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  • 14.11.2014 · IWW-Abrufnummer 143238

    Sozialgericht Düsseldorf: Urteil vom 27.05.2014 – S 1 U 461/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Sozialgericht Düsseldorf

    S 1 U 461/12

    Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger hat der Beigeladenen zu 1 ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

    Tatbestand:

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    Die Beteiligten streiten um die Eigenschaft eines Unfalls, den der Kläger am 10. November 2010 erlitten hat, als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung.

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    Der am 0. November 2009 geborene Kläger befand sich am Tage des Unfalls in von der Beigeladenen zu 1 angemieteten Räumen in der X1 Straße 00 in 00000 X2. Für diese Räumlichkeiten hatte die Stadt X2 der Beigeladenen zu 1 mit Bescheid vom 30. Mai 2007 die Erlaubnis gemäß § 43 Sozialgesetzbuch, 8. Buch (SGB VIII) erteilt, bis zu fünf Kinder im Rahmen der Kindertagespflege im Sinne des § 23 SGB VIII zu betreuen. Die Erlaubnis war für den Zeitraum vom 1. Mai 2007 bis zum 30. April 2012 befristet und stand unter einem Widerrufsvorbehalt. Wegen des weiteren Inhalts der Erlaubnis wird auf Blatt 92, 93 der Verwaltungsakten der Beklagten (VA) verwiesen. Die Stadt X2 war nicht Träger der Einrichtung der Beigeladenen zu 1. Der Kläger befand sich aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages, den seine Eltern mit der Beigeladenen zu 1 geschlossen hatten bei ihr. Die Kosten der Betreuung hatten die Eltern des Klägers allein zu tragen. Eine auch nur anteilige Kostenübernahme oder Zuschüsse durch die Stadt X2 gab es nicht. Die Betreuung des Klägers bei der Beigeladenen zu 1 war auch nicht als Maßnahme der Jugendhilfe durch die Stadt X2 veranlasst worden.

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    Während der Einnahme einer Mahlzeit musste die Beigeladene zu 1 den Tisch verlassen, an dem auch der Kläger saß, um einem anderen Kind die Windeln zu wechseln. Während dessen fiel eine Warmhaltekanne mit heißem Tee, die sich auf dem Tisch befand um, wodurch sich der Verschluss öffnete. Die auslaufende heiße Flüssigkeit verbrühte den Kläger am rechten Arm so stark, dass eine mehrtägige stationäre Behandlung und eine Hauttransplantation notwendig wurden. Die Folgen der Verbrühung sind inzwischen vollständig ausgeheilt. Es verbleibt jedoch die lebenslange Notwendigkeit, die betroffenen Hautpartien vor intensiver Sonneneinstrahlung zu schützen.

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    Mit einer Unfallanzeige vom 20. November 2010 meldete die Beigeladenen zu 1 der Beklagten den Unfall als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV). Mit Schreiben vom 1. März 2011 teilte die Beklagte den Eltern des Klägers mit, dass der Unfall als Arbeitsunfall anerkannt werde. Daraufhin bezifferten die Eltern mit Schreiben vom 29. Juni 2011 gegenüber der Beklagten den ihnen entstandenen Schaden, wie zum Beispiel den Verdienstausfall der Mutter und die Kosten für einen nicht wahrgenommenen Schwimmkurs durch den Kläger und seinen Bruder. Mit Schreiben vom 31. August 2011 informierte die Beklagte die Eltern des Klägers über den Leistungsumfang der GUV und teilte mit, dass derartige Kosten nicht übernommen werden könnten.

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    Im Januar 2012 hat der Kläger, vertreten durch seine Eltern, Klage vor dem Landgericht Wuppertal gegen die Beigeladenen zu 1 erhoben und die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie weiterer Kosten und die Feststellung der Einstandspflicht der Beigeladenen zu 1 dem Grunde nach beantragt. Mit Beschluss vom 13. Juni 2012 hat das Landgericht Wuppertal das Verfahren bis zur Klärung der Frage, ob es sich bei dem Unfall des Klägers um einen Versicherungsfall der GUV handele, ausgesetzt (Beschluss LG Wuppertal vom 13. Juni 2012 16 O 13/12). Für den Haftungsumfang der Beigeladenen zu 1 sei die Klärung dieser Frage erheblich, da gemäß §§ 104 ff Sozialgesetzbuch, 7. Buch (SGB VII) beim Vorliegen eines Arbeitsunfalls eine weitreichende Haftungsfreistellung für die Beigeladenen zu 1 eintrete.

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    Mit Bescheid vom 12. Juli 2012 erkannte die Beklagte den Unfall des Klägers vom 10. November 2010 als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 SGB VII an und stellte als Unfallfolgen

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    "ausgeheilte, sichtbare Narbe am rechten Oberarm ohne funktionelle Beeinträchtigung"

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    fest. Die Gewährung einer Verletztenrente lehnte die Beklagte ab, da die verbliebenen Unfallfolgen keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigender Höhe bedingen.

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    Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem Ziel, den Unfall vom 10. November 2010 nicht als Arbeitsunfall zu bewerten.

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    Am 27. Mai 2010 fasste die Konferenz der Geschäftsführer im Spitzenverband der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) den Beschluss, dass nach einmütiger Rechtsauffassung Kinder in Tagespflege nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 a SGB VII zum versicherten Personenkreis gehören, wenn die Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne der §§ 23, 43 SGB VII erfolge. Die Inanspruchnahme der Kindertagespflege als Leistung der Jugendhilfe nach § 24 SGB VIII sei für den Versicherungsschutz nicht erforderlich. Wegen des weiteren Inhalts dieses Beschlusses wird auf Blatt 107 VA verwiesen. Dieser Beschluss ist mit Rundschreiben vom 7. Februar 2011 allen Mitgliedern der DGUV mit der Bitte um Beachtung mitgeteilt worden. Mit einer Information vom 4. Oktober 2010, "Info 2009-007", hat die Beklagte ihre Mitarbeiter auf diesen Beschluss hingewiesen und Anweisungen erteilt, wie unter Beachtung dieser Beschlusslage zu verfahren sei. Wegen des Inhalts der "Info 2009-007" wird auf Blatt 108, 109 VA verwiesen.

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    Mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Unfall des Klägers habe sich in einem Bereich ereignet, der durch die GUV geschützt sei. Denn Sinn und Zweck der Einrichtung von Möglichkeiten der Kindertagespflege verbiete die Ungleichbehandlung von Kindern, die im Rahmen der Jugendhilfe teilnehmen und solchen, die aufgrund privater Initiative betreut würden. Auch gebe der Wortlaut der einschlägigen Vorschrift eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf den Personenkreis, die aufgrund Maßnahmen der Jugendhilfe teilnehmen, nicht her.

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    Mit einer Klageschrift vom 13. September 2012 hat der Kläger Klage gegen diese Entscheidung erhoben, mit der er weiter das Ziel verfolgt, das Ereignis vom 10. November 2010 nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu stellen. Er meint, vom Schutz des § 2 Abs. 1 Nr. 8a SGB VII seien nur solche Situationen erfasst, in denen Kinder im Rahmen der öffentlichen Jugendpflege von Tagesmüttern betreut würden. Ein solcher Fall läge hier nicht vor, da die vertragliche Beziehung zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1 rein privatrechtlicher Natur sei.

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    Der Kläger beantragt,

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    unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 12. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2012 festzustellen, dass das Ereignis vom 10. November 2010 kein Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung darstellt.

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    Die Beklagte beantragt,

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    die Klage abzuweisen.

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    Sie beruft sich hierbei auf ihre Argumentation in den angefochtenen Bescheiden, die sie erläutert und vertieft.

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    Mit Beschluss vom 8. Januar 2013 hat das Gericht die Beigeladenen zu 1 und zu 2 zum Verfahren beigeladen, weil ihre Interessen durch die Entscheidung des Rechtsstreits derart betroffen seien, dass sie beizuladen seien.

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    Die Beigeladene zu 1 schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

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    Die Beigeladenen zu 1 meint, da sich der Unfall während der Zeit zugetragen habe, in der sie den Kläger betreut hat, handele es sich unzweifelhaft um einen Arbeitsunfall und damit um einen Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung.

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    Die Beigeladenen zu 2 zweifelt an der Klagebefugnis des Klägers, da die Feststellung eines Versicherungsfalles ein ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt sei, so dass der Kläger durch die Entscheidung der Beklagten nicht beschwert sei. Ein Vertreter der Beigeladene zu 2 war in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend. Ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses vom 25. April 2014 war sie zum Termin ordnungsgemäß geladen. Einen eigenen Antrag hat sie nicht angekündigt und auch nicht gestellt. Mit einer Verhandlung ohne ihr Beisein hat sie ihr Einverständnis erklärt.

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    Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten, der Verwaltungsakten der Beklagten und der Streitakten des Landgerichts Wuppertal 16 O 13/12, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

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    Entscheidungsgründe:

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    Die Kammer konnte auch ohne die Anwesenheit eines Vertreters der Beigeladenen zu 2 verhandeln und entscheiden, weil die Beigeladene zu 2 auf diese Möglichkeit in der ihr ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden ist und sie darüber hinaus ihr Einverständnis mit dieser Möglichkeit erklärt hat (§ 126 Sozialgerichtsgesetz, SGG).

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    Die Klage ist als Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass der Kläger durch die Entscheidung der Beklagten vom 12. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2012 in seinen Rechten beschwert ist. Dies ergibt sich bereits aus der Adressatenstellung des Klägers bezüglich des angefochtenen Bescheides. Zwar ist ein den Versicherungsfall anerkennender Bescheid grundsätzlich ein begünstigender und damit nicht belastender Verwaltungsakt. Dies gilt uneingeschränkt jedoch nur für den Unternehmer, in dessen Unternehmen der Versicherungsfall stattgefunden hat (Ricke in KassKomm § 108 SGB VII Rdn. 2a; Jahn-Jung/Brückner § 108 SGB VII Rdn. 9, 10; BGH NJW 2008, 2916). Denn dieser wird nach § 104 SGB VII durch die Anerkennung eines Versicherungsfalles weitgehend enthaftet und muss nurmehr für vorsätzliches Handeln einstehen. Dies trifft hier für die Beigeladene zu 1 zu. Der Kläger jedoch verliert durch die Annahme eines Versicherungsfalles seine Ansprüche gegenüber der Beigeladenen zu 1 soweit sie nur fahrlässig gehandelt bzw. nicht gehandelt haben sollte. Auch wird durch die Enthaftung nach § 104 SGB VII ein Schmerzensgeldanspruch ausgeschlossen. Denn durch die Annahme eines Versicherungsfalles tritt an die Stelle der Haftung des Unternehmers die Versicherungsleistung der gesetzlichen Unfallversicherung, die eine unmittelbare Schmerzensgeldzahlung nicht vorsieht. Damit liegt für den Kläger als Adressat der angefochtenen Entscheidung auch dann eine mögliche Beschwer vor, wenn er sich –wie im vorliegenden Fall – nur gegen die Feststellung des Versicherungsfalles wendet und nicht auch gegen die Ablehnenden Elemente der Entscheidung, wie zum Beispiel die Ablehnung der Gewährung einer Verletztenrente. Da der Kläger sein Ziel, eine ablehnende Feststellung der Beklagten bezüglich des Vorliegens eines Versicherungsfalles zu erreichen, mit der bloßen Vernichtung der angefochtenen Entscheidung nicht erreichen kann, muss auch ein diesbezügliches Feststellungsinteresse bejaht werden.

