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  • 07.12.2012 · IWW-Abrufnummer 123810

    Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 06.09.2012 – 11 Sa 167/12

    1.Eine Kündigung wegen Alkoholsucht ist nach den für die krankheitsbedingte Kündigung geltenden Grundsätzen zu beurteilen.

    2.Der Hinweis des Arbeitgebers auf den gerichtsbekannten Kontrollverlust von Alkoholikern ersetzt nicht den erforderlichen Vortrag zu konkreten betrieblichen und/oder wirtschaftlichen Auswirkungen der Alkoholerkrankung.


    Tenor:

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.01.2012, Az. 2 Ca 1213/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung aus personenbedingten Gründen.

    Der 1970 geborene, ledige Kläger ist seit dem 01.08.1991 bei der Beklagten, einer Großbäckerei, als Bäcker zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt durchschnittlich 2.600,-- EUR beschäftigt. Es besteht kein schriftlicher Arbeitsvertrag. Bei der Beklagten sind mehr als 10 Arbeitnehmer tätig. Ein Betriebsrat existiert nicht.

    Im Jahr 2010 fehlte der Kläger krankheitsbedingt an 105 Arbeitstagen.

    Um den Jahreswechsel 2010/11 offenbarte der Kläger gegenüber dem Backstubenleiter ein Alkoholproblem. Ab dem 05.01.2012 befand sich der Kläger für eine Woche zur stationären Behandlung in der Fachklinik A.. Im Anschluss war er arbeitsunfähