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  • 05.06.2024 · IWW-Abrufnummer 241829

    Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 18.04.2024 – 4 U 67/24

    1. Eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung wegen der Falschbeantwortung einer Antragsfrage (hier: zur Abgabe einer Vermögensauskunft) liegt auch dann vor, wenn der Versicherungsnehmer diese falsch beantwortet, weil er den erfragten Umstand für unerheblich hält.

    2. Die Berufung auf Treu und Glauben trotz einer arglistigen Täuschung durch den Versicherungsnehmer kommt nur dann in Betracht, wenn die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betrifft und weitere Billigkeitsmomente zugunsten des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen sind.


    Oberlandesgericht Dresden 

    Beschluss vom 18.04.2024


    Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat in dem Verfahren 4 U 67/24 am 18. April 2024 beschlossen:

    Tenor:
    1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
    2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
    3. Der Verhandlungstermin vom 23.07.2024 wird aufgehoben.
    4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 10.000 Euro festzusetzen.

    Gründe

    I.

    Die Parteien streiten um die Einstandspflicht aus einer Kaskoversicherung wegen des behaupteten Diebstahls eines Quads.

    Das Fahrzeug des Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen X-X 000, Quad Cforce 800, ist mit der Versicherungsschein-Nummer 00000000001 bei der Beklagten mit einer Selbstbeteiligung von 300,00 € kaskoversichert. Versicherungsnehmer ist der Kläger. Das Quad wurde Anfang 2018 für einen Kaufpreis von 9.249,99 Euro brutto (abzüglich 210,09 Euro Transportkosten) angeschafft. Es wurde über die S...... Bank finanziert, wobei Darlehensnehmer Herr A...... W...... war, weil der Kläger bei Banken keinen Kredit erhalten hätte. Im Versicherungsschein sowie im Nachtrag Nr. 2 ist der Fahrzeugwert mit 6.000,00 € angegeben (Anlage B1 und B2).

    Am Nachmittag des 05.12.2019 erstattete A...... W...... Anzeige (Anlage K1) bei der Polizei wegen der Entwendung des Quads. Er teilte hierbei mit, dass es zwei Fahrzeugschlüssel gebe, die beide der Kläger habe. Ebenfalls am 05.12.2019 zeigte der Kläger der Beklagten den Diebstahl des Quads an.

    Am 25.03.2020 befragte der von der Beklagten beauftragte E.B. den Kläger telefonisch, fertigte über die Fragen und Antworten ein Protokoll, übersandte dieses dem Kläger, der es unterzeichnete und zurücksandte. Auf Anlage B6 und die dort auf Seite 1 enthaltene Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG wird insoweit Bezug genommen. Auf die Frage Nummer 8, ob der Kläger allgemeine finanzielle Schwierigkeiten, eine eidesstattliche Versicherung oder die Vermögensauskunft - explizit aufgeführt ist auch die Nichtabgabe der Vermögensauskunft - abgegeben habe, antwortete der Kläger "Nein. So etwas habe ich nicht".

    Im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts Leipzig ist zum Aktenzeichen DR ll 3756/18 eine Nichtabgabe der Vermögensauskunft durch den Kläger vermerkt.

    Mit Schreiben vom 08.05.2020 versagte die Beklagte dem Kläger den Versicherungsschutz.

    Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe eine Versicherungsleistung in Höhe von 10.000 Euro zu.

    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass der Kläger den ihm obliegenden Beweis des äußeren Bildes einer Entwendung nicht erbracht habe und die Beklagte gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 VVG in Verbindung mit E.2 AKB überdies leistungsfrei sei, weil der Kläger arglistig gegen seine aus E.1.1.3 AKB folgende Aufklärungsobliegenheit verstoßen habe, indem er die Nachfrage der Beklagten zur Nichtabgabe einer Vermögensauskunft objektiv und subjektiv falsch beantwortet habe.

    Mit der Berufung vertritt der Kläger die Auffassung, dass zum äußeren Bild des Diebstahls der Zeuge W...... hätte gehört werden müssen. Zudem habe er nicht arglistig Falschangaben bei der Vermögensauskunft gemacht. Die Einschaltung des externen Befragers bei dem Fragebogen habe einzig dem Ziel gedient, Leistungsfreiheit der Beklagten zu erreichen. Hier hätte die Beklagte dem Kläger als Laien aus einer Nebenpflicht des Versicherungsvertrages bei dem Ausfüllen des Fragebogens unterstützen müssen. Das Landgericht habe auch nicht ausgeführt, ob überhaupt eine Leistungsfreiheit für diesen Fall vereinbart worden sei. Die Wertung der Angaben als Betrugsabsicht sei überraschend und hätte eines Hinweises bedurft, wobei dann ein ergänzender Vortrag erfolgt wäre. Weiterhin sei auch der Anspruch der Höhe nach substantiiert vorgetragen worden.

