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  • 28.08.2018 · IWW-Abrufnummer 203132

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 30.05.2018 – 12 U 14/18

    1. Im Fall nicht ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung kann eine Verwirkung des Widerspruchsrechts nur bei Vorliegen besonders gravierender Umstände angenommen werden.

    2. Solche besonders gravierenden Umstände, die zur Verwirkung führen, liegen vor, wenn der Versicherungsnehmer einen Leistungsantrag aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gestellt hatte, worauf die Versicherung in eine Leistungsprüfung eingetreten ist mit dem Ergebnis eines Rücktritts wegen der Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten, sodann den von ihr errechneten Rückkaufswert ausgekehrt hat, und sodann der Versicherungsnehmer erst nach weiteren 11 Jahren sein Widerspruchsrecht ausgeübt hat.


    Oberlandesgericht Karlsruhe

    Urt. v. 30.05.2018


    In dem Rechtsstreit

    - Kläger und Berufungskläger -
    Prozessbevollmächtigte:
    gegen
    - Beklagte und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigte:

    wegen Rückabwicklung

    hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 12. Zivilsenat - durch die Richterin am Oberlandesgericht Lampel-Meyer, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Kürz und die Richterin am Amtsgericht Dr. Stahmer aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15.05.2018 für Recht erkannt:

    Tenor:

    1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12.12.2017 - 11 O 53/16 - wird zurückgewiesen.
    2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
    4. Die Revision wird nicht zugelassen.
    Gründe

    I.

    Der Kläger begehrt Rückzahlung geleisteter Versicherungsprämien nebst hieraus von der Beklagten gezogener Nutzungen nach Widerspruch gegen einen Lebensversicherungsvertrag sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

    Der Kläger hat am 19.08.1998 bei der Beklagten über eine Versicherungsmaklerin einen Lebensversicherungsvertrag mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung beantragt. Bei Antragstellung wurden dem Kläger keine weiteren Unterlagen, insbesondere nicht die Versicherungsbedingungen ausgehändigt. Nach Abklärung von Nachfragen gab die Beklagte ein Änderungsangebot hinsichtlich einer Ausschlussklausel für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ab. Mit diesen Änderungen erklärte der Kläger sich mit Schreiben vom 14.12.1998 einverstanden. Die Beklagte policierte sodann den Vertrag unter der Nummer ... mit Versicherungsbeginn 01.12.1998. Mit Schreiben vom 21.12.1998 hat die Beklagte der vom Kläger eingeschalteten Versicherungsmaklerin den Versicherungsschein nebst AVB und den Verbraucherinformationen nach § 10a VAG und einen Begleitbrief zur Weiterleitung an den Kläger übersandt. Der diesem Schreiben beigefügte Begleitbrief enthält auf Seite 2 oben, nach einem größeren Absatz auf Seite 1 folgende Passage:

    "Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheines dem Versicherungsvertrag widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."

    Danach enthält das Schreiben noch einen Absatz vor der Grußformel.

    Im März 2001 wandte sich der Kläger an die Beklagte mit der Bitte um Ausstellung eines Ersatzversicherungsscheins. Am 12.08.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen wegen Berufsunfähigkeit wegen eines im Juli 2001 erlittenen Unfalls. Nach Leistungsprüfung erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 11.07.2003 den Rücktritt vom streitgegenständlichen Versicherungsvertrag wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung über gefahrerhebliche gesundheitliche Beschwerden und ärztliche Untersuchungen kurz vor Vertragsschluss. Mit Schreiben vom 09.12.2015 erklärte der Kläger den Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag. Mit Schreiben vom 23.12.2015 wies die Beklagte die Rückabwicklung des Vertrags zurück. Mit Schreiben vom 21.01.2016 forderte der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte unter nochmaliger Erklärung des Widerspruchs gegen den Versicherungsvertrag auf, sämtliche bezahlten Versicherungsbeiträge nebst einer Verzinsung von 7% p.a. an den Kläger zurückzuzahlen. Mit Schreiben vom 16.02.2016 berief sich die Beklagte auf die Verwirkung des Anspruchs aufgrund der Inanspruchnahme durch den Antrag auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.

    Der Kläger hat geltend gemacht, er habe keine Widerspruchsbelehrung zu dem streitgegenständlichen Vertrag erhalten. Der Zugang der von der Beklagten behaupteten Unterlagen sei ihm nicht erinnerlich. Erst im Jahr 2001 seien ihm auf seine Nachfrage der Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen übersandt worden. Das Policenbegleitschreiben mit der Widerspruchsbelehrung habe er dabei nicht erhalten. Die darin enthaltene Belehrung sei nicht wirksam, da sie drucktechnisch allein durch Unterstreichung und damit nicht ausreichend hervorgehoben sei.

    Aufgrund des großen Absatzes zwischen Seite 1 und 2 des Anschreibens überblättere der Versicherungsnehmer die zweite Seite des Anschreibens. Die Belehrung sei auch inhaltlich falsch, da der Fristlauf nur an den Erhalt des Versicherungsscheins, nicht - wie in der gesetzlichen Regelung vorgeschrieben - auch an den Erhalt der Versicherungsbedingungen und der weiteren Verbraucherinformationen geknüpft sei. Es fehle in der Belehrung der Zusatz, dass der Widerspruch schriftlich zu erfolgen habe. Die Verwendung des Begriffs "Absendung" genüge nicht als Hinweis auf die Schriftform. Deshalb sei der Widerspruch vom 09.12.2015 nicht verfristet. Eine Verwirkung komme nicht in Betracht, da der Kläger ohne Belehrung keine Kenntnis von seinem Widerspruchsrecht gehabt habe und deshalb von einem wirksamen Vertrag habe ausgehen müssen. Der Leistungsantrag habe keine bestätigende Wirkung, da damit lediglich ein vertraglicher Anspruch geltend gemacht und nicht auf den Vertrag eingewirkt worden sei. Der Kläger habe den Widerruf unmittelbar, nachdem er von der Widerrufbarkeit des streitgegenständlichen Vertrags erfahren habe, erklärt. Die Beklagte habe die Situation durch ihre fehlerhafte oder fehlende Belehrung selbst herbeigeführt, weshalb es bereits an dem für die Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment fehle. Im Übrigen sei das Policenmodell insgesamt europarechtswidrig. Neben den gezahlten Prämien in Höhe von 11.460,59 € seien von der Beklagten hieraus gezogene Nutzungen in Höhe von insgesamt 31.106,21 € zu zahlen. Die Eigenkapitalrendite der Beklagten sei die richtige Grundlage für die Bestimmung der Höhe der Nutzungen und habe für die Jahre 1998 bis 2015 durchschnittlich 11,67% betragen. Dieser Wert sei auch für die Jahre 2016 und 2017 anzusetzen. Zur Berechnung werde auf die Anlagen ... Bezug genommen. Für den Versicherungsschutz seien nur pauschal 100,00 € abzuziehen, da die Beklagte ihre Kalkulation insoweit nicht offenlege. Die Zahlung des Rückkaufswerts könne der Kläger mangels aussagekräftiger Unterlagen nicht nachvollziehen. Er könne sich daran nicht erinnern und Kontoauszüge aus dieser Zeit habe er nicht mehr. Weder die Prämien für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung noch die Risikokosten seien anrechenbar, da der Kläger nach dem Vortrag der Beklagten keinen Versicherungsschutz genossen habe und deshalb ein anrechenbarer Vorteil ausscheide.

    Die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,9 Geschäftsgebühr aus dem Gegenstandswert von 30.393,14 € schulde die Beklagte als Verzugsschadensersatz und als Schadensersatz wegen Verletzung ihrer Vertragspflichten in Form der mangelhaften Widerspruchsbelehrung. Die Höhe des Gebührensatzes sei wegen der Anwendung alter Gesetzesfassungen, der Fertigung mehrseitiger Schriftsätze nebst Anlagen, des Umfangs der zu prüfenden Unterlagen, der Durchführung schwieriger und umfangreicher Berechnungen und der Berücksichtigung der sehr umfangreichen Rechtsprechung in Widerspruchsfällen gerechtfertigt.

    Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

    1.
    an den Kläger einen Betrag von 42.108,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16.05.2017 zu zahlen,

    2.
    den Kläger von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.483,77 € gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers freizustellen.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe nach dem am 11.07.2003 erklärten Rücktritt vom Versicherungsvertrag im Jahr 2004 den Rückkaufswert der streitgegenständlichen Versicherung in Höhe von 3.135,25 € an den Kläger überwiesen und ferner 57,32 € Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag für den Kläger an die Finanzbehörden abgeführt. Die in dem Policenbegleitschreiben vom 21.12.1998 erteilte Widerspruchsbelehrung sei durch Unterstreichung drucktechnisch hervorgehoben und inhaltlich nicht zu beanstanden, so dass der Widerspruch des Klägers verfristet sei. Der Kläger habe mit Schreiben vom 21.12.1998 auch sämtliche fristauslösenden Unterlagen vollständig erhalten.

    Aufgrund des ex tunc wirkenden Rücktritts der Beklagten fehle es jedoch bereits an einem Vertragsverhältnis, dem widersprochen werden und aus dem dem Kläger weitere Ansprüche zustehen könnten. Ein Rückzahlungsanspruch des Klägers scheide auch wegen Verwirkung bzw. rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers aus. Das Zeitmoment sei 17 Jahre nach Vertragsschluss und 12 Jahre nach dem Rücktritt der Beklagten gegeben. Als Umstandsmoment sei der Leistungsantrag des Klägers, der einen wirksamen Vertrag voraussetze, zu berücksichtigen.

    Des Weiteren sei ein Widerspruchsrecht in analoger Anwendung des § 124 Abs. 3 BGB spätestens zehn Jahre nach Vertragsschluss ausgeschlossen. Der Kläger habe auf den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag Prämien in Höhe von insgesamt 11.048,76 € geleistet. Für den Fall einer Rückabwicklung des Versicherungsvertrags habe sich der Kläger den genossenen Versicherungsschutz anrechnen zu lassen, der für die Hauptversicherung mit Risikokosten in Höhe von 743,64 € zu beziffern sei. Die auf die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung entfallenen Prämien in Höhe von 4.747,62 € seien ebenfalls saldierend zu berücksichtigen. Für die Berechnung des Nutzungsersatzes seien auch die Abschluss- und Verwaltungskosten in Abzug zu bringen. Nicht die Eigenkapitalrendite, sondern die Nettoverzinsung, die sich aus den Ergebnissen der Kapitalanlagen ergebe, sei der geeignete Parameter zur Ermittlung der gezogenen Nutzungen. Der Ansatz einer 1,9 Gebühr für vorgerichtliche Kosten sei völlig übersetzt, da das außergerichtliche Mahnschreiben ein Muster sei, das in vielen Fällen gleichlautend verwendet werde und es sich um einen Standardfall im Lebensversicherungsrecht handele. Die Aktivlegitimation des Klägers zur Geltendmachung der vorgerichtlichen Kosten bestehe nicht.

    Das Landgericht hat mit Urteil vom 12.12.2017, auf das wegen der weiteren Feststellungen Bezug genommen wird, soweit sie mit den hier getroffenen nicht in Widerspruch stehen, die Klage abgewiesen. Zwar stünden dem vom Kläger erklärten Widerspruch keine dogmatischen Bedenken entgegen. Allerdings ergeben sich aus der Gesamtschau das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment und die insoweit geforderten gravierenden Umstände. Der Kläger habe unstreitig gefahrerhebliche Gesundheitsumstände vor Vertragsschluss nicht angegeben und dadurch seine vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt. Das Rücktrittsrecht und die daraus resultierende Leistungsfreiheit der Beklagten habe der Kläger weder zur Zeit der Rücktrittserklärung noch danach in Frage gestellt und damit den Vorwurf einer schuldhaften Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht akzeptiert. Dadurch habe die Beklagte nach Auskehrung des Rückkaufswertes im Jahre 2004 in Ansehung des verstrichenen Zeitmoments von 11 Jahren berechtigt darauf vertrauen dürfen, dass der ursprüngliche Versicherungsvertrag endgültig abgewickelt sei. Hier sei auch die für die Arglistanfechtung geltende Höchstfrist gemäß § 124 BGB in den Blick zu nehmen. Der vorliegend zwischen Vertragsschluss im Dezember 1998 und Abgabe der Widerspruchsbelehrung im Dezember 2015 vergangene Zeitraum von 17 Jahren führe im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung zu einer weiteren Reduzierung der Bedeutung des Umstandsmoments. Der Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 346 BGB. § 176 VVG regele für den Fall des Rücktritts des Versicherers die Pflicht zur Zahlung des Rückkaufswertes. Die Auszahlung dieses Betrags stehe zur Überzeugung der Kammer fest.

    Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt und darüber hinaus Zinsen nunmehr seit Rechtshängigkeit (30.04.2016) beantragt. Der Kläger macht geltend, das Landgericht gehe fehl, wenn es das unbefristet bestehende Widerspruchsrecht als treuwidrig und verwirkt ansehe. Die Annahme von Verwirkung komme nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonders gravierender Umstände in Betracht. Hier sei der Versicherungsvertrag nicht vom Kläger gekündigt worden, sondern wegen Anzeigepflichtverletzung von der Beklagten. Es habe somit schon an einer treuwidrigen Rechtsausübung durch den Kläger gefehlt. Der Bundesgerichtshof habe Verwirkung nur auf Grund Vorliegens der Gesamtheit von fünf Merkmalen angenommen. So im Falle mehrfacher Abtretung, besonders engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Vertragsabschluss und erster Abtretung der Versicherung inkl. Todesfallleistung, Neupolicierung auf Grund Höherversicherung und Tarifänderung, Beratung des Versicherungsnehmers durch Versicherungsmakler und nur sehr geringe Fehler in der Widerrufsbelehrung. Diese fünf Merkmale lägen hier ersichtlich nicht vor.

    Der Kläger beantragt,

    das Urteil des Landgerichts wie folgt abzuändern:

    1.

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 42.108,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

    2.

    den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.483,77 € freizustellen.

    Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Ansprüche kämen nicht in Betracht, da angesichts des Zeitablaufs sowie der Beantragung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung der Einwand der Verwirkung gemäß § 242 BGB entgegenstünde. Die Beklagte habe sich nach dem Leistungsantrag, jedenfalls aber nach der Beendigung des Vertrags durch ihren Rücktritt und den Ablauf von 10 Jahren spätestens im Jahr 2014 berechtigterweise darauf einstellen dürfen, dass der Kläger den Vertrag als wirksam angesehen habe und ihn nach Erhalt des Rückkaufswertes im Jahre 2003 nicht mehr rückabwickeln wollte.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

    II.

    Die Berufung des Klägers ist zulässig. In der Sache hat sie keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil das Widerspruchsrecht des Klägers verwirkt ist.

    1. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist. Die erteilte Belehrung ist fehlerhaft, weil die fristauslösenden Unterlagen unvollständig benannt sind (vgl. BGH, Urteil vom 28.09.2016 - IV ZR 192/14, juris Rn. 13). Es fehlt bereits am Hinweis, dass der Beginn der Widerspruchsbelehrung nicht nur an den Erhalt des Versicherungsscheins, sondern auch entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. an den Erhalt der Verbraucherinformationen nach § 10a VAG und der Versicherungsbedingungen geknüpft ist.

    Damit wurde die Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. nicht in Lauf gesetzt. Das fortdauernde Widerspruchsrecht ergibt sich aus dem Umstand, dass der Kläger bei Vertragsabschluss nicht ordnungsgemäß belehrt worden war, § 5a Abs. 2 VVG a.F. (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2015 - IV ZR 384/14, juris Rn. 29). Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Belehrung hat zur Folge, dass das Widerspruchsrecht auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. fortbestand. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) findet diese Vorschrift als Folge europarechtskonformer Gesetzesauslegung keine Anwendung auf Lebensversicherungsverträge (Senat, Urteil vom 06.12.2016 - 12 U 137/16, juris Rn. 23).

    2. Zu Recht hat das Landgericht das Widerspruchsrecht hier als verwirkt angesehen. Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (Senat, Urteil vom 06.12.2016 - 12 U 137/16, juris Rn. 25).

