08.12.2015 · IWW-Abrufnummer 145898
Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 21.07.2015 – 20 U 141/15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Hamm
20 U 141/15
Tenor:
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
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G r ü n d e:
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I.
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Der Kläger begehrt mit seiner Klage Invaliditätsleistungen aus einer bei dem Beklagten unter Geltung der AUB 94 genommenen privaten Unfallversicherung, nachdem bei seiner als versicherte Person in die Versicherung einbezogenen Ehefrau, welche als Krankenschwester tätig war, am 10.11.2012 eine Infektion mit Hepatitis C diagnostiziert worden ist. Der Beklagte hat mit Schreiben vom 03.03.2014 die Erbringung von Leistungen vorgerichtlich mit der Begründung verweigert, der Kläger habe die behauptete Invalidität nicht fristgerecht geltend gemacht.
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Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, seine Ehefrau habe sich die Infektion durch einen Nadelstich zugezogen, der innerhalb eines Jahres vor Feststellung der Infektion erfolgt sei. Seine Ehefrau habe das Unfallereignis bereits im Januar 2013 telefonisch der Agentur des Beklagten gemeldet.
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Der Beklagte hat eine Unfallverletzung, den Eintritt von Invalidität binnen Jahresfrist, die Anzeige des Unfalls im Januar 2013 sowie den Grad der vom Kläger behaupteten Invalidität bestritten. Er hat sich ferner auf den in § 2 II (3) AUB 94 bedungenen Ausschluss berufen, wonach Haut- oder Schleimhautverletzungen, die als solche geringfügig sind und die die Krankheitserreger sofort oder später in den Körper gelangen, nicht als Unfallverletzung gelten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 30.04.2015 verwiesen.
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Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es mit Blick auf § 2 II (3) AUB 94 auf der Grundlage der Sachdarstellung des Klägers an einem versicherten Unfallereignis fehle. Als geringfügige Hautverletzungen im Sinne dieser Klausel seien Verletzungen anzusehen, die abgesehen von der Infektion keinen Krankheitswert hätten und keiner ärztlichen Behandlung bedürften. Vorliegend sei eine etwaige Verletzung der versicherten Person jedenfalls so unbedeutend, dass sie nicht einmal wahrgenommen worden sei und sich die Frage einer Behandlungsmaßnahme erst gar nicht gestellt habe. Abzustellen sei auf die Erheblichkeit der Hautverletzung als solcher, nicht auf die dadurch verursachte Infektion und deren Folgen.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung materiellen Rechts durch das Landgericht rügt und sein erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Er macht geltend, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft von einer Geringfügigkeit der Hautverletzung ausgegangen. Denn bei einer Nadelstichverletzung würden mit einem scharfen Objekt, der Nadel, sämtliche drei Hautschichten durchstochen, so dass ein erheblicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vorliege. Die Frage der Erheblichkeit der Hautverletzung habe das Landgericht nicht ohne sachverständige Hilfe beantworten können. Das diesbezügliche Beweisangebot des Klägers habe das Landgericht rechtsfehlerhaft übergangen.
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II.
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Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.
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Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Überprüfung durch den Senat stand. Sie beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, dem Kläger günstigere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht unter Hinweis auf § 2 II (3) AUB 94 abgewiesen.
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Nach dieser Klausel sind Infektionen grundsätzlich nicht von der Unfallversicherung abgedeckt, es sei denn, dass die Krankheitserreger durch ein Unfallereignis in den Körper gelangt sind. Nicht als Unfall gelten hierbei geringfügige Haut- und Schleimhautverletzung. Dieser Wiederausschluss vom Wiedereinschluss (vgl. Senat, Beschl. v. 23.02.2007, 20 U 237/06, juris, Rn. 38, VersR 2008, 342) hält einer Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB stand. Sie benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht unangemessen. Dieser darf zwar, wenn er eine Unfallversicherung abschließt, einen grundsätzlich umfassenden Schutz gegen Unfälle erwarten, so dass die Klausel eine Einschränkung des Versicherungsschutzes darstellt und somit vom normativen Leitbild der Unfallversicherung abweicht. Die Einschränkung rechtfertigt sich aber damit, dass Gesundheitsschädigungen, die durch Infektionen hervorgerufen werden, nicht zu den Lebensrisiken gehören, die durch die Unfallversicherung abgedeckt werden sollen, was deutlich in der Klausel zum Ausdruck kommt. Das betrifft gerade auch Infektionen aufgrund von Bagatellverletzungen, denn in einem solchen Fall steht als Ursache für die Erkrankung nicht das Unfallereignis, sondern die Infektion im Vordergrund (Senat, a.a.O., Rn. 39 mit weiteren Nachweisen).
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Das Landgericht hat auch zu Recht angenommen, dass es sich bei der vom Kläger behaupteten Nadelstichverletzung um eine geringfügige Hautverletzung im Sinne des Ausschlusses handelt.
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Ob eine Hautverletzung als geringfügig anzusehen ist, beurteilt sich – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht in erster Linie nach der Tiefe oder der oberflächlichen Ausbreitung der Verletzung, sondern danach, ob ein Verletzungsbild entstanden ist, dass – objektiv gesehen – Veranlassung gibt, sich in ärztliche Behandlung zu begeben (vgl. OLG Köln, Urt. v. 21.09.2012, 20 U 116/12, juris, Rn. 7, VersR 2013, 992 = r+s 2013, 399; LG Dortmund, Urt. v. 02.10.2014, 2 O 459/12, juris, Rn. 14). Denn als geringfügig wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, auf dessen Verständnismöglichkeiten und Interessen bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen nach ständiger Rechtsprechung abzustellen ist (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.04.2015, IV ZR 419/13, Rn. 12, VersR 2015, 706), solche Haut- oder Schleimhautverletzungen ansehen, die keiner Behandlung bedürfen oder mit einfachen Mitteln wie etwa einem Pflaster selbst versorgt werden können und bei denen zu erwarten ist, dass sie alsbald folgenlos wieder verheilen (vgl. Senat, Beschl. v. 16.05.2007, 20 U 237/06, juris, Rn. 4, VersR 2008, 342 = r+s 2007, 387; vgl. auch OLG Köln, a.a.O., mit weiteren Nachweisen und LG Dortmund, a.a.O. – jeweils zu Ziff. 5.2.4.2 AUB 2002/04; vgl. zum Problem auch Kloth/Tschersich, r+s 2015, 276, 281 f.). Abzustellen ist hierbei – worauf bereits das Landgericht zutreffend hingewiesen hat – ausschließlich auf die Verletzung und nicht auf die möglichen Folgen, die dadurch entstehen, dass Erreger in den Körper gelangt sind (Senat, Beschl. v. 16.05.2007, 20 U 237/06, juris, Rn. 4, VersR 2008, 342 = r+s 2007, 387).
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Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.
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Aufgrund des Hinweisbeschlusses ist die Berufung zurückgenommen worden.