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    Die Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch die angefochtene Entscheidung der Beklagten vom 12. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2012 nicht in seinen Rechten beschwert. Die Entscheidung ist rechtmäßig. Zu Recht hat die Beklagte den Unfall des Klägers vom 10. November 2010 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt. Denn bei dem Geschehen vom 10. November 2010 handelt es sich um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII, weil der Kläger den Unfall in einem durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützten Lebensbereich erlitten hat. Ein Anspruch auf eine diesbezügliche negative Feststellung besteht aus denselben Gründen nicht.

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    Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).

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    Der Kläger hat am 10. November 2010 unzweifelhaft einen Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erlitten. Durch Umstände, die jedenfalls keine innere Ursache des Klägers darstellen, ist die Warmhaltekanne mit der heißen Flüssigkeit umgekippt, der Deckel ist aufgesprungen und die heiße Flüssigkeit hat den Kläger verbrüht, was eine umfängliche medizinische Behandlung notwendig machte. Streit besteht zwischen den Beteiligten, ob der Kläger zum Zeitpunkt dieses Geschehens Versicherter im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII gewesen ist.

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    Zu Recht begründet die Beklagte ihre positiv festellende Entscheidung mit § 2 Abs. 1 Nr. 8 a 2. Alternative SGB VII. Die Voraussetzungen zur Bejahung eines Versicherungsschutzes nach dieser Vorschrift liegen vor.

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    Die Vorschrift in dem hier maßgeblichen Inhalt lautet:

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    "Kraft Gesetzes sind Versichert, Kinder während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 (SGB VIII)."

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    Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfalls etwas älter als ein Jahr und damit ohne Zweifel ein Kind im Sinne der Vorschrift. Zum Zeitpunkt des Geschehens wurde er auch durch eine geeignete Tagespflegeperson betreut. Die Betreuung fand durch die Beigeladene zu 1 im Rahmen einer Tagespflege statt. Die Beigeladene zu 1 war zum Zeitpunkt des Unfalls auch geeignet im Sinne des § 23 SGB VIII. § 23 Abs. 3 SGB VIII beschreibt die Qualität der Eignung von Tagespflegekräften. Die erforderlichen Kenntnisse und Eigenschaften müssen durch Lehrgänge erworben oder in anderer Weise nachgewiesen sein. Dieser andere Nachweis ist hier in der der Beigeladenen zu 1 erteilten Genehmigung nach § 43 SGB VIII zu sehen. Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VIII muss die Genehmigung (nur) dann erteilt werden, wenn die den Antrag stellende Person für die Kindertagespflege geeignet ist. Die im Weiteren in § 43 Abs. 2 SGB VIII formulierten Voraussetzungen für die Eignung zur Tagespflege sind bis auf das zusätzlich notwendige Kriterium der Geeignetheit der Räumlichkeiten in denen die Tagespflege stattfinden soll, mit § 23 Abs. 3 SGB VIII identisch.

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    Wie von den Klägerbevollmächtigten vorgetragen wird in der Literatur vertreten, dass als zusätzliches Kriterium für den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung die Veranlassung der Tagespflege durch Maßnahmen der Jugendhilfe notwendig ist (Becker/Franke/Molkentin/Richter, Lehr- und Praxiskommentar zum SGB VII, 2011, § 2 Rdn. 48; Schmitt, SGB VII, 2009, § 2 Rdn. 51; Hauck/Noftz/Riebel § 2 SGB VII Rdn. 94a).

