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  • · Fachbeitrag · Arbeitsunfähigkeit

    Entgeltfortzahlung ‒ abgestufte Darlegungslast hinsichtlich neuer Erkrankung

    von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen

    | Die Abstufung der Darlegungslast beim Streit über das Vorliegen einer neuen Erkrankung i. S. v. § 3 Abs. 1 EFZG, wonach der ArbN Tatsachen vorzutragen hat, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden, begegnet weder unions- noch verfassungsrechtlichen Bedenken. Dem steht nicht entgegen, dass der hiernach erforderliche Vortrag im Regelfall mit der Offenlegung der einzelnen zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen im maßgeblichen Zeitraum verbunden ist. |

     

    Sachverhalt

    Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der ArbN arbeitete beim ArbG in der Gepäckabfertigung. Er war im Jahr 2019 an 68 Kalendertagen und im Jahr 2020 an weiteren 42 Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt.

     

    Der ArbG leistete nur teilweise Entgeltfortzahlung, da der ArbN wegen derselben Krankheit länger als sechs Wochen erkrankt gewesen sei. Dieser hat demgegenüber mehrere Erstbescheinigungen für seine Krankheiten vorgelegt. Er trug vor, welche ICD-10-Codes mit welchen korrespondierenden Diagnosen oder Symptomen in den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgeführt gewesen seien. Bezüglich etwaiger Vorerkrankungen machte er Angaben zu Arbeitsunfähigkeitszeiten, die nach seiner Einschätzung auf denselben ICD-10-Codes bzw. Diagnosen oder Symptomen beruhten. Der ArbN ist der Auffassung, aus Datenschutzgründen sei er nicht verpflichtet, sämtliche Erkrankungen aus der davorliegenden Zeit offenzulegen. Für keine der Erkrankungen aus dem streitigen Zeitraum sei der Sechs-Wochen-Zeitraum ausgeschöpft. Er verlangt daher zusätzliche Entgeltfortzahlung. Das LAG Hessen (14.1.22, 10 Sa 898/21) wies die Klage ab.

     

    Entscheidungsgründe

    Die dagegen gerichtete Revision des ArbN blieb vor dem BAG erfolglos (18.1.23, 5 AZR 93/22, Abruf-Nr. 235023).

     

    Der ArbN habe keinen weiteren Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Werde ein ArbN infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, verliere er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nur dann nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig gewesen sei oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen sei. Vor Ablauf dieser Fristen entstehe daher nur ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruhe.

     

    Sei der ArbN innerhalb dieser Zeiträume länger als sechs Wochen an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert, gelte eine abgestufte Darlegungslast. Zunächst müsse der ArbN darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung bestehe. Hierzu könne er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreite der ArbG, dass eine neue Erkrankung vorliege, habe der ArbN Tatsachen vorzutragen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden. Die Zuweisung der abgestuften Darlegungslast an den ArbN nach Maßgabe der dargestellten Grundsätze begegne keinen verfassungs- oder europarechtlichen Bedenken.

     

    Soweit die abgestufte Darlegungs- und Beweislast bei Fortsetzungserkrankungen vom ArbN die Offenlegung von Gesundheitsdaten verlange, sei der damit verbundene Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verhältnismäßig und damit gerechtfertigt. Dies folge aus dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten legitimen Zweck, eine materiell richtige Entscheidung anzustreben. Erst wenn die den Arbeitsunfähigkeitszeiten zugrunde liegenden Beschwerden und Erkrankungen offengelegt seien, könne ein Sachverständiger prüfen, ob der ArbN an Fortsetzungserkrankungen gelitten habe. Nur auf diese Art und Weise könne wirkungsvoller Rechtsschutz gewährt werden. Schließlich sei die Verarbeitung von Daten zu den Erkrankungen und gesundheitlichen Beschwerden, die in der Vergangenheit zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt haben, im gerichtlichen Verfahren und auch vorgerichtlich durch den ArbG über Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach der DSGVO zudem ausdrücklich zulässig.

     

    Vorliegend sei von Fortsetzungserkrankungen auszugehen, weil der ArbN nicht substanziiert vorgetragen habe. Der bloße Verweis auf Diagnoseschlüssel nach der ICD-10 Klassifikation sei nach den vorgenannten Grundsätzen nicht ausreichend gewesen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Der 5. Senat bestätigt die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer neuen bzw. derselben Krankheit für die Frage der Entgeltfortzahlung durch den ArbG. Die Entscheidung liegt vollständig auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des Senats (zuletzt etwa BAG 31.3.21, 5 AZR 197/20, Abruf-Nr. 223331).

     

    Eine Fortsetzungserkrankung liegt nicht nur bei einem identischen Krankheitsbild, sondern auch bei einem Beruhen der Krankheitssymptome auf demselben Grundleiden vor. Das Vorliegen derselben Krankheit ist auch bei immer wiederkehrenden Erkrankungen im maßgeblichen Zeitraum nicht von vornherein ausgeschlossen. Hieraus folgt, dass der ArbN im Bestreitensfall substanziiert darlegen und etwa durch Arztberichte oder Ähnliches beweisen muss, welche gesundheitlichen Einschränkungen und Beschwerden zu welchem Zeitpunkt bestanden haben. Diese Darlegungen müssen sich umfassend auf die Arbeitsunfähigkeitszeiten im maßgeblichen Vorzeitraum beziehen. Erst dann muss der ArbG den Gegenbeweis führen.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2023 | Seite 153 | ID 49660059