23.10.2024 · IWW-Abrufnummer 244395
Landgericht Kleve: Urteil vom 27.03.2024 – 6 O 64/23
1. Nur der Versicherungsnehmer kann die Unwirksamkeit einer Prämienanpassung geltend machen, nicht aber der Versicherte.
2. Auch in der Gruppenversicherung stehen Ansprüche auf Rückzahlung überzahlter Prämien nur Versicherungsnehmer zu.
Landgericht Kleve
Urteil vom 27.03.2024
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Bei der Beklagten ist der R.. mit Sitz in O. Versicherungsnehmer eines Gruppenversicherungsvertrages, dessen Gegenstand eine Kranken- und Pflegeversicherung ist. Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist seit dem 00.00.0000 versicherte Person im Rahmen dieser Gruppenversicherung. In den Vertrag sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Gruppenversicherung - AVB-G - N01 einbezogen.
Die Prämien im Rahmen des Vertrags wurden mehrfach wegen einer Veränderung der Rechnungsgrundlage "Versicherungsleistungen" geändert, was die Beklagte mit den als Anlagenkonvolut N02 vorgelegten Schreiben (= Bl. 180-246 d.A.) mitteilte. Die festgesetzten Beiträge wurden jeweils bezahlt.
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
Die Klägerin trägt vor:
Alle streitgegenständlichen Prämienanpassungen seien unwirksam, weil die Mitteilungsschreiben den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG nicht genügt hätten und dem Treuhänder vor seiner Zustimmung nicht alle nötigen Unterlagen vorgelegen hätten, um beurteilen zu können, ob die Limitierungsmittel ordnungsgemäß kalkuliert und verwandt worden seien. Die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmittelverwendung werde auch in der Sache bestritten.
Demgemäß bestehe ein Zahlungsanspruch in Höhe von 2.638,72 €. Wegen der Zusammensetzung der Forderung wird auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 16.05.2023 (= Bl. 586 d.A.) verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
1.)
festzustellen, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer N03 unwirksam sind:
a)
im Tarif TC 43 70,00 die Beitragsanpassung zum 01.04.2017 in Höhe von 3,08 €,
b)
im Tarif TC 43/55,00 die Beitragsanpassung zum 01.04.2017 in Höhe von 2,23 €,
c)
im Tarif KM/25,56 die Beitragsanpassung zum 01.04.2019 in Höhe von 0,40 €,
und der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen um insgesamt 5,71 € zu reduzieren ist;
2.)
festzustellen, dass folgende Beitragsanpassungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer N03 unwirksam waren:
a)
im Tarif AM0 die Beitragsanpassung zum 01.04.2015 in Höhe von 41,17 €,
b)
im Tarif ZM3 die Beitragsanpassung zum 01.04.2018 in Höhe von 5,78 €,
c)
im Tarif SM6 die Beitragsanpassung zum 01.04.2018 in Höhe von 34,28 €,
d)
im Tarif PET die Beitragsanpassung zum 01.07.2020 in Höhe von 13,08 €
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war;
3.)
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite 2.638,72 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
4.)
festzustellen, dass die Beklagte
a)
der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) und 2) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b)
die nach 4a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat;
5.)
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerseite hinsichtlich der außergerichtlichen anwaltlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.212,61 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wendet ein:
Alle Beitragsänderungen seien materiell und formell wirksam. Die außergerichtliche Tätigkeit der Klägervertreter sei nicht erforderlich gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
Die zunächst beim Amtsgericht A. erhobene Klage ist von diesem mit Beschluss vom 14.02.2023 - N04.) wegen sachlicher Unzuständigkeit an das Landgericht Kleve verwiesen worden. Mit Schriftsatz vom 16.05.2023 hat die Klägerin ihre Anträge neu gefasst und die weitergehende Klage zurückgenommen. Das Gericht hat Hinweise erteilt mit Beschluss vom 19.01.2024 (Bl. 619 d.A.).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
1.)
