· Fachbeitrag · Rechtsschutzversicherung
Rückwirkender Leistungsausschluss in Versicherungsvertrag für fremde Rechnung
von RA Dr. Friedrich Bultmann, Berlin
(BGH 8.5.13, IV ZR 233/11, Abruf-Nr. 131845) |
Sachverhalt
Der Kläger ist Mitglied einer Gewerkschaft, die beim beklagten VR eine Gruppenversicherung mit Familienrechtsschutz für ihre Mitglieder unterhält. In § 20 der Gewerkschaftssatzung heißt es: „Für die Mitglieder ist als Gruppenversicherung eine Familienrechtsschutzversicherung abgeschlossen, … Die Versicherungsbedingungen und Leistungen richten sich im Einzelnen und im Übrigen nach dem mit dem Versicherungsträger abgeschlossenen Gruppenversicherungsvertrag und den Versicherungsbedingungen. Sie sind in dem Versicherungsausweis enthalten, der dem Mitglied ausgehändigt wird.“
Die Beklagte änderte mehrfach ihre Rechtsschutzbedingungen. In Ihren ARB/G 2007 ist ein neuer Risikoausschluss enthalten (§ 3 Abs. 2 lit. f) bb)): „Rechtsschutz besteht nicht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit Spiel- oder Wettverträgen sowie Termin- oder vergleichbaren Spekulationsgeschäften; dem Ankauf, der Veräußerung, der Verwaltung von Wertpapieren (z.B. Aktien, Rentenwerte, Fondsanteile), Wertrechten, die Wertpapieren gleichstehen, Beteiligungen; …“
Die Gewerkschaft als VN und der VR schlossen am 27.8.07 einen neuen Gruppenversicherungsvertrag auf der Grundlage der ARB/G 2007 und vereinbarten: „(Die Parteien) sind sich darin einig, dass die neu vereinbarten Risikoausschlüsse (Gewinnzusagen, Kapitalanlagegeschäfte) erst für Rechtsschutzfälle gelten, die ab dem 1.1.08 gemeldet werden. Die neu vereinbarten Risikoausschlüsse gelten unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls, d.h. sie kommen für alle ab dem 1.1.08 gemeldeten Rechtsschutzfälle zum Tragen, auch wenn der Versicherungsfall vor diesem Zeitpunkt eingetreten ist.“
Über diese Änderungen informierte die Gewerkschaft als VN ihre Mitglieder in ihrer Zeitschrift. Der seit 1996 versicherte Kläger verlangt vom VR Freistellung von Anwaltskosten und Deckungsschutz für die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen aus einer atypisch stillen Gesellschaftsbeteiligung, die er 1997 abgeschlossen hatte. Die damit 2007 beauftragten Rechtsanwälte wandten sich erstmals mit Schreiben vom 9.4.08 an die Beklagte. Diese lehnte Deckungsschutz unter Berufung auf ihre Risikoausschlussklausel ab.
Das LG hatte der Klage auf Freistellung von Verbindlichkeiten aus den Anwaltsrechnungen und Feststellung der Deckungspflicht für die gerichtliche Durchsetzung der Schadenersatzansprüche stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Bei der hier in Rede stehenden Gruppenversicherung ist zwischen dem Zuwendungs- und dem Versicherungsverhältnis zu unterscheiden. Es handelt sich insoweit um einen Versicherungsvertrag für fremde Rechnung im Sinne der § 74 VVG a.F., § 43 VVG n.F. Ergänzend zu den vertraglichen Vereinbarungen und den Regelungen der §§ 43 ff. VVG ist die Vorschrift des § 328 Abs. 2 BGB maßgeblich (BGH 8.2.06, IV ZR 205/04, Abruf-Nr. 060853 = VK 06, 96).
Die Gewerkschaft als VN hat sich gegenüber dem Versicherten in § 20 Nr. 4 ihrer Satzung eine Änderungsbefugnis der Versicherungsverträge vorbehalten. Damit ist im Zuwendungsverhältnis keine bestimmte Leistungszusage festgeschrieben, es wird auf den Inhalt des Versicherungsvertrags verwiesen.
