30.09.2010 · IWW-Abrufnummer 103130
Bundesgerichtshof: Urteil vom 23.06.1993 – IV ZR 135/92
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF
IV ZR 135/92
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet am: 23. Juni 1993
In dem Rechtsstreit
...
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Bundschuh und die Richter Dr. Zopfs, Dr. Paulusch, Römer und Dr. Schlichting auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 1993 für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. Mai 1992 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 5. März 1991 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist ein eingetragener Verbraucherverein, der satzungsgemäß Verbraucherinteressen wahrnimmt. Er verlangt von der Beklagten im Wege der Verbandsklage gemäß § 13 AGBG, dass diese es unterlässt, in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen eine Klausel mit dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 f der Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung aus dem Jahre 1976 (MB/KK 76, veröffentlicht in VerBAV 76, 437 ff.) oder eine inhaltsgleiche Klausel zu verwenden. § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 hat folgenden Wortlaut:
„§ 5 (1) Keine Leistungspflicht besteht
...
f) für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel; ...“ Das Landgericht hat der Unterlassungsklage stattgegeben (Verbraucher und Recht (VuR) 1991, 311). Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen (VersR 92, 1080). Mit seiner zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
1. Das Berufungsgericht sieht die sogenannte Wissenschaftlichkeitsklausel des § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 als wirksam an. Es hat ausgeführt, die Klausel verstoße nicht gegen § 9 AGBG. Eine Unvereinbarkeit mit einem gesetzlichen Leitbild im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG scheide aus, weil es ein solches Leitbild bei der privaten Krankenversicherung nicht gebe. Eine Einschränkung wesentlicher Rechte und Pflichten, die den Vertragszweck gefährdeten, § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG, lägen nicht vor. Ein vernünftiger Versicherungsnehmer werde nicht erwarten, dass er Versicherungsschutz für alles genieße, was irgendjemand zu seiner Genesung vorschlagen könnte. Die Klausel verstoße auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 9 Abs. 1 AGBG. Sie verwende zwar unbestimmte, ausfüllungsbedürftige Begriffe. Das sei aber unschädlich, weil keine vermeidbare Mehrdeutigkeit vorliege.
2. In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 gegen § 9 AGBG verstößt. Für die Wirksamkeit der Klausel haben sich ausgesprochen: OLG Frankfurt, VersR 1988, 733; LG Braunschweig, VersR 1990, 1341 mit zustimmender Anmerkung von E. Lorenz; LG Nürnberg-Fürth, VersR 1992, 688; LG Duisburg, VersR 1992, 1082; AG Köln, VersR 1991, 1238 (nur Leitsatz); AG Neuss, VersR 1977, 1119; AG Saarbrücken, NJW 1987, 718; Bach in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 2. Aufl. § 5 MB/KK Rdn. 78; Flore, VersR 1992, 1436; Horn in Wolf/Horn/Lindacher, AGBG 2. Aufl. § 23 Rdn. 500; Prölss in Prölss/Martin, VVG 25. Aufl. § 5 MB/KK Anm. 7 A d; Wriede in Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. Bd. VI 2, K 320; auch Schirmer, Die Wissenschaftlichkeitsklausel in der privaten Krankenversicherung, 1993, Gutachten im Auftrag der Beklagten für das vorliegende Verfahren. Unwirksamkeit der Klausel haben angenommen: LG Stuttgart, VuR 1991, 311 als Vorinstanz; LG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 488; AG Wolfsburg, VersR 1990, 84; Rieger, Lexikon des Arztrechts 1984, Rdn. 1957; Stebner, Kostenerstattung biologischer Medizin, 1991, S. 39 f. - jedoch nur für bestimmte Fallgestaltungen; wohl auch Lanz, NJW 1989, 1528.
II.
Das Berufungsgericht hat sich durch § 8 AGBG nicht gehindert gesehen, die Wirksamkeit des § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 an § 9 AGBG zu messen. Das ist richtig.
