Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 21.09.2022 · IWW-Abrufnummer 231368

    Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 14.07.2022 – 8 Sa 365/22

    1. Grob ehrverletzende, diffamierende und von erheblicher Missachtung der Person geprägte Äußerungen über Vorgesetzte oder Kollegen in einem Vier-Augen-Gespräch am Arbeitsplatz können die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer nach den Umständen und dem Inhalt des Gesprächs im Einzelfall nicht davon ausgehen kann, dass seine Äußerungen als vertraulich eingeordnet und behandelt werden.

    2. Fehlt es danach an einer begründeten Vertraulichkeitserwartung, steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG der Berücksichtigung dieser Äußerungen als Kündigungsgrund und deren Verwertung im Kündigungsschutzprozess nicht entgegen.

    3. In einem Kontext mit dem Arbeitsverhältnis über Vorgesetzte oder Kollegen geäußerte Schmähkritik und Formalbeleidigungen am Arbeitsplatz sind vom Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht umfasst.


    Tenor:
    1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 2. März 2022 - 3 Ca 1512/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.


    2. Die Revision wird nicht zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten in zweiter Instanz weiter über die Wirksamkeit einer außerordentlich-fristlosen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.



    Der am 22. Februar "0000" geborene, unverheiratete und nicht gegenüber Kindern unterhaltspflichtige Kläger war seit dem 1. Juni 2011 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Elektroindustrie mit rund 1150 Beschäftigten, als Packer und Kommissionierer gegen ein tarifliches Monatsentgelt in Höhe von zuletzt 2.855,81 € brutto beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag der schriftliche Arbeitsvertrag vom 20. Mai 2011 nebst diesem anliegender Arbeitsbedingungen zugrunde (Bl. 22 ff d. A.), auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Der Einsatz erfolgte am Standort A, für den ein Betriebsrat gewählt ist, in der dortigen Abteilung LA2/Logistik.



    Mit Schreiben vom 16. Oktober 2019 (Bl. 115/116 d. A.) ermahnte die Beklagte den Kläger wegen seines aggressiv wirkendenden Auftretens nebst begleitend unangemessenen Tonfalls gegenüber dem Schichtleiter B. in der Schicht vom 9. Oktober 2019, als dieser dem Kläger bestimmte Arbeiten zuweisen wollte. Hier wurde der Kläger dazu aufgefordert, sich künftig respektvoll und kollegial im Umgang mit Arbeitskollegen und Führungskräften zu verhalten, Meinungsverschiedenheiten und Unstimmigkeiten auf sachlicher Ebene zu klären sowie den Arbeitsanweisungen seiner Vorgesetzten Folge zu leisten. Unter gleichem Datum erhielt der Kläger zudem eine schriftliche Abmahnung (Bl. 117 d. A.). Dort wird dem Kläger vorgehalten, nach der in der Ermahnung angesprochenen verbalen Auseinandersetzung mit dem Schichtleiter B. eine Entsorgungskiste auf eine mit Produkten bestückte Palette geworfen zu haben, was als solches unstreitig blieb.



    Eine weitere, dem Kläger unmittelbar ausgehändigte Abmahnung datiert auf den 4. März 2021 (Bl. 119/120 d. A.). Gegenstand dieser Abmahnung sind unstreitige Äußerungen des Klägers, die am 17. Februar 2021 in einem Klärungsgespräch nach Schichtende fielen. Dieses hatte seinen Anlass in Differenzen zwischen dem Kläger und seinem unmittelbaren Vorgesetzen C. während der vorausgehenden Schicht, wobei der Schichtleiter D. nun hinzugezogen wurde. Hier bezeichnete der Kläger den Vorgesetzen C. als "Arschlecker von E.", gemeint war der weitere Schichtleiter B., und drohte diesem mit dem Worten: "Wir können auch nach draußen gehen. Ich finde Dich sowieso". Daraufhin beendete der Schichtleiter die Unterredung, um eine Eskalation zu vermeiden.



    Am Montag, den 27. September 2021 war der Kläger zur Spätschicht (Beginn 14.00 Uhr) eingeteilt. Gegen ca. 16.00 Uhr fiel dem Vorgesetzen C. auf, dass dieser nicht die ihm zugewiesene Tätigkeit im Hochregallager verrichtete, sondern an einer Maschine ("Wickler") tätig war. Als der Kläger der Aufforderung, die ihm zugewiesene Tätigkeit auszuführen nicht nachkam, zog der Vorgesetzte den Schichtleiter D. hinzu. Der Kläger bezeichnete die beiden Gesprächspartner nunmehr als "Polen-Mafia" und zudem als "schlechte Menschen". Später traf der Kläger während der Arbeitszeit in der Logistikhalle den dort ebenfalls als Packer und Kommissionierer tätigen Zeugen F. an, mit welchem ihn ein kollegiales, aber kein besonderes Freundschafts- oder Vertrauensverhältnis verbindet. Gegenüber dem Zeugen bezeichnete er den Vorgesetzten C. mehrfach als "Hurensohn" und erklärte weiter, er wolle diesem "den Kopf abschneiden", wobei der Kläger diese Äußerungen als Ergebnis einer entsprechenden Beweisaufnahme durch das Arbeitsgericht in zweiter Instanz nicht weiter bestreitet.



