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  • 13.03.2013 · IWW-Abrufnummer 130833

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 15.01.2013 – 12 U 121/12

    Zum Umfang der Belehrungspflicht bei nachträglicher Herabsetzung der Versicherungssumme in einer Geschäftsversicherung.


    OLG Karlsruhe

    15.01.2013

    12 U 121/12

    Tenor:

    1.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 17.7.2012 (7 O 70/12) wird zurückgewiesen.
    2.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
    3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
    4.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen Falschberatung.

    Die Klägerin, die einen Fachhandel für Fotozubehör betreibt, unterhielt bei der Beklagten mehrere Versicherungsverträge, u.a. eine Inhaltsversicherung zum Neuwert. Versichert waren dabei die Betriebs- und Geschäftsausstattung sowie der Warenbestand gegen Einbruchsdiebstahl und sonstige Risiken.

    Am 16.9.2011 fand zwischen dem Geschäftsinhaber der Klägerin und dem Zeugen K, einen bei der Beklagten angestellten Außendienstmitarbeiter, ein Beratungsgespräch statt, in dessen Folge das Versicherungsvertragsverhältnis neu geordnet und für die Inhaltsversicherung die ursprünglich vereinbarte Versicherungssumme von 480.000 EUR auf 390.000 EUR reduziert wurde. Das nicht unterzeichnete Beratungsprotokoll mit Datum vom 7.9.2011 weist aus, dass "kein Beratungsbedarf zu mindestens einem Versicherungsthema" bestanden und der Kunde "die Umstellung/Bündelung der bisher bestehenden Versicherungsverträge in eine neue Unternehmenspolice" gewünscht habe. Als Grund für den erteilten Rat wird im Beratungsprotokoll "Einsparpotential" angegeben sowie, dass "keine abweichenden Kundenwünsche zur empfohlenen Versicherung / Absicherung" bestanden haben.

    Aufgrund eines Einbruchs vom 6.10.2011 entstand der Klägerin ein Diebstahlschaden in Höhe von 129.437 EUR. Der Ersatzwert der versicherten Gegenstände zum Neuwert belief sich auf 686.940 EUR. Die Beklagte berief sich auf Unterversicherung und erstattete der Klägerin lediglich den Betrag von 80.834,53 EUR.

    Die Klägerin hat behauptet, der Zeuge K habe die Versicherungssumme der Inhaltsversicherung unzutreffend ermittelt, indem er nach Vorlage der Buchführungsunterlagen statt der Anschaffungswerte der versicherten Gegenstände die deutlich geringeren Buchwerte zugrundegelegt habe. Der Zeuge habe auch nicht auf die Risiken einer Unterdeckung hingewiesen. Die Klägerin hat bestritten, dass von ihr bei dem Beratungsgespräch eine Absenkung der Versicherungssumme aus Kostengründen gewünscht worden sei. Sie hat die Auffassung vertreten, der Zeuge K habe bei Neuordnung des Versicherungsverhältnisses gegen seine Bedarfsermittlungs- und Beratungspflicht verstoßen, was der Beklagten zuzurechnen sei.

    Die Klägerin hat beantragt:

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 48.602,47 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.03.2012 zu bezahlen.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte hat bestritten, dass der Zeuge K die Versicherungssumme selbst ermittelt habe und ihm bei dem Beratungsgespräch Unterlagen zu den Warenwerten vorgelegt worden seien. Die Versicherungssumme sei vielmehr vom Inhaber der Klägerin selbst errechnet und von ihm eine Reduzierung gewünscht worden. Der Zeuge K habe auf die Gefahr einer Unterversicherung und die Maßgeblichkeit der Neuwerte hingewiesen. Der Versicherungsvertrag sei nach entsprechender Belehrung auf ausdrücklichen Wunsch der Klägerin mit dem vorliegenden Inhalt zustande gekommen. Im Übrigen hätte auch nach dem ursprünglichen Versicherungsvertrag mit einer Versicherungssumme von 480.000 EUR eine Unterversicherung bestanden. Der Klägerin seien bereits Schadensersatzzahlungen vom Hersteller der zur Einbruchsicherung verwendeten Alarmanlage zugeflossen, die sie sich auf den Schadensersatzanspruch anrechnen lassen müsse.

    Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme mit Urteil vom 17.7.2012, auf das wegen der weiteren Feststellungen verwiesen wird, der Klage teilweise in Höhe von 36.451,85 EUR nebst Zinsen stattgegeben. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 5 Satz 1 VVG wegen Falschberatung zustehe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Beklagte die ihr obliegende Bedarfsermittlungspflicht schuldhaft verletzt habe. Zwar beschränke sich diese auf eine Fragepflicht. Der Zeuge K habe aber in jedem Fall deutlich machen müssen, dass der Neuwert der versicherten Gegenstände für die Ermittlung der Versicherungssumme maßgeblich sei. Aufgrund der unzureichenden Dokumentation des Beratungsgesprächs spreche für die Verletzung dieser Pflichten eine tatsächliche Vermutung, die die Beklagte nicht widerlegt habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Beklagten nicht der Nachweis gelungen, der Inhaber der Klägerin habe die reduzierte Versicherungssumme zum Neuwert selbst errechnet bzw. nach Belehrung über die Risiken ausdrücklich gewünscht. Im Gegensatz zum Inhaber der Klägerin habe der Zeuge K zum Zustandekommen des Betrages der reduzierten Versicherungssumme keine Angaben machen und auch keinen anderen nachvollziehbaren Grund für die angeblich gewünschte Reduktion der Versicherungssumme benennen können. Zwar sei davon auszugehen, dass der Inhaber der Klägerin zum damaligen Zeitpunkt erwogen habe, seinen Geschäftsbetrieb zu verkleinern. Dabei sei aber unklar geblieben, wie sich dies auf die Versicherungssumme habe auswirken sollen. Gleiche Erwägung gelte auch für die vom Zeugen K benannten Umsatzrückgänge. Ausgehend von einem entstandenen Schaden von 48.602,47 EUR habe sich die Klägerin ein Mitverschulden anrechnen zu lassen, das in Höhe von 1/4 zu bewerten sei. Bei dem Geschäftsinhaber der Klägerin handele es sich um einen Geschäftsmann, der bereits zuvor Versicherungsverträge abgeschlossen habe. Die Versicherung zum Neuwert sei zudem allgemein bekannt, bestehe ebenso bei der Hausratversicherung. Da sich aus den Unterlagen der Klägerin ohne weiteres ergeben habe, dass die Versicherungssumme deutlich hinter den Neuwerten der versicherten Gegenstände zurückbleibe, habe auch die Klägerin Veranlassung gehabt, die Versicherungssumme zu überprüfen. Den Zufluss von sonstigen Schadensersatzzahlungen habe die Beklagte nicht nachgewiesen.

    Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Die Beklagte behauptet, es habe weder ein produktbezogener noch ein auf die Person der Versicherungsnehmerin bezogener Beratungsanlass bestanden. Dem Inhaber der Klägerin sei schon zuvor das Risiko einer Unterversicherung und die Maßgeblichkeit des Neuwerts zur Ermittlung der Versicherungssumme bekannt gewesen. Die vom Landgericht zur Begründung eines Mitverschuldens herangezogenen Erwägungen seien schon beim Beratungsanlass zu berücksichtigen mit der Folge, dass aufgrund eigener Sachkunde des Versicherungsnehmers ein Beratungsanlass entfalle. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Zeuge K seiner Fragepflicht nachgekommen sei, auf die sich die Bedarfsermittlung beschränke. Ohne tatsächliche Anhaltspunkte sei das Gericht den Angaben des Inhabers der Klägerin gefolgt, der Zeuge K habe fälschlicherweise die Buchwerte übernommen. Dies sei schon angesichts der langjährigen Berufserfahrung des Zeugen nicht naheliegend. Nicht ausreichend berücksichtigt habe das Landgericht, dass der Zeuge K ein Provisionsinteresse an einer möglichst hohen Versicherungssumme habe, so dass davon auszugehen sei, dass auch der Zeuge K den Inhaber der Klägerin intensiv über die Gefahren einer Unterversicherung aufgeklärt habe, um einen möglichst hohen Abschluss zu erreichen. Ausgehend davon hätte das Landgericht daher den Angaben des Zeugen K folgen müssen. Selbst bei einer Pflichtverletzung des Zeugen bei Ermittlung der Versicherungssumme löse dies keine Schadensersatzpflicht aus, da § 6 VVG nach seinem Schutzzweck den Versicherungsnehmer lediglich vor gezielter Übervorteilung, nicht jedoch vor den Risiken einer unbewussten Falschberatung schützen wolle. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei auch widerlegt, dass der Zeuge K selbst Einsicht in die Unterlagen genommen habe. Im Übrigen sei die unrichtige Ermittlung der Versicherungssumme darauf zurückzuführen, dass der Inhaber der Klägerin unzutreffende, da veraltete Werte für den Warenbestand genannt habe. Die Angaben des Geschäftsinhabers der Klägerin, der ein erhebliches Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits habe und nicht zur Wahrheit ermahnt worden sei, seien daher nicht glaubhaft. Demgegenüber habe der belehrte Zeuge K die bereits erhaltene Provision zurückgezahlt und daher kein prozessuales Eigeninteresse. Der auch vom Zeugen Tuschick erwähnte Umsatzrückgang und die beabsichtigte Aufgabe eines Fotostudios durch die Klägerin belege deren Interesse an einer Prämienreduzierung. Im Übrigen hätte dem Inhaber der Klägerin eine Falschberatung sofort auffallen müssen. Der Mitverschuldenseinwand sei aufgrund der falschen Wertangaben durch den Inhaber der Klägerin zu niedrig angesetzt worden.

    Die Beklagte beantragt:

    Unter Abänderung des am 17.07.2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Karlsruhe, AZ: 7 O 70/12, wird die Klage abgewiesen.

    Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt:

    Die Berufung wird zurückgewiesen.

    Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

    II.

    Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte ist der Klägerin zum Schadensersatz in Höhe von 36.451,85 EUR verpflichtet, § 6 Abs. 5 VVG.

    1. Die Beklagte haftet der Klägerin wegen Verletzung ihrer nachvertraglichen Beratungspflichten (§ 6 Abs. 4 VVG) aus dem Versicherungsverhältnis.

    a. Die Reduzierung der Versicherungssumme im Rahmen der Neuordnung der Verträge stellte einen Beratungsanlass dar, der die Beklagte zur Bedarfsermittlung und Beratung verpflichtet hat.

    aa. Die nachvertragliche Beratungspflicht nach § 6 Abs. 4 VVG setzt ebenso wie die vorvertraglichen Pflichten nach § 6 Abs. 1 VVG einen Beratungsanlass voraus (OLG Saarbrücken VersR 2011, 1556 [OLG Saarbrücken 06.04.2011 - 5 U 428/10-68]; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 46; Armbrüster in MünchKomm, VVG, 2010, § 6 Rdnr. 219).

    Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass den Versicherer nach Vertragsschluss keine Pflicht zu einer vorsorgenden Rechtsberatung darüber trifft, ob der vereinbarte Versicherungsschutz den Bedürfnissen des Versicherungsnehmers weiter genügt (OLG Saarbrücken VersR 2011, 1556 [OLG Saarbrücken 06.04.2011 - 5 U 428/10-68]; Prölss, a.a.O., § 6 Rdnr. 46). Er muss nicht vorsorglich auf alle möglichen Auswirkungen von veränderten Umständen ohne konkreten Anlass - etwa einer Nachfrage des Versicherungsnehmers oder einer anstehenden Vertragsänderung - hinweisen (OLG Saarbrücken VersR 2011, 1556 [OLG Saarbrücken 06.04.2011 - 5 U 428/10-68]). Ein erkennbarer Beratungsanlass ist erst dann gegeben, wenn der Versicherer entweder aufgrund von Verhandlungen anlässlich von Vertragsänderungen oder allein aufgrund der Informationen, die er besitzt, inzwischen entstandene oder zu erwartende Deckungslücken erkennen kann (Prölss, a.a.O., § 6 Rdnr. 46).