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    Eine gerichtliche Klärung dieser Frage ist bislang nicht ersichtlich. Die Auffassung in der Literatur ist jedoch nicht einheitlich. In gleicher Weise wird vertreten, dass es allein auf die Eignung der Pflegeperson und nicht auf die Vermittlung durch das Jugendamt ankomme (Jahn-Jung/Mutschler, § 2 SGB VII Rdn. 78; Lauterbach/Schwerdtfeger § 2 SGB VII, Rdn. 270; Bereiter-Hahn/Mehrtens § 2 SGB VII Anm. 17.10; Bieresborn in Juris-PK SGB VII § 2 Rdn.109; Münder/ Meysen/Trenczek/Lakies, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 2013, § 23 Rdn. 66; jetzt wohl auch KassKomm-Ricke § 2 SGB VII Rdn. 33a).

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    Die Kammer stimmt der zuletzt genannten Auffassung zu. Der Wortlaut der Vorschrift lässt keine andere Auslegung zu. Für eine teleologische Reduktion ist kein Raum. Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung würde eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung verschiedener in der Tagespflege betreuter Kinder verursachen, die auch der gesetzlichen Intention nicht gerecht würde.

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    § 2 Abs. 1 Nr. 8 a 2. Alternative SGB VII verweist auf § 23 SGB VIII. Dort sind Maßnahmen zur Förderung der Kindertagespflege und Leistungen der öffentlichen Jugendhilfe geregelt. Daraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, dass nur Maßnahmen der Jugendhilfe, die vom örtlichen Träger bezahlt oder unterstützt werden, unter den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz fallen. Denn § 2 Abs. 1 Nr. 8 a 2. Alternative SGB VII verweist vom Wortlaut her allein bezüglich der Eignung der Tagespflegeperson auf § 23 SGB VIII und damit allein auf § 23 Abs. 3 SGB VIII.

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    Die Einführung eines darüber hinausgehenden zusätzlichen Kriteriums im Sinne der Notwendigkeit der Veranlassung der Tagespflege durch die Jugendhilfe käme einer teleologischen Reduktion gleich, für die kein Raum gegeben ist. Der Systematische Kontext der Vorschrift beschreibt eine sehr weit gehende Einbeziehung aller Lernenden im weitesten Sinne in den Schutzbereich der GUV. So zieht § 2 Abs. 1 Nr. 8 alle außerhalb der Familie betreuten Kinder, Schüler und Studenten in den Schutzbereich mit ein. Das BSG zieht für diese Versicherten einen besonders weiten Rahmen des Versicherungsschutzes, weil eine besondere Bedürftigkeit für diesen Schutz bestehe (BSG vom 30. Juni 1998 B2 U 20/97 R). So ist die Einbeziehung der Betreuung durch Tagespflegepersonen in den Versicherungsschutz durch Änderung der Vorschrift zum 1. Oktober 2005 als eine konsequente Weiterentwicklung der großzügigen Einbeziehung aller schutzbedürftigen Kinder in den Schutzbereich der GUV zu verstehen. Die so eingetretene Erweiterung vollzieht den Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse nach (Lauterbach/Schwerdtfeger a.a.O.). Zum einen ist es mehr und mehr notwendig geworden, dass beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit nachgehen, damit Lebensunterhalt und geordnete Ausbildung des oder der Kinder gewährleistet werden kann. Zum anderen kommen die örtlichen Träger ihrer Verpflichtung geeignete Einrichtungen mit einer ausreichenden Zahl an Betreuungsplätzen für diese geänderte Situation zur Verfügung zu stellen nicht nach. Kennzeichnend für die tatsächliche Situation ist, dass z.B. die Stadt Düsseldorf die Mieten für die Räumlichkeiten der Tagespflegepersonen übernimmt, weil nicht genügend Plätze für die Betreuung zur Verfügung gestellt werden können (Bericht der "Rheinischen Post", Bl. 78 d. A.). Dadurch stellt sich die Betreuung von Kindern durch Tagespflegepersonen als Notwendigkeit dar, die als Aufgabenstellung des örtlichen Gemeinwesens zu begreifen ist. Wie anders, als durch die Einbeziehung in die gesetzliche Unfallversicherung könnte dieser Situation Rechnung getragen werden?