    Der Zeuge F. informierte insoweit noch am selben Tag den Schichtleiter D.. Dieser wandte sich an den Betriebsrat, welcher über den Betriebsratsvorsitzenden H. am 28. September 2021 die Personalabteilung informierte. Nach mehreren, unter anderem mit dem Kläger am 4. Oktober 2021 zur Sachverhaltsklärung geführten Gesprächen, hier bestritt der Kläger seine gegenüber dem Zeugen F. getätigten Äußerungen noch ausdrücklich, hörte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 8. Oktober 2021 (Bl. 110 ff d. A.), welches dieser am selben Tag erhielt und auf dessen Inhalt nebst Anlagen wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, unter Angabe der Sozial- und Beschäftigungsdaten sowie unter Darstellung der Ermahnungs- und Abmahnungshistorie zu einer außerordentlich-fristlosen, vorsorglich fristgerechten Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Dort heißt es wörtlich: "Es handelt sich vorliegend um eine Anhörung zur Verdachtskündigung. Sollte sich der dringende Verdacht bestätigen, ist hierin auch eine Anhörung zur Tatkündigung zu sehen."



    Mit am 12. Oktober 2021 um 17.22 Uhr versandter E-Mail teile der Betriebsratsvorsitzende der Personalabteilung mit, dass man sich gemäß abschließender Beschlussfassung des Gremiums zu beiden Kündigungen nicht äußern werde.



    Mit Schreiben vom 12. Oktober 2021, welches dem Kläger an eben diesem Tag gegen 22.00 Uhr ausgehändigt worden ist, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, vorsorglich fristgerecht zum 28. Februar 2022.



    Mit seiner am 29. Oktober 2021 beim Arbeitsgericht Iserlohn anhängig gemachten Kündigungsschutzklage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigungen. Zur Begründung hat er vertreten, dass die gegenüber den beiden Vorgesetzten am 27. September 2021 getätigten Äußerungen "schlechte Menschen" und "Polen-Mafia" im Kontext einer konfrontativen Gesprächssituation und bei an sich rauem Umgangston unter den Beschäftigten der Logistikabteilung von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt gewesen seien. An die von der Beklagten dargestellten Inhalte des anschließenden Gesprächs mit dem Zeugen F. könne er sich nicht erinnern. Jedenfalls habe es sich insoweit um ein vertrauliches Kollegengespräch unter vier Augen gehandelt, weshalb er darauf habe vertrauen dürfen, dass dortige Stellungnahmen zur Person oder dem Verhalten von Vorgesetzen nicht weitergetragen oder - den Bestand des Vertragsverhältnisses betreffend - sogar gegen ihn verwendet werden könnten. Die Kündigung sei angesichts einer zehnjährigen Beschäftigungsdauer jedenfalls unverhältnismäßig. Zudem bestreite er eine nach Durchführung und Inhalt ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats sowie mit Blick auf die außerordentliche Kündigung die Einhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist.



    Der Kläger hat beantragt,

    1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. Oktober 2021 beendet wird.2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Packer und Kommissionierer weiter zu beschäftigen.



    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.



    Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass der Kläger sein unangemessenes Verhalten gegenüber Vorgesetzten gerade im Kontext ihm erteilter Weisungen trotz wiederholter Ermahnungen bzw. Abmahnungen nicht abgestellt, sondern mit Blick auf das am 27. September 2021 gezeigte Verhalten jedenfalls ein dringender Verdacht dahin begründet sei, dass er dieses Fehlverhalten sogar nochmals deutlich verschärft habe. Mit Rücksicht auf das Arbeitsklima in der Abteilung und die Wirkung solcher Äußerungen auf das Wohlbefinden und das Sicherheitsempfinden am Arbeitsplatz sei das klägerische Verhalten nicht länger hinnehmbar und insbesondere zum Schutz von Ehre und Gesundheit der Beschäftigten nur durch die sofortige Entlassung des Klägers für die Zukunft sicher abzustellen.



    Mit Urteil vom 2. März 2022 hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Iserlohn die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zu ihrer Überzeugung fest, dass der Kläger den Vorgesetzten C. am 27. September 2021 gegenüber dem Zeugen F. als "Hurensohn" bezeichnet und damit gedroht habe diesem "den Kopf abzuschneiden". Danach habe der Kläger den Vorgesetzen mit dem Tode bedroht und diesen zugleich massiv beleidigt, was als wichtiger Grund an sich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könne. Der Kläger habe dabei angesichts der Umstände und der konkreten Inhalte des Gesprächs sowie aufgrund der zum Zeugen nur auf kollegialer Basis bestehenden Beziehung nicht darauf vertrauen können, dass seine Äußerungen von diesem als vertraulich behandelt und nicht weitergetragen werden. Die Kündigung sei auch im Einzelfall verhältnismäßig, denn der Kläger sei einschlägig ermahnt und abgemahnt, gleichwohl aber nicht willens, sich vertragsgemäß zu verhalten, was eine negative Zukunftsprognose begründe. Die im Vorfeld der Kündigung durchzuführende Anhörung des Betriebsrats genüge nach Ablauf und Inhalt den gesetzlichen Vorgaben. Insbesondere habe die Beklagte den Betriebsrat umfassend und zutreffend über den aus ihrer Sicht kündigungsrelevanten Sachverhalt informiert.



