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  • · Fachbeitrag · Außerordentliche Kündigung

    Das Verlangen einer hohen Abfindung oder einer Betriebsratsgründung ist kein Kündigungsgrund

    | Ein ArbN begeht keine Pflichtverletzung, wenn er mitteilt, (angeblich) einen Betriebsrat gründen zu wollen, oder/und wenn er auf mehrfache Aufforderung des ArbG, einen Aufhebungsvertrag bei Zahlung einer Abfindung abzuschließen, eine exorbitant hohe Abfindungssumme nennt. |

     

    Sachverhalt

    Die Parteien streiten über eine arbeitgeberseitige Kündigung und über die Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Der 30-jährige ArbN ist seit dem 1.9.11 als Autosattler für eine monatliche Vergütung von knapp über 2.825 EUR brutto tätig. Der ArbG ist ein Unternehmen der Automobilzulieferindustrie. Er beschäftigt über 500 ArbN. Es gibt keinen Betriebsrat. Am 28.8.17 versendete der ArbN eine E-Mail an seine Abteilungsleiterin, an Mitarbeiter der Personalabteilung und in Kopie an eine Vielzahl weiterer Mitarbeiter. In der E-Mail heißt es unter anderem:

     

    • 1. E-Mail des ArbN

    „Betreff: Politik für alle ‒ Betriebsratsgründung

     

    Nach mehrfachen Telefonaten und ausführlichem Informationsaustausch mit Herrn Q.. I., Mitglied der IG Metall L.-N. und anderen Betriebsratsmitgliedern (wie z. B. meinem Bruder ‒ Betriebsratsmitglied bei der B. O.) bin ich der festen Überzeugung, dass ein Betriebsrat in unserem Unternehmen sehr sinnvoll wäre. Daher habe ich mich dazu entschlossen, eine Betriebsratsgründung in unserem Unternehmen voranzutreiben. Bis zum Ziel eines ordentlichen gewählten Betriebsrats gibt es 3 große Etappen:

     

    • 1. Jemand muss die Initiative ergreifen. Dies können zum Beispiel 3 Arbeitnehmer aus dem Betrieb übernehmen (Gewerkschaft kann zur Unterstützung hier beigezogen werden).
    • 2. Jemand muss die Wahl organisieren. Dies ist die Aufgabe des Wahlvorstands, der normalerweise ebenfalls aus drei Personen besteht. Wählen darf jeder Arbeitnehmer, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb angehört. ...
    • 3. Jemand muss sich bereit erklären, das Betriebsratsamt zu übernehmen. Wie viele Leute man hierfür braucht, hängt von der Größe des Betriebs ab.

     

    Mit der Gründung eines Betriebsrats sehe ich einer positive Entwicklung für die gesamte Belegschaft am Campus C. entgegen.“

     

    Ob und gegebenenfalls wie Mitarbeiter auf diese E-Mail reagiert haben, ist zwischen den Parteien strittig. Am nächsten Tag sendete der ArbN erneut eine E-Mail an zwei ArbN der Personalabteilung. Diese lautet auszugsweise:

     

    • 2. E-Mail des ArbN

    „Guten Morgen, um das Ganze weiter vorantreiben zu können, bräuchte ich weitere Informationen.

     

    @ Q.: Kannst du ungefähr abschätzen, wie viele Mitarbeiter hier in C. wahlberechtigt sind? (Wer wahlberechtigt ist steht in der E-Mail von gestern).

     

    @ T.: Gibt es schon einen Termin für das nächste Department Meeting? Ich würde gerne Herrn I. einladen, damit er die IG Metall näher vorstellen kann. Es wäre super, wenn die Kollegen aus Modell- und Musterbau daran teilnehmen könnten.

     

    Des Weiteren möchte ich auch alle anderen Kollegen hier am Campus erreichen. Könntet Ihr mir sagen, wie ich an den E-Mail-Verteiler für gesamt C. komme. Gibt es noch weitere Gebäude wie A, B, C-Gebäude, Q. und die „C.“ in denen B.-Mitarbeiter tätig sind?