    bb. Ein erkennbarer Beratungsanlass hat sich für den Zeugen K als Außendienstmitarbeiter der Beklagten anlässlich des auf seine Initiative zustande gekommenen Beratungsgesprächs vom 16.9.2011 zur Neuordnung der bestehenden Versicherungen ergeben. Nachdem im Verlauf des Beratungsgesprächs nicht lediglich die Optimierung der Verträge, sondern auch eine Reduzierung der Versicherungssumme thematisiert worden ist, stellte dies in Anbetracht des damit einhergehenden Risikos einer möglichen Unterdeckung einen die Bedarfsermittlungs- und Beratungspflichten nach § 6 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 VVG auslösenden Beratungsanlass dar.

    b. Dass ein Beratungsanlass aufgrund besonderer Kenntnisse der Versicherungsnehmerin nicht gegeben war, hat die Beklagte nicht dargelegt.

    Zwar kann im Hinblick auf weit verbreitete Grundkenntnisse, die von dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer bezogen auf den von ihm nachgefragten Versicherungstyp erwartet werden können, schon das Bestehen von Informationspflichten und damit ein Beratungsanlass verneint werden (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 20). Davon ist bei der im Streitfall gegebenen Inhaltsversicherung zum Neuwert, die die Bewertung von Betriebsvermögen zur Ermittlung der Versicherungssumme voraussetzt, nicht auszugehen. Auch kann besondere Sachkunde eines Versicherungsnehmers einen Beratungsanlass entfallen lassen, zumindest soweit es um Umstände geht, die zweifelsfrei von seiner Sachkunde erfasst werden (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 20). Dass diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt wären, hat die Beklagte nicht dargetan. Zwar handelt es sich bei dem Inhaber der Klägerin um einen geschäftsgewandten und im Rechtsverkehr erfahrenen Einzelhändler. Dies weist ihn aber noch nicht als Sachkundigen in Versicherungsangelegenheiten aus.

    c. Im Rahmen der Bedarfsermittlungs- und Beratungspflicht bestand für den Zeugen K, dessen Handeln sich die Beklagte nach § 278 BGB zurechnen lassen muss, die Verpflichtung, die Klägerin bei der Ermittlung der Versicherungssumme auf die Gefahr einer Unterversicherung sowie die Maßgeblichkeit der Wiederbeschaffungswerte hinzuweisen. Demgegenüber ist der Zeuge K nicht verpflichtet gewesen, die Versicherungssumme selbst zu ermitteln. Die Bedarfsermittlungspflicht ist grundsätzlich auf eine Fragepflicht beschränkt (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Auf. 2010, § 6 Rdnr. 6). Der Zeuge war aber gehalten, durch entsprechende Hinweise sicherzustellen, dass die Versicherungssumme nicht fehlerhaft festgesetzt wird, indem statt der Neuwerte die geringeren Buchwerte in die Berechnung einfließen. Der Außendienstmitarbeiter der Beklagten genügt deshalb nicht seiner Pflicht, wenn er kommentarlos die ihm vom Versicherungsnehmer genannten Werte entgegennimmt, ohne sich zu vergewissern, ob damit auch das versicherte Risiko abgedeckt werden kann. Soweit der Zeuge K selbst die Versicherungssumme unter Zugrundelegung der falschen Werte ermittelt hat, stellte dies ebenfalls eine Verletzung der Beratungspflichten dar.

    2. Die Verletzung der nachvertraglichen Beratungspflicht hat die Klägerin nachgewiesen.

    a. Nach allgemeinen Grundsätzen hat grundsätzlich der Versicherungsnehmer das Vorliegen einer Pflichtverletzung durch den Versicherer zu beweisen. Allerdings hat der Versicherer die behauptete Fehlberatung substanziiert zu bestreiten und zunächst darzulegen, in welcher Weise er im Einzelnen seinen Beratungs- und Informationspflichten nachgekommen ist. Dem Versicherungsnehmer obliegt dann der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft (BGHZ 126, 217; 166, 56; Prölss/Martin, VVG. 28. Aufl., 2010, § 63 Rdnr. 12).

    b. Die Klägerin kann sich zum Nachweis einer Pflichtverletzung auf Beweiserleichterungen wegen unzureichender Dokumentation des Beratungsgesprächs berufen. Danach besteht die tatsächliche Vermutung, dass der Zeuge K den Inhaber der Klägerin nicht auf die Risiken einer Unterversicherung bei Reduzierung der Versicherungssumme hingewiesen und auch nicht über die Relevanz der Neuwerte für den Summenansatz aufgeklärt hat.

