· Fachbeitrag · Europarecht
EuGH: Kopftuchverbot im Job kann rechtens sein
| Eine unternehmensinterne Regel, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verbietet, ist nicht unmittelbar diskriminierend. Ohne eine solche Regel kann der Wille eines ArbG, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, wonach seine Leistungen nicht mehr von einer ArbN erbracht werden sollen, die ein islamisches Kopftuch trägt, jedoch nicht als berufliche Anforderung angesehen werden, die das Vorliegen einer Diskriminierung auszuschließen vermag. |
Sachverhalt
Der EuGH hatte über zwei Fälle aus Belgien und Frankreich zu entscheiden:
- 1. Im belgischen Fall war die ArbN als Rezeptionistin bei einem privaten Sicherheitsdienst-Unternehmen beschäftigt. Diese erbringt für Kunden aus dem öffentlichen und privaten Sektor unter anderem Rezeptions- und Empfangsdienste. Als die ArbN eingestellt wurde, verbot eine ungeschriebene Regel es den ArbN, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen.
- Die ArbN kündigte an, dass sie beabsichtige, während der Arbeit das islamische Kopftuch zu tragen. Der ArbG teilte ihr mit, dass dieses Verhalten nicht geduldet werde. Er passte die Arbeitsordnung mit Billigung des Betriebsrats wie folgt an: „Es ist den Arbeitnehmern verboten, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen zu tragen und/oder jeglichen Ritus, der sich daraus ergibt, zum Ausdruck zu bringen.“ Danach wurde die ArbN aufgrund ihrer festen Absicht, auf der Arbeit das islamische Kopftuch zu tragen, entlassen. Der belgische Gerichtshof wollte wissen, ob das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer allgemeinen internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, eine unmittelbare Diskriminierung darstelle.
- 2. Im zweiten Fall ging es um eine französische ArbN. Sie traf vor ihrer Anstellung durch den späteren ArbG auf einer Messe einen ArbG-Vertreter. Dieser wies sie darauf hin, dass das Tragen des islamischen Kopftuchs Probleme bereiten könnte, wenn sie mit den Kunden dieses Unternehmens in Kontakt trete. Als sie sich beim ArbG vorstellte, um dort ihr Abschlusspraktikum zu absolvieren, trug sie ein einfaches Bandana. Im Anschluss trug sie am Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch. Nach dem Praktikum stellte der ArbG sie unbefristet als Software-Designerin ein.
- Nach einer Kundenbeschwerde bekräftigte der ArbG den Grundsatz notwendiger Neutralität im Verhältnis zu ihren Kunden und bat sie, keinen Schleier mehr zu tragen. Dem kam die ArbN nicht nach und wurde daraufhin entlassen. Der französische Gerichtshof möchte vom EuGH wissen, ob der Wille eines ArbG, dem Wunsch eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer ArbN erbringen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne der Richtlinie angesehen werden kann.
Entscheidungsgründe
Auf eine Formel gebracht bedeuten die beiden EuGH-Urteile abgekürzt: Es kommt - wie immer - auf den Einzelfall an. Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Sinne der Richtlinie (2000/78/EG des Rats vom 27.11.00 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf) bedeute, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung unter anderem wegen der Religion geben dürfe. Die in der EU-Menschenrechts-Charta und den meisten Verfassungen garantierte Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, so die EuGH-Richter. Hiervon umfasst seien die Möglichkeiten, einerseits religiöse Überzeugungen zu haben und andererseits die Freiheit zu besitzen, diese in der Öffentlichkeit zu bekunden. Doch manchmal kollidiere die Religionsfreiheit mit den Interessen Dritter, wie etwa im Berufsleben. Und dann kann ein Kopftuchverbot verhältnismäßig sein. In den entschiedenen Fällen argumentierten die EuGH-Richter wie folgt:
- 1. Im ersten Fall der belgischen ArbN stellte der EuGH (14.3.17, C-157/15, G4S Secure Solutions, Abruf-Nr. 192793) fest, dass sich die interne Regel des ArbG auf das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen beziehe. Sie gelte damit unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen. Nach der Regel werden alle ArbN des Unternehmens gleich behandelt, indem ihnen allgemein und undifferenziert unter anderem vorgeschrieben werde, sich neutral zu kleiden. Aus den Akten sei nicht ersichtlich gewesen, dass die interne Regel auf die ArbN anders angewandt worden wäre als auf andere ArbN.
- Folglich begründe eine solche interne Regel keine unmittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne der genannten Richtlinie.
- Ein solches Verbot könne nur mittelbar diskriminierend sein, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung tatsächlich dazu führe, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden. Eine solche mittelbare Diskriminierung kann jedoch durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität durch den ArbG im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt sein, wenn die Mittel zum Erreichen dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Es sei Sache des belgischen Gerichtshofs, diese Voraussetzungen zu prüfen.
- 2. Der zweite Fall war durchaus komplizierter und für den EuGH nicht zweifelsfrei aufzuklären (EuGH 14.3.17, C-188/15, Bougnaoui und ADDH, Abruf-Nr. 192794). Die EuGH-Richter teilten mit, dass der französische Gerichtshof selbst prüfen müsse, ob die Entlassung der ArbN auf einen Verstoß gegen eine interne Regel gestützt werde, die es verbiete, Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen zu tragen:
- Sei dies der Fall, habe der französische Gerichtshof zu prüfen, ob die im Urteil des belgischen ArbG aufgestellten Voraussetzungen vorlägen. Das heißt, ob die aus einer dem Anschein nach neutralen internen Regel, die tatsächlich dazu führen könne, dass bestimmte Personen in besonderer Weise benachteiligt werden, resultierende Ungleichbehandlung durch die Verfolgung einer Politik der Neutralität sachlich gerechtfertigt sowie angemessen und erforderlich sei.
- Sollte die Entlassung der ArbN nicht auf eine solche interne Regel gestützt sein, wäre hingegen zu prüfen, ob der Wille eines ArbG, dem Wunsch eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer ArbN erbringen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt wäre. Danach können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine von der Richtlinie verbotene Ungleichbehandlung keine Diskriminierung sei, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstelle. Dies gelte aber nur, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handele. Insoweit weist der EuGH darauf hin, dass unter anderem ein mit der Religion im Zusammenhang stehendes Merkmal nur unter sehr begrenzten Bedingungen eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen kann. Dieser Begriff verweise nämlich auf eine Anforderung, die von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben sei. Er erstrecke sich nicht auf subjektive Erwägungen wie den Willen des ArbG, besonderen Kundenwünschen zu entsprechen.
- Im Fazit zum zweiten Fall machte der EuGH deutlich, dass der Wille eines ArbG, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer ArbN ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, nicht als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne der Richtlinie angesehen werden könne.
Weiterführende Hinweise
- Kopftuch: LAG spricht abgelehnter Bewerberin Entschädigung zu: LAG Berlin-Brandenburg in AA 17, 39
- Ist das Kopftuchverbot in Betrieben der evangelischen Kirche wirksam? BAG in AA 14, 183