    Der Kläger beantragt

    unter Abänderung des am 14.12.2023 verkündeten Urteils des Landgerichts Leipzig, Az. 3 O 1182/21 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 10.000,00 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie den Kläger hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 € freizustellen.

    II.

    Die Voraussetzungen für eine Entscheidung über die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO sind erfüllt. Die zulässige Berufung bietet nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten. Eine Zulassung der Revision wäre im Falle einer Entscheidung durch Urteil nicht veranlasst.

    Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung einer Versicherungsleistung aufgrund des behaupteten Diebstahlereignisses zu.

    Dahingestellt bleiben kann, ob überhaupt ein Versicherungsfall vorliegt, der Kläger also das äußere Bild eines Diebstahls hinreichend dargelegt hat und ob der Anspruch der Höhe nach substantiiert dargelegt wurde. Jedenfalls ist die Beklagte gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 VVG leistungsfrei.

    1.

    Dies ergibt sich schon aus der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung des Klägers im Zusammenhang mit der Nichtabgabe der Vermögensauskunft.

    a)
    Ausweislich der Anlage B6 wurde der Kläger hinreichend gemäß § 28 Abs. 4 VVG über die Folgen einer Verletzung vertraglicher Obliegenheiten belehrt, hier anlassbezogen in Textform im Rahmen der Befragung durch den beauftragten Ermittler, wobei es wegen der Arglist des Klägers auf die Belehrung eigentlich nicht ankommt (BeckOK VVG/Marlow, 22. Ed. 1.2.2024, VVG § 28 Rn. 226). Gemäß E.1.1.3 AKB, die nach den unangegriffenen Feststellungen des Landgerichts auf den Vertrag Anwendung finden, war vereinbart:

    Sie müssen unsere Fragen zu den Umständen des Schadenereignisses, zum Umfang des Schadens und zu unserer Leistungspflicht wahrheitsgemäß und vollständig beantworten.

    Der Kläger hat bei Frage Nr. 8 des Fragebogens Anlage B6 verschwiegen, dass er die Abgabe der Vermögensauskunft nach § 802c ZPO verweigerte und die Weigerung gemäß § 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO in das Schuldnerverzeichnis eingetragen wurde.

    b)
    Dieses Verschweigen erfolgte auch vorsätzlich. Zwar trägt der Versicherer insoweit die Beweislast. Den Versicherungsnehmer trifft jedoch eine Substantiierungslast. Er muss die zu der Obliegenheitsverletzung führenden Umstände, die seiner Sphäre angehören, also z.?B. die Gründe für etwaige objektive Falschangaben, dartun und der Nachprüfung zugänglich machen (OLG Celle, Urt. v. 30. 11. 2017 - 8 U 27/17; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., § 28 Rn. 193).

    Vorliegend war die Fragestellung im Befragungsbogen eindeutig. Der Kläger hat zudem auch nach der Übersendung des Protokolls der mündlichen Befragung trotz der damit eröffneten erneuten Möglichkeit zur Kenntnisnahme der Frage/Antwort in Kenntnis seiner Nichtabgabe der Vermögensauskunft keine Rückfragen gestellt, sondern das Protokoll unstreitig unterzeichnet. Dass die Beklagte sich hierauf nicht berufen könne, weil sie ihn mit den Fragestellungen "aufs Glatteis" habe führen wollen, hält der Senat für abwegig.

    c)
    Das Verschweigen erfolgte zudem auch arglistig, so dass es auf die Frage, ob die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich war, vorliegend nicht ankommt, § 28 Abs. 3 S. 2 VVG.