    aa. In der Regel kommt der Versicherer seiner sekundären Darlegungslast durch die Aushändigung der Beratungsdokumentation gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 VVG nach (Prölss in Prölss/Martin, VVG. 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 65). Im Falle einer fehlenden, lückenhaften oder unzutreffenden Dokumentation besteht die tatsächliche Vermutung, dass der Versicherer eine nicht dokumentierte Bedarfsermittlung oder Beratung nicht vorgenommen bzw. eine nicht dokumentierte Empfehlung nicht abgegeben hat (Prölss/Martin, VVG. 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 34f.).

    bb. Allerdings ist der Versicherer nach § 6 Abs. 1 Satz 2 VVG grundsätzlich nur bei der vorvertraglichen Beratung verpflichtet, Bedarfserhebung, Produktberatung und Empfehlung zu dokumentieren. Eine Dokumentationspflicht ist bei der Beratung während des Vertragsverhältnisses nach § 6 Abs. 4 VVG nicht vorgesehen (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 51). § 6 Abs. 1 VVG findet jedoch bei einer Umstellung des bisherigen Vertrages auf einen neuen Vertrag Anwendung (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 52). Gleiche Erwägung gilt auch bei weitgehenden Vertragsänderungen, die es erforderlich machen, die gegenwärtige Situation des Versicherungsnehmers in großem Umfang zu durchleuchten (Prölss, a.a.O., § 6 Rdnr. 52).

    cc. Unabhängig vom Bestehen einer Dokumentationspflicht folgt im Streitfall aus der erstellten Beratungsdokumentation die tatsächliche Vermutungswirkung einer fehlerhaften, die Risiken einer Unterversicherung und der Ermittlung der Versicherungssumme ausblendenden Beratung. Auch wenn die Beratungsdokumentation nicht als Urkunde i. S. des § 416 ZPO zu betrachten ist, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Beratung so stattgefunden hat, wie sie dokumentiert worden ist (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 34). Zwar kann, soweit eine Dokumentationspflicht nicht besteht, aus dem Fehlen einer Dokumentation nicht auf eine unzulängliche Beratung geschlossen werden. Eine lückenhafte Dokumentation schadet jedoch dem Versicherer, da eine lückenhafte Beratung vermutet wird (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 35).

    dd. Die Dokumentation ist offensichtlich unzureichend. Sie ist nichtssagend und erschöpft sich in allgemeinen Angaben zur Motivation der Versicherungsnehmerin und zu den Hintergründen für die Vertragsänderung, ohne dass die Reduzierung der Versicherungssumme überhaupt Erwähnung findet. Aus ihr ergibt sich nicht der Grund für die Reduzierung der Versicherungssumme, die Maßgeblichkeit der Neuwerte sowie eine Aufklärung über die Risiken einer Unterversicherung.

    c. Eine Widerlegung der aus der lückenhaften Dokumentation folgenden tatsächlichen Vermutung eines Beratungsfehlers ist der Beklagten nicht gelungen. Die von der Beklagten mit der Berufung vorgetragenen Angriffe gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts greifen nicht durch.

    aa. Das Landgericht hat sich nach umfassender Würdigung der Aussagen des Zeugen K und des Inhabers der Klägerin keine Überzeugung davon bilden können, der Inhaber der Klägerin habe auch nach Belehrung über die Risiken einer Unterversicherung im Kosteninteresse eine Reduzierung der Versicherungssumme gewünscht, die er zudem selbst ermittelt habe. Vielmehr kann, wovon auch der Senat ausgeht, nach dem zutreffend gewürdigten Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausgeschlossen werden, dass der Zeuge K die Ermittlung der Versicherungssumme selbst vorgenommen und dabei irrtümlich die niedrigeren Buchwerte zugrunde gelegt hat und auch ein Hinweis auf die Risiken der Unterversicherung sowie die Maßgeblichkeit der Neuwerte nicht erfolgt ist.

