01.05.2006 | Kündigungsrecht
Verhaltensbedingte Kündigung: Verstoß gegen Verhaltenspflichten bei Arbeitsunfähigkeit
Im Anschluss an den Beitrag zur Verletzung von Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit (AA 06, 62) werden nachfolgend die Probleme der Verletzung von Verhaltenspflichten während der Arbeitsunfähigkeit näher beleuchtet.
Keine Pflicht zu „gesundheitsbewahrendem Verhalten“ im Privatbereich
Ein ArbN ist grundsätzlich nicht verpflichtet, ein privates Verhalten zu unterlassen, wenn es potenziell geeignet ist, Arbeitsunfähigkeit herbeizuführen (z.B. Drachenfliegen, alpines Skifahren, Motorradfahren u.ä.).
Musterformulierung: Argumentation |
Auch der Gesetzgeber toleriert risikoträchtiges Verhalten von ArbN im privaten Bereich. Das zeigt § 3 Abs. 1 EFZG. Danach ist ein Entgeltfortzahlungsanspruch nur ausgeschlossen, wenn der ArbN den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit verschuldet hat. Dieser Verschuldensbegriff wird nach h.M. nicht im allgemeinen Sinne verstanden, sondern als grober Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen, als „Verschulden gegen sich selbst“ (ErfK/Dörner, 6. Aufl., § 3 EFZG, Rn. 46, Berkowsky, Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung, 4. Aufl., Rn. 170). Nur besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten kann danach den Entgeltfortzahlungsanspruch ausschließen. Dabei setzt der Gesetzgeber freilich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus, denn ohne ein solches gäbe es einen Entgeltfortzahlungsanspruch überhaupt nicht. Aus dieser Wertung folgt, dass ein Verhalten, das zwar zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit führt, aber nicht in einem hohen Maße leichtfertig ist, als solches eine Kündigung nicht rechtfertigen kann. |
Gibt es einen „Grundsatz des genesungsfördernden Verhaltens“?
Die Frage, welche Verhaltenspflichten ein arbeitsunfähiger ArbN zu beachten hat, ist dagegen bisher umstritten. Insbesondere ist umstritten, ob es einen allgemeinen Grundsatz des „genesungsfördernden Verhaltens“ gibt oder nicht. Danach soll ein arbeitsunfähiger ArbN nicht nur unterlassen, was seine Erkrankung verschlimmern oder seine Gesundung verzögern könnte, sondern auch alles, was den Genesungsprozess nicht fördert (so z.B. Berkowsky, a.a.O., Rn. 172; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl., Rn. 712). Dagegen wird eingewandt, die Frage der Förderung der Wiedergenesung stehe nicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, sondern sei dem Privatbereich des ArbN zuzurechnen (gegen eine Verpflichtung zum genesungsfördernden Verhalten z.B. Künzl, AuR 95, 206; ders., NZA 98, 122; Künzl/Weinmann, AuR 96, 256).
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