    Arglist ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt, wenn er also vorsätzlich eine Obliegenheit verletzt und dabei bewusst gegen die Interessen des Versicherers verstößt, weil er damit rechnet, dass seine Obliegenheitsverletzung Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder die Leistungspflicht des Versicherers oder deren Umfang hat oder haben kann (BeckOK VVG/Marlow, 22. Ed. 1.2.2024, VVG § 28 Rn. 201). Eine Bereicherungsabsicht wird nicht verlangt, vielmehr reicht es aus, wenn der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt, etwa indem er Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche ausräumen will und weiß, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann (BGH VersR 2013, 175 (176) Rn. 29). Es genügt hierfür, etwa Beweisschwierigkeiten vermeiden, die Regulierung beschleunigen, nicht "unnötig Sand ins Getriebe" der Regulierung bringen (OLG Hamm VersR 2012, 356) oder allgemein auf die Entscheidung des Versicherers Einfluss nehmen zu wollen.

    Beweisbelastet für das arglistige Handeln des Versicherungsnehmers ist der Versicherer (BeckOK VVG/Marlow, 22. Ed. 1.2.2024, VVG § 28 Rn. 205), wobei auch im Zusammenhang mit Aufklärungsobliegenheiten im Schadensfall aus wissentlich falschen Angaben nicht ohne weiteres der Schluss auf Arglist gezogen werden darf (Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VVG § 28 Rn. 204), denn häufig werden unrichtige Angaben aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass sie bedeutungslos seien (BGH, Urteil vom 04.05.2009, Az.: IV ZR 62/07, - zitiert nach juris -, Rn. 10 m. w. N.). Allerdings trifft den Versicherungsnehmer auch hier eine sekundäre Darlegungslast, wenn - wie hier - objektiv falsche Angaben vorliegen; er muss dann plausibel darlegen, wie und weshalb es zu diesen gekommen ist (BGH, Urteil vom 11.05.2011, Az.: IV ZR 148/09).

    Wie das Landgericht zu Recht und in nicht zu beanstandender Weise erkannt hat, ging es dem Kläger mit seinen widersprüchlichen Angaben an unterschiedlichen Stellen hinsichtlich der Frage, warum die Finanzierung durch eine andere Person erfolgte (Anlage B6; Frage 11: "Ich wollte einfach keine Finanzierung haben. Ich mag das nicht."; Schriftsatz vom 28.08.2023: "Es ist richtig, dass der Kläger bei Banken o.ä. keinen Kredit erhalten hätte.") und der Frage/Antwort Nr. 8 im Fragebogen darum, die Regulierung zu beschleunigen und weitere Nachforschungen hinsichtlich seiner finanziellen Situation zu vermeiden. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Kläger als rechtlicher Laie seine finanzielle Situation von den Fragen nicht umfasst ansieht. Eine solche Bewertung kommt dem Versicherungsnehmer nicht zu. Eine zulässige und eindeutig verständliche Frage hat er auch dann zu beantworten, wenn er den erfragten Umstand für sich als unerheblich ansieht. Aufgrund der Gesamtumstände ist auch der Senat zweifelsfrei überzeugt, dass es dem Kläger nicht nur bewusst war, dass die Täuschung Einfluss auf das Regulierungsverhalten der Beklagten haben konnte, sondern dass es ihm gerade darauf ankam. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts wird Bezug genommen.

    d)
    Die völlige Leistungsfreiheit der Beklagten ist auch nicht unbillig.

    Nur unter ganz besonderen Umständen ist dem Versicherer nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB die Inanspruchnahme der völligen Leistungsfreiheit als rechtsmissbräuchlich zu versagen, wenn der Verlust des Versicherungsschutzes für den Versicherungsnehmer eine übermäßige Härte darstellt. Eine solche Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betrifft und weitere Billigkeitsmomente zugunsten des Versicherungsnehmers ins Gewicht fallen. Es gibt allerdings keine starre Bruchteilsgrenze; vielmehr kommt es auf die vom Sachverhalt vorgegebenen konkreten Beträge an. Dabei ist für die Bewertung der Hintergrund der Regelung zu beachten. Die Vertragspartner sind bei der Schadensermittlung nach dem Versicherungsfall im besonderen Maße auf gegenseitiges Vertrauen angewiesen. Um dieses Vertrauensklima zu schützen, soll der Versicherungsnehmer von vornherein durch Androhung einer harten Sanktion von der hier besonders naheliegenden Versuchung ferngehalten werden, das Vertrauensverhältnis durch Täuschung zu missbrauchen (OLG Rostock (4. Zivilsenat), Hinweisbeschluss vom 08.01.2020 - 4 U 136/19, Rn. 20). Derartige Umstände sind hier weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.

    Aus den vorstehend genannten Gründen rät der Senat zu einer Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.

    RechtsgebieteVVG, BGBVorschriften§ 28 VVG; § 242 BGB