· Fachbeitrag · Leserforum
Wann verliert die Abmahnung ihre Funktion?
| In Ausgabe 1/2014 begann an dieser Stelle das neue „Leserforum“ - eine Anregung aus dem Kreis der Abonnenten. Die vielen positiven Rückmeldungen zum ersten Leserforum waren super: Vielen Dank dafür. Motiviert durch zahlreich interessante Anfragen an die Redaktion, geht es in dieser Ausgabe um eine Frage zum Thema Abmahnung. Zu Recht fragte der Abonnent, wie im Zusammenhang mit dem Urteil des BAG vom 19.7.12 (2 AZR 782/11, Abruf-Nr. 130540 ) die „Verjährung“ bei der Abmahnung differenziert wird. |
Frage: Gibt es überhaupt noch eine Richtschnur, wann Abmahnungen wegen Zeitablaufs aus der Personalakte des ArbN zu entfernen sind?
Antwort: Nein! Das BAG stellt klar, dass die Frage, wann eine Abmahnung ihre rechtliche Bedeutung verliert, ausgehend von der Hinweis-, Ermahnungs- und Warnfunktion der Abmahnung zu entscheiden ist. Dabei verliere die wichtigste, nämlich die Warnfunktion, die allein für eine etwaige nachfolgende Kündigung wichtig ist, zuerst ihre Bedeutung. Wann dieser Verlust eintritt, ist von den Arbeitsgerichten aber „anhand der Umstände des Einzelfalls“ ohne Anlegung starrer Faustregeln zu klären. Entscheidende Bedeutung komme dabei der „Schwere der Pflichtverletzung“ zu. So sei auch nach 3,5 Jahren kein Verlust der Warnfunktion bei einer Abmahnung wegen fortgesetzter Diffamierung von Kollegen und Vorgesetzten anzunehmen.
Frage: Führt ein Verlust der Warnfunktion der Abmahnung zu einer erfolgreichen Durchsetzung des Beseitigungsverlangens des ArbN?
Antwort: Nein! Aus Hinweis- und Warnfunktion der Abmahnung setzt das BAG die „Dokumentationsfunktion“ zusammen, die die Abmahnung während des bestehenden Arbeitsverhältnisses quasi nie verliert. Dies bedeutet, dass - abgesehen von Abmahnungen wegen Bagatellpflichtverletzungen - ein Anspruch auf Beseitigung einer berechtigten Abmahnung im Arbeitsverhältnis nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden kann. Begründet wird dies mit schutzwürdigen ArbG-Interessen an der Dokumentation im Hinblick auf Auswahlentscheidungen, Leistungsbeurteilungen, Interessenabwägung und Pflichtenklarstellung, die in der Regel durch Zeitablauf nicht entfallen.
PRAXISHINWEIS | Auch wenn es faktisch keinen Anspruch auf Beseitigung berechtigter Abmahnungen aus der Personalakte (mehr) gibt, kann der ArbN gegen unberechtigte - z.B. inhaltlich falsche oder zu unbestimmte - Abmahnungen wie bisher vorgehen. Hier hilft der Beseitigungsanspruch nach § 242, § 1004 Abs. 1 BGB analog weiter. Zudem kann er nach § 83 Abs. 2 BetrVG eine Gegendarstellung zur Personalakte reichen, unabhängig vom Bestehen eines Betriebsrats. Überdies sollte ein Angriff gegen eine Abmahnung gut überlegt werden, da das bloße Abmahnungsdokument in einem späteren Kündigungsschutzprozess dem ArbG keinen Vorteil bringt. Dort wird die materielle Berechtigung der Vorwürfe noch einmal überprüft. |