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  • 24.05.2012 · IWW-Abrufnummer 121567

    Landgericht Köln: Urteil vom 18.04.2011 – 24 O 300/10

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landgericht Köln

    24 O 300/10

    Tenor:

    Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aus dem Versicherungsvertrag mit der Versicherungsvertrags-Nr. #####/#### vom 29.04.2004/09.06.2004 Haftpflichtversicherungsschutz betreffend der vom Insolvenzverwalter über das Vermögen der H Lackierwerk GmbH (AG Hannover, Az: 903 IN 432/04-2-), O, mit Forderungsanmeldung vom 02.10.2008 zu Ziffern A. III. und B. geltend gemachten Schadensersatzansprüche in Höhe von EUR 5.773.813,00 gegen Herrn N wegen dessen Schädigung als Insolvenzverwalter nebst den geltend gemachten gesetzlichen Zinsen (S. 5 Ziffer 10 des Schreibens vom 02.10.2008) und Kosten (Ziffer D. des Schreibens vom 02.10.2008) zu gewähren.

    2.
    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

    3.
    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

    Tatbestand:
    Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn N.

    Herr N war Insolvenzverwalter über das Vermögen dreier Firmen der sog. H-Gruppe, nämlich der H GmbH (im Folgenden: H4), der H Holding GmbH (im Folgenden: H2) sowie der H Lackierwerk GmbH (im Folgenden: H1). Bei der H-Gruppe handelte es sich um einen Zulieferer der Automobilindustrie mit einem Jahresumsatz von ca. 100.000.000,- €. Am 14.04.2004 wurde Herr N zum vorläufigen Insolvenzverwalter der H1 bestellt, am 01.07.2004 sodann zum Insolvenzverwalter für alle drei o.g. Firmen (Anlagen K 5 und K 6, AH). Am 27.06.2005 wurde statt des Herrn N, der angegeben hatte, krankheitsbedingt nicht weiter tätig sein zu können, Herr Rechtsanwalt O zum neuen Insolvenzverwalter bestellt (Anlagen K 7, AH).

    Herr N wurde seitens des Landgerichts Hildesheim durch rechtskräftiges Urteil vom 16.10.2007 - 16 KLs 5433 Js 50393/05, 22 KLs 5433 Js 77293/05 - wegen Untreue in 106 Fällen, die auf seinen früheren Tätigkeiten als Konkurs- bzw. Insolvenzverwalter beruhten, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt (Anlage B 1, AH). Insbesondere auf Grundlage des Geständnisses des Angeklagten wurde u.a. festgestellt, dass Herr N zu Lasten der N4 AG 13.420.000,- DM sowie 100.000,- € in der Zeit von November 2000 bis Oktober 2010 veruntreut hatte. Ferner wurden Veruntreuungen zu Lasten der H4 in der Zeit vom 02.07.2004 bis zum 14.12.2004 in einer Gesamthöhe von 2.280.000,- € festgestellt.

    Herr N hatte im Ermittlungsverfahren über seinen Verteidiger am 01.09.2006 eine Einlassung abgegeben, in der es hieß, er habe niemals eine akademische Ausbildung absolviert (Anlage K 22, AH). Herr N hatte lediglich die mittlere Reife erlangt, eine Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann absolviert und eine Bäckerlehre abgeschlossen. Gleichwohl trat er im Rechtsverkehr zumindest nicht selten als "Diplom-Betriebswirt" auf.

    Mit rechtskräftigem Beschluss des Insolvenzgerichtes vom 04.12.2008 (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 07.02.2011 im Parallelverfahren 24 O 197/10, AH) wurde Herrn N eine Vergütung u.a. mit der Begründung versagt, er habe sich durch die täuschende Angabe des Titels eines Dipl.-Betriebswirts die Bestellung zum Insolvenzverwalter erschlichen.

    Am 01.09.2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Herrn N eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt (Anlage K 3, AH).

    Herr O nahm Herrn N wegen angeblicher Pflichtverletzungen aus der Zeit seiner Tätigkeit als (vorläufiger) Insolvenzverwalter auch der H1 auf Schadensersatz in Anspruch. Mit Schreiben vom 02.10.2008 melde er diese Forderungen zur Insolvenztabelle an (Anlage B 7 AH), u.a. sämtliche Forderungen, hinsichtlich deren der Kläger nunmehr Deckungsschutz begehrt. Eine Feststellung zur Insolvenztabelle erfolgte nicht. In den Forderungsanmeldungen wurde zudem Bezug genommen auf "Forderungsanmeldungen" der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft P AG vom 28.10.2005.

    Folgende angebliche Pflichtverletzungen werden, soweit sie den vorliegenden Rechtsstreit betreffen, mit einem Gesamtbetrag von 5.785.079,92 € geltend gemacht:

    1.Nichtrealisierung des Kaufpreises aus der Übertragung von Aufträgen

    Der neue Insolvenzverwalter H macht zunächst Haftungsansprüche wegen Nichtrealisierung des Kaufpreises aus der Übertragung des Auftragsbestands der H-Gesellschaften durch Herrn N geltend. Gemäß einem sog. "Vertrag über die Übertragung von Aufträgen" vom 18.06.2004 zwischen den H-Gesellschaften und der H Automotive GmbH (H3) sollte die H1 für die übertragenen Aufträge einen Kaufpreis von EUR 2.000.000,00 erhalten. Die H1 erhielt keine Leistung auf den Kaufpreis.

    Deswegen macht der neue Insolvenzverwalter H für die H1 gemäß §§ 60, 92 InsO einen Schadensersatzanspruch in Höhe von EUR 2.000.000,00 geltend.

    2.Unterlassene Durchsetzung von Nutzungsentgeltansprüchen für das überlassene Anlagevermögen
    16Des weiteren macht der neue Insolvenzverwalter H Haftungsansprüche wegen unterlassener Durchsetzung von Nutzungsentgeltansprüchen für überlassenes Anlagevermögen durch Herrn N geltend. So hat Herr N der H3 ab dem 01.12.2004 unentgeltlich die Nutzung der Betriebsimmobilien, der maschinellen Anlagen und der Betriebsausstattung der H-Gesellschaften überlassen. Die H3 hat durch die Nutzung Erlöse erwirtschaftet, ohne dass die H-Gesellschaften hieran über ein Nutzungsentgelt partizipiert haben. Hierdurch ist bei der H1 ein Schaden in Höhe von EUR 910.000,00 entstanden.

    Deswegen macht der neue Insolvenzverwalter H gemäß §§ 60, 92 InsO für die H1 einen Schadensersatzanspruch in Höhe von EUR 910.000,00 geltend.

    3.Nichtverfolgung der vertraglichen Ansprüche aus dem Abschluss des Kaufvertrages mit C KG

    Ferner macht der neue Insolvenzverwalter H Haftungsansprüche wegen der Nichtverfolgung vertraglicher Ansprüche aus dem Abschluss eines Kaufvertrages über die Übertragung des jeweiligen Geschäftsbetriebs der H-Gesellschaften geltend. So haben die H-Gesellschaften am 01.06.2004 mit der C Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. KG ("C KG"), I-Straße, ####3 Q, unter Zustimmung Herrn N als vorläufigem Verwalter einen sog. Rahmenvertrag geschlossen, der am 18.06.2004 in notarieller Form – unter Beteiligung auch der EA auf Käuferseite – bestätigt wurde. In dem Rahmenvertrag in der Fassung der Urkunde vom 18.06.2004 haben sich die C KG und die EA gegenüber den H-Gesellschaften verpflichtet, verschiedene in den Anlagen beigefügte Einzelverträge zum Kauf des Vermögens der H-Gesellschaften abzuschließen und durchzuführen. Weder die C KG noch die H3 haben den Rahmenvertrag bzw. die darin vorgesehenen Einzelverträge erfüllt. Sie haben lediglich für die Aufträge der H4 EUR 3.000.000,00 an diese geleistet. Hierdurch ist den H-Gesellschaften als Gesamtgläubigern (§ 428 BGB) ein Schaden in Höhe von mindestens EUR 1.000.000,00 entstanden.

    Deswegen macht der neue Insolvenzverwalter H gemäß §§ 60, 92 InsO für die H1 einen Schadensersatzanspruch in Höhe von EUR 1.000.000,00 geltend.

    4.Fehlende Bemühungen zur Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Verkauf von Vorratsvermögen

    Zudem macht der neue Insolvenzverwalter H Haftungsansprüche wegen fehlender Bemühungen des Herrn N zur Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Verkauf von Vorratsvermögen geltend. Herr N hat der H3 das Vorratsvermögen der H1 überlassen, ohne dass hierüber der im Rahmenvertrag vom 01./18.06.2004 vorgesehene oder ein anderer schriftlicher Vertrag geschlossen wurde. Herr N hat für das Vorratsvermögen der H1 weder einen Kaufpreis vereinnahmt noch hat er eine wie auch immer geartete sonstige Gegenleistung erhalten. Hierdurch sind Schäden bei der H1 in Höhe von EUR 1.863.813,00 entstanden.

    Deswegen macht der neue Insolvenzverwalter H gemäß §§ 60, 92 InsO für die H1 einen Schadensersatzanspruch in Höhe von EUR 1.863.813,00 geltend.

    5.Zinsen und Kosten
    Darüber hinaus macht der neue Insolvenzverwalter H für die H1 die Kosten der Forderungsanmeldung gemäß § 60 InsO in Höhe von EUR 11.266,92 geltend.

    Schließlich macht der neue Insolvenzverwalter H für die H1 die gesetzlichen Zinsen geltend.
    6.Zwischenergebnis

    Der neue Insolvenzverwalter H macht damit für die H1 gegenüber dem Kläger folgende Schadenspositionen geltend, für die der Kläger von der Beklagten gemäß den Klageanträgen Versicherungsschutz begehrt:

    1. Wegen der pflichtwidrigen Schmälerung der Insolvenzmasse durch die Übertragung der Aufträge an die H Automotive GmbH (H3) im Zeitraum ab dem 01.12.2004 gemäß §§ 60 Abs. 1, 92 InsO EUR 2.000.000,00
    2. Wegen der pflichtwidrigen Schmälerung der Insolvenzmasse durch die Nutzungsüberlassung des Anlagevermögens an die H3 ab dem 01.12.2004 gemäß §§ 60 Abs. 1, 92 InsO EUR 910.000,00
    3. Wegen des pflichtwidrigen Nichtvollzugs des Kaufvertrags mit der C KG/ H3 bzw. des Unterlassens seiner Rückabwicklung gemäß §§ 60 Abs. 1, 92 InsO EUR 1.000.000,00
    4. Wegen der pflichtwidrigen Schmälerung der Insolvenzmasse durch die Übertragung des Vorratsvermögens an die H3 ab dem 01.12.2004 gemäß §§ 60 Abs. 1, 92 InsO EUR 1.863.813,00
    Zwischensumme EUR 5.773.813,00
    5. Kosten der Forderungsanmeldung 0,5-fache Gebühr gemäß RVG VV Nr. 3317, 3320 zzgl. Auslagenpauschale und USt (RVG VV Nr. 7002, 7008); Gegenstandswert nach der Zwischensumme EUR 11.266,92
    Gesamtsumme (ohne laufenden Zins): EUR 5.785.079,92
    6. Die seit Insolvenzeröffnung laufenden Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2005 aus EUR 5.773.813,00 EUR n.n.

    Herr N suchte im Hinblick auf die Bestellung zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter bei der Beklagten um Deckungsschutz nach. In diesem Zusammenhang wurde der Versicherungsfachwirt R, R & Partner, J, eingeschaltet, der eine Bezirksdirektion für die Beklagte betreibt. Es wurde ein sog. Risikoerfassungsbogen auf Formularen, die von D stammten, u.a. betr. die H1 erstellt (Anlage B 3, AH) und der Beklagten am 21.04.2004 zugefaxt. In den Risikoerfassungsbögen wird Herr N in der Rubrik "Name und Anschrift" als "Dipl.-Betriebswirt" bezeichnet. Bei der Frage nach "Qualifikation (z.Bsp. Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater usw.) heißt es: "s.o.". Die Risikoerfassungsbögen enthalten keine Anfragen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Herrn N. Die Beklagte erstellte hierauf jeweils ein Angebot auf Abschluss einer Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung - gerichtet an "Herrn Diplom-Betriebswirt N, u.a. betr. seine Tätigkeit im Rahmen der Insolvenz der H1 (Anlage K 1, AH). Herr N setzte auf das Angebot "zugestimmt: N als vorläufiger Insolvenzverwalter…" (Anlagen K 1, AH). Das um die Zustimmung ergänzte Vertragsangebot wurde sodann mit Fax vom 30.04.2004 (Anlage B 4, AH) an die Beklagte gesandt. Sodann wurde unter dem 04.05.2004 ein entsprechender Versicherungsschein ausgestellt (Anlage B 2, AH) mit Nachtrag Nr. 1, wie aus der Anlage K 2 (AH) ersichtlich. Der Versicherungsvertrag lautete auf "N & Partner Dipl. Betriebswirt". Die Versicherungssumme betrug 15.000.000,- €. Nachfragen betr. die wirtschaftlichen Verhältnisse oder der Ausbildung oder der Erlangung eines akademischen Grades wurden vor Vertragsschluss nicht gestellt; auch wurden seitens des Herrn N insoweit keine weitergehenden Angaben gemacht. In den Versicherungsscheinen wird auf die im Parallelverfahren als Anlage K 17 (Bl. 35 ff = B 9, Bl. 74 ff GA) vorgelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen Bezug genommen. Ausgeschlossen ist der Versicherungsschutz im Falle einer wissentlichen Pflichtverletzung, § 4 Nr. 5 der AVB.

    Nachdem der Kläger bei der Beklagten um Deckungsschutz nachgesucht hatte, lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2009 den Deckungsschutz ab (Anlage K 13, AH). Die Beklagte wies u.a. darauf hin, Herr N sei jedenfalls zu Beginn des Jahres 2004 zahlungsunfähig gewesen und sei in Wirklichkeit kein Diplom-Betriebswirt. Wären beide Umstände der Beklagten bei Vertragsschluss bekannt gewesen, hätte sie die Versicherungsverträge nicht geschlossen. Sie erklärte den Rücktritt von den drei Versicherungsverträgen und focht sie wegen arglistiger Täuschung an. Vorsorglich kündigte sie die Versicherungsverträge wegen Gefahrerhöhung. Bereits erteilte Deckungszusagen würden hiermit widerrufen.

    Die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten waren 2007 seitens des Gläubigerausschusses der N4 AG mandatiert, da diesen vorgeworfen wurde, er hätte Herrn N nicht hinreichend kontrolliert. Herr Rechtsanwalt C3 nahm im April 2007 Akteneinsicht (Anlage K 20, 21, AH) . Zu diesem Zeitpunkt lag die o.g. Einlassung vom 01.09.2006 bereits vor. Im Dezember 2007 erhielten die jetzigen Prozessbevollmächtigten eine Abschrift des Strafurteils.

    Mit einer E-Mail vom 20.04.2009 wurden den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten seitens des Sachbearbeiters der Beklagten, des Zeugen T4, betr. "neue Sache N…" die an die Beklagten gerichteten Anspruchsschreiben übersandt (Anlage B 12 im Parallelverfahren, Bl. 195 GA). Mit Schreiben vom 04.05.2009 (Anlage B 13 im Parallelverfahren, Bl. 196 f GA), unterzeichnet von Rechtsanwalt C3, bedankten sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten unter Bezugnahme auf ein bei der Beklagten am 27.04.2009 geführtes Gespräch und bestätigten "nochmals" ausdrücklich die Mandatsübernahme hinsichtlich des H-Komplexes. In dem Schreiben zeigten sie sodann das beabsichtigte weitere Vorgehen auf.

    Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte sei zur Gewährung von Deckungsschutz verpflichtet. Hierbei stehe der Beklagten selbstverständlich derzeit das Wahlrecht zu, ob sie den Rechtsschutz übernehme oder Herrn N von seinen Verbindlichkeiten gegenüber dem neuen Insolvenzverwalter der H-Gruppe freistelle.

    Der Kläger behauptet, die streitgegenständlichen Pflichtverstöße, die Herrn N seitens des Herrn Rechtsanwalts O zur Last gelegt würden, seien jedenfalls nicht wissentlich erfolgt, so dass der Deckungsausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung nicht greife.

    Der Kläger ist der Ansicht, der Versicherungsvertrag könne nach wie vor zur Grundlage von Deckungsansprüchen gemacht werden. Der Rücktritt der Beklagten sei ebenso unwirksam wie die Anfechtungserklärung; auch sei keine Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung eingetreten.

    Was die wirtschaftlichen Verhältnisse des Herrn N angehe, so sei dieser nicht gehalten gewesen, diese beim Abschluss der Versicherungsverträge ungefragt zu offenbaren. Auch sei nicht hinreichend dargetan, dass Herr N persönlich und nicht nur die Firma, an der er beteiligt gewesen sei und an welche die veruntreuten Gelder geflossen seien, bereits bei Abschluss des Versicherungsvertrages überschuldet gewesen sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass Herr N mit der Nichtangabe seiner Vermögensverhältnisse in den Vorsatz aufgenommen hätte, die Beklagte damit zu täuschen. Zudem seien die wirtschaftlichen Verhältnisse des Herrn N für die Beklagte bei Abschluss der Versicherungsverträge ohne Belang gewesen, da die Aufbringung der Versicherungsprämien nach den Vorschriften der Insolvenzordnung gesichert gewesen sei.

    In diesem Zusammenhang sei zudem zu berücksichtigen, dass - so die Auffassung des Klägers - das neue VVG gelte und daher allein darauf abzustellen sei, dass die Beklagte vor Vertragsschluss sich nicht schriftlich nach den Vermögensverhältnissen des Herrn N erkundigt habe. Die Einschränkung des § 19 Abs. 5 VVG n.F. – das Erfordernis, Fragen in Textform zu stellen - müsse auch für die Beurteilung der Frage gelten, inwieweit nach § 123 BGB eine Verpflichtung bestehe, ungefragt Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen zu machen. Dass das neue VVG gelte, ergebe sich im Übrigen auch aus Selbstverpflichtungserklärungen der Beklagten, wie etwa dem als Anlage K 17 (AH) vorgelegten Internetauftritt der Beklagten zu entnehmen sei.

    Was den Umstand angehe, dass Herr N sich zuweilen als Dipl.-Betriebswirt bezeichnet habe, so sei zu bestreiten, dass die entsprechende Angaben in den Risikoerfassungsbögen von Herrn N stamme, da die Risikoerfassungsbögen von der Agentur ausgefüllt worden seien. Jedenfalls hätte die Beklagte Rückfrage nehmen müssen, wenn denn dieser Punkt für sie von Bedeutung gewesen sein sollte, da Herr N doch seine Zustimmungserklärung ausdrücklich ohne den Zusatz "Dipl.-Betriebswirt" abgegeben habe. Zudem sei die Frage, ob Herr N einen bestimmten Bildungsabschluss oder akademischen Grad gehabt habe, für die Beklagte ohnehin ohne Bedeutung gewesen, zumal die Insolvenzordnung keine Bestimmung kenne, die einen bestimmten Bildungsabschluss oder akademischen Grad als Voraussetzung für die Ernennung zum Insolvenzverwalter aufstelle. Sachlich sei Herr N jedoch, wie seine langjährige und teilweise auch erfolgreiche Tätigkeit in vielen und auch großen Konkurs- und auch Insolvenzverfahren zeige, durchaus als Insolvenzverwalter qualifiziert gewesen. Vor 1995 sei Herr N stets als Konkurs- bzw. Gesamtvollstreckungsverwalter ernannt worden, ohne dass er sich als Dipl.-Betriebswirt ausgegeben gehabt habe. Es fehle jedenfalls an einem Täuschungsvorsatz des Herrn N, da er nicht davon habe ausgehen können, dass die Angabe "Dipl.-Betriebswirt" in irgendeiner Weise für die Beklagte bei der Entscheidung, ob sie mit ihm einen Versicherungsvertrag eingehen wolle, von Bedeutung gewesen wäre. Schließlich fehle es auch an dem im Gesetz für eine Leistungsfreiheit in § 21 Abs. 1 VVG a.F. bzw. § 21 Abs. 2 VVG n.F. vorausgesetzten Bezug zwischen der etwaigen Falschangabe bei Zustandekommen des Versicherungsvertrages und dem schließlich eingetretenen Versicherungsfall.

    Selbst wenn man dem Kläger hierin nicht folgen könne, so könnten Rücktritt und Anfechtung gleichwohl keinen Erfolg haben. Es sei jeweils die Rücktritts- bzw. Anfechtungsfrist nicht eingehalten worden. Der Zeuge T4 habe bereits vor dem 16.12.2008 sowohl hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Herrn N als auch bzgl. dessen, dass dieser in Wirklichkeit kein Dipl.-Betriebswirt ist, hinreichend sichere Kenntnis gehabt. Der Kläger meint, die Beklagte müsse sich im Übrigen das Wissen ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen, die bereits 2007 über die vorgenannten Umstände informiert gewesen seien. Die Mandatsübernahme sei zu einem weitaus früheren als dem seitens der Beklagten behaupteten Zeitpunkt erfolgt.

    Der Kläger beantragt,

    1. die Beklagte zu verurteilen, ihm aus dem Versicherungsvertrag mit der Versicherungsvertrags-Nr. #####/#### vom 29.04.2004/09.06.2004 bedingungsgemäßen Haftpflichtversicherungsschutz betreffend der vom Insolvenzverwalter über das Vermögen der H Lackierwerk GmbH (AG Hannover, Az: 903 IN 432/04-2-), H2, mit Forderungsanmeldung vom 02.10.2008 zu Ziffern A. III. und B. geltend gemachten Schadensersatzansprüche in Höhe von EUR 5.773.813,00 gegen Herrn N wegen dessen Schädigung als Insolvenzverwalter nebst den geltend gemachten gesetzlichen Zinsen (S. 5 Ziffer 10 des Schreibens vom 02.10.2008) und Kosten (Ziffer D. des Schreibens vom 02.10.2008) zu gewähren.

    2. Hilfsweise zu Antrag 1 wird beantragt:

    festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aus dem Versicherungsvertrag mit der Versicherungsvertrags-Nr. #####/#### vom 29.04.2004/09.06.2004 Haftpflichtversicherungsschutz betreffend der vom Insolvenzverwalter über das Vermögen der H Lackierwerk GmbH (AG Hannover, Az: 903 IN 432/04-2-), H2, mit Forderungsanmeldung vom 02.10.2008 zu Ziffern A. III. und B. geltend gemachten Schadensersatzansprüche in Höhe von EUR 5.773.813,00 gegen Herrn N wegen dessen Schädigung als Insolvenzverwalter nebst den geltend gemachten gesetzlichen Zinsen (S. 5 Ziffer 10 des Schreibens vom 02.10.2008) und Kosten (Ziffer D. des Schreibens vom 02.10.2008) zu gewähren.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte hält den Klageantrag zu 1.) für unzulässig. Sie meint, der Kläger könne nicht auf Leistung klagen, sondern nur auf Feststellung, dass Deckungsschutz bestehe.

    Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Deckungsausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung gegeben sei. Sie behauptet, der Kläger habe - bei Unterstellung des eigenen Vortrags des Klägers als richtig - derart gegen fundamentale Grundregeln und Kardinalpflichten eines Insolvenzverwalters verstoßen, dass bereits dies die Wissentlichkeit der Pflichtverletzungen belege.

    Die Beklagte hält den Rücktritt vom Vertrag für wirksam ebenso wie die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.

    Sie meint, es sei insoweit nur auf das VVG in seiner bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung abzustellen. Von einer Selbstverpflichtung der Beklagten, auch bei Altverträgen stets das neue VVG zur Anwendung zu bringen, könne keine Rede sein.

    Die Beklagte behauptet, Herr N habe sie mit der Angabe "Dipl.-Betriebswirt" täuschen wollen, da er hierdurch eine nicht vorhandene Qualifikation für die Tätigkeit als Insolvenzverwalter habe vorgaukeln wollen. Die entsprechende Angabe in den Risikoerfassungsbögen stamme von Herrn N; selbst wenn sie der Zeuge R eingetragen habe, müsse Herr N sich dies zurechnen lassen, da Herr R insoweit als Makler des Herrn N gehandelt habe. Die Beklagte prüfe auch vor Abschluss eines Vermögensschadenshaftpflichtvertrages regelmäßig, ob eine hinreichende Qualifikation gegeben sei, wenn sich dies nicht ohnehin aus dem Beruf des Versicherungsnehmers, etwa als Rechtsanwalt, ergebe. Insoweit nimmt die Beklagte Bezug auf das "Tarifheft Vermögensschadenhaftpflichtversicherung" (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 07.02.2011 im Parallelverfahren, AH). Hätte sie gewusst, dass Herr N eigentlich nur Bäckergeselle sei, hätte sie keinen Vertrag mit ihm geschlossen.

    Ebensowenig hätte sie sich auf einen Vertrag mit ihm eingelassen, wenn sie von seiner Überschuldung, die spätestens Anfang 2004 bestanden habe, gewusst hätte. Gerade weil diese Überschuldung aus Veruntreuungen herrühre, die er als Konkurs- bzw. Insolvenzverwalter sich habe zuschulden kommen lassen, habe sich darin im Übrigen auch seine persönliche Unzuverlässigkeit für dieses Amt gezeigt, die eine entsprechend hohe Gefahr des Auftretens von Versicherungsfällen widerspiegele. Diesen für die Risikoabschätzung entscheidenden Punkt hätte Herr N demnach auch ungefragt offenbaren müssen.

    Eine Gefahrerhöhung nach §§ 23 ff VVG a.F. liege darin, dass Herr N sich nach Vertragsschluss weiter als Dipl.-Betriebswirt geriert habe.

    Die Beklagte meint, die Rücktritts- bzw. Anfechtungsfrist sei jeweils gewahrt.

    Hierzu behauptet sie, dem Zeugen Rechtsanwalt C3 habe, als er 2007 Akteneinsicht genommen habe, der Schriftsatz des Verteidigers des Herrn N vom 01.09.2006 nicht vollständig vorgelegen; insbesondere die S. 5, in dem davon die Rede sei, Herr N sei in Wahrheit kein Dipl.-Betriebswirt, habe gefehlt. Es lasse sich heute nicht mehr klären, ob die Ermittlungsakte unvollständig übersandt oder im Büro der Prozessbevollmächtigten der Beklagten unvollständig kopiert worden sei. Das Fehlen der entsprechenden Seiten sei erstmals bei Abfassung des Schriftsatzes vom 15.12.2010 aufgefallen.

    Die Beklagte behauptet ferner, erst am 20.04.2009 sei ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten die Übernahme der anwaltlichen Vertretung gegenüber dem Insolvenzverwalter der H-Gruppe angetragen worden. Am 04.05.2009 sei sodann die Mandatsübernahme nochmals schriftlich bestätigt worden. Die Durcharbeitung der Ermittlungsakten sei dann erst Ende Oktober 2009 begonnen worden. Aus dem Strafurteil habe sich nicht sicher entnehmen lassen, dass tatsächlich ein Titelmissbrauch vorliege. Um zu klären, wie Herr N gegenüber der Beklagten aufgetreten sei, hätten die Prozessbevollmächtigten daher die komplette Vertragsakte angefordert, welche die Beklagte sodann mit Schreiben vom 18.11.2009, Eingang bei den Prozessbevollmächtigten sodann am 20.11.2009 (Anlage B 14 im Parallelverfahren, Bl. 199 GA), übersandt habe. Im Hinblick darauf, dass die Vertragsakte auch die Risikoerfassungsbögen enthalten hätten, sei eine hinreichend sichere Feststellung der Anzeigepflichtverletzungen des Herrn N nunmehr erst möglich gewesen. Dieses Ergebnis sei dann in die gutachterliche Stellungnahme vom 23.11.2009, die – undatiert - auszugsweise mit Schriftsatz der Beklagten vom 07.02.2011 im Parallelverfahren vorgelegt worden ist (AH), eingeflossen.

    Zudem habe sich – was in der Versicherungswirtschaft üblich sei – das Mandat zunächst auf die haftpflichtrechtliche Seite beschränkt, in diesem Zusammenhang ggf. flankiert um die Prüfung, ob ein wissentlicher Pflichtverstoß gegeben sei, der zu einem Deckungsausschluss führe. Anderweitige deckungsrechtliche Fragen hätten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten erst später prüfen sollen; die Grundlagen des Versicherungsvertragsverhältnisses, etwa die Frage der Rücktritts- oder Anfechtungsmöglichkeit, würden dann ohnehin erst später einer Prüfung unterzogen.

    Die Kammer hat Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 24.01.2011 (Bl. 270 f GA im Parallelverfahren), der im Termin vom 28.02.2011 auf das vorliegende Verfahren erstreckt worden ist. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 28.02.2011 (Bl. 560 ff GA).

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachte Akte 24 O 197/10, welche die Frage des Deckungsschutzes bzgl. die Tätigkeit des Herrn N in den Insolvenzen der H4 und H2 betrifft, Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe:

    1.

    Die Klage ist hinsichtlich des Hauptantrages unzulässig, da die Leistungsklage keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat.

    Gegen die Zulässigkeit des auf Feststellung der Deckungspflicht gerichteten Hilfsantrages, mit dem im Ergebnis dasselbe Ziel erstrebt wird wie mit dem Leistungsantrag, bestehen keine Bedenken.

    Insoweit ist die Klage auch vollumfänglich begründet.

    2.

    Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger aus den mit Herrn N geschlossenen Berufshaftpflichtvertrag Deckungsschutz - sei es im Rahmen des Rechtsschutzgewährungsanspruches oder des Befreiungsanspruchs - zu gewähren, §§ 149, 150 VVG a.F.

    a)

    Der Vertrag ist nicht wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten worden,

    123 BGB, § 22 VVG a.F.

    aa)

    Was das Verschweigen der Überschuldung angeht, gilt Folgendes:

    Falls neues Recht gelten sollte, könnte die Beklagte sich schon deshalb nicht auf § 19 Abs. 1 VVG stützen, weil sie nach den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in Textform gefragt hat. Mit Recht wird vertreten, dass § 19 Abs. 1 VVG zugleich eine Sperrwirkung für § 123 BGB entfaltet, so dass eine arglistige Täuschung ausscheidet, wenn nach dem Umstand, der verschwiegen worden sein soll, nicht schriftlich gefragt worden ist.

    Auch wenn man die vorgenannte Sperrwirkung nicht annehmen wollte oder für den Fall, dass – wofür Vieles spricht - die der Beklagten günstigere Regelung der §§ 16 ff VVG a.F. anwendbar ist, ergibt sich kein für die Beklagte günstigeres Ergebnis. Herr N war zwar angesichts der Veruntreuungen, die er bereits vor Vertragsschluss begangen hat, in Millionenhöhe nach § 823 Abs. 2 BGB in Verb. mit § 266 StGB auch persönlich überschuldet, mag er auch gehofft haben, die Straftaten würden nicht aufgedeckt. Auch ist die Frage der Überschuldung mitnichten nur für die Frage bedeutsam, ob die Beklagte ihre Prämienforderungen realisieren kann, sondern vor allem auch für die Einschätzung des Risikos, ob Versicherungsfälle eintreten. Denn ein überschuldeter Versicherungsnehmer wird, gerade in der versicherten Eigenschaft als Insolvenzverwalter, nicht als hinreichend zuverlässig gelten können, auch wenn die Pflichtverletzungen, um die es vorliegend geht, auch einem nicht überschuldeten Insolvenzverwalter unterlaufen können. Jedenfalls aber hätte die Beklagte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Vertrag gar nicht erst geschlossen, wenn sie von der Überschuldung gewusst hätte, so dass § 123 BGB greifen würde, wenn man eine Verpflichtung bejahte, besonders schlechte Vermögensverhältnisse zu offenbaren.

    Eine Verpflichtung des Herrn N, ungefragt seine Überschuldung offen zu legen, ist jedoch weder nach allgemeinem Vertragsrecht, das zur Anwendung der Regeln über die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung führt, noch unter dem Gesichtspunkt der vorvertraglichen Anzeigepflichten nach §§ 16 ff VVG a.F. zu bejahen. Die versicherungsvertragliche Rspr. (s. BGH, Urteil vom 24.09.1986 - IVa ZR 229/84 -, zitiert nach JURIS, vgl. auch Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., §§ 16, 17, Rz 10) betont zu Recht, dass ein branchenerfahrener Versicherer grundsätzlich gehalten ist, die ihm maßgeblich erscheinenden Fragen an den Versicherungsnehmer vor Abschluss des Versicherungsvertrages zu stellen, um sein Aufklärungsinteresse zu wahren. Sieht er hiervon ab, so kann er dem Versicherungsnehmer nicht vorhalten, dieser sei gehalten gewesen, auch ungefragt einen für die Risikoeinschätzung wichtigen Umstand mitzuteilen. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn es sich um einen nicht völlig fernliegenden Umstand handelt, wie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers, dem zudem im Rahmen der Berufshaftpflicht für Insolvenzverwalter eine entscheidende Bedeutung bei der Frage zukommen kann, ob das Risiko des Eintritts von Versicherungsfällen wegen persönlicher Überforderung oder Unzuverlässigkeit des späteren Versicherungsnehmers gesteigert ist. Eine Verpflichtung bzw. Obliegenheit des Herrn N, ungefragt auf seine Überschuldung hinzuweisen, hat nicht bestanden.

    ab)

    Was die Frage des Auftritts als "Dipl.-Betriebswirt" angeht, gilt Folgendes:

    Ein Täuschungsvorsatz - selbst in der Form des bedingten Vorsatzes – des Herrn N gerade gegenüber der Beklagten steht nicht zur Überzeugung der Kammer fest, auch wenn man davon ausgeht, dass in den Risikoerfassungsbögen die Angaben "Dipl.-Betriebswirt" auf Herrn N zurückgeht. Denn der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass die Annahmeerklärung des Herrn N ohne den Zusatz "Dipl.-Betriebswirt" erfolgt ist. Hätte Herr N jedoch mit Täuschungsvorsatz gehandelt, hätte sich ihm eher aufgedrängt, auch bei dem Stempelaufdruck auf die Angabe "Dipl.-Betriebswirt" zu achten, denn es ist in der Tat üblich, den akademischen Grad - jedenfalls bei Angaben, die in einem Stempel enthalten sind - grundsätzlich mitanzugeben. Nun kann dies zwar auch - einen Täuschungsvorsatz des Herrn N unterstellt - auf einer Nachlässigkeit oder Dummheit beruhen. Dass Letzteres jedoch der Fall ist, weiß man nicht. Die Vernehmung des Herrn N ist nicht beantragt worden. Zudem ist es nicht fernliegend, dass Herr N davon ausgegangen ist, entscheidend für die Beklagte, was seine berufliche Qualifikation angeht, würde letztlich nur der Umstand sein, dass er zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vom Insolvenzgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden war, die Beklagte sich also auf die entsprechende, bereits erfolgte Prüfung seiner persönlichen und sachlichen Qualifikation seitens des Insolvenzgerichtes verlassen werde. Der Zeuge L2, der bei der Beklagten für die Vertragsanbahnung zuständig war, hat bezeichnenderweise erklärt, es reiche ihm auch aus, wenn er sehe, dass das Insolvenzgericht jemanden zum Insolvenzverwalter bestellt habe. In der Täuschung des Insolvenzgerichtes zugleich eine vorsätzlich bewirkte Täuschung der Beklagten zu sehen, würde in den Vorsatz des nicht als Zeugen benannten Herrn N zu viel hineininterpretieren.

    b)

    Die Beklagte ist auch nicht wirksam von den streitgegenständlichen Versicherungsverträgen zurückgetreten, §§ 19 ff VVG a.F.

    ba)

    Dass ein Rücktritt vom Vertrag wegen Verschweigens der Überschuldung nicht in Betracht kommt, ist bereits unter a) näher dargetan worden. Die Frage, ob eine diesbezügliche Offenbarungspflicht auch ungefragt besteht, ist für die Frage der Anfechtung und des Rücktritts gleich zu beurteilen, zumal im Rahmen der §§ 16 ff VVG a.F. die Regelung des § 18 Abs. 2 VVG a.F. zu beachten ist.

    bb)

    Die Beklagte kann sich jedoch auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass Herr N in den Risikoerfassungsbögen falsche Angaben zu seiner beruflichen Qualifikation gemacht hat. Denn sie hat jedenfalls die Monatsfrist des § 20 VVG a.F. nicht eingehalten.

    Da bei der Angabe des akademischen Grades ein aktives Tun vorliegt, stellt sich die Frage einer Verpflichtung, einen Umstand ungefragt zu offenbaren, nicht, s. § 17 VVG a.F.

    Die Kammer geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass die Angabe "Dipl.-Betriebswirt" in den Risikoerfassungsbögen, die sich durch die Bezugnahme mit "s.o." auch auf die Frage nach der beruflichen Qualifikation bezieht, wenn nicht durch Herrn N selbst dann jedenfalls auf seine Veranlassung erfolgt ist. Denn der Zeuge R hat glaubhaft ausgesagt, die Risikoerfassungsbögen per Fax bereits ausgefüllt aus dem Büro N erhalten zu haben.

    Die Angaben des Herrn N auf die Frage nach der beruflichen Qualifikation in den Risikoerfassungsbögen betrafen auch einen Umstand, der für die Übernahme der Gefahr erheblich ist. Erheblich sind nach der gesetzlichen Definition die Gefahrumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder mit dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben.

    Ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich, § 16 Abs. 1 S. 3 VVG a.F. Vorliegend hat Herr N allerdings Risikoerfassungsbögen verwandt, die nicht von der Beklagten, sondern von D stammten und der Zeuge R war sich nicht mehr sicher, ob er zuvor Herrn N aufgefordert hatte, ihm Risikoerfassungsbögen ausgefüllt zuzusenden. Da jedoch Herr N aufgrund seiner Vorkenntnisse zu Recht davon ausgegangen war, dass es jedenfalls ohne Vorlage der Risikoerfassungsbögen nicht zum Vertragsangebot der Beklagten kommen werde und die entsprechenden Bögen ohnehin in den wesentlichen Punkten, insbesondere was die Frage nach den beruflichen Qualifikationen angeht, sinngemäß gleich gestaltet sind, hat Herr N und damit auch der Kläger sich so behandeln zu lassen, als stehe fest, dass die Beklagte Herrn N über ihren Agenten R gebeten habe, auch zu seiner beruflichen Qualifikation Angaben zu machen. Im Übrigen waren die Angaben zur beruflichen Qualifikation, auch wenn man nicht von einer entsprechenden Frage der Beklagten ausgeht, erheblich für die Risikoprüfung:

    Auch wenn die Insolvenzordnung keine bestimmte berufliche Vorbildung für Insolvenzverwalter aufstellt, ist es - gerade in Großinsolvenzen, wie im vorliegenden Fall - sinnvoll und naheliegend, dass nur Personen zu Insolvenzverwaltern bestellt werden, die bereits von ihrer Ausbildung her die Gewähr dafür bieten, den an sie herangetragenen Aufgaben gewachsen zu sein, so dass insbesondere keine zu größeren Schäden führenden Fehlleistungen zu gewärtigen sind. Dass die Beklagte nach ihren allgemeinen Geschäftsgrundsätzen vor Zustandekommen einer Berufshaftpflichtversicherung dementsprechend grundsätzlich auch die berufliche Qualifikation prüft, hat sie durch Vorlage des Tarifheftes hinreichend dargetan. Auch der Zeuge L2 hat dies glaubhaft bestätigt. Inwieweit die Beklagte dann im Einzelfall die Antwort auf die entsprechende Frage auswertet oder sich auf eine vorhergehende Prüfung des Insolvenzgerichtes verlässt, ist unerheblich, denn im Rahmen der §§ 16 ff VVG a.F. kommt es - im Gegensatz zu § 123 BGB/ § 22 VVG a.F. nicht darauf an, ob die Falschangabe ursächlich für den Vertragsabschluss geworden ist.

    Verschulden des Versicherungsnehmers wird vermutet; einfache Fahrlässigkeit reicht aus, § 16 Abs. 3 VVG a.F. (vgl. Prölss, a.a.O. §§ 16, 17 VVG, Rz 34).

    Bedenken hinsichtlich der Frage der Leistungsfreiheit nach erfolgtem Rücktritt würde auch nicht aufgrund § 21 VVG a.F. bestehen. Danach bleibt die Leistungspflicht des Versicherers auch nach wirksamem Vertragsrücktritt bestehen, wenn der Umstand, in Ansehung dessen die Anzeigepflicht verletzt ist, keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls und auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat. Falschangaben als solche - etwa über Vorschäden, das Bestehen anderweitiger Versicherungen, die Eigentümerstellung in der Sachversicherung usw. - haben grundsätzlich nach h.M. keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles (vgl. Prölss, a.a.O, § 21 Rz 4). Die Beklagte argumentiert zu Recht: Hätte Herr N nicht auch das Insolvenzgericht über die Erlangung des Titels eines Dipl.-Betriebswirt getäuscht, wäre er erst gar nicht zum Insolvenzverwalter ernannt worden. Dies wird bestätigt durch den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 04.12.2008. Wer das Insolvenzgericht derart über seine berufliche Qualifikation täuscht, zeigt sich als persönlich in einem so hohen Grade unzuverlässig, dass er nicht zum Insolvenzverwalter bestellt werden kann, auch wenn er fachlich ansonsten in der Lage wäre, die Aufgaben zu bewältigen (vgl. BGH, Beschluss vom 23.09.2009 - V ZB 90/09, zitiert nach JURIS). Darlegungs- und beweispflichtig für die Voraussetzungen des § 21 VVG ist im Übrigen der Versicherungsnehmer. Der Kläger kann jedoch nicht mit Erfolg argumentieren, die bloße Angabe des in Wirklichkeit nicht bestehenden akademischen Grades gegenüber der Beklagten habe für sich genommen keinen Einfluss auf die Entstehung des Versicherungsfalles, sondern allenfalls die entsprechende Angabe gegenüber dem Insolvenzgericht. Hierauf kann es jedoch nicht ankommen, denn die Angaben gegenüber der Versicherung werden praktisch nie ursächlich für den Eintritt oder die Feststellung eines Versicherungsfalles. Entscheidend ist vielmehr, ob der Umstand selbst – also nicht dessen Angabe - , hinsichtlich dessen eine Falschangabe erfolgt ist, ursächlich für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles geworden ist. Letzteres steht jedoch zur Überzeugung der Kammer fest: Das Insolvenzgericht hätte Herrn N nicht zum Insolvenzverwalter in den vorliegenden Großinsolvenzen ernannt, wenn er hierfür keinerlei formalisierte berufliche Qualifikation aufgewiesen hätte, und schon gar nicht, wenn es gewusst hätte, dass er sich zu Unrecht als Dipl.-Betriebswirt ausgegeben hat. Eben dieser Umstand, das Auftreten als "Dipl.-Betriebswirt", ist demnach auch mitursächlich für die Entstehung des Versicherungsfalles geworden.

    Die Beklagte hat jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Monatsfrist des § 20 VVG a.F. versäumt.

    Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in welchem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erlangt. Verlangt wird eine hinreichende Gewissheit; ein bloßer Verdacht reicht nicht. Zudem muss die zuständige Stelle beim Versicherer die hinreichende Kenntnis erlangt haben.

    Was den zuletzt genannten Punkt angeht, ist jedoch nicht (nur) auf den Sachbearbeiter abzustellen, sondern, wenn etwa Rechtsanwälte mit der Prüfung der deckungsrechtlichen Sach- und Rechtslage beauftragt worden sind, auf deren Kenntnis, denn es ist nicht erforderlich, dass derjenige, der letztlich die Entscheidung über die Frage eines Rücktritts fällt, informiert ist; es genügt die Kenntnis der Person, die für die Feststellung der Anzeigepflichtverletzung zuständig ist (vgl. Prölss, a.a.O., § 20 Rz 5). Der Versicherer muss erkannt haben, dass eine Anzeigenpflichtverletzung vorliegt, nicht jedoch ist erforderlich, dass er sich über die Relevanz und die wirtschaftlichen Folgen des verschwiegenen Umstandes bewusst geworden ist (vgl. Prölss, a.a.O, § 20 Rz 3).

    Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte weit einen Monat vor dem 16.12.2009 über den von ihr beauftragten Zeugen C3 positive Kenntnis von den tatsächlichem Umständen hatte, aus denen sich ihr Rücktrittsrecht ergibt.

    Dass die jetzigen Beklagtenvertreter und damit auch der Zeuge C3 damit beauftragt waren, den Sachverhalt zu klären, ist unstreitig. Soweit die Beklagte jedoch behauptet, es habe einen sachlich insoweit zunächst nur eingeschränkten Prüfungsumfang gegeben, als sich das Mandat zunächst nur auf die Prüfung der haftpflichtrechtlichen Seite bezogen habe und hinsichtlich der deckungsrechtlichen Seite nur beschränkt auf die Frage der wissentlichen Pflichtverletzung des Herrn N, so kann dem nicht gefolgt werden. Der Zeuge T4, der bei der Beklagten für die Behandlung der vorliegend streitgegenständlichen Versicherungsfälle zuständige Sachbearbeiter, der einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen hat, hat insoweit nur bekundet, das Augenmerk sei zunächst nur darauf gelegt worden, ob Bedenken hinsichtlich der Leistungspflicht der Beklagten in haftungsrechtlicher Hinsicht bzw. unter dem deckungsrechtlichen Aspekt der wissentlichen Pflichtverletzung bestehen, da zunächst keine Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass ein Anfechtungs- oder Rücktrittsrecht gegeben sein könnte. Es sei gegenüber dem Zeugen C3 allerdings nicht erklärt worden, er solle nur haftungsrechtliche Fragen bzw. die Frage einer wissentlichen Pflichtverletzung prüfen. Auch sei zu keinem Zeitpunkt seitens des Zeugen C3 die Frage an ihn herangetragen worden, ob das Mandat erweitert werden könne. Damit steht fest, dass die Beklagtenvertreter ein umfassendes Mandat hatten, den Sachverhalt unter allen erdenklichen haftpflicht- und deckungsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Irgendein Grund dafür, weshalb die Beklagte aus Sicht der Beklagtenvertreter von der Möglichkeit keinen Gebrauch hätte machen sollen, den Fall umfassend prüfen zu lassen, um jede sich im Rahmen der anwaltlichen Prüfung ggf. ergebende Gelegenheit, rechtmäßig die Leistung verweigern zu können, nutzen zu können, ist nicht ersichtlich.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Aussage des Zeugen C3. Der Zeuge C3 hat in mehreren Punkten bewusst die Unwahrheit gesagt. Die erste Lüge hat er schon zu Beginn seiner Vernehmung zu Protokoll gegeben, indem er erklärt hat, er habe die Ermittlungsakte im Rahmen seiner früheren Beauftragung durch die Gläubigerausschussmitglieder in der Insolvenz der N4 AG nicht eingesehen und hierbei zunächst auch auf Vorhalt geblieben ist. Diese Behauptung steht schon im klaren Gegensatz zum Vortrag der Beklagten auf Bl. 4 des Schriftsatzes vom 15.12.2010 im Parallelverfahren, Bl. 239 GA, der von dem Zeugen C3 selbst unterzeichnet worden ist. Auf weiteren Vorhalt hat sich der Zeuge dann versucht, sich in die Erklärung zu flüchten, er habe zunächst nur gemeint, in die komplette Ermittlungsakte des Jahres 2007 keine Akteneinsicht gehabt zu haben, ohne dass dies jedoch in irgendeiner Weise deutlich geworden wäre. Alsdann hat er sich auf den für einen Juristen erstaunlichen Versuch verlegt, einen Unterschied zwischen der Ermittlungsakte und der Strafakte zu konstruieren. Sodann hat er versucht vorzugaukeln, er könne sich konkret an die Akteinsicht gerade in die Ermittlungsakte nicht erinnern, da er damals doch so viele Akteneinsichtsgesuche gestellt habe. Nachdem auch dem Zeugen klar geworden ist, dass die fehlende Akteneinsicht ihm niemand glaubt, hat er versucht, plausibel zu machen, weshalb ihn die Einlassung des Herrn N vom 01.09.2006 nicht so sehr interessiert habe, so dass er sich nichtmals sicher erinnern könne, gerade diese Einlassung 2007 gelesen zu haben. Gerade, wenn es jedoch aus der damaligen Sicht des Zeugen darauf ankam, inwieweit der Beschuldigte N so geschickt vorgegangen war, dass auch engmaschigere Kontrollen durch die Gläubigerausschussmitglieder die Veruntreuungen nicht hätten verhindern können, so drängte sich auf, jede Zeile auch der Einlassung vom 01.09.2006 zur Kenntnis zu nehmen. Dass er etwa oberflächlich vorgegangen wäre, behauptet der Zeuge C3 selbst nicht. Danach kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dem Zeugen wäre etwa bei seiner Akteneinsicht 2007 nicht aufgefallen, dass in der ihm vorliegenden Ermittlungsakte(nkopie) mehrere Seiten der Einlassung vom 01.09.2006 fehlten. Insoweit ist im Übrigen schon zweifelhaft, ob die angebliche Lückenhaftigkeit nicht nur für die 2009 gefertigte Kopie der Ermittlungsakte geltend gemacht werden soll. Für die angebliche Lückenhaftigkeit der Kopie ist kein weitergehender Zeugenbeweis angetreten worden, und zwar auch nicht, nachdem die Kammer im Parallelverfahren terminsvorbereitend am 24.01.2011 (Bl. 271 GA) darauf hingewiesen hat, dass mit einer eidesstattlichen Versicherung insoweit nichts auszurichten ist. Bezeichnenderweise hat die Beklagte auch erstmals mit Schriftsatz vom 15.12.2010 im Parallelverfahren und nicht - was sich doch sonst aufgedrängt hätte - bereits mit der Duplik im Parallelverfahren, die sich auch zur Frage der Kenntnis des fehlenden Titels eines Dipl-Betriebswirtes verhält, behauptet, die Ermittlungsakte habe insoweit nur unvollständig vorgelegen.

    Auch sonst hat der Zeuge C3 gelogen. So hat er zunächst bekundet, es sei ihm seitens der Beklagten ausdrücklich gesagt worden, er solle den Fall nur in haftungsrechtlicher Hinsicht und bzgl. der Frage einer wissentlichen Pflichtverletzung prüfen. Auf Nachfrage, ob dies wirklich ausdrücklich erklärt worden sei, hat er sich gezwungen gesehen einzuräumen, dass dies "so explizit" nicht erfolgt sei. Auch hat er auf Nachfrage einräumen müssen, dass ihm nicht ausdrücklich gesagt worden sei, zum Zeitpunkt seiner Mandatierung hätten keine Anhaltspunkte für eine Leistungsfreiheit aus versicherungsvertragsrechtlichen Gründen vorgelegen.

    Der Zeuge C3 hat auch vergeblich versucht, die Kammer glauben zu machen, aufgrund des Strafurteils hätten für ihn keine wirklichen Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass Herr N in Wahrheit kein Dipl.-Betriebswirt ist. Das Gegenteil hat der Zeuge C3 als Unterzeichner des Beklagtenschriftsatzes vom 18.11.2010 im Parallelverfahren (Bl. 180 GA) ausgeführt: "Konkrete Verdachtsmomente zum Vorliegen möglicher Aufklärungspflichtverletzungen durch den Insolvenzschuldner hinsichtlich des Titelmissbrauches ergaben sich maßgeblich daraus, dass das Strafurteil des Landgerichts Hildesheim zwar die kaufmännische Ausbildung des Insolvenzschuldners feststellt, nicht aber das für den Titel eines Dipl.-Betriebswirts erforderliche Studium sowie den hierfür erforderlichen höheren Schulabschluss." Soweit der Zeuge C3 bei seiner Vernehmung angegeben hat, er habe gedacht, Herr N hätte den übernommenen elterlichen Bäckerbetrieb nicht sanieren können, wenn er nicht wirklich Dipl.-Betriebswirt gewesen wäre, so ist diese Überlegung denkbar fernliegend, da es auch einer Person mit dem Ausbildungsgrad des Herrn N gelingen kann, einen Bäckerbetrieb zu sanieren. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft gegen Herrn N nicht auch wegen Titelmissbrauchs ermittelt hat, ist kein tragendes Indiz dafür, dass im Ermittlungsverfahren kein diesbezüglicher Verdacht aufgekommen wäre. Zum einen ergibt sich aus dem Geständnis des Herrn N ausdrücklich, dass er sich diesen Titel angemaßt hat. Zum anderen tritt beim damals gegebenen Vorwurf von Untreuehandlungen, die eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren rechtfertigen, eine ggf. bestehende Strafbarkeit wegen Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen nach § 132a StGB völlig in den Hintergrund, was sich jedem Juristen mit 2. Staatsexamen aufdrängen muss. Das Herumgewinde des Zeugen C3 betr. die Frage, ob sich aus dem gegen Herrn N ergangenen Strafurteil Anhaltspunkte für einen Titelmissbrauch ergeben, führt auch dazu, dass die Kammer der Beklagten kaum glauben kann, dass der auszugsweise Ausdruck des Gutachtens, den der Zeuge C3 vorgerichtlich für die Beklagte gefertigt hat, die Fassung ist, welche die Beklagte damals tatsächlich erhalten hat. Auffällig ist, dass es dort heißt, Anhaltspunkte zu einem Fehlen einer betriebswirtschaftlichen Ausbildung ergäben sich aus dem Strafurteil nicht. Dieses Misstrauen rührt auch daher, dass mit dem Zeugen C3 telefonisch vereinbart worden war, das Originalgutachten solle zur Vorlage im Termin bereitgehalten werden. Als es dann jedoch eingesehen werden sollte - u.a. auch wegen der Frage, wann es eigentlich erstellt worden ist -, blätterten der Beklagtenvertreter und sodann auch der Zeuge C3 nur kurz oberflächlich in den mitgebrachten umfangreichen Unterlagen, um sodann über Herrn Rechtsanwalt Y erklären, das Gutachten könne nicht vorgelegt werden, da es nicht mitgenommen worden sei. Es ist nichtmals geltend gemacht worden, man habe es vergessen. Die Beklagtenseite wollte es schlicht nicht vorlegen. Soweit im Schriftsatz der Beklagten vom 11.04.2011 geltend gemacht wird, es habe keine Verpflichtung bestanden das Gutachten vorzulegen, übersieht die Beklagte, dass sie selbst sich im Schriftsatz vom 18.11.2010 im Parallelverfahren auf das Gutachten berufen und im Schriftsatz vom 07.02.2011 im Parallelverfahren dessen Vorlage im Termin angekündigt hat.

    Auf die Frage, ob der Zeuge C3 vor dem Termin noch mit anderen Zeugen Kontakt aufgenommen habe, war zunächst nur die Rede von einer angeblichen telefonischen Dreierkonferenz zwischen dem Zeugen C3 mit den Zeugen T4 und L2. Erst auf Nachfrage hat der Zeuge C3 dann erklärt, es habe auch ein persönliches Treffen mit den vorgenannten Zeugen vor dem Termin gegeben. Der Zeuge T4 freilich konnte sicher ausschließen, dass es eine solche telefonische Dreierkonferenz gegeben hätte. Auch insoweit liegt eine Lüge des Zeugen C3 vor.

    Das Motiv für die Falschaussage liegt auf der Hand: der drohende Regress. Dass der Zeuge C3 als Unterzeichner des Beklagtenschriftsatzes vom 11.04.2011 seine eigene Aussage als glaubhaft wertet, besagt nichts.

    Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Zeuge C3 zum Zeitpunkt der Mandatierung - ausgehend von der Darstellung der Beklagten, die auch zutreffend sein dürfte, also im April 2009 - positive Kenntnis davon hatte, dass Herr N in Wahrheit kein Dipl.-Betriebswirt war. Schon das Strafurteil, das der Zeuge C3 nach seiner eigenen Aussage mehrfach gelesen hatte, spricht durch sein beredtes Schweigen im Rahmen der ausführlichen Schilderung des beruflichen Werdegangs des Angeklagten eine deutliche Sprache. Der markante Umstand, dass Herr N auch ausdrücklich im Ermittlungsverfahren eingeräumt hat, in Wahrheit keine Ausbildung zum Dipl.-Betriebswirt absolviert zu haben - und der Zeuge C3 hatte diese Einlassung zur Überzeugung der Kammer gelesen -, ist dem Zeugen C3 im Gedächtnis haften geblieben, als er 2009 erneut ein Mandat im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Herrn N als Insolvenzverwalter erhalten hat.

    Zur Verwertung der Kenntnisse, die der Zeuge C3 aus der Ermittlungsakte erlangt hat, benötigte er auch nicht eine Schweigepflichtentbindungserklärung seiner früheren Auftraggeber, der Mitglieder des Gläubigerausschusses der N4 AG, denn über das, was sich aus der Akte des Strafverfahrens ergibt, welches gegen Herrn N geführt worden ist, sind die Mitglieder des Gläubigerausschusses nicht dispositionsbefugt.

    Für eine bereits weit vor dem 16.11.2009 liegende positive Kenntnis des Zeugen C3 betr. den Umstand, dass Herr N kein Dipl.-Betriebswirt ist, spricht im Übrigen auch, dass nach der Aussage des Zeugen C3 die Insolvenzakte im August 2009 vorlag. In dieser Akte befand sich auch der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 04.12.2008, in dem Herrn N gerade wegen des Auftretens als Dipl.-Betriebswirt jede Vergütung versagt worden ist. Bezeichnenderweise ist dieser im Schriftsatz der Beklagten vom 08.09.2010 zitierte Beschluss erst auf gerichtliche Aufforderung (Bl. 271 GA im Parallelverfahren) hin vorgelegt worden. Die Beklagte hat ausführlich geschildert, wann Rechtsanwälte Y und K welche Akten durchgesehen haben, lässt sich jedoch nicht konkret dazu aus, wann der Zeuge C3, der unstreitig federführend tätig war, seinerseits die Insolvenzakte eingesehen hat.

    Der Zeuge C3 wusste auch kurz nach der Mandatierung, dass sich Herr N auch noch im Zusammenhang mit den vorliegenden Insolvenzverfahren als Dipl.-Betriebswirt ausgeben hatte. Dies ergab sich schon aus der ihm vorliegenden Schadensakte. Der Zeuge T4 hat auf die Frage, ob dem Zeugen C3 die Schadensakte zeitnah nach Mandatierung übergeben worden sei, glaubhaft bekundet, jedenfalls die Beschlüsse des Insolvenzgerichtes, mit denen Herr N zum Insolvenzverwalter bestellt worden sei, hätten dem Zeugen C3 vorgelegen. In diesen Beschlüssen wird Herr N als Dipl.-Betriebswirt bezeichnet. Vor dem Hintergrund des Wissens, dass der Zeuge C3 aus der früheren Einsicht in die Ermittlungsakte hatte, war ihm klar oder hätte sich ihm jedenfalls aufdrängen müssen, dass Herr N auch im Zusammenhang mit der Beantragung von Versicherungsschutz als Dipl.-Betriebswirt auch gegenüber der Beklagten aufgetreten war. Soweit nicht sogleich positive Kenntnis des Zeugen C3 vorgelegen hat, so lagen die Dinge für ihn doch jedenfalls so, dass aufgrund des ihm vorliegenden Tatsachenmaterials sich aufdrängte, dass ein Rücktritt in Betracht kommt. Dann hätte er jedoch gezielt sogleich bei der Beklagten rückfragen müssen, welche Angaben Herr N ggf. bei Beantragung des Versicherungsschutzes zu seiner beruflichen Qualifikation gemacht hat. Die Monatstsfrist des § 20 VVG a.F. kann nicht durch Hinauszögern der sich aufdrängenden weiteren Aufklärung hinausgeschoben werden (vgl. Prölss, a.a.O. § 20 Rz 3). Hätte der Zeuge C3 jedoch sogleich die Vertragsakte angefordert, so hätte er sofort die Gewissheit erlangt, dass bei Beantragung des Versicherungsschutzes zur beruflichen Qualifikation Falschangaben gemacht worden sind, sofern er die Gewissheit nicht ohnehin schon vorher gehabt hat. Bezeichnenderweise hat auch der Zeuge T4 bekundet, er habe sich gewundert, weshalb der Zeuge C3 die Vertragsakte nicht bereits eher habe haben wollen.

    c)

    Eine Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung nach §§ 23 ff VVG a.F. liegt nicht vor. Eine Gefahrerhöhung ist nicht substantiiert dargetan. Die Gefahr des Eintritts eines Versicherungsfalles hat sich nicht nach Vertragsabschluss dadurch negativ verändert, dass Herr N weiterhin als Dipl.-Betriebswirt aufgetreten ist. Denn die entsprechende Gefahrenlage bestand bereits bei Abschluss des Versicherungsvertrages (zum rechtlichen Ansatz vgl. Prölss, a.a.O., § 23 Rz 5).

    d)

    Was den Deckungsausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung angeht, kann die Beklagte hiermit nicht durchdringen. Aus dem Vortrag des Klägers betr. die streitgegenständlichen Pflichtverletzungen, welche Herrn N aus der Zeit seiner Insolvenzverwalterstellung nunmehr vorgeworfen werden, ergibt sich nicht bereits, dass Herr N diese nur wissentlich begangen haben kann. Bezeichnenderweise beschränkt sich der Vortrag der Beklagten insoweit auf nur einen Satz, obgleich doch vorgerichtlich gerade dieser Frage intensiv nachgegangen worden ist.

    3.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 ZPO.
    Streitwert: 5.785.079,92 Euro