    bb. Die Beklagte zeigt dabei schon einen Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze nicht auf, wenn sie vorträgt, der Annahme des Landgerichts, der Zeuge K habe die Werte verwechselt, stehe dessen langjährige Berufserfahrung entgegen. Vielmehr entspricht es der Lebenserfahrung, dass im Einzelfall auch langjährige Berufserfahrung Fehler nicht ausschließt. Das Bestehen eines Provisionsinteresses mag im Einzelfall dazu führen, dass der Versicherungsvertreter besonders intensiv über die Gefahren einer Unterversicherung belehrt. Allerdings hat der Zeuge K auch für die streitgegenständliche Vertragsänderung eine Provision vereinnahmt. Nicht auszuschließen ist daher, dass der Zeuge K dem Inhaber der Klägerin zu der streitgegenständlichen Vertragsänderung geraten hat, um überhaupt einen provisionspflichtigen Abschluss zu erlangen, der u.U. nicht zustande gekommen wäre, wenn der Inhaber der Klägerin nach Belehrung über die Risiken einer Unterversicherung im Kosteninteresse von einer Änderung der bestehenden Versicherungssumme abgesehen hätte. Im Übrigen bleibt bei der von der Beklagten behaupteten intensiven, aber fruchtlosen Belehrung der Klägerin über die Gefahren einer Unterversicherung offen, weshalb der Zeuge K keine Dokumentation der Risikobelehrung vorgenommen hat, wofür unter den behaupteten Umständen ein dringender Anlass bestanden hätte. Insoweit ist bei Würdigung der Angaben des Zeugen zu berücksichtigen, dass der Versicherungsvertreter auch ein Interesse daran hat, Schadensersatzansprüchen vorzubeugen, die im Falle einer Unterversicherung gegen den Versicherer wegen des Vorwurfs einer unzureichenden Beratung erhoben werden könnten.

    Nicht zu überzeugen vermag auch der Vortrag der Beklagten, die von der Klägerin beabsichtigte Verkleinerung ihres Geschäftsbetriebes durch Aufgabe eines Fotostudios und ein Umsatzrückgang belegten ihr erhebliches Interesse an einer Reduzierung der Versicherungssumme unter Inkaufnahme des Unterversicherungsrisikos. Dabei erscheint es bereits fernliegend, dass eine Reduzierung der Versicherungssumme schon im Hinblick auf eine lediglich in Aussicht genommene, tatsächlich noch nicht umgesetzte betriebliche Maßnahme vorgenommen wird. Da das Beratungsgespräch auch nicht auf Initiative der Klägerin zustande gekommen ist, spricht auch dieser Umstand gegen ein das Beratungsgespräch dominierendes Interesse der Klägerin an einer Reduzierung der Versicherungssumme im Kosteninteresse.

    Im Übrigen hat das Landgericht bei der Beweiswürdigung zutreffend das jeweilige Eigeninteresse des Inhabers der Klägerin, aber auch des Zeugen K berücksichtigt. Die Rückzahlung der vereinnahmten Provision steht der Annahme eines prozessualen Eigeninteresses des Zeugen aufgrund des fortbestehenden Beschäftigungsverhältnisses und des ihn auch persönlich treffenden Vorwurfs der Falschberatung nicht entgegen. Weiterhin ist nicht ersichtlich, dass der Aussage eines belehrten Zeugen ein höherer Beweiswert als den im Rahmen einer informatorischen Anhörung nach § 141 ZPO gemachten Angaben beizulegen sei. Auch diese unterliegen als Teil der mündlichen Verhandlung der Würdigung des Gerichts, § 286 ZPO (Greger in: Zöller, ZPO, 29. Aufl., 2012, § 141 Rdnr. 1).

    Soweit die Beklagte erstmals in der Berufung dazu vorträgt, dass die dem Zeugen K genannten Werte ausweislich des Gutachtens M vom 7.2.2012 falsch gewesen seien und darauf die unzutreffende Versicherungssumme beruhe, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO, der gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen ist, da weder dargetan noch ersichtlich ist, warum dieser Vortrag nicht im ersten Rechtszug erfolgt ist und die Klägerin den neuen Vortrag der Beklagten auch bestritten hat. Im Übrigen versucht die Beklagte, ihre Würdigung der erhobenen Beweise und des sonstigen Tatsachenstoffs an die Stelle des Landgerichts zu setzten, ohne aber Fehler bei der Erhebung und Würdigung der Beweise aufzuzeigen.

