· Fachbeitrag · Abmahnung
Wann muss eine berechtigte Abmahnung entfernt werden?
Ein Anspruch auf Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung setzt nicht nur voraus, dass die Abmahnung ihre Warnfunktion verloren hat, sondern der ArbG darf auch kein berechtigtes Interesse mehr an der Dokumentation der gerügten Pflichtverletzung haben. Dies ist solange nicht der Fall, wie eine erteilte Abmahnung für eine zukünftige Entscheidung über eine Versetzung, Beförderung und die entsprechende Eignung oder im Zusammenhang mit einer späteren Kündigung von Bedeutung sein kann (BAG 19.7.12, 2 AZR 782/11, Abruf-Nr. 130540). |
Sachverhalt
Die ArbN war als Verwaltungsfachangestellte für die Zahlstelle eines Planetariums, das zu einer vom Landkreis betriebenen Volkshochschule gehörte, als Haushaltssachbearbeiterin für die „Zahlstelle Planetarium“ verantwortlich.
Mit Schreiben vom 25.5.07 beantragte der Leiter der Volkshochschule, die Verantwortung für diese Zahlstelle einer anderen ArbN zu übergeben und die ArbN nur noch im Vertretungsfall einzusetzen. Mitte Juli 2007 übergab die ArbN wegen eines anstehenden Urlaubs die Zahlstelle an den Leiter der Volkshochschule. Dabei händigte sie statt des Originalkassenbuchs eine von ihr gefertigte Zweitfassung mit nur ein oder zwei Einträgen aus, in die Quittungen eingelegt waren. Der Leiter unternahm daraufhin nichts. Bei einer im August 2007 durchgeführten Kontrolle wurde das Originalkassenbuch nicht mehr aufgefunden. Die ArbN gab an, dieses bereits am 26.4.07 an ihre Nachfolgerin übergeben zu haben. Sie habe das Kassenbuch auch im Vertretungsfall nicht zurückerhalten und daraufhin ein zweites angelegt.
Am 16.4.08 mahnte der ArbG die ArbN ab. Hierbei beanstandete er, dass das Kassenbuch in der Zeit ihrer Verwaltung der Zahlstelle und damit ihrer Verantwortlichkeit abhandengekommen sei. Sie habe hierdurch gegen die Pflicht zur sorgfältigen Führung der Zahlstelle verstoßen. Darüber hinaus habe sie durch ihre Erklärungen den Eindruck erweckt, die Verantwortung hierfür treffe ihre Nachfolgerin.
Die ArbN klagt nunmehr auf Rücknahme der Abmahnung. Sie trägt hierzu vor, ihre Nachfolgerin sei am 5.3.07 mit der Arbeitsaufnahme „Planetarium“ betraut worden. Der ArbG hält an der Abmahnung fest und trägt vor, am 5.3.07 seien lediglich zur Entlastung der ArbN Einnahme- und Auszahlungsanordnungen an die Nachfolgerin übertragen worden. Bis zur Kassenprüfung im August 2007 sei die Nachfolgerin noch nicht zur Kassenverantwortlichen bestellt worden. Die ArbN habe auch nicht im April 2007 das Originalkassenbuch an ihre Nachfolgerin übergeben und nicht zurückerhalten.
Das Arbeitsgericht und das LAG Thüringen (7 Sa 427/09) haben der Klage stattgegeben. Die Revision des ArbG führte zur Zurückverweisung an das LAG.
Entscheidungsgründe
Der 2. Senat des BAG hat den Rechtsstreit an das LAG Thüringen zurückverwiesen. Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen habe ein Anspruch der ArbN auf Rücknahme und Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte nicht bejaht werden dürfen.
Zwar könne ein ArbN in entsprechender Anwendung des § 242, § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen. Das LAG habe allerdings zu Unrecht angenommen, die ArbG habe kein schutzwürdiges Interesse mehr daran, dass die Abmahnung, die das LAG der Sache nach als begründet ansieht, in der Personalakte der ArbN verbleibe. Zwar könne eine Abmahnung nach längerem einwandfreiem Verhalten des ArbN ihre Wirkung verlieren. Hierfür seien die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. So könne es nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung auch einer neuen Abmahnung bedürfen, bevor eine verhaltensbedingte Kündigung wegen einer erneuten, gleichartigen Pflichtverletzung gerechtfertigt sei.
