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Ausgleichsanspruch (Teil 3): Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach dem Gesetz
von Rechtsanwalt Mathias Effenberger, Anwaltskanzlei Küstner, v. Manteuffel Partnerschaft mbB, Göttingen
| Der Ausgleichsanspruch stellt für viele Versicherungsvertreter die wirtschaftliche Absicherung oder gar zentrale Altersversorgung dar. In der Rechtsprechung ist und bleibt der Ausgleichsanspruch daher seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner. VVP erläutert Ihnen deshalb in einer Beitragsreihe die wichtigsten Regeln im Umgang mit dem Ausgleichsanspruch. In diesem Beitrag erfahren Sie, wie sich der Ausgleichsanspruch nach dem Gesetz berechnet. |
Grundlegendes zur Berechnung nach dem Gesetz
Die Berechnung eines Ausgleichsanspruchs nach dem Gesetz ist in der Praxis nicht üblich. Sie ist kompliziert und mit erheblichen Schwierigkeiten rechtlicher wie tatsächlicher Art verbunden (zu den Anforderungen an schlüssigen Sachvortrag in diesem Bereich zusammenfassend: OLG Celle, Beschluss vom 04.03.2020, Az. 11 U 170/19, Abruf-Nr. 224480).
Zunächst muss genau unterschieden werden, um welche vermittelten Produkte es sich handelt:
Versicherungs- und Bausparverträge
Bei Versicherungs- und Bausparverträgen gilt für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs die Sonderregelung des § 89b Abs. 5 HGB.
Immobilien, Darlehen/Finanzierungen oder Kapitalanlagen
Anders ist dies bei der Vermittlung von Immobilien, Darlehen/Finanzierungen oder Kapitalanlagen wie z. B. Investmentfonds. Bei diesen Produkten ist die geworbene Geschäftsbeziehung zum Kunden Grundlage für die Ermittlung des Ausgleichsanspruchs, sofern aus dieser Geschäftsbeziehung auch nach Vertragsende Unternehmervorteile erwachsen können und ein Ausgleich insbesondere unter Berücksichtigung von Provisionsverlusten der Billigkeit entspricht (§ 89b Abs. 1 HGB). Diese Methode wird im sonstigen Waren-/Dienstleistungsvertrieb regelmäßig angewendet.
Wichtig | Ein nicht unmittelbar für eine Bausparkasse tätiger Vertreter kann sich im Bereich der Darlehen/Finanzierungen oder Kapitalanlagen nicht auf die „Grundsätze Finanzdienstleistungen“ als alternative Berechnungs- und Schätzmethode berufen, wenn diese „Grundsätze“ nicht vereinbart sind (BGH, Urteil vom 23.11.2011, Az. VIII ZR 203/10, Abruf-Nr. 120027). Aus diesem Grund erläutern wir die Berechnungsweise im Bereich Darlehen/Finanzierungen oder Kapitalanlagen nachstehend zuerst.
§ 89b Abs. 1 HGB bei Finanzierungen und Kapitalanlagen
Ausgangspunkt für die Berechnung im Bereich Finanzierungen oder Kapitalanlagen sind die Vorteile, die das Unternehmen
- aus der Geschäftsverbindung
- mit neuen Kunden,
- die der Vertreter geworben hat,
- auch nach Beendigung des Vertretervertrags ziehen kann.
Neukunde muss Stammkunde geworden sein
Erste Voraussetzung ist also, dass der vom Vertreter konkret zu benennende Kunde vom Vertreter geworben worden ist; beispielsweise für den Kauf eines bestimmten Investmentfonds. Einer Neukundenwerbung steht es gleich, wenn der Vertreter einen Kunden übernommen und die Geschäftsverbindung wesentlich ausgeweitet hat. Dazu ist eine Umsatzsteigerung um preissteigerungsbereinigt 100 Prozent erforderlich (BGH, Urteil vom 03.06.1971, Az. VII ZR 23/70; nach OLG Celle, Urteil vom 16.02.2017, Az. 11 U 88/16, Abruf-Nr. 224545) sollen 50 Prozent genügen.