Das Landgericht Kleve ist aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts A. nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO, aber auch nach § 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig. Es besteht keine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Kleve nach § 38 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 22 Abs. 2 AVB-G. Die Gerichtsstandsvereinbarung in § 22 AVB-G ist unwirksam, weil der Versicherungsnehmer als eingetragener Verein kein Kaufmann ist und ihm damit die Prorogationsfähigkeit fehlt. Es besteht kein Klever Gerichtsstand nach § 215 Abs. 1 S. 1 VVG, weil die Klägerin nur Versicherte und nicht Versicherungsnehmerin ist und der Versicherungsnehmer seinen Sitz in O. hat. § 215 Abs. 1 S. 1 VVG begründet keinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Versicherten (LG Kleve, Beschluss vom 18.09.2018 - 6 O 30/18 = VersR 2019, 183; Looschelders in: MüKo-VVG, 3. Aufl. 2024, § 215, Rn. 16). Das Landgericht Kleve ist auch nicht nach §§ 12, 17 ZPO örtlich zuständig, weil die Beklagte ihren Sitz ebenfalls in O. hat. Es ist aber gemäß § 39 S. 1 ZPO örtlich zuständig, weil die Beklagte sich rügelos zu Sache eingelassen hat. § 40 Abs. 2 S. 2 ZPO steht dem nicht entgegen. § 215 Abs. 1 S. 1 VVG und §§ 12, 17 ZPO sind keine ausschließlichen Gerichtsstände.
2.)
Ob für alle Feststellungsanträge ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO besteht, kann vorliegend offenbleiben. Ein solches ist bei einer Feststellungsklage nur für ein zusprechendes Urteil eine Zulässigkeitsvoraussetzung. Ist der Feststellungsantrag aber unbegründet, kann er auch bei zweifelhaftem oder fehlendem Feststellungsinteresse in der Sache abgewiesen werden.
II.
Die Klage ist in der Sache unbegründet.
1.)
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die mit den Klageanträgen Nr. 1 und Nr. 2 begehrten Feststellungen.
Die Klägerin ist nicht berechtigt, etwaige Unwirksamkeiten von Prämienänderungen nach § 203 VVG durch die Beklagte in dem streitgegenständlichen Gruppenversicherungsvertrag geltend zu machen, da sie unstreitig nicht Versicherungsnehmerin, sondern nur Versicherte ist. Vertragspartner der Beklagten ist nicht die Klägerin, sondern der R.. als Versicherungsnehmer.
Trotz § 44 VVG hat der Versicherte nicht die Rechte eines Vertragspartners, soweit nichts Anderes vereinbart worden ist. Er kann insbesondere keine Gestaltungsrechte ausüben und dem Inhalt des Versicherungsscheins nicht wirksam widersprechen (OLG Hamm, Beschluss vom 03.05.2017 - 20 U 210/16 = VersR 2018, 380; Marlow in: BeckOK-VVG, Stand 01.02.2024, § 44, Rn. 3; Klimke in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 44, Rn. 2; Muschner in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl. 2020, § 44, Rn. 3; Schramm/Kassing in: Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht, 3. Aufl. 2022, § 44 VVG, Rn. 6). Demgemäß kann er auch die Unwirksamkeit von Vertragsänderungen - zu denen auch die Erhöhung der Versicherungsprämie durch den Versicherer gehört - nicht geltend machen, weil dies allein dem Versicherungsnehmer als Vertragspartner obliegt. Eine von § 44 VVG abweichende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Die AVB-G enthalten keine Klausel, welche dem Versicherten erlaubte, die Unwirksamkeit der festgesetzten oder geänderten Prämienhöhe gegen die Beklagte geltend zu machen. Eine von § 44 VVG abweichende Vereinbarung behauptet keine der Parteien.
2.)
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 2.638,72 € aus §§ 812 Abs. 1 S. 1 Fall 1, 818 BGB.
Die Beklagte ist nicht durch Leistung der Klägerin ohne rechtlichen Grund bereichert.