Dies betreffe hingegen nur die Warnfunktion einer Abmahnung, nicht hingegen deren Rüge- und Dokumentationsfunktion, mit der der ArbG den ArbN auf vertragliche Pflichten hinweise und auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam mache.
Ein Anspruch auf Entfernung der zu Recht erteilten Abmahnung setze danach nicht nur voraus, dass die Abmahnung ihre Warnfunktion verloren habe, sondern dass der ArbG darüber hinaus kein berechtigtes Interesse mehr an der Dokumentation der Pflichtverletzung habe. Dies sei nicht der Fall, solange eine zu Recht erteilte Abmahnung zum Beispiel für eine zukünftige Entscheidung über eine Versetzung oder eine Beförderung, die entsprechende Eignung des ArbN, für die spätere Beurteilung von Führung und Leistung in einem Zeugnis oder im Zusammenhang mit einer möglichen späteren Kündigung und der dort vorzunehmenden Interessenabwägung von Bedeutung sei.
Insofern seien alle rechtlichen Gesichtspunkte zu würdigen und eine Abwägung im Einzelfall zu treffen. Das habe das LAG unterlassen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, inwieweit das gerügte Fehlverhalten weiterhin von Bedeutung für eine Beurteilung der Fähigkeiten und Leistungen sein könne. Daher bestehe ein berechtigtes Interesse des ArbG an der Dokumentation einer Pflichtverletzung nicht zwangsläufig für die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses. Ein lange zurückliegender, nicht schwerwiegender und durch beanstandungsfreies Verhalten faktisch überholter Pflichtverstoß habe seine Bedeutung für eine spätere Interessenabwicklung in der Regel verloren.
Eine fest bemessene Frist der Dauer, für welche ein berechtigtes Interesse des ArbG an dem Verbleib einer Abmahnung in der Personalakte anzuerkennen sei, gebe es hingegen nicht. Maßgeblich seien hier die Umstände des Einzelfalls. Zu berücksichtigen seien u.a. die Schwere des gerügten Fehlverhaltens und die Beeinträchtigung des Vertrauens des ArbG in die Integrität des ArbN.
Darüber hinaus hat das BAG betont, dass nicht feststehe, ob die Abmahnung vom 16.4.08 aus der Personalakte zu entfernen sei, da sie falsche Tatsachen, Behauptungen oder unzutreffende rechtliche Wertungen enthalte. Die Vorinstanzen hätten sich gerade nicht mit der Frage beschäftigt, ob das Kassenbuch bereits am 26.4.07 an die Nachfolgerin der ArbN übergeben worden sei. Dies müsse gegebenenfalls vom LAG aufgeklärt werden. Soweit die Vorwürfe des ArbG zutreffen, sei die Abmahnung nämlich sowohl bestimmt genug als auch verhältnismäßig.
Praxishinweis
Ein ArbN hat auch nach Ablauf einer Regelfrist, die von der Instanzrechtsprechung bei etwa zwei Jahren angesiedelt wird nicht in jedem Fall einen Anspruch auf Entfernung einer berechtigten Abmahnung aus der Personalakte. Allein der Zeitablauf nimmt dem ArbG nämlich nicht das Interesse an der Dokumentation der Pflichtverletzung. Ob neben dem Verlust der Warnfunktion auch die Rüge und Dokumentationsfunktion durch den Zeitablauf erledigt ist, bedarf einer umfassenden Einzelfallabwägung, in der vor allem die Schwere der Pflichtverletzung und die Frage, inwieweit die Pflichtverletzung trotz des Zeitablaufs noch in das Arbeitsverhältnis einwirkt, zu berücksichtigen sind. Einem automatischen Entfernungsanspruch allein wegen des Zeitablaufs hat das BAG durch das Urteil vom 19.07.12 eine klare Absage erteilt.
Checkliste / Entfernung einer Abmahnung |
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Weiterführender Hinweis
- Der praktische Fall: „Was gilt bei der Abmahnung?“ in AA 12, 47 (mit Musterformulierungen)
- Prüfen Sie Ihr Wissen: Abmahnung in AA 12, 99
- Wettbewerbsverstoß eines Sportarztes als Kündigungsgrund, LAG Hamm 25.5.12, 7 Sa 2/12, Abruf-Nr. 121794 in AA 12, 119