Wichtig | Damit solche Kunden ausgleichsrechtlich berücksichtigungsfähig sind, muss außerdem eine aktive Geschäftsverbindung bestehen. Dazu muss der Kunde ein Stammkunde des Unternehmens geworden sein. Erst wenn der Vertreter die Stammkundeneigenschaft darlegt und im Streitfall auch nachweisen kann, greift die Vermutung, dass mit diesem Kunden voraussichtlich auch in Zukunft weitere Geschäfte getätigt werden können.
Sind Folgegeschäfte zustande gekommen?
Von einer Stammkundeneigenschaft ist grundsätzlich erst dann auszugehen, wenn es bereits während der Laufzeit des Vertretervertrags zu mindestens einem Folgegeschäft mit dem Kunden gekommen ist (BGH, Urteil vom 21.04.2010, Az. VIII ZR 108/09, Abruf-Nr. 121435; zu regelmäßig fehlenden und ausnahmsweise anzunehmenden Folgegeschäften im Bereich der Immobilienvermittlung: LG Hannover, Urteil vom 12.12.2017, Az. 32 O 16/16, Abruf-Nr. 224546; LG Hannover, Urteil vom 16.07.2019, Az. 32 O 44/18, Abruf-Nr. 224547).
Der Vertreter hatte eine solche Stammkundeneigenschaft bzw. -quote in der obigen BGH-Entscheidung vom 23.11.2011 nicht dargelegt. Damit scheiterte ein Ausgleichsanspruch für den Teilbereich der Finanzdienstleistungen.
Wichtig | In der Praxis ist es oft schwierig, die Folgegeschäfte darzulegen, die eine Stammkundeneigenschaft begründen. Noch nicht entschieden ist beispielsweise, inwieweit noch produkt- oder spartenspezifisch zu differenzieren ist: Wie ist es beispielsweise zu bewerten, wenn derselbe Kunde neben einer Finanzierung später ein Wertpapierdepot eröffnet und einen Fonds kauft? Ist der Kunde Stammkunde für Finanzdienstleistungen oder ist er nicht berücksichtigungsfähiger Einmalkunde für die Finanzierung einerseits und die Kapitalanlage andererseits? Diese und ähnliche Fragen muss die Rechtsprechung noch klären.
Unternehmervorteile und Provisionsverluste
Haben sich vom Vertreter geworbene Stammkunden ermitteln lassen, stellt sich die Frage, welche Unternehmervorteile aus diesen Geschäftsverbindungen nach Beendigung des Vertretervertrags voraussichtlich erwachsen.
Nach der Änderung des § 89b Abs. 1 HGB im Jahr 2009 hat eine Diskussion über die Definition der Unternehmervorteile eingesetzt. Der BGH formuliert insoweit, dass es um eine Bewertung des vom Handelsvertreter geschaffenen Kundenstamms („goodwill“) gehe, die von der Gewinnmarge zu unterscheiden sei (BGH, Urteil vom 24.09.2020, Az. VII ZR 69/19, Abruf-Nr. 218570).
Dem darlegungs- und beweisbelasteten Vertreter ist eine Darstellung dieses „goodwills“ oft nicht möglich. Ein vorbereitender Auskunftsanspruch etwa auf die Mitteilung des aus Einzelgeschäften erzielten Rohertrags steht dem Absatzmittler nach Ansicht des BGH regelmäßig nicht zu (BGH, Urteil vom 24.09.2020, Az. VII ZR 69/19, Abruf-Nr. 218570). Allerdings hat der BGH die bereits früher entwickelte Schätzung auch nach der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 26.03.2009, Rs. C-348/07, Abruf-Nr. 092660) und der darauf fußenden Neufassung des Gesetzeswortlauts bestätigt. Danach entstehen Unternehmervorteile regelmäßig mindestens in Höhe der Provisionsverluste des Vertreters (BGH, Urteil vom 13.01.2010, Az. VIII ZR 25/08, Abruf-Nr. 100560; BGH, Urteil vom 24.09.2020, Az. VII ZR 69/19, Abruf-Nr. 218570).