    Gegen dieses ihm am 10. März 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. März 2022 Berufung eingelegt, die er mit am gleichen Tage eingegangenem Schriftsatz vom 2. Mai 2022 unter ergänzender Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen begründet. Das Arbeitsgericht sei im Ergebnis einer unzulässigen Beweisaufnahme von einer nach den Maßstäben des § 626 BGB gerechtfertigten außerordentlichen Tatkündigung ausgegangen, obwohl die Beklagte ausdrücklich eine Verdachtskündigung ausgesprochen habe, womit es sich über die Parteimaxime des Zivilprozesses hinwegsetze. Allein zu einer Verdachts-, nicht aber zu einer Tatkündigung sei der Betriebsrat mit Schreiben vom 8. Oktober 2021 angehört worden, weshalb eine wirksame Tatkündigung auch unter diesem Gesichtspunkt ausscheiden müsse. Daran ändere der kurze Rekurs im Anhörungsschreiben auf eine Anhörung zugleich zur Tatkündigung nichts, weil insoweit auf künftige Umstände abgestellt werde, zu denen sich die Anhörung aber denknotwendig gar nicht verhalten könne. Hinsichtlich des Vier-Augen-Gesprächs mit dem Zeugen F. habe das Arbeitsgericht verkannt, dass die dortigen Äußerungen durch das Persönlichkeitsrecht besonders geschützt wären, weshalb deren Weitergabe die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes verletzte, was eine Verwendung als Kündigungsgrund ausschließe. Insoweit sei die Annahme des Arbeitsgerichts, nach Ort und Anlass des Gesprächs und aufgrund fehlender Hinweise zu seiner entsprechenden Erwartungshaltung habe er, der Kläger, nicht auf darauf vertrauen können, dass die Vertraulichkeit insoweit gewahrt bliebe, gemessen an der höchstrichterlichen Rechtsprechung rechtsfehlerhaft. Soweit das Arbeitsgericht im Rahmen seiner Verhältnismäßigkeitserwägungen auf die vorausgehende Ermahnung bzw. die beiden Abmahnungen vom 16. Oktober 2019 und vom 4. März 2021 abstelle, seien diese weder einschlägig, noch mit Blick auf das jeweils beanstandete Verhalten inhaltlich konkret genug. Letztlich lasse das angefochtene Urteil offen, ob die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist gewahrt sei, was bereits in erster Instanz ausdrücklich gerügt worden sei.



    Der Kläger beantragt,

    das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 2. März 2022 - 3 Ca 1521/21 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. Oktober 2021 beendet wird sowie im Falle des Obsiegens mit diesem Antrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Packer und Kommissionierer weiter zu beschäftigen.



    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.



    Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter ausführlicher argumentativer Auseinandersetzung mit der Berufungsbegründung und insoweit unter Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.



    Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird ergänzend auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer war, sowie auf die über die Verhandlungstermine errichteten Sitzungsniederschriften Bezug genommen.



    Entscheidungsgründe



    Das zulässige Rechtsmittel des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.



    I.



    Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist gem. § 64 Abs. 2c ArbGG an sich statthaft. Der Kläger hat die Berufung unter Einhaltung der Vorgaben nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und unter im Sinne des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO für die Zulässigkeit hinreichender Auseinandersetzung mit den rechtlich tragenden Erwägungen des Arbeitsgerichts auch begründet.



    II.



    Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, weshalb sich die Berufungskammer zunächst dem Urteil im Ergebnis sowie wegen der dieses tragenden rechtlichen Erwägungen gem. § 62 Abs. 2 ArbGG anschließt, soweit eine zusätzliche eigene rechtliche Würdigung lediglich zu Wiederholungen führen würde. Die mit der Berufung vorgebrachten rechtlichen Gesichtspunkte rechtfertigen eine Abänderung des angefochtenen Urteils nicht.



    1. Der Beklagten stand im Hinblick auf die außerordentliche Kündigung vom 12. Oktober 2021 ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur sofortigen Auflösung des mit dem Kläger im Jahr 2011 begründeten Arbeitsverhältnisses zur Seite.



    a. Das Arbeitsverhältnis kann gem. § 626 Abs. 1 BGB von beiden Parteien aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile dessen Fortsetzung auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich das Arbeitsgericht angeschlossen hat und welcher auch die Berufungskammer folgt, ist zunächst zu klären, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", also typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 - 2 AZR 370/18 - NZA 2019, S. 445 ff; BAG, Urteil vom 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - NZA 2011, S. 1342 ff; BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 451/09 - NZA 2010, S. 1227 ff [BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09]). Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ist nur dann gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist (BAG, Urteil vom 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - NZA 2011, S. 1027 ff).