    Der Senat verkennt dabei nicht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Kündigung des Versicherungsnehmers und die Rückabwicklung des Versicherungsvertrags auch viele Jahre vor Erklärung des Widerspruchs, der Ausübung des Widerspruchsrechts nicht entgegensteht. Denn der Versicherungsnehmer konnte sein Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerspruch mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht sachgerecht ausüben (vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2013 - IV ZR 52/12, Juris Rn. 21; BGH, Urteil vom 28.09.2014 - IV ZR 210/14, juris Rn. 16). Ausgehend hiervon steht dem Kläger trotz Rücktritt der Beklagten grundsätzlich ein Widerrufsrecht zu.

    Im Fall nicht ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung kann der Versicherer grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 01.06.2016 - IV ZR 343/15, juris Rn. 21 m. w. N.). Etwas Anderes kann sich im Einzelfall ergeben, wenn der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten den Eindruck erweckt hat, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen, und sein nachträglicher Widerspruch deshalb treuwidrig erscheint. Insoweit reicht die "normale" Vertragsdurchführung - sei es auch über einen langen Zeitraum - nicht aus; erst recht spricht eine zwischenzeitliche Kündigungserklärung nicht für einen unbedingten Fortführungswillen. Erforderlich sind vielmehr besonders gravierende Umstände (vgl. BGH, Beschluss vom 27.01.2016 - IV ZR 130/15, juris Rn. 16, r+s 2016, 230; Senat, Urt. v. 29.09.2016 - 12 U 101/16, juris Rn. 33). Ob die Umstände nach § 242 BGB eine Versagung der Rückabwicklung rechtfertigen, ist eine Frage der Würdigung im Einzelfall und bleibt der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten (BGH, Urteil vom 11.05.2016 - IV ZR 334/15, juris Rn. 16, r+s 2016, 339; BGH, Urteil v. 01.06.2016 - IV ZR 482/14, juris Rn. 24). So lässt etwa der Umstand, dass der Versicherungsnehmer die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zur Kreditsicherung abgetreten hat, dabei für sich genommen noch keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass der Versicherungsnehmer in Kenntnis seines Vertragslösungsrechts am Vertrag festgehalten und von seinem Lösungsrecht keinen Gebrauch gemacht hätte (BGH a.a.O.; Senat, Urteil vom 06.12.2016 - 12 U 137/16, juris Rn. 26 a. a. O.; a.A. KG VersR 2016, 1045).

    Ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrages kann in diesen Fällen aber etwa in Betracht kommen bei einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung oder einer mehrfachen Abtretung (vgl. BGH, Beschluss vom 27.01.2016 - IV ZR 130/15, juris Rn.16; BGH, Urteil vom 11.05.2016 - IV ZR 334/15, juris Rn. 16; BGH, Urteil v. 01.06.2016 - IV ZR 482/14, juris Rn. 24; Senat, Urteil vom 06. 12.2016 - 12 U 137/16, juris Rn. 26).

    Ebenso hat der Bundesgerichtshof besonders gravierende Umstände in einem Fall angenommen, in welchem der Vertrag zunächst auf Grund von Beitragsrückständen im Jahr 2000 gekündigt und rückabgewickelt, dann aber auf Bitten des Versicherungsnehmers wieder in Kraft gesetzt worden war (BGH, Beschlüsse vom 11.11.2015 und 13.01.2016 - IV ZR 117/15, juris Rn. 5). Weiter hat der Bundesgerichtshof besonders gravierende Umstände in einem Fall angenommen, in dem der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag unmittelbar nach Erhalt des Versicherungsscheins und später noch einmal - mithin zweimal - unter Abtretung auch der Todesfallleistung zur Kreditsicherung eingesetzt hat (BGH, Beschluss vom 27.01.2016 - IV ZR 130/15, juris Rn. 16). Das OLG Köln ist von einer Verwirkung ausgegangen, wenn der Versicherungsnehmer nach Kündigung den Vertrag beitragsfrei fortgeführt hat (Urteil vom 26.02.2016 - 20 U178/15, juris 4).