Der Versicherte ist nicht Inhaber des Anspruchs auf Prämienrückerstattung, dieser Anspruch steht vielmehr dem Versicherungsnehmer zu (Koch in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 4. Aufl. 2023, § 44, Rn. 4; Klimke in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 44, Rn. 3; Muschner in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl. 2020, § 44, Rn. 3). Prämienschuldner ist nämlich der Versicherungsnehmer und nicht der Versicherte. Dass vorliegend abweichend von diesem Regelfall die Klägerin als Versicherte anstelle des Versicherungsnehmers Vertragsschuldner der Prämien wäre, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Den AVB-G lässt sich nicht entnehmen, dass die Klägerin statt des I. Schuldner der Prämienforderung sein sollte. § 17 Abs. 2, Abs. 3 AVB-G enthalten keine entsprechende Regelung, die Zahlungspflicht ist dort passivisch formuliert. § 17 AVB-G ist vielmehr dahingehend auszulegen, dass der Versicherungsnehmer im Verhältnis zur Beklagten Beitragsschuldner ist. Das ergibt sich zum einen aus dem allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsatz, dass der Vertragspartner Schuldner des Entgelts ist und u.a. auch aus der Regelung in § 17 Abs. 1 S. 2 AVB-G: "Die Fälligkeit des Beitrags richtet sich nach den mit dem Versicherungsnehmer im Gruppenversicherungsvertrag getroffenen Vereinbarungen." § 8 AVB-G enthält ebenfalls keine Übertragung etwaiger Kondiktionsansprüche, vielmehr handelt es sich um eine dem Umfang des § 44 Abs. 1 VVG entsprechende Rechtsübertragung.
Soweit die Klägerin die Beiträge an die Beklagte gezahlt hat, hat sie damit als Dritte nach § 267 Abs. 1 BGB die Beitragsschuld des I. und zugleich ihre aus ihrem Vertragsverhältnis mit dem Versicherungsnehmer folgende Freistellungspflicht gegenüber dem I. erfüllt. Damit ist die Leistung der Klägerin im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Fall 1 BGB an den I. erfolgt, weil sie diesen von seiner Prämienzahlungspflicht freigestellt hat. Etwaige Ansprüche sind daher gegen diesen als ihren Vertragspartner zu richten.
3.)
Mangels bestehender Hauptansprüche bestehen keine Ansprüche auf Nutzungsersatz, Zinsen und Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
IV.
Die Anordnungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 708 Nr. 1, 711 ZPO.
V.
Streitwert: bis 6.000,- €
Der Streitwert ergibt sich gemäß § 39 Abs. 1 GKG aus der Summe der Streitwerte der einzelnen Anträge. Dabei ist bei dem jeweiligen Antrag auf den jeweils höchsten im Verfahren geltend gemachten Wert abzustellen, weil teilweise Klagerücknahmen streitwertmäßig irrelevant sind (§ 40 GKG) und eine Wertaddition nach § 39 Abs. 1 GKG gerade nicht voraussetzt, dass die Ansprüche gleichzeitig geltend gemacht worden sind (Kurpat in: Schneider/Kurpat, Streitwertkommentar, 15. Aufl. 2022, Rn. 2.2551; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.02.2023 - 13 W 3/23, juris).
Demgemäß ist der (negative) Feststellungsantrag gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO mit dem 42fachen des streitigen Monatsdifferenzbetrages von 18,79 € - und damit insgesamt 789,18 € - zu bewerten.
Der Zahlungsantrag ist mit dem Nennbetrag der höchsten im Verfahren geltend gemachten Hauptforderung von 4.963,42 € zu bewerten.
Zinsen und Anwaltskosten sind wegen § 43 GKG, § 4 ZPO nicht streitwerterhöhend. Ob der geltend gemachte Anspruch auf Nutzungsersatz streitwerterhöhend ist, kann offenbleiben. Selbst wenn das der Fall ist, führt das nicht zu einem Gebührensprung.