    aa. Als wichtiger Grund an sich im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB kommen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grobe Beleidigungen oder ehrverletzende Äußerungen zum Nachteil des Arbeitgebers, seiner Repräsentanten oder von Arbeitskollegen in Betracht (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - NZA 2010, S. 698 ff; BAG, Urteil vom 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - NZA 2006, S. 650 ff; ErfK-Niemann, 22. Auflage 2022, § 626 BGB Rn 86 m. w. N.). Dies gilt auch dann, wenn derartige Äußerungen nicht gegenüber dem Betroffenen bzw. Adressaten der Beleidigung selbst, sondern in Kollegengesprächen gegenüber Dritten getätigt werden (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - NZA 2010, S. 698 ff; BAG, Urteil vom 30. November 1972 - 2 AZR 79/72 - AP Nr. 66 zu § 626 BGB). Denn Beleidigungen, ehrverletzende Äußerungen, üble Nachrede und bewusst falsche Tatsachenbehauptungen können einen groben Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers darstellen, die er nach § 241 Abs. 2 BGB zu wahren hat (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 aaO; BAG, Urteil vom 24. November 2005, aaO).



    bb. Bei der Konkretisierung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB sind die grundrechtlich geschützten Interessen beider Parteien und dabei zunächst insbesondere das Grundrecht des Arbeitnehmers auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu berücksichtigen (BAG, Urteil vom 24. November 2005 aaO m. w. N.). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit greift jedoch, trotz seiner hohen Bedeutung für eine freiheitlich-demokratische Rechtsordnung und seiner uneingeschränkten Geltung auch in der betrieblichen Arbeitswelt nebst der daraus folgenden Verpflichtung zur Berücksichtigung dieses Rechts im Rahmen des jeweils möglichen (BAG, aaO), von seinem Schutzbereich her betrachtet nicht grenzen- und im Übrigen mit Blick auf kollidierende Rechtsgüter auch nicht schrankenlos ein (BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002 aaO). So können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwar auch überspitzte und erkennbar polemische Äußerungen im betrieblichen Kontext vom Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst sein, hingegen sind Formalbeleidigungen, bloße Schmähkritik und bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen grundrechtlich nicht geschützt (BAG, Urteile vom 10. Oktober 2002, vom 24. November 2005 und vom 10. Dezember 2009 jeweils aaO).



    Von Schmähkritik außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist dabei auszugehen, wenn jenseits aller Polemik und Überspitzung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein noch die Diffamierung der anderen Person im Vordergrund steht bzw. ein etwaiges sachliches Anliegen gegenüber der gewollten persönlichen Kränkung völlig in den Hintergrund tritt (BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 2018 - 1 BvR 1149/17 - NZA 2018, S. 924/925 m. w. N). Bei einer ebenfalls nicht nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Formalbeleidigung handelt es sich hingegen um die Äußerung eines aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwortes - etwa aus der Fäkalsprache - welches kontextunabhängig in stets zu missbilligender Weise allein auf die Verächtlichmachung des Anderen zielt und daher unabhängig von den konkreten Umständen als Beleidigung gewertet werden muss (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19 - NJW 2020, S. 2622 ff).



    cc. Gemessen an diesen Maßstäben kann sich der Kläger hinsichtlich seiner am 27. September 2021 getätigten Äußerungen "Hurensohn" und "den Kopf abschneiden" nicht auf das nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistete Recht auf Meinungsfreiheit berufen. Die Bezeichnung "Hurensohn" zielt auf die Abstammung des Betroffenen und den Bereich seiner familiären Verbundenheit, wobei es bei der Verwendung dieses Wortes allein um die Verächtlichmachung des Anderen in kaum noch zu steigender Weise und darum geht, ihn auf der persönlichsten Ebene als beliebiges und zufälliges Produkt einer zumal moralisch missbilligten Geschäftsbeziehung zu brandmarken, damit quasi zu versachlichen und so als Person schmerzlich zu treffen. Es handelt sich danach um eine Formalbeleidigung im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die unabhängig von einem hier zumal nicht erkennbaren sachlichen Kontext grundsätzlich zu missbilligen ist.



    Die weitere Äußerung des Klägers, er werde dem Vorgesetzen C. "den Kopf abschneiden" mag man - wozu das Arbeitsgericht tendiert - ggf. zugleich als Drohung mit einer Tötung oder als Ankündigung körperlicher Gewalt verstehen, was hier dahinstehen kann. Im Kontext mit der Bezeichnung als "Hurensohn" handelt es sich hingegen - zumindest auch - um ebenfalls grundrechtlich nicht geschützte Schmähkritik an dem Vorgesetzten. Denn diesem wird darüber, in eine identische Richtung zielend, sein Recht auf körperliche Existenz abgesprochen sowie verbunden damit angekündigt, ihn einer besonders entwürdigenden Art der Tötung überantworten zu wollen, was die fehlende Existenzberechtigung des Anderen und die ihm deshalb abzuerkennende menschliche Würde nochmals unterstreicht. Damit hat der Kläger nicht nur den Bereich von Polemik oder Überspitzung überschritten, sondern den auch entferntesten Kontext einer sachlichen Auseinandersetzung um eine am Arbeitsplatz erteilte Weisung verlassen und allein noch auf die Verächtlichmachung des Vorgesetzen gezielt, wofür er den Schutz der Verfassung ebenfalls nicht beanspruchen kann.