Die Vertragsparteien haben mit der Änderung vom 27.8.07 wirksam die Geltung des „neuen“ Leistungsausschlusses in den ARB/G 2007 auch für die nach dem 1.1.08 gemeldete Altfälle vereinbart. Der ursprüngliche Anspruch des Klägers auf Deckungsschutz ist durch diese Änderung erloschen. Die Übergangsregelung für Altfälle, die bis spätestens 31.12.07 gemeldet werden, ist wirksam. Als individuell ausgehandelte Zusatzvereinbarung unterliegt sie nicht der Kontrolle gemäß §§ 305c ff. BGB. Sie führt auch nicht zu einer gegen die Gebote von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßenden, unangemessenen Benachteiligung des Klägers im konkreten Fall. Zwar verliert der Kläger Deckungsansprüche, die unter Geltung des früheren Gruppenversicherungsvertrags bereits entstanden waren und nach alter Vertragslage noch innerhalb der Ausschlussfrist von drei Jahren (§ 4 Abs. 3 lit. b) ARB/G 94) hätten gemeldet werden können. In der Gesamtschau der Fallumstände verstößt die Übergangsregelung aber nicht gegen Treu und Glauben. Den Vertragsparteien ist aus Gründen der Rechtssicherheit und der Äquivalenz von Prämie und versichertem Risiko ein Interesse daran zuzubilligen, eine Parallelführung des alten und des neuen Vertragswerks über einen längeren Zeitraum zu vermeiden. Auch hätte der Kläger im konkreten Fall noch mehrere Monate Gelegenheit gehabt, den Versicherungsfall vor dem 1.1.08 anzumelden. Ob die VN mit der vereinbarten Änderung des Versicherungsvertrags gegen ihr Versprechen oder Nebenpflichten aus ihrer Satzung verstößt, und ob sie den Kläger zutreffend und ausreichend über die Änderungen im Gruppenversicherungsvertrag unterrichtet hat, betrifft allein das zwischen ihr und dem Kläger bestehende Zuwendungsverhältnis. Es begründet keine Ansprüche des Klägers gegen den beklagten VR.
Die Risikoausschlussklausel in § 3 Abs. 2 lit. f) bb) ARB/G 2007 bezüglich „Beteiligungen“ hält der BGH für wirksam. Unter einer Beteiligung in diesem Sinne sei die mit Einsatz von Kapital erworbene Vermögensanlage in eine Handelsgesellschaft zu verstehen. Die Klausel sei nicht intransparent i.S. von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Der durchschnittliche VN könne erkennen, dass der VR mit der hier streitgegenständlichen Risikoausschlussklausel sein Leistungsversprechen für Geschäfte des Versicherten zurücknehmen will, die auf hochspekulativen Gewinnerwartungen beruhen (Spiel- oder Wettverträge, Termin- oder vergleichbare Spekulationsgeschäfte) und auch für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus den in der Klausel aufgeführten Kapitalanlagen. Das ermögliche es, den ebenfalls aufgeführten Begriff der „Beteiligungen“ systematisch den Kapitalanlagen zuzuordnen. Damit erfährt der im Ansatz sehr weite Begriff, der seinem Wortsinn nach auch auf die Teilnahme des VN an Gruppierungen oder Veranstaltungen jeder Art oder diverse Formen von Gewinnbeteiligungen bezogen werden könnte, seine notwendige Einschränkung. Im Kontext mit den übrigen aufgezählten Kapitalanlagen wird der Versicherte den Begriff der Beteiligungen dahin verstehen, dass nur die unter Kapitaleinsatz und zum Zwecke der Kapitalanlage erworbene Gesellschafterstellung in einer Gesellschaft gemeint sein kann, deren Zweck die rechtsgeschäftliche Teilnahme am Wirtschaftsleben ist. Die Rechtsprechung zur Unwirksamkeit ähnlicher Risikoausschlussklauseln (Effektenklausel, Prospekthaftungsklausel (vgl. BGH 8.5.13, IV ZR 84/12 und IV ZR 174/12) ist nicht anzuwenden.
Praxishinweis
Die Rechte der versicherten Person in einem Versicherungsvertrag für fremde Rechnung sind in § 43 ff. VVG nicht abschließend geregelt. Es ist stets die Anwendung des § 328 Abs. 2 BGB zu prüfen.
In einem Gruppenversicherungsvertrag als Vertrag für fremde Rechnung richten sich die Rechte und Pflichten der Versicherten vorrangig nach den Vereinbarungen zwischen VN und VR. Der Versicherte muss damit rechnen, dass die Vertragsparteien Vereinbarungen zu seinen Lasten treffen. Für die Auslegung von Versicherungsbedingen ist bei einem Gruppenversicherungsvertrag nicht nur auf das Verständnis des VN abzustellen, sondern ebenso das Verständnis der versicherten Personen zugrunde zu legen (BGH VersR 11, 611).
Zur Auslegung von Versicherungsbedingungen besteht eine gefestigte Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 12, 3238). Das gilt insbesondere für die restriktive Auslegung von Ausschlussklauseln. Zitat BGH: „Der VN braucht nicht mit Lücken in seinem Versicherungsschutz zu rechnen“. Diese Auslegungsregeln lassen aber immer noch einen weiten Spielraum, wie die vorliegende Entscheidung zeigt. Während der VN nicht wissen kann was unter „Effekten“ zu verstehen ist (vgl. BGH 8.5.13, IV ZR 84/12), soll er wissen können, was unter „Beteiligungen“ im Kontext mit Wertpapieren zu verstehen ist. Einleuchtend ist das nicht und von einer „restriktiven“ Auslegung hätte man anderes erwartet. Der BGH gibt selbst eine bessere Formulierung: „Beteiligungen unter Einsatz von Kapital als Vermögensanlage in einer Handelsgesellschaft.“ Das wäre ein klar formulierter Risikoausschluss.
Und hätte der Anwalt die Frage der Rechtsschutzversicherung hier frühzeitig geklärt, wäre es zu dem Problem nicht gekommen. In dem langen Zuwarten könnte also möglicherweise ein Regressfall liegen. Hier heißt es aufpassen.
Weiterführender Hinweis