     

    Würde mich sehr freuen wenn Ihr mich bei diesem Vorhaben unterstützen würdet, auch wenn es vielleicht nicht in eurem persönlichen Interesse steht. Danke.“

     

    In einem Personalgespräch am gleichen Tag wurde der ArbN angesprochen, warum er einen Betriebsrat benötige, wo in der Vergangenheit die Personalabteilung stets Ansprechpartner und Vermittlungsstelle gewesen sei. Der ArbN antwortete, dies stimme, aber es spreche auch nichts dagegen. Dem ArbN wurden zwei Exemplare eines schriftlichen Aufhebungsvertrags überreicht, der die Zahlung einer Abfindung in Höhe von über 21.000 EUR brutto vorsah. Dies entspricht einem Faktor von etwa 0,8 eines Bruttomonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr.

     

    Zwei Tage später fand ein weiteres Personalgespräch statt. Der ArbN erklärte: „Ich habe es mir überlegt. Ich will einen Betriebsrat gründen.“ Er gab die beiden Originalexemplare des Aufhebungsvertrags ohne Unterschrift zurück. Auf weitere Nachfrage holte der ArbN eine Kopie des Aufhebungsvertrags hervor, auf der er handschriftliche Änderungen vorgenommen hatte. In Ziffer 1 hatte er den Begriff „arbeitgeberseitig“ durch „arbeitnehmerseitig“ geändert, in Ziffer 3 den Abfindungsbetrag in Höhe von über 21.000 EUR durch 300.000 EUR netto ersetzt und in Ziffer 7 bei der Herausgabe von Gegenständen die Regelung mit „bis auf sein Werkzeug“ ergänzt.

     

    Vier Tage später kündigte der ArbG dem ArbN fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.12.17. Der ArbN meint, es gebe keinen Kündigungsgrund. Er behauptet, die Nachricht von der Gründung eines Betriebsrats habe in der Belegschaft ein lebhaftes Echo gefunden. Die Frage, ob er das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beenden wolle, sei aus heiterem Himmel gekommen. Am Tag des zweiten Gesprächs habe er noch darauf hingewiesen, dass er mit seinem Bruder telefoniert habe. Dieser habe ihm den Rat gegeben, bewusst eine erhöhte Forderung geltend zu machen, damit die Verhandlungen abgebrochen würden.

     

    Der ArbG meint, der ArbN habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt, um die Gewährung eines ihm nicht zustehenden vermögensrechtlichen Vorteils zu erzwingen. Er behauptet, ihm sei schon seit Längerem bekannt gewesen, dass der ArbN mit der Beschäftigungssituation unzufrieden gewesen sei. Er habe durch Übergabe seines Angebots, seine Wortwahl und sein Verhalten unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er eine Verknüpfung seines Engagements für einen Betriebsrat und der Zahlungen der von ihm genannten Abfindungssumme beabsichtige.

     

    Kündigungen von Mitarbeitern wegen Betriebsratsbildung habe es nicht gegeben. Es sei nie Druck auf Mitarbeiter ausgeübt worden. Der ArbN habe unter der Prämisse, die Betriebsratsgründung sei ein Druckmittel gegenüber dem ArbG, versucht, diesen zu einem bestimmten Verhalten zu bestimmen. Damit verletze er die Pflicht, den ArbG nicht auf diese Weise unter Druck zu setzen. Der ArbN missbrauche seine Rechte, um einen unberechtigten Vorteil zu erreichen.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Klage des ArbN war nach Ansicht des Arbeitsgerichts Solingen (25.1.18, 3 Ca 1081/17 lev, Abruf-Nr. 201212) begründet. Die 3. Kammer führte aus, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung des ArbG vom 4.9.17 weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden. Weder liege ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor, noch sei die ordentliche Kündigung durch verhaltensbedingte Gründe sozial gerechtfertigt. Versuche der ArbN, einen ihm nicht zustehenden Vorteil mit einer Drohung zu erreichen, so verletze er zwar seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht (LAG Hamburg 7.9.07, 6 Sa 37/07). Unter Anwendung dieser Grundsätze sei aber keine Pflichtverletzung ersichtlich.