    dd. Die Berufungskammer geht mit dem Kläger im Grundsatz davon aus, dass der Verwendung von Äußerungen, die in einem vertraulichen Vier-Augen-Gespräch und damit in einem besonders geschützten Raum bzw. Kontext gefallen sind und diesen unter Verletzung einer sachlich begründeten Vertraulichkeitserwartung verlassen haben, grundsätzlich das nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht entgegenstehen kann. Dies jedenfalls in Konstellationen, in welchen danach geschützte Äußerungen im Nachgang im Zivilrechtsverkehr von Dritten - etwa als Grundlage für die Ausübung vertraglicher Gestaltungrechte - gegen den Grundrechtsträger verwendet werden sollen. Insoweit kann dahinstehen, ob in diesen Fällen primär von einem nicht kündigungserheblichen Fehlverhalten eines Dritten auszugehen ist, welches die inkriminierten Äußerungen durch seine Indiskretion erst zu einer nicht zu erwartenden Belastung des Arbeitsverhältnisses bzw. einer Störung des Betriebsfriedens hat werden lassen (so: BAG, Urteil vom 30. November 1972 aaO) oder ob insoweit ein aus der verfassungskonformen Auslegung und Anwendung des Prozessrechts resultierendes Sachvortragsverwertungsverbot begründet ist, weil nur darüber der verfassungsrechtlich geschützten Rechtsposition einer Partei hinreichend Geltung verschafft werden kann (vgl. insoweit zur Videoüberwachung: BAG, Urteil vom 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - NZA 2017, S. 112 ff; BAG, Urteil vom 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - NZA 2018, S. 1329 ff [BVerfG 09.07.2018 - 1 BvL 2/18]). Denn die Voraussetzungen zur Annahme einer besonders geschützten Kommunikation mit einer Vertrauensperson waren vorliegend in Bezug auf das am 27. September 2021 mit dem Kollegen F. geführte Kollegengespräch schon nicht gegeben.



    ee. Zwar kann ein Erfahrungssatz dahin angenommen werden, dass anfechtbare Äußerungen über Vorgesetzte, etwa überspitzte bzw. polemische Kritik, Lästerei sowie eine plakative politische Einordnungen, sofern sie im Kollegenkreis erfolgen, regelmäßig in der sicheren Erwartung geschehen, dass diese nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinausdringen werden (BAG, Urteil 21. Oktober 1965 - 2 AZR 2/65 - AP Nr. 5 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; BAG, Urteil vom 30. November 1972 aaO). Danach können auch diffamierende und ehrverletzende Äußerungen über Vorgesetzte und Kollegen in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen unter bestimmten Umständen die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen, wenn die Vertraulichkeit der Kommunikation in der Privatsphäre durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht besonders geschützt und deshalb die Nichtberücksichtigung vertraulicher Äußerungen geboten ist (BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002 aaO).



    Entscheidend ist dabei jedoch, ob der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen durfte, dass die beteiligten Kollegen die Äußerungen für sich behalten werden (BAG, Urteil vom 17. Februar 2000 aaO), also ob die Äußerungen in einer abgeschirmten Sphäre fallen und Ausdruck eines besonderen Vertrauens sind, weshalb mit ihrer Weitergabe deshalb nicht gerechnet werden muss (BVerfG. Beschluss vom 23. November 2006 - 1 BvR 285/06 - NJW 2007, 1194/1195). Den Schutz der Privatsphäre und der Meinungsfreiheit kann hingegen nicht für sich in Anspruch nehmen, wer die Vertraulichkeit selbst aufhebt, was insbesondere dann gilt, wenn eine ehrverletzende Äußerung an eine vermeintliche Vertrauensperson gerichtet wird, um darüber mittelbar den Dritten zu treffen (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 aaO).



    ff. Gemessen an diesen Maßstäben konnte der Kläger hinsichtlich seiner am 27. September 2021 gegenüber dem Zeugen F. betreffend den Vorgesetzten C. getätigten Äußerungen, "Hurensohn" und "den Kopf abschneiden", nicht erwarten, dass dieser selbige für sich behalten und insbesondere nicht an Vorgesetzte weitergeben wird. Es kann somit dahinstehen, ob der Kläger nicht sogar die Weiterleitung dieser Äußerungen an den Vorgesetzten C. gerade beabsichtigte, um diesen - siehe den Gegenstand der Abmahnung vom 4. März 2021 - erneut einzuschüchtern.