§ 5 Abs. 1 f MB/KK 76 ist nicht gemäß § 8 AGBG einer Inhaltskontrolle entzogen. Allerdings unterliegen bloße Leistungsbeschreibungen nicht der Inhaltskontrolle nach den §§ 9 bis 11 AGBG. Solche Beschreibungen legen Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistungen fest, lassen aber die für die Leistungen geltenden gesetzlichen Vorschriften unberührt. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Damit verbleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (vgl. insgesamt Senatsurteil vom 21. April 1993 - IV ZR 33/92 - unter I 2 m. w. N., zur Veröffentlichung bestimmt).
Zu diesem engen Bereich der Leistungsbeschreibung gehört die Bestimmung des § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 nicht. Sie schränkt den in § 1 MB/KK 76 bestimmten Umfang des Versicherungsschutzes ein, indem sie den Ersatz von Aufwendungen für die Heilbehandlung darauf beschränkt, dass nur die Kosten für wissenschaftlich allgemein anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel erstattet werden. Damit stellt sich die sogenannte Wissenschaftlichkeitsklausel als eine die Leistungsbeschreibung einschränkende und ausgestaltende Bestimmung dar, die der Kontrolle nach § 9 AGBG unterliegt.
III.
Diese Kontrolle ergibt, dass § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 gegen § 9 AGBG verstößt. Die Klausel ist deshalb unwirksam.
1. a) Vor der Prüfung nach § 9 AGBG ist der Inhalt der Klausel durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGHZ 93, 29, 42; Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz 7. Aufl. § 9 Rdn. 28; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher a. a. O. § 9 Rdn. 31). Ohne vorangegangene Auslegun Klarheit darüber, welcher Inhalt der Klausel im Einzelnen anhand des AGB-Gesetzes zu kontrollieren ist.
b) Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Allgemeinen Bedingungen bei verständiger Würdigung (Urteil vom 18. Dezember 1991 - IV ZR 204/90 - VersR 1992, 349 unter 3 a m. w. N.), aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs (Urteil vom 5. Juli 1989 - IVa ZR 24/89 - VersR 1989, 908 unter II) verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (BGHZ 84, 268, 272).
c) Ein verständiger Versicherungsnehmer geht vom Wortlaut der Klausel aus. „Allgemein“ anerkannt versteht er so, dass die Methode wenn nicht ausnahmslos, so doch zumindest überwiegend Anerkennung gefunden hat. Für die Frage, wer die Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und die Arzneimittel anerkannt haben muss, damit die Kosten erstattungsfähig sind, gibt dem versicherungsrechtlich nicht vorgebildeten Versicherungsnehmer der in der Klausel verwendete Begriff „wissenschaftlich“ Auskunft. Unter Wissenschaft in der Medizin versteht der Laie als Sammelbegriff alles das, was an den wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik an Forschung und Lehre stattfindet. Wissenschaftlich anerkannt ist danach eine Methode, wenn sie bei den an den Hochschulen und Universitäten Tätigen überwiegend anerkannt, also im Wesentlichen außer Streit ist. Das ist nichts anderes, als was allgemein auch unter dem Begriff der „Schulmedizin“ verstanden wird (vgl. Bach in Bach/Moser a. a. O. Rdn. 64). Als Ergebnis der Auslegung aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers kann deshalb gesagt werden, nach § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 besteht keine Leistungspflicht für solche Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die nicht der Schulmedizin entsprechen (im Ergebnis ebenso Henrichs, VersR 1990, 464, 468).
Eine solche Auslegung verbietet sich nicht schon deshalb, weil auch umstritten sein kann, was „Schulmedizin“ ist (vgl. Bach in Bach/Moser a. a. O. Rdn. 63), oder weil auch innerhalb der Schulmedizin Richtungskämpfe ausgetragen werden. Für das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers von dem, was wissenschaftlich allgemein anerkannt ist, entscheidet allein, dass über die generelle Wirksamkeit einer Methode unter den Schulmedizinern kein nennenswerter Streit besteht (vgl. Prölss in Prölss/Martin a. a. O. Anm. A a). Nicht allgemein anerkannt ist eine Methode erst, wenn namhafte Wissenschaftler sie als unwissenschaftlich kritisieren (vgl. LG Köln, VersR 1982, 486). Da allein auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen ist, kommt es bei der Auslegung der Klausel auch nicht darauf an, was Dritte unter „allgemein wissenschaftlich anerkannt“ verstehen, wie etwa das Bundesgesundheitsamt (vgl. seine Auskunft, wiedergegeben bei Lanz, NJW 1989, 1528) oder Ärzte (vgl. die Befragung von mehreren Ärzten durch das LG Stuttgart, Pharma Recht 1984, 76).
Dass es allein mit die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ankommt, übersieht auch die Auffassung, die die Klausel über die schulmedizinischen Methoden hinaus erweitern will und es ausreichen lässt, wenn sich eine Methode in der Praxis so durchgesetzt hat, dass „in der überwiegenden Zahl der Fälle nach statistischer Wahrscheinlichkeit ein beliebig reproduzierbarer therapeutischer Erfolg erzielt werden kann“ (Bach in Bach/Moser a. a. O. Rdn. 65 m. w. N.). Diese Auslegung versucht zwar, um Erfahrungen der medizinischen Praktiker mit einzubeziehen, Elemente der Wissenschaftlichkeit in die Definition aufzunehmen. Sie verfehlt dabei aber die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers.
Dieser wird sich bei dem Bemühen, die Klausel zu verstehen, keine Gedanken über die Reproduzierbarkeit des Erfolges nach einer bestimmten statistischen Wahrscheinlichkeit machen.
Die Schulmedizin steht im Gegensatz zur sogenannten alternativen Medizin. Die wissenschaftlich allgemein anerkannten Methoden sind gerade nicht die Methoden der alternativen Medizin (Prölss in Prölss/Martin a. a. O. Anm. A b). Nach der Wissenschaftlichkeitsklausel sind mithin solche Kosten nicht erstattungsfähig, die durch Arzneien oder Behandlungen nach Methoden der alternativen Medizin (vgl. kurzer Überblick bei Zuck, NJW 1991, 2933) entstehen. Da sich „wissenschaftlich allgemein anerkannt“ allein auf die Schulmedizin bezieht, kommt es nicht darauf an, ob die jeweilige Methode von den Vertretern der Alternativmedizin gebilligt wird. Umgekehrt gilt allerdings, dass die von der alternativen Medizin angewendeten Methoden nicht als allgemein wissenschaftlich anerkannt angesehen worden können, es sei denn, sie werden auch von der Schulmedizin gebilligt.
d) Die Revision ist der Ansicht, es komme bei der Auslegung auf den „kundenfeindlichsten“ Sinn an
Daran ist richtig, dass nach heute herrschender Meinung (BGHZ 91, 55, 61; Lindacher in Wolf/Horn/Lindacher a. a. O. § 5 Rdn. 41 m. w. N.) im Verbandsprozess nach §§ 13 ff. AGBG von der für den Kunden nachteiligsten Auslegungsmöglichkeit auszugehen ist. Die „kundenfreundlichste“ Auslegung würde die pr äventive, auf Beseitigung einer unangemessenen Klausel gerichtete Funktion der Verbandsklage in der Regel vereiteln (vgl. Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen a. a. O. § 5 Rdn. 5). Ob bei dieser Auffassung die Gefahr einer unterschiedlichen Auslegung derselben Klausel besteht, je nachdem ob sie im Individual- oder im Verbandsprozess vorgenommen wird, braucht der Senat nicht weiter zu erörtern (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1992 - XI ZR 151/91 - NJW 1992, 1097 unter II 4). Die hier vorgenommene Auslegung aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers stellt zugleich die ihm nachteiligste Auslegung dar.