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    Eine andere Auslegung würde eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Kindern in derselben Lebenssituation nach sich ziehen, so dass § 2 Abs. 1 Nr. 8 a 2. Alternative SGB VII auch wegen Art. 3 GG wortlautgetreu ausgelegt werden muss. Es darf für den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung keinen Unterscheid machen, ob ein Kind aufgrund privater Initiative sich bei einer Tagespflegekraft befindet oder aufgrund einer Leistung der Jugendhilfe. Beide Kinder sitzen am selben Tisch der Tagespflegekraft und werden in gleicher Weise von den Gefahren des alltäglichen Lebens – wie dem Umfallen einer Warmhaltekanne – bedroht. Diese Bedrohung kann sich in weitgehende Folgen für das gesamte Leben der betreuten Kinder konkretisieren, die so weitreichend sein können, dass auch Eltern, die die Betreuung privat organisiert haben, an ihre Leistungsfähigkeit stoßen können. Der Gesetzgeber begreift die Notwendigkeit der Betreuung von Kindern durch Tagespflegekräfte offensichtlich aber auch zutreffend als Aufgabe der gesamten Gesellschaft, so dass es keinen Unterschied machen darf auf Grund welcher Rechtsbeziehungen die Betreuung stattfindet.

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    Darüber hinaus hat die Beklagte sich sehr weitgehend selbst gebunden. Durch die Weisung im "Info 2009-007" den Beschluss der DGUV vom 27. Mai 2010 für ihren Geschäftsbereich umzusetzen, ist eine Selbstbindung der Verwaltung im Sinne des Art 3 GG eingetreten, die eine Abweichung von der Beschlusslage zum Nachteil des Klägers als rechtswidrig erscheinen lässt. Die Nichtanerkennung eines Versicherungsfalles wäre aber in jedem Fall nachteilig für den Kläger. Das System der Haftungsablösung, wie es in § 104 SGB VII niedergelegt ist, gilt als ausgewogen und ist als verfassungskonform anerkannt (BVerfG NJW 1995, 1607). Zwar muss der Versicherte auf Schmerzensgeld verzichten. Ein Anteil für erlittene Schmerzen ist jedoch bereits in den Tabellen zur Rentengewährung mit eingearbeitet. Die Entschädigung in der GUV wird auch tatbestandlich wie inhaltlich über den Rahmen einer zivilrechtlichen Haftung hinaus gewährt. Versicherte erhalten Leistungen auch ohne dass ein Verschulden des Unternehmers (Schädigers) vorliegen muss. Dies selbst dann, wenn ein überwiegendes Eigenverschulden des Geschädigten vorliegt. Zudem steht dem Versicherten auch für eine lange Zeit in der Zukunft ein solventer Schuldner gegenüber. Damit stellt sich der gesetzliche Unfallversicherungsschutz in der Gesamtschau immer als günstiger dar (KassKomm-Ricke § 104 SGB VII Rdn. 2; Jahn-Jung/Brückner § 104 SGB VII Rdn. 4).

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    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Beigeladene zu 1 notwendig im Sinne des § 75 Abs. 2 SGG beizuladen war. Denn eine Wirkung dieser Entscheidung auch gegenüber der Beigeladenen zu 1 tritt grundsätzlich nur ein, wenn sie am Verfahren beteiligt gewesen ist. Wird die Beigeladene zu 1 ohne ihr Dazutun mit in den Prozess gezogen und entstehen ihr dadurch Kosten, dann hat sie auch einen Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten, wenn der Kostenschuldner mit seinem Klagebegehren unterliegt. Ausnahmsweise kann in einem solchen Fall auch ein nach § 183 SGG privilegierter Beteiligter zur Kostenerstattung verpflichtet werden (Meyer-Ladewig/Leitherer §193 SGG Rdn. 11).

    RechtsgebietUnfallversicherung