    Denn das fragliche Gespräch mit dem Zeugen F. fand, was nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erster Instanz vom Kläger nicht weiter in Abrede gestellt wurde, während der Arbeitszeit in der Logistikhalle, nicht aber - sei es in der gemeinsamen Pause - in einem privaten Kontext und auch nicht in einem abgegrenzten und geschützten Bereich, wie in einem Pausen- oder Waschraum, statt. Eine besondere persönliche oder in anderer Weise enge Vertrauensbeziehung bestand zwischen dem Kläger und dem Zeugen unstreitig nicht, der damit quasi als beliebig oder zufällig ausgewählter Arbeitskollege allein auf eben kollegialer Basis angesprochen war. Unstreitig blieb ferner, dass der Kläger seine Äußerungen nicht mit einem besonderen Vertraulichkeitshinweis kennzeichnete, womit diese nach den Beteiligten und ihren gesamten äußeren Umständen nicht in einer besonders geschützten, sondern in einer durchaus gelockerten Gesprächssituation gefallen sind.



    Entscheidend tritt hinzu, dass der Kläger dabei - dem Zeugen dieses ungefragt und auch sonst unmotiviert geradezu aufdrängend - nicht nur mit der schon eingeordneten Wortwahl "Hurensohn" den Grenzbereich des Erträglichen bereits deutlich überschritt, sondern mit der Ankündigung "den Kopf abzuschneiden" eine mindestens zweideutige Erklärung abgab, die den Zeugen - für den Kläger erkennbar bzw. vorhersehbar - durchaus dazu veranlassen konnte, dies als ernsthafte Ankündigung massiver körperlicher Gewalt gegenüber einem weiteren Kollegen oder gar dessen Tötung verstehen zu können und darüber mindestens in Zwiespalt zu geraten, ob die Äußerungen allein zum Schutz des Kollegen C. oder zur Vermeidung von Gewalttaten im betrieblichen Kontext von ihm weitergegeben werden müssen. Hingegen konnte der Kläger nicht darauf vertrauen, dass der Zeuge F. ihn insoweit decken bzw. es in sein Risiko oder auf sein Gewissen nimmt, die für diesen unkalkulierbare Entwicklung in Untätigkeit verharrend abzuwarten und sich im Zweifel des Vorwurfs ausgesetzt zu sehen, durch sein Schweigen vertragliche Pflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) und ggf. gesetzliche Pflichten (§ 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB) verletzt oder mindestens eine moralische Verpflichtung gegenüber dem potentiellen Opfer vernachlässigt zu haben. Im Hinblick auf diese Einzelfallumstände vermag die Berufungskammer die Auffassung des Klägers, die Weitergabe der Äußerungen an Vorgesetzte habe die Vertraulichkeit des Wortes und damit sein Persönlichkeitsrecht verletzt, nicht zu teilen.



    Der Kläger musste vielmehr (zumindest) damit rechnen, dass der Zeuge diese im Interesse der persönlichen und körperlichen Integrität des angesprochen Vorgesetzten C. weitergeben wird oder sich dazu sogar verpflichtet fühlen könnte, was den beanspruchten besonderen Schutz für die Inhalte eines kollegialen Vier-Augen-Gesprächs zurücktreten lässt.



    b. Die außerordentliche Kündigung stellt sich auch als im Einzelfall geeignetes, erforderliches und im engeren Sinne verhältnismäßiges Mittel dar, um das Interesse der Beklagten an störungs- und spannungsfreien betrieblichen Abläufen für die Zukunft zu gewährleisten. Die weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger war ihr aufgrund einer nach dem Vorfall vom 27. September 2021 zu stellenden negativen Zukunftsprognose nicht weiter zuzumuten. Insbesondere muss sie sich zur Wahrung ihrer Interessen sich nicht auf mildere Mittel wie eine weitere Abmahnung oder die ordentliche Kündigung verweisen lassen.



    aa. Die Berufungskammer stellt insoweit in ihre Abwägungsentscheidung ein, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung mit einer Beschäftigungsdauer von knapp oberhalb 10 Jahren einen durchaus relevanten sozialen Besitzstand erworben hatte und als ungelernte Kraft im 45. Lebensjahr ggf. mit Schwierigkeiten rechnen musste, nach fristloser Kündigung seinen Lebensunterhalt durch die Begründung eines neuen anderweitigen Arbeitsverhältnisses weiterhin adäquat und unmittelbar decken zu können. Demgegenüber wiegt das Beendigungsinteresse der Beklagten hier jedoch besonders schwer, weil das Verhalten des Klägers vom 27. September 2021 mit der Wortwahl "Hurensohn" zum einen deutlich grenzüberschreitend, zum anderen von derartiger Geringschätzung gegenüber einem Vorgesetzten geprägt ist, dass ein störungsfreies Miteinander insoweit nicht mehr zu erwarten stand. Denn dem Kläger war sowohl aus der Ermahnung vom 16. Oktober 2019, hier ganz explizit, wie auch aus der Abmahnung vom 4. März 2021, hier nochmals explizit, ersichtlich, dass von ihm ein künftig respektvoller und kollegialer Umgang mit Kollegen und Führungskräften erwartet wird und dieser Voraussetzung für eine gesicherte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist. Da er es gleichwohl und gerade nochmals im Verhältnis zum Vorgesetzten C. nicht vermochte, sich am Arbeitsplatz entsprechend zu verhalten, konnte objektiv betrachtet nicht mehr angenommen werden, dass er dieses Fehlverhalten nach einer weiteren Abmahnung nunmehr abzustellen willens und in der Lage gewesen wäre.