2. In dieser Auslegung schränkt die Klausel wesentliche Rechts des Versicherungsnehmers, die sich aus der Natur des Krankenversicherungsvertrages ergaben, so sehr ein, dass der Vertragszweck gefährdet ist, § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG.
a) Mit dem Abschluss eines Krankenversicherungsvertrages - soweit er die Krankheitskosten betrifft - verfolgen die Parteien den Zweck, dass der Versicherungsnehmer die Aufwendungen ersetzt erholt, die ihm durch eine notwendige Behandlung einer Krankheit des Versicherten, durch eine Vorsorgeuntersuchung oder im Falle einer Schwangerschaft entstehen (vgl. § 1 MB/KK 76).
b) Dieser Vertragszweck bedingt nicht auch die Erstattung von Kosten für eine Behandlung, die dem Bereich der Wunderheilungen und der Scharlatanerie zuzuordnen ist. Vielmehr liegt es im Interesse der Versichertengemeinschaft, solche Kosten aus der Leistungspflicht des Versicherers herauszunehmen. Dem Versicherer ist auch ein berechtigtes Interesse daran zuzubilligen, dass er Kosten der Forschung nicht mitfinanziert, wenn bereits erprobte und erfolgversprechende Methoden und Arzneimittel zur Verfügung stehen. Schließlich ist auch das Bemühen des Versicherers berechtigt, durch eine nähere Abgrenzung seiner Leistungspflicht die Kosten kalkulierbar zu halten und so auch in der privaten Krankenversicherung einen Beitrag zur Kostendämpfung zu leisten. Mit der Regelung des § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 ist der Versicherer über diese berechtigten Interessen aber weit hinausgegangen.
c) Nach § 4 Abs. 2 MB/KK 76 ist der Versicherte berechtigt, auch die Behandlung von Heilpraktikern in Anspruch zu nehmen, wenn die Tarifbedingungen nichts anderes bestimmen. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist indessen auch als medizinischem Laien bekannt, dass die diagnostischen und therapeutischen Methoden der Heilpraktiker von der Schulmedizin, also wissenschaftlich allgemein allenfalls zu einem sehr geringen Teil anerkannt sind (vgl. Lanz, VersR 1992, 1331). Es entspricht auch weitgehend dem Selbstverständnis der Heilpraktiker, außerhalb der herkömmlichen Schulmedizin tätig zu sein (BVerfG NJW 1988, 2292 unter C I a. E.). Mit dem Leistungsversprechen des Versicherers, auch Kosten der Behandlung durch Heilpraktiker zu erstatten, ist die Leistungsbeschränkung des § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 nicht zu vereinbaren (vgl. Henrichs, VersR 1990, 464, 468). Mit der Beschränkung auf wissenschaftlich allgemein anerkannte Methoden und Arzneimittel nimmt der Versicherer dem Versicherungsnehmer, was er ihm mit § 4 Abs. 2 MB/KK 76 zu leisten versprochen hat. Dem ist auch nicht durch eine „systematische“ Auslegung abzuhelfen, die die Wissenschaftlichkeitsklausel so ausdehnt, dass von ihr auch die Behandlungsmethoden der Heilpraktiker generell erfasst werden (so aber wohl Bach in Bach/Moser a. a. O. Rdn. 63 und Flore, VersR 1992, 1436 unter II 2). Eine solche Auslegung wäre mit dem Wortlaut „wissenschaftlich allgemein anerkannt“ nicht mehr vereinbar.
d) Mit der Bestimmung des § 5 Abs. 1 f MB/KK 76, dass keine Leistungspflicht für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden besteht, ist auch häufig die Erstattung solcher Kosten ausgeschlossen, die durch Behandlungen unheilbarer Krankheiten entstehen. Bei diesen Krankheiten hat die Schulmedizin in weiten Bereichen noch keine allgemein anerkannten Methoden zur Behandlung gefunden.
Zwar ist der Begriff der medizinisch notwendigen „Heil“behandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 76 auch aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht so zu verstehen, dass Versicherungsfall nur die auf Heilung abzielende Behandlung ist. Als Heilbehandlung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jegliche ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung oder auch auf Linderung der Krankheit abzielt (Urteil vom 17. Dezember 1986 - IVa ZR 78/85 - VersR 1987, 278 unter II 3; vgl. auch Bach in Bach/Moser a. a. O. § 1 Rdn. 12 m. w. N.). Die Wissenschaftlichkeitsklausel beschränkt jedoch auch die Methoden zur Linderung einer Krankheit auf wissenschaftlich allgemein anerkannte. Gerade aber bei unheilbaren Krankheiten, bei denen sich die Qualität einer Methode nicht am Heilerfolg messen lassen kann, fehlt den in der Praxis angewandten Behandlungsmethoden zur Linderung oder auch zur wissenschaftlichen Erprobung eines Heilerfolges die allgemeine Anerkennung durch die Schulmedizin. Für einen solchen - noch nicht dem AGB-Gesetz unterliegenden - Fall (es handelte sich um Multiple Sklerose) hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, auch die von der überwiegenden Zahl der Ärzte und Krankenanstalten geübte Behandlung könne nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht als wissenschaftlich allgemein anerkannt bezeichnet werden, weil die Ursache dieser Krankheit noch immer nicht erforscht sei und jede Art der Behandlung deshalb zwangsläufig experimentellen Charakter habe, ohne dass der Nachweis medizinischer Richtigkeit geführt werden könne (Urteil vom 2. Dezember 1981 - IVa ZR 206/80 - VersR 1982, 285 unter III 4). Der Bundesgerichtshof hat die Auffassung des Berufungsgerichts bestätigt, nach der die Weigerung des Versicherers, die Leistung zuzusagen, gegen Treu und Glauben verstoße.
Eine auf den Einzelfall abstellende Beurteilung gemäß § 242 BGB hat bei der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG jedoch außer Betracht zu bleiben (vgl. Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen a. a. O. § 9 Rdn. 34 ff.). Die Fallgruppe der unheilbaren Krankheiten, bei denen es keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethode gibt, ist auch nicht so gering, dass sie bei der gebotenen generalisierenden und typisierenden Betrachtungsweise (BGHZ 110, 241, 244) vernachlässigt werden könnte. Das machen Krankheiten wie die erwähnte Multiple Sklerose, Aids (vgl. OLG M ünchen, VersR 1992, 1124), weite Bereiche von Krebs (vgl. OLG Braunschweig, NJW 1991, 2971), aber auch weniger bekannte Krankheiten wie z.B. colon irritable (vgl. LG Braunschweig, NJW-RR 1993, 162) deutlich. In all diesen Fällen schließt § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 eine Kostenerstattung aus, soweit sich nicht ausnahmsweise auch bei unheilbaren Krankheiten bestimmte Behandlungsmethoden in der Schulmedizin durchgesetzt haben.
Der Senat verkennt nicht, dass die Versicherer sich in den meisten Fällen nicht weigern, auch Kosten zu übernehmen, die bei unheilbaren Krankheiten durch wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden entstanden sind. Dieser Umstand kann aber bei der Frage, ob die Wissenschaftlichkeitsklausel der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG standhält, nicht berücksichtigt werden. Im Verfahren nach § 13 AGBG kommt es nicht darauf an, wie der Verwender die Klausel bislang gehandhabt hat. Entscheidet ist in diesem Verfahren vielmehr, in welcher Weise sie gehandhabt werden kann (BGHZ 99, 374, 376).
Soweit versucht wird, im Wege der Auslegung das Ergebnis zu vermeiden, dass nach der Klausel des § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 kein Erstattungsanspruch besteht für Kosten der Behandlung von bisher als nicht heilbar angesehene Krankheiten, gehen diese Versuche fehl. Bach (in Bach/Moser a. a. O. § 5 Rdn. 71 f.) erkennt zwar, dass es sich um ein Problem des § 242 BGB handelt. Er will aber unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben bei diesen Krankheiten das Merkmal „allgemeiner“ Anerkennung nicht anwenden. Die Klausel lässt jedoch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer keine Einschränkungen oder Erweiterungen für bestimmte Krankheiten erkennen. Außerdem liefe eine solche Auslegung auf eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion hinaus. Prölss (in Prölss/Martin a. a. O. Anm. 7 A b) meint, aus der Wissenschaftlichkeitsklausel ergebe sich nur die Priorität der Schulmedizin, nicht aber der völlige Ausschluss alternativer Methoden. Versicherungsschutz für alternative Methoden komme in Betracht, wenn für die fragliche Krankheit keine allgemein anerkannte schulmedizinische Behandlung zu Gebote stehe.
Diese Auffassung ist indessen, wie andere, die § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 für unanwendbar erklären, wenn es keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methoden gibt (vgl. z.B. Schirmer, Gutachten S. 35), mit dem Wortlaut der Klausel nicht zu vereinbaren. Nach ihm ist die Leistungspflicht des Versicherers für alle nicht wissenschaftlich allgemein anerkannten Behandlungsmethoden ausgeschlossen. Der durchschnittliche, versicherungsrechtlich nicht vorgebildete Versicherungsnehmer kann diesem Wortlaut weder nur eine Priorität der wissenschaftlich allgemein anerkannten Methoden noch den Ausschluss der Klausel für bestimmte Krankheitsfälle entnehmen.
e) Schon mit den Einschränkungen, die die Klausel des § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 dem Versicherten bei Behandlungen durch Heilpraktiker und bei unheilbaren Krankheiten auferlegt, geht der Versicherer erheblich über seine berechtigten Interessen hinaus, die Kosten einer notwendigen Heilbehandlung möglichst niedrig zu halten und Aufwendungen für Scharlatanerie von der Erstattungspflicht auszuschließen.
Die Klausel schränkt den Versicherungsnehmer in seinen sich aus dem Vertrag ergebenden Rechten aber noch weiter ein. Mit dem Abschluss des Krankenversicherungsvertrages erwartet der Versicherungsnehmer zu Recht, von den Kosten entlastet zu werden, die ihm durch eine notwendige Heilbehandlung entstehen. Ein verständiger Versicherungsnehmer geht auch davon aus, dass im Interesse der Versichertengemeinschaft nur Kosten für diejenigen Behandlungsmethoden erstattet werden, die sich in der Praxis als erfolgversprechend bewährt haben, wenn solche Methoden für die zu behandelnde Krankheit zur Verfügung stehen. Das sind aber nicht nur Methoden, die eine wissenschaftlich allgemeine, d.h. zumindest überwiegende Anerkennung in der Schulmedizin gefunden haben. Heute werden in der Praxis von Ärzten, die eine schulmedizinische Ausbildung erhalten haben, auch Behandlungsmethoden der alternativen Medizin als erprobt und aufgrund der Erfahrung erfolgversprechend angewandt, auch wenn diese Methoden an den medizinischen Hochschulen (noch) nicht allgemein anerkannt sind. Entscheidet sich der Versicherte für eine solche Behandlungsmethode, ist kein berechtigtes Interesse des Versicherers erkennbar, daraus erwachsende Kosten nicht zu erstatten und damit dem Vertragszweck nicht zu entsprechen, wenn die nicht wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode in ihrer Wirksamkeit den von der Schulmedizin gebilligten Methoden gleichzustellen ist und keine höheren Kosten verursacht.
Die Klausel des § 5 Abs. 1 f MB/KK 76 bewirkt mithin insgesamt, dass der Zweck des Krankenversicherungsvertrages in erheblichen Teilbereichen verfehlt wird. Ihr ist deshalb gemäß § 9 AGBG die Wirksamkeit zu versagen.