· Fachbeitrag · Arbeitnehmerhaftung
Wann kann der ArbG Regress bei seinem ArbN nehmen?
| Ein Schadenersatzanspruch gegenüber einer ArbN setzt voraus, dass diese arbeitsvertragliche Pflichten verletzt hat, dem ArbG hierdurch ein Schaden entstanden ist und er den Zusammenhang zwischen Vertragsverletzung und Schaden darlegen kann. Ganz schön viele Pflichten? Das eigentliche Problem ist, dass der ArbG dies alles auch beweisen muss. |
Sachverhalt
Der ArbG beschäftigte die ArbN vom 1.6.12 bis zum 31.3.13 in Vollzeit für 1.837 EUR brutto. Im Arbeitsvertrag war vereinbart, dass der BRTV für Apothekenmitarbeiter anwendbar ist.
Der ArbG wirft seiner ArbN vor, diese habe am 25.6.12 ein am 31.5.12 ausgestelltes Rezept entgegengenommen, das unter anderem auf das Medikament „Bondronat 6 mg/1 Stück Durchstechflasche“ lautete. Ausweislich ihres handschriftlichen Namenskürzels auf dem Rezeptformular habe sie beim Lieferanten eigenständig ohne Vorlage an den ArbG eine Mehrfachpackung mit 5 Stück zum Preis von knapp über 1.770 EUR statt einer Einfachpackung für knapp über 369 EUR bestellt. Die AOK habe den Fehler bei einer Abrechnungsprüfung entdeckt und nur den Preis für 1 Stück gezahlt. Dem ArbG sei damit ein Schaden von knapp 1.200 EUR entstanden.
Diesen Betrag machte der ArbG gegenüber seiner ehemaligen ArbN geltend. Hierbei argumentierte er, sie habe bei Abschluss des Arbeitsvertrags eine schriftliche Belehrung unterzeichnet, dass Rezepte, deren Warenwert 500 EUR übersteige, vom approbierten Apotheker geprüft und abgezeichnet werden müssten. Die entsprechende Erklärung werde er nachreichen. Der ArbN sei zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Sie habe die Prüfung unterlassen und das Medikament in der falschen Menge eigenständig bestellt und herausgegeben. Wer das Rezept bearbeite und die Bestellung auslöse, sei für den gesamten Vorgang verantwortlich.
Die ehemalige ArbN bestritt, das Medikament bestellt, in Empfang genommen und an die Patientin bei Abholung abgegeben zu haben. Auch habe sie weder ein Rezept in einen roten Umschlag gesteckt, noch dieses in den Safe der Apotheke gelegt, dessen Standort sie gar nicht gekannt habe.
Das Arbeitsgericht Koblenz (17.8.17, 7 Ca 3461/16) wies die Klage des ArbG ab.
Entscheidungsgründe
Das LAG Rheinland-Pfalz (24.5.18, 5 Sa 448/17, Abruf-Nr. 204666) schloss sich der Vorinstanz an und wies die Klage zurück.
Nach Ansicht der Richter sei es Aufgabe des ArbG, die Abläufe bei der Rezepteinlösung und Abgabe von Medikamenten klar, eindeutig und in einem gerichtlichen Verfahren nachweisbar zu organisieren. Tue er dies nicht, treffe ihn ein erhebliches Mitverschulden, wenn es bei der Rezepteinlösung und der Medikamentenbestellung zu einem Fehler und einem hieraus resultierenden Schaden komme. Dieses sogenannte „Organisationsverschulden“ kann ein mögliches Verschulden der ArbN sogar so stark überwiegen, dass nach den Grundsätzen der Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung bei betrieblich veranlasster Tätigkeit ein Rückgriff auf die ArbN völlig ausgeschlossen ist.
Das LAG stellte außerdem klar, dass der ArbG, der beim Arbeitsvertrag auf den Bundesrahmentarifvertrag (BRTV) für Apothekenmitarbeiter Bezug nahm, auch dessen Ausschlussfrist nach § 20 Ziff. 2 beachten müsse. Mögliche Schadenersatzansprüche gegen eine ArbN seien danach binnen 3 Monaten schriftlich geltend zu machen. Versäume der ArbG diese Frist, seien Schadenersatzansprüche gegen ArbN ausgeschlossen ‒ unabhängig davon, ob sie berechtigt seien oder nicht.
