· Fachbeitrag · Rechtschutzversicherung
BGH: Erfolgsaussichten einer Deckungsklage ‒ Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zählt
von Rechtsanwalt René Simonides, Dipl.-Jur. (Univ.), Fachanwalt für Verkehrsrecht, Dr. Heinicke, Eggebrecht & Partner mbB, München
| Die Erfolgsaussichten des Deckungsschutzanspruchs eines Versicherungsnehmers (VN) in der Rechtschutzversicherung sind im Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zu beurteilen, wenn im Deckungsschutzverfahren nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu seinen Gunsten erfolgt. Dies hat der BGH im Streit um die Kostenübernahme für eine Dieselklage klargestellt. |
Rechtschutzversicherer haben zwei Ablehnungsgründe
Die häufigsten Gründe, weshalb ein Rechtschutzversicherer die Deckung versagt, sind Mutwilligkeit und mangelnde Erfolgsaussichten. Denn nach § 3a Abs. 1 ARB bzw. Nr. 3.4.1 ARB setzt der Versicherungsschutz des VN voraus, dass die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen
- hinreichende Erfolgsaussicht hat und
- nicht mutwillig erfolgt.
Der Prüfungsrahmen des Rechtschutzversicherers
Zur Kostenvermeidung neigen gerade bei häufig auftretenden Rechtsstreitigkeiten wie den Dieselklagen die Rechtschutzversicherer dazu, bereits im Vorfeld die Deckung für solche Verfahren zu versagen. Dabei missachten diese oft den ihnen seitens des Gesetzgebers und der ständigen Rechtsprechung zugebilligten Prüfungsrahmen.
- Der Begriff der Mutwilligkeit ist mittlerweile in § 18 Abs. 1a ARB bzw. Nr. 3 .4.1.2 ARB definiert und liegt vor, wenn durch die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen voraussichtlich entstehende Kostenaufwand unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der Versicherungsgemeinschaft in einem groben Missverhältnis zum angestrebten Erfolg steht.
- Die Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten ist dagegen in ARB nicht konkret geregelt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die Prüfung der Erfolgsaussichten so vorzunehmen, wie sie gemäß § 114 ZPO bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe durch das Gericht erfolgt. Hierbei sind insbesondere schwierige Tat und Rechtsfragen nicht abzuhandeln, sondern es ist in diesen Fällen Deckung zu gewähren. Ausreichend ist vielmehr, wenn der Rechtschutzversicherer den Rechtsstandpunkt des VN aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden.
BGH konkretisiert Zeitpunkt für Beurteilung
In der Praxis stellt sich die Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung des Deckungsschutzes maßgeblich ist.
Grundsatz: Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Deckungsgesuchs
Grundsätzlich ist auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Deckungsgesuchs abzustellen; d. h. auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtschutzversicherer seine Entscheidung trifft. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung ein Zeitpunkt ca. zwei bis drei Wochen nach vollständiger Informationserteilung (BGH, Urteil vom 19.03.2003, Az. IV ZR 139/01, Abruf-Nr. 031046).
Ausnahme: Nach Bewilligungsreife höchstrichterliche Rechtsprechung
Hiervon macht der BGH nun eine Ausnahme. Und zwar für den Fall, dass in einem Deckungsschutzverfahren nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zugunsten des VN erfolgt. Dann soll die Bewilligungsreife bis auf den Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erstreckt werden (BGH, Urteil vom 05.06.2024, Az. IV ZR 140/23, Abruf-Nr. 242284).
Konkret ging es vor dem BGH um folgenden Fall: Der VN hatte 2020 ein Wohnmobil gekauft und wollte gegen den Hersteller Schadenersatzansprüche durchsetzen. Er war der Ansicht, dass das Wohnmobil mit unzulässigen Abschalteinrichtungen, insbesondere einem Thermofenster, ausgestattet worden sei. Der Rechtschutzversicherer lehnte die Kostenzusage Mitte Februar 2021 ab, weil keine Erfolgsaussichten bestünden. Das LG in der ersten Instanz sah das genauso und wies die Deckungsklage des VN gegen den Versicherer ab.
Dagegen kam das OLG in der Berufung zu dem Schluss, dass der Rechtschutzversicherer aus dem Versicherungsvertrag verpflichtet ist, die Kosten der erstinstanzlichen Geltendmachung von deliktischen Schadenersatzansprüchen des VN gegen den Hersteller zu tragen. Dabei hat das OLG berücksichtigt, dass zwischenzeitlich eine günstige Entscheidung des EuGH für vom Dieselskandal betroffene Kunden ergangen war (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, Mercedes-Benz Group, Rs. C-100/21, Abruf-Nr. 235972).
Der BGH hat die Revision zurückgewiesen. Der Rechtschutzversicherer muss die Kosten für „Dieselklage“ übernehmen:
- Für die Frage, ob die beabsichtigte Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des VN hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist zwar grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Deckungsgesuchs abzustellen; also auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtschutzversicherer seine Entscheidung trifft.
- Treten aber zwischen der ablehnenden Entscheidung des Deckungsschutzantrags und der gerichtlichen Entscheidung über eine Deckungsklage Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten ein, die sich zugunsten des Rechtschutzsuchenden auswirken und die nach dem einschlägigen Fachrecht zu berücksichtigen sind, sind diese zu beachten.