PRAXISTIPP | Die Schätzung ermöglicht es Ihnen nach wie vor, über den „Umweg“ der Provisionsverluste auch zu den Unternehmervorteilen vorzutragen. |
Wichtig | Im Bereich der Finanzdienstleistungen kann es jedoch schwierig sein, Provisionsverluste aus Geschäftsverbindungen mit neu geworbenen Stammkunden infolge der Beendigung des Vertretervertragsverhältnisses schlüssig zu begründen. Denn berücksichtigungsfähig sind in diesem Rahmen nur Vermittlungsprovisionen (so z. B. BGH, Urteil vom 13.01.2010, Az. VIII ZR 25/08, Abruf-Nr. 100560). In der Praxis bedeutet das:
- Nicht berücksichtigungsfähig sind Provisionen oder sonstige Vergütungen für verwaltende Tätigkeiten. Zu letzteren gehören insbesondere laufende Bestandspflege-, Betreuungs- oder Inkassoprovisionen. Diese Provisionen sind, obwohl sie dem Vertreter infolge der Vertragsbeendigung entgehen, also nicht als „Provisionsverluste“ zu werten.
- Hat der Vertreter nach dem vertraglich vereinbarten Vergütungssystem beispielsweise für eine Finanzierung nur eine einmalige Abschlussprovision erhalten ‒ sei es etwa auch in zwei Raten bei Vertragsschluss und Valutierung des Darlehens ‒, so entsteht ihm aus diesem Geschäft kein Verlust an Vermittlungsprovision mehr, auch wenn die Finanzierung zeitlich weit über das Ende des Vertretervertrags hinaus laufen wird. Gibt es keine absehbaren Folgegeschäfte mit demselben Kunden, die erneut eine Vermittlungsprovision auslösen, wie z. B. eine provisionspflichtige Vermittlung einer Prolongation, so können auch keine Provisionsverluste begründet werden.
PRAXISTIPP | Obwohl die Gesetzesneufassung des § 89b Abs. 1 HGB die Provisionsverluste in das Tatbestandsmerkmal der Billigkeit verschoben hat, können Provisionsverluste eine Doppelfunktion haben: zum einen für die Schätzung von Unternehmervorteilen, zum anderen für die Begrenzung eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen der Billigkeit. Nach der Neufassung könnte es möglich sein, ausgleichsfähige Unternehmervorteile unabhängig von Provisionsverlusten auch in Fällen einmaliger Abschlussprovisionen zu behaupten. Praktisch ist aber bislang ‒ soweit ersichtlich ‒ keine obergerichtliche Entscheidung ergangen, die trotz einer solchen Konstellation das Bestehen eines Ausgleichsanspruchs bejaht hat. |
Prognose, Abzinsung und Höchstbetrag
Gibt es Provisionsverluste und Unternehmervorteile, ist wie folgt vorzugehen:
- Prognose: Die Provisionsverluste bzw. Unternehmervorteile sind unter Berücksichtigung einer Abwanderungsquote für einen absehbaren Zeitraum nach Vertragsende zu prognostizieren. Welche Quote und welcher Zeitraum dabei zugrunde zu legen ist, hängt stark vom Einzelfall ab.
- Abzinsung: Das Ergebnis, der sogenannte Rohausgleich, enthält eine Prognose von Verlusten und Vorteilen, die erst binnen mehrerer Jahre nach Vertragsende entstehen. Es entspricht daher der Billigkeit, den Rohausgleich auf den Zeitpunkt des Vertragsendes abzuzinsen. Hierfür sind in der Rechtsprechung mehrere Methoden anerkannt (unter anderem Gillardon, Hoffmannsche Formel).
- Höchstbetrag: Schließlich ist der Rohausgleich noch mit der gesetzlich vorgesehenen Höchstgrenze zu vergleichen. Diese beträgt im Nicht-Versicherungs-/Nicht-Bausparbereich eine durchschnittliche Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung, berechnet aus den letzten fünf Vertragsjahren (§ 89b Abs. 2 HGB). Bei der Ermittlung dieser Höchstgrenze werden allerdings alle Vergütungen des Vertreters, gleichgültig ob vermittelnd oder verwaltend, berücksichtigt.
- Wichtig | Der Fünf-Jahres-Schnitt stellt nur eine rechnerische Kappungsgrenze dar. Er dient nicht der Anspruchsbegründung.