Das LAG Rheinland-Pfalz ging davon aus, dass der ArbG die ihm obliegenden Darlegungs- und Beweispflichten in Bezug auf eine Pflichtverletzung der ArbN und einen hieraus resultierenden adäquat-kausalen Schaden bei der Bestellung des Medikaments nicht erfüllt hat. Der ArbG habe trotz des vehementen Bestreitens der ArbN in beiden Instanzen seine Behauptungen hinsichtlich der Entgegennahme des Rezepts, der Bestellung des Rezepts durch die ehemalige ArbN und der Aushändigung des Medikaments an die Patientin weder konkret dargelegt noch unter Beweis gestellt. Nicht einmal die von ihm in Bezug genommene schriftliche Belehrung der ArbN darüber, dass bei Rezepten, deren Warenwert 500 EUR übersteige, eine Prüfung und Abzeichnung durch einen ArbG erforderlich sei, habe der ArbG dem Gericht vorgelegt.
Allein der Umstand, dass sich auf dem Rezept vom 31.5.12 das Namenskürzel der ArbN befunden habe, sei nicht ausreichend, um eine entsprechende Darlegung zu ersetzen. Damit sei weder schlüssig dargelegt, noch unter Beweis gestellt, dass die ArbN das Rezept keinem ArbG vorgezeigt, die falsche Menge bestellt, das Rezept in den Apothekensafe gelegt und der Patientin bei Abholung die falsche Stückzahl des Medikaments ausgehändigt habe.
Auch wenn der ArbG ‒ zumindest vor dem LAG ‒ seinen Darlegungspflichten nachgekommen und darüber hinaus die angebliche schriftliche Belehrung der ArbN endlich zu den Akten gereicht hätte, wäre die Klage wohl erfolglos geblieben:
- Zum einen ist ihm nach Meinung des LAG ein erhebliches Mitverschulden in Form des Organisationsverschuldens für den Schadenseintritt anzulasten. Denn bei der Abgabe des Medikaments habe unstreitig kein Abgleich mit dem Rezept mehr stattgefunden. Dieses Mitverschulden dürfte ein etwaiges (unterstelltes) Verschulden der ArbN deutlich überwiegen.
- Zum anderen sei die Ausschlussfrist nach § 20 Ziff. 2 BRTV für Apothekenmitarbeiter schon nach dem Vortrag des ArbG selbst erkennbar nicht gewahrt. Damit seien etwaige Schadenersatzansprüche gegen die ArbN verfallen. Der Mahnantrag vom 6.8.15 wahre erkennbar nicht die Verfallfrist von 3 Monaten nach Fälligkeit. Die angebliche Pflichtverletzung ist datiert vom 25.6.12 und die Prüfung sowie die Beanstandung des Vorgangs durch die AOK vom 8.7.13 könne als spätester möglicher Zeitpunkt der Kenntniserlangung und des Beginns der genannten Ausschlussfrist gelten. Doch auch das sei zu spät gewesen. Auch ein angebliches Schreiben vom 21.10.14, auf das sich der ArbG beziehe, dieses aber nicht vorlegt habe, habe die Verfallfrist nicht gewahrt.
Relevanz für die Praxis
Will der ArbG gegenüber aktuellen oder bereits ausgeschiedenen ArbN Regress wegen ihm entstandener Schäden nehmen, muss er sich im klaren sein, das er Folgendes darlegen und beweisen muss:
- die Pflichtverletzung,
- den eingetretenen Schaden und
- den Kausalzusammenhang zwischen ihnen.
Etwaige Dokumente, wie Belehrungen und Geltendmachungsschreiben, sollten sorgfältig archiviert werden, um sie im Streitfall vorlegen zu können. Ansonsten haben sie keinen echten Wert. Hieran scheiterte es vorliegend ganz offensichtlich, denn der ArbG fand wohl die Unterlagen nicht mehr.
Vereinbart der ArbG im Arbeitsvertrag Verfallfristen für die Geltendmachung sämtlicher oder bestimmter Ansprüche, muss auch er selbst diese Fristen einhalten, wenn er vor Gericht diese Ansprüche erfolgreich durchsetzen will. Also sollte er stets frühzeitig in den Arbeitsvertrag schauen.