    bb. Soweit der Kläger die Ermahnung und vor allem die Abmahnung als nicht bestimmt genug oder nicht einschlägig betrachtet, ist dies schon offensichtlich seiner Interessenlage geschuldet. Denn während die Ermahnung zunächst einen klaren Verhaltensrahmen vorgab, lässt die genannte Abmahnung durch wörtliche Zitate, eine deutliche Beanstandung des angesprochenen Verhaltens, eine klar formulierte Erwartungshaltung für die Zukunft und eine unverkennbare Kündigungsandrohung für den Wiederholungsfall weder in ihrer Bestimmtheit noch in ihrer Aussage Unklarheiten oder Interpretationsspielräume aufkommen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass vorliegend allein von einem ggf. zwischenmenschlichen Problem zwischen dem Kläger und dem Vorgesetzen C. auszugehen war. Denn die Ermahnung vom 16. Oktober 2019 betraf das Verhalten des Klägers gegenüber dem Schichtleiter B., die Abmahnung vom 16. Oktober 2019 eine auf die Auseinandersetzung folgende Unbeherrschtheit in Gestalt einer unangemessenen Gewalteinwirkung auf Sachen, während der erste für sich betrachtet ggf. noch hinzunehmende verbale Fehlgriff des Klägers am 27. September 2021 mit der Bezeichnung als "Polen-Mafia" zumindest auch an den Schichtleiter D. adressiert war.



    cc. Die Berufungskammer bezieht bei der Erfassung, Bewertung und Abwägung der Einzelfallumstände zugunsten des Klägers durchaus mit ein, dass seine folgenden drastischen Äußerungen allein in einem Vier-Augen-Gespräch mit einem Dritten, dem Zeugen F., und damit nicht gegenüber dem Betroffenen, einer Mehrzahl von Kollegen oder gar gegenüber einen breiten Betriebsöffentlichkeit gefallen sind. Dies entlastet den Kläger jedoch vorliegend nicht entscheidend, weil er mit der Ankündigung "den Kopf abzuschneiden" zum einen graduell eine nochmalige Steigerung seiner vorausgehenden verbalen Fehlgriffe gezeigt hat, statt unter dem Eindruck einer gerade einmal sechs Monate zurückliegenden und einschlägigen Abmahnung Wege zur Mäßigung zu finden. Zudem konnte er wegen der mindestens mitschwingenden Androhung massiver körperlicher Gewalt - wie bereits ausgeführt - gerade nicht erwarten, dass diese Äußerung unter vier Augen bleiben wird. Vielmehr musste er von einer Verbreitung im Betrieb und damit einer Störung des betrieblichen Miteinanders ausgehen, welches durch sein wiederholt hemmungsloses Beleidigen, Herabwürdigen und durch das - mindestens - Spielen mit Gewaltandrohungen nachhaltig Schaden nehmen konnte.



    dd. Die Beklagte ist vorliegend auch nicht auf die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung mit dreimonatiger Frist zu verweisen. Denn einerseits musste sie das vom Verhalten des Klägers - trotz Ermahnung und Abmahnung - weiterhin ausgehende und sich nochmals zuspitzende Klima von grober Missachtung persönlicher Integrität, Einschüchterung und ggf. Gewalttätigkeit mit über diesen Zeitraum nicht zu prognostizierender weiterer Eskalationsgefahr nicht hinnehmen bzw. sehenden Auges keine entsprechenden Risiken eingehen. Zum anderen Stand sie vor der Notwendung und in der Verpflichtung, ihre betrieblichen Belange wie die Rechte der weiteren Beschäftigten umgehend und effektiv zu schützen, womit der Verbleib des Klägers im Betrieb bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zu vereinbaren stand, zumal dieser weder innerbetrieblich im unmittelbaren Nachgang zu seinem Fehlverhalten vom 27. September 2021 noch im laufenden Kündigungsschutzprozess eine kritische Distanz dazu entwickeln noch Einsicht insoweit zu zeigen vermochte.



    c. Die außerordentliche Kündigung vom 12. Oktober 2021 ist - wie vom Arbeitsgericht angenommen - als Tatkündigung und damit zugleich als verhaltensbedingte Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB wirksam. Soweit der Kläger dieses als Verletzung zivilprozessualer Grundsätze betrachtet, geht sein Einwand an der objektiven Rechtslage vorbei.