§ 89b Abs. 5 HGB für Versicherungen und Bausparverträge
Bei Versicherungs- und Bausparverträgen hat der Gesetzgeber die Tatbestandsvoraussetzungen für die Ermittlung des Ausgleichsanspruchs modifiziert.
Neu vermittelte bzw. wesentlich erweiterte Verträge sind maßgeblich
Bei Versicherungs- und Bausparverträgen kommt es auf vom Vertreter neu vermittelte bzw. wesentlich erweiterte Verträge an ‒ und nicht auf Geschäftsverbindungen mit neu geworbenen Kunden (§ 89b Abs. 5 HGB). Ausgangspunkt der Berechnung ist also der vom Vertreter aufgebaute Vertragsbestand.
Folgegeschäfte, die erst nach Vertragsende möglich werden, werden lediglich insoweit berücksichtigt, als sie sich bei natürlicher Betrachtungsweise als Fortsetzung (Verlängerung) oder Erweiterung (Summenerhöhung) der vom Vertreter vermittelten Verträge darstellen. Das heißt, sie müssen in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Altverträgen stehen und dem gleichen Versicherungs- oder Bausparbedürfnis dienen (BGH, Urteil vom 23.11.2011, Az. VIII ZR 203/10, Abruf-Nr. 120027).
Wichtig | Der Ausgleichsanspruch des Versicherungs- oder Bausparkassenvertreters dient damit grundsätzlich nicht dem Ausgleich für Folgegeschäfte. Er dient vielmehr allein dem Ausgleich für noch nicht vollständig ausgezahlte Provisionen aus bestehenden, vom Vertreter vermittelten Verträgen, soweit diese Provisionsansprüche infolge der Beendigung des Vertretervertrags entfallen (BGH, Urteil vom 23.11.2011, Az. VIII ZR 203/10, Abruf-Nr. 120027).
Verwaltungsprovisionen sind ausgleichsrechtlich irrelevant
Bei diesen entfallenden Provisionen muss es sich wiederum um Vermittlungsprovisionen handeln. Ausgleichsrechtlich irrelevant sind hingegen Verwaltungsprovisionen, die unter anderem für Tätigkeiten wie Bestandspflege und Kundenbetreuung gezahlt werden (BGH, Urteil vom 22.12.2003, Az. VIII ZR 117/03, Abruf-Nr. 040115).
Diese Maßgaben machen die Begründung von Provisionsverlusten und Unternehmervorteilen aus dem geworbenen Vertragsbestand schwierig und risikoreich. Denn nachvertragliche Provisionsverluste können nur dann begründet werden, wenn Provisionen, die infolge des Endes des Vertretervertrags entfallen, einen Vermittlungsanteil enthalten. Der Vertreter trägt für eine Aufteilung in Vermittlungs- und Verwaltungsanteile grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 22.12.2003, Az. VIII ZR 117/03, Abruf-Nr. 040115). Dies kann er kaum leisten.
Lediglich dann, wenn sich die Zweckbestimmung der Provisionszahlung dem Handelsvertretervertrag nicht entnehmen lässt, kann das Unternehmen im Ausgleichsprozess die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen, dass und zu welchem Anteil die Provisionen dazu bestimmt sind, vermittlungsfremde Tätigkeiten des Vertreters abzugelten (BGH, Urteil vom 01.06.2005, Az. VIII ZR 335/04, Abruf-Nr. 052166).
Hohe Hürden für Berechnung nach dem Gesetz in der Praxis
Bislang sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Gerichte, insbesondere der BGH, angesichts der Änderung des Gesetzeswortlauts in § 89b Abs. 1 HGB von den vorstehenden Leitlinien abweichen. Bleibt dies so, wird die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach dem Gesetz voraussichtlich weiter ein Nischendasein führen und nur für Sonderfälle in Frage kommen.
Denn die damit verbundenen Schwierigkeiten sind im Detail und bei der Aufbereitung der notwendigen Daten so groß, dass es besser erscheint, den Anspruch nach den „Grundsätzen“ zu berechnen, der alternativen Berechnungs- und Schätzmethode. Ob und inwieweit trotzdem parallel ‒ ggf. nur für einzelne Sparten ‒ nach dem Gesetz gerechnet werden sollte, muss im Einzelfall geprüft werden. Eine pauschale Aussage ist nicht möglich.