitgegenständliche Hyperthermiebehandlungen anstandslos erstattet und daher bei dem Kläger das schutzwürdige Vertrauen hervorgerufen, dass auch in Zukunft eine Erstattung weiter erfolgen werde. Ein solches Erstattungsverhalten des Versicherer entfaltet zwar keine Bindungswirkung für alle Zukunft, jedoch nach der ständigen Rechtsprechung der erkennenden Kammer eine Erstattungsverpflichtung des Versicherers bis zum Zeitpunkt des erstmaligen Hinweises des Versicherers, die medizinische Notwendigkeit nunmehr überprüfen zu wollen oder aber der erstmaligen Leistungsablehnung durch den Versicherer. Vorliegend hat die Beklagte den Kläger erstmals mit Leistungsabrechnung vom 14.03.2011 darauf hingewiesen, nunmehr keine Hyperthermiebehandlungen mehr erstatten zu wollen. Die mit Rechnung Dr. T vom 21.02.2011 abgerechneten Behandlungen stammen indes aus der Zeit vor der Erteilung des Hinweises.

    Der Zinsanspruch des Klägers beruht auf §§ 286 ff. BGB. Die Beklagte hat spätestens mit Schreiben vom 26.07.2011 die Erbringung von Leistungen für die streitgegenständlichen Behandlungen ernsthaft und endgültig abgelehnt. Dadurch hat sie sich selbst in Verzug gesetzt, ohne dass es einer weiteren Mahnung durch den Kläger bedurft hätte. Die Zinshöhe ergibt sich aus § 288 I BGB.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 I, 708 Nr. 11, 709 S. 1, 2, 711 ZPO.

    Streitwert: 11.378,78 €

    RechtsgebietAVGVorschriften§ 1 Abs. 1 AVB