    Im vorliegenden Fall steht dem Bereicherungsanspruch des Klägers der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Dabei unterliegt es tatrichterlicher Beurteilung, ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrags angenommen werden kann (BGH, Urteil vom 11.05.2016 - IV ZR 334/15, juris Rn. 16).

    Der Kläger hat dem Versicherungsvertrag erst 17 Jahre nach Vertragsschluss (1998) im Dezember 2015 widersprochen bzw. 11 Jahre nach dem seitens der Beklagten erklärten Rücktritt im Jahr 2004. Das Zeitmoment ist damit zweifelsfrei gegeben. Hinzukommt, dass der Kläger am 12.08.2002 Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung beantragt hat und die Beklagte in die Leistungsprüfung eingetreten ist, die zu einer ablehnenden Entscheidung wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung geführt hat. In dem Leistungsantrag aus der Berufsunfähigkeitsversicherung liegt eine vertragsbestätigende Handlung, auf welche sich die Beklagte eingelassen hat. Die Beklagte hat sodann im Anschluss mit Schreiben vom 11.07.2003 den Rücktritt erklärt und in 2004 den von ihr errechneten Rückkaufswert ausgekehrt. Der Kläger hat sich gegen den Rücktritt wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung nicht zur Wehr gesetzt. Auch nach Auszahlung des Rückkaufswerts hat sich der Kläger nicht unmittelbar an die Beklagte gewandt. Der Kläger hat sein Widerspruchsrecht vielmehr erst nach 11 Jahren nach Auskehrung des Rückkaufswertes ausgeübt.

    Der Senat ist im vorliegenden Fall in Übereinstimmung mit dem Landgericht der Auffassung, dass die Beklagte nach Auskehrung des Rückkaufswertes nach Kündigung und in Ansehung des danach verstrichenen Zeitraums von 11 Jahren berechtigt darauf vertrauen durfte, dass der ursprüngliche Versicherungsvertrag endgültig abgewickelt war. Der Kläger hat am 12.08.2002 einen Leistungsantrag aus der angeschlossenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung gestellt, was zwingend einen wirksamen Hauptvertrag voraussetzt. Die Geltendmachung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ist wie eine Abtretung der Ansprüche aus der Hauptversicherung geeignet, bei dem Versicherer den Eindruck hervorzurufen, der Versicherungsnehmer wolle in jedem Fall an der Versicherung festhalten (vgl. OLG München, Urteil vom 13.04.2018 - 25 U 2581/16 für einen ähnlich gelagerten Fall eines Leistungsantrags aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung nach 9 Jahren bei einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung).

    Der Kläger hat darüber hinaus hier jahrelang die Rückabwicklung des Versicherungsvertrags durch die Beklagte akzeptiert. Zeit- und Umstandsmoment können deshalb hier auch nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 - XI ZR 298/17, juris Rn. 9). Dieser besondere Umstand ist hier - wie oben ausgeführt - im Leistungsantrag zu sehen.

    3. Ein Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der gezahlten Prämien folgt auch nicht aus § 346 Abs. 1 BGB. § 40 Abs. 1 VVG a.F. (hier in der für den im Jahr 2003 erklärten Rücktritt geltenden Fassung vom 21.07.1994) regelt, dass dem Versicherer für den Fall der Aufhebung des Vertragsverhältnisses durch Rücktritt wegen einer Obliegenheitsverletzung die Prämie bis zum Schluss der Versicherungsperiode, in der er von der Obliegenheitsverletzung Kenntnis erlangt hat, gebührt. Darüber hinaus folgt aus § 176 VVG a.F. für den Fall des Rücktritts des Versicherers vom Versicherungsvertrag, für den der Eintritt der Verpflichtung gewiss ist, die Pflicht des Versicherers zur Zahlung des Rückkaufswertes. Dass die Zahlung erfolgt ist, wird mit der Berufung nicht mehr in Abrede gestellt.

    4. Ein Anspruch auf die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht, da der Hauptanspruch nicht gegeben ist.

    III.

    Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

    Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).

    RechtsgebieteVVG, BGBVorschriftenVVG § 5 a, BGB § 242