     

    • Es gebe keine Pflicht eines ArbN, auf Initiative und Nachfrage des ArbG, zu welchen finanziellen Konditionen er bereit wäre, das Arbeitsverhältnis zu beenden, einen für den Arbeitgeber zumutbaren Abfindungsbetrag zu nennen. Darin ändere auch die von der ArbG unterstellte Verquickung der Initiative des ArbN zur Gründung eines Betriebsrats mit der überhöhten Abfindungsforderung nichts. Eine derartige, zugunsten des ArbG unterstellte Verquickung möge moralisch fragwürdig sein. Sie begründe aber keine Pflicht des ArbN, auf Nachfrage des ArbG keine Maximalforderung im Rahmen von Verhandlungen zu stellen.

     

    • Die Wertung des ArbG, der ArbN habe ihn unter Druck gesetzt, um einen ihm nicht zustehenden finanziellen Vorteil zu erlangen, sei bereits dem Grunde nach unzutreffend. Die Parteien hätten sich schlichtweg in Vertragsverhandlungen befunden. In diesem Rahmen könne eine Partei äußern, für welchen Betrag sie bereit sei, ein Arbeitsverhältnis zu beenden.

     

    • Dabei könne auch dahinstehen, ob der Vortrag des ArbN zutreffend sei, seine Forderung sei nicht ernst gemeint gewesen bzw. er habe sie nur gestellt, um die Verhandlungen abzubrechen. Zugunsten des ArbG könne unterstellt werden, dass die Forderungen des ArbN ernsthaft gemeint gewesen sei. Dies ändere nichts daran, dass es einer Partei überlassen bleibe, auch überhöhte Forderungen im Rahmen von Verhandlungen, die von der Gegenseite gewünscht waren, zu stellen.

     

    • Entgegen der Auffassung des ArbG führe auch nicht die Zweck-Mittel-Relation zu einem vertragspflichtwidrigen Verhalten des ArbN. Wenn aus Sicht des ArbG das Verhalten des ArbN dafür spräche, dass er nie die Absicht gehabt habe, einen Betriebsrat gründen zu wollen, sei nicht nachvollziehbar, wie der ArbG so unter Druck hätte geraten können, dass er sich bereit erklären könnte, völlig überzogene Abfindungssummen zu zahlen. Die Wertung des ArbG, der ArbN habe ihn unter Druck gesetzt, um einen ihm nicht zustehenden finanziellen Vorteil zu erlangen, sei daher nicht nachvollziehbar.

     

    • Wie der ArbG zutreffend meint, sei es womöglich fragwürdig, ein gesetzliches Recht zur Gründung eines Betriebsrats dafür zu nutzen, um ‒ aus Sicht des ArbG ‒ überhöhte Abfindungssummen zu fordern. Der Zweck des Gesetzes erfasse ein solches Handeln nicht. Dem ArbG habe es, wie bei jeder anderen Forderung im Rahmen von Vertragsverhandlungen, freigestanden, dieses abzulehnen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Nicht jede Äußerung im Rahmen von arbeitsvertraglichen Verhandlungen, die dem ArbG missfällt, ist geeignet, einen Kündigungsgrund zu bilden. Der ArbG sollte daher vor Ausspruch einer Kündigung genau prüfen, ob ein Verhalten nur moralisch fragwürdig, aber gesetzlich erlaubt ist. In diesem Fall liegt keine Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten und damit keine Basis für arbeitsrechtliche Sanktionen vor.

     

     

    Weiterführender Hinweis

    • Keine Abfindung bei sozial gerechtfertigter Kündigung: LAG Rheinland-Pfalz in AA 17, 164
    Quelle: Ausgabe 06 / 2018 | Seite 98 | ID 45301710