    Zwar hat die Beklagte die vorliegende Kündigung gegenüber dem Betriebsrat und zunächst auch im Prozess primär und ausdrücklich nicht auf den Tatvorwurf, sondern auf den dringenden Verdacht des beschriebenen Fehlverhaltens gestützt. Diese beiden an sich gesondert zu betrachtenden, jeweils eigenständigen Kündigungsgründe (BAG, Urteil vom 31. Januar 2019 - 2 AZR 426/18 - NZA 2019, S. 893 ff) stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, S. 1227 ff). Wird die Kündigung aufgrund eines vom Arbeitgeber im Vorfeld ermittelten und danach angenommenen Sachverhalts gerade und ggf. sogar ausschließlich mit dem Verdacht einer Pflichtwidrigkeit begründet, steht aber auf dessen Grundlage unter Würdigung der tatsächlichen Umstände und nach Verwertung etwaiger Beweismittel für das befasste Gericht indessen die Pflichtwidrigkeit als solche fest, so lässt dies die Wirksamkeit der Kündigung unberührt (BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - NZA 2009, S. 1136 ff). Denn die Bewertung des objektiven Sachverhalts ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung und das Gericht ist gehalten, seiner Entscheidung den Sachverhalt zugrunde zu legen, von dem im Ergebnis seiner Überzeugungsbildung auszugehen ist (BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 aaO). Verfährt das Tatsachengericht im Kontext einer Verdachtskündigung entsprechend und geht es - auch ohne entsprechendes Parteivorbringen - vom Vorliegen einer wirksamen Tatkündigung aus, ist dies mit den zivilprozessualen Grundsätzen vereinbar. Insbesondere wird auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die das Gestaltungsrecht ausübende bzw. für die insoweit relevanten Gründe darlegungspflichtige Partei gar nicht gehalten hätte (BAG aaO).



    2. Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist gem. § 626 Abs. 2 BGB eingehalten. Die Kündigungserklärungsfrist beginnt nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Norm mit der Kenntnis des Kündigungsberechtigten von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Vorliegend ist unstreitig, dass die Personalabteilung der Beklagten am Dienstag, den 28. September 2021 vom Betriebsratsvorsitzenden über die hier relevanten Vorfälle in der Spätschicht des Vortages informiert worden ist. Nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB endete die Kündigungserklärungsfrist folglich mit Ablauf des Dienstags der übernächsten Woche, mithin mit Ablauf des 12. Oktober 2021. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Zugang des Kündigungsschreibens an eben diesem Tag gegen 22.00 Uhr bewirkt worden ist, was hier jede weitere Vertiefung erübrigt.



    3. Die außerordentliche Kündigung ist nicht gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte hat - wie vom Arbeitsgericht zutreffend herausgearbeitet - zu Ablauf und Inhalt des Anhörungsverfahrens schlüssig und umfassend vorgetragen, ohne dass daraus insoweit relevante Verfahrensfehler oder Informationsdefizite erkennbar geworden sind. Das Anhörungsschreiben vom 8. Oktober 2021 umfasst dabei alle Informationen bzw. alle tatsächlichen Umstände, die für die Annahme einer Tatkündigung erforderlich waren, ohne dass im Prozess seitens der Beklagten zusätzliche oder neue tatsächliche Gesichtspunkte beizubringen waren oder beigebracht worden sind. Vielmehr hat das Arbeitsgericht insbesondere die Aussage des Zeugen F. dahin gewürdigt, das vom Kläger zunächst bestrittene Fehlverhalten vom 27. September 2021 als erwiesen zu betrachten. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer Verdachtskündigung angehört steht dies einem Wechsel auf den Tatvorwurf im Prozess nicht entgegen, wenn dem Betriebsrat insoweit alle relevanten Umstände bereits im Kontext der Verdachtskündigung mitgeteilt worden sind (APS/Koch, 6. Auflage 2021, § 102 BetrVG Rn 128 m. w. N.). Einer erneuten Anhörung oder einer Anhörung zu nachgeschobenen Kündigungsgründen bedarf es, mangels solcher, dann nicht (BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 aaO). Hinzu tritt, dass die Beklagte vorliegend ausdrücklich auch zu einer Tatkündigung für den Fall angehört hat, dass sich der gegen den Kläger gerichtete dringende Verdacht bestätigen sollte, was hier ohne neuen oder weitergehenden Sachvortrag allein aufgrund gerichtlicher Tatsachenwürdigung eingetreten ist. Der entsprechende Hinweis im Anhörungsschreiben war insoweit nicht als bedingte Anhörung, sondern als ergänzende Information zu einer nach der zitierten Rechtsprechung möglichen und hier im Folgenden auch eingetretenen Entwicklung bei einer streitigen Auseinandersetzung mit dem Kläger gemeint war.



    4. Angesichts der Wirksamkeit der vorgreiflichen außerordentlichen Kündigung, die das Arbeitsverhältnis der Parteien mit dem 12. Oktober 2021 aufgelöst hat, ist über die hilfsweise ordentliche Kündigung nicht mehr zu entscheiden. Der ausdrücklich als unechtes Hilfsbegehren formulierte Weiterbeschäftigungsantrag ist - mangels Bedingungseintritt - auch in zweiter Instanz nicht zur Entscheidung angefallen.



    III.



    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.



    Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG bestehen nicht.



    Mit ihrer Entscheidung berührt die Berufungskammer weder ungeklärte Rechtsfragen von entscheidungserheblicher Bedeutung noch beruht das vorliegende Urteil auf einer Abweichung von obergerichtlicher oder höchstrichterlicher Rechtsprechung.

    Vorschriften§ 626 BGB, § 64 Abs. 2c ArbGG, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO, § 62 Abs. 2 ArbGG, § 626 Abs. 1 BGB, § 241 Abs. 2 BGB, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG, § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB, § 626 Abs. 2 BGB, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB, § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG