· Fachbeitrag · Probezeitkündigung
In diesen Fällen ist eine Wartezeitkündigung wegen symptomloser HIV-Infektion unwirksam
von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA ArbR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen
Ein ArbN, der an einer symptomlosen HIV-Infektion leidet, ist im Sinne einer chronischen Erkrankung behindert. Eine Kündigung innerhalb der Wartezeit des § 1 KSchG wegen einer symptomlosen HIV-Infektion ist diskriminierend nach § 1 AGG und damit unwirksam, wenn der ArbG durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des ArbN trotz seiner Behinderung ermöglichen kann (BAG 19.12.13, 6 AZR 190/12, Abruf-Nr. 140774). |
Sachverhalt
Der ArbN wurde als Chemisch-Technischer Assistent für eine Tätigkeit im sogenannten Reinraum zur Arbeit an intravenös zu verabreichenden Arzneimitteln zur Krebsbehandlung angestellt. Im Rahmen einer gesundheitlichen Einstellungsuntersuchung teilte der ArbN dem ArbG mit, dass bei ihm eine symptomlose HIV-Infektion vorliege. Der ArbN wurde noch am selben Tag ordentlich innerhalb der Wartezeit des § 1 KSchG wegen der symptomlosen HIV-Infektion gekündigt. Er erhob daraufhin Kündigungsschutzklage und begehrte die Zahlung einer Entschädigung von drei Monatsgehältern nach § 15 Abs. 2 AGG. Die symptomlose HIV-Infektion sei als Behinderung zu werten.
Entscheidungsgründe
Das BAG ist dieser Argumentation gefolgt. Eine symptomlose HIV-Infektion sei wie eine chronische Erkrankung zu behandeln, die ihrerseits eine Behinderung sein könne. Eine Behinderung liege auch bei einer chronischen Erkrankung vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt und dadurch in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren seine Teilhabe an der Gesellschaft beeinträchtigt. Eine symptomlose HIV-Infektion sei eine Behinderung, weil damit eine Stigmatisierung und soziales Vermeidungsverhalten einhergehe.
Die Kündigung wegen einer symptomlosen HIV-Infektion sei daher eine unmittelbare Diskriminierung nach § 3 Abs. 1 AGG, weil ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigung bestehe. Der ArbG müsse durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des ArbN ermöglichen. Das LAG habe noch aufzuklären, ob der ArbG den Einsatz des ArbN durch angemessene Vorkehrungen hätte ermöglichen können.
Praxishinweis
Eine Kündigung aufgrund einer solchen Behinderung ist regelmäßig unwirksam. Dies gilt nicht, wenn keine angemessenen Vorkehrungen zur Verfügung stehen, die einen Einsatz des ArbN ermöglichen. Es obliegt dem ArbG, dies darzulegen und zu beweisen. Im Einzelfall ist entscheidend, welche Tätigkeit vereinbart ist und welche konkreten Möglichkeiten dem ArbG zum Arbeitseinsatz zur Verfügung stehen.