· Fachbeitrag · Arbeitszeit
Die wöchentliche Arbeitszeit bei Abruf: Was gilt, wenn nichts vereinbart wurde?
| Vereinbaren ArbG und ArbN Arbeit auf Abruf, legen aber die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht fest, gilt grundsätzlich nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG eine Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich als vereinbart. Eine Abweichung davon kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur angenommen werden, wenn die gesetzliche Regelung nicht sachgerecht ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Parteien hätten bei Vertragsschluss übereinstimmend eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit gewollt. |
Sachverhalt
Die ArbN ist beim ArbG, einem Unternehmen der Druckindustrie, als „Abrufkraft Helferin Einlage“ beschäftigt. Der von ihr mit einer Rechtsvorgängerin des ArbG geschlossene Arbeitsvertrag enthält keine Regelung zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit. Die ArbN wurde ‒ wie die übrigen auf Abruf beschäftigten ArbN ‒ nach Bedarf in unterschiedlichem zeitlichen Umfang zur Arbeit herangezogen. Nachdem sich der Umfang des Abrufs ihrer Arbeitsleistung ab dem Jahr 2020 im Vergleich zu den unmittelbar vorangegangenen Jahren verringerte, berief sie sich darauf, ihre Arbeitsleistung sei in den Jahren 2017 bis 2019 nach ihrer Berechnung vom ArbG in einem zeitlichen Umfang von durchschnittlich 103,2 Stunden monatlich abgerufen worden. Eine ergänzende Vertragsauslegung ergebe, dass dies die nunmehr geschuldete und zu vergütende Arbeitszeit sei. Soweit der Abruf ihrer Arbeitsleistung in den Jahren 2020 und 2021 diesen Umfang nicht erreichte, verlangte sie Vergütung wegen Annahmeverzugs.
Das Arbeitsgericht nahm, ausgehend von der gesetzlichen Regelung des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG an, die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit im Abrufarbeitsverhältnis der Parteien betrage 20 Stunden. Es gab der Klage auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung nur in geringem Umfang insoweit statt, als in einzelnen Wochen der Abruf der Arbeitsleistung der ArbN 20 Stunden unterschritten hatte. Das LAG Hamm (29.11.22, 6 Sa 200/22) wies die Berufung der ArbN zurück.
Entscheidungsgründe
Die Revision der ArbN blieb vor dem 5. Senat des BAG (18.10.23, 5 AZR 22/23, Abruf-Nr. 237969) erfolglos. Vereinbaren ArbG und ArbN, dass der ArbN seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf), müssen sie nach § 12 Abs. 1 S. 2 TzBfG arbeitsvertraglich eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festlegen. Unterlassen sie das, schließt § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG diese Regelungslücke, indem kraft Gesetzes eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart gilt. Eine davon abweichende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit könne im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann angenommen werden, wenn die Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG im betreffenden Arbeitsverhältnis keine sachgerechte Regelung sei und objektive Anhaltspunkte dafür vorlägen, ArbG und ArbN hätten bei Vertragsschluss bei Kenntnis der Regelungslücke eine andere Bestimmung getroffen und eine höhere oder niedrigere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbart. Für eine solche Annahme habe die ArbN jedoch keine Anhaltspunkte vorgetragen.
Werde die anfängliche arbeitsvertragliche Lücke zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Beginn des Arbeitsverhältnisses durch die gesetzliche Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG geschlossen, können die Parteien in der Folgezeit ausdrücklich oder konkludent eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbaren. Dafür reicht aber das Abrufverhalten des ArbG in einem bestimmten, lange nach Beginn des Arbeitsverhältnisses liegenden und scheinbar willkürlich gegriffenen Zeitraum nicht aus.
Allein dem Abrufverhalten des ArbG komme ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert dahingehend, er wolle sich für alle Zukunft an eine von § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG abweichende höhere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit binden, nicht zu. Ebenso wenig rechtfertige allein die Bereitschaft des ArbN, in einem bestimmten Zeitraum mehr als nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG geschuldet zu arbeiten, die Annahme, der ArbN wolle sich dauerhaft in einem höheren zeitlichen Umfang als gesetzlich vorgesehen binden.
Relevanz für die Praxis
Das BAG stellt wie zuvor das LAG Hamm klar, dass es im Zweifel bei fehlender vertraglicher Regelung der wöchentlichen Arbeitszeit bei der gesetzlichen Lückenfüllung nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG verbleibt. Damit gelten kraft Fiktion 20 Wochenstunden als vereinbart. Für eine höhere oder niedrigere Stundenzahl ist die Partei, die sich auf eine solche berufen will, in vollem Umfang darlegungs- und beweispflichtig. Diese Hürde ist in der Praxis hoch, da allein das Abrufverhalten des ArbG in der Vergangenheit nicht ausschlaggebend ist.