    3. Die Beklagte hat sich die Pflichtverletzung ihres Außendienstmitarbeiters nach § 278 BGB zurechnen zu lassen. Ein Verschulden der Beklagten an der Pflichtverletzung wird gesetzlich vermutet, § 6 Abs. 5 Satz 2 VVG.

    4. Der Rechtsansicht der Beklagten, dass sich die Schadensersatzpflicht nach § 6 Abs. 5 VVG dem Schutzzweck der Vorschrift nach nicht auf eine fahrlässige Falschberatung beziehe, kann angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 6 Abs. 5 Satz 2 VVG nicht gefolgt werden, § 276 BGB. Eine Beschränkung des Schadensersatzes auf vorsätzliche Verhaltensweisen wäre vielmehr mit dem von § 6 Abs. 5 VVG verfolgten Schutzzweck, den Versicherungsnehmer vor den durch Informationsdefiziten verursachten Schäden zu bewahren, unvereinbar.

    5. Die pflichtwidrige Beratung ist auch ursächlich für die Reduzierung der Versicherungssumme und damit für den der Klägerin entstandenen Schaden geworden.

    Hierfür spricht schon der Grundsatz der Vermutung für aufklärungsrichtiges bzw. beratungsrichtiges Verhalten, da im Streitfall bei zutreffender Beratung über die Ermittlung der Versicherungssumme vernünftigerweise nur eine Entscheidungsalternative, nämlich die Erhöhung der Versicherungssumme in Betracht gekommen wäre, um der Klägerin den von ihr erstrebten Versicherungsschutz zu verschaffen (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 67). Dass eine Unterdeckung bereits zuvor vorhanden gewesen war, ist unter dem Gesichtspunkt der Schadenskausalität der Pflichtverletzung nicht von Bedeutung.

    6. Ein höheres als das vom Landgericht bereits in Ansatz gebrachte Mitverschulden der Klägerin ist nicht anzunehmen (§ 254 Abs. 1 BGB).

    Grundsätzlich kann dem Versicherungsnehmer schon nicht entgegengehalten werden, er habe dem Rat des Versicherers nicht ohne weiteres vertrauen dürfen (BGH VersR 1998, 905 [BGH 26.09.1997 - V ZR 29/96]; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, § 6 Rdnr. 64). Zwar hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass von dem Inhaber der Klägerin die Kenntnis erwartet werden konnte, dass es sich bei der Inhaltsversicherung um eine Versicherung zum Neuwert handelt und die Unrichtigkeit der Versicherungssumme dem Inhaber der Klägerin bei seinem Informationsstand hinsichtlich seiner betrieblichen Zahlenwerte hätte auffallen müssen. Auch ist davon auszugehen, dass dem Inhaber der Klägerin durchaus hätte auffallen können, dass unter Berücksichtigung der Anschaffungskosten die Versicherungssumme deutlich zu niedrig angegeben war. Der Mitverschuldensanteil ist insoweit aber angemessen in Höhe eines Viertels berücksichtigt. Ein höheres Mitverschulden ist in Anbetracht dessen, dass primär dem Versicherer aufgrund seiner Sachkunde die Aufklärung über zutage getretene Risiken im Versicherungsschutz obliegt, insbesondere hinsichtlich der Risiken einer Unterversicherung, nicht anzusetzen.

    7. Eine Vorteilsausgleichung des der Höhe nach unstreitigen Schadens in Gestalt der Anrechnung einer anderen Ersatzleistung aus dem Diebstahl war nicht vorzunehmen. Auf die Anrechnung ersparter höherer Prämien hat sich die Beklagte nicht berufen.

    III.

    Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 2 ZPO.

    Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

    Zöller Vors. Richter am Oberlandesgericht
    Wunderlich Richterin am Landgericht
    Lampel-Meyer Richterin am Oberlandesgericht

    Verkündet am 15. Januar 2013

    RechtsgebietVVGVorschriften§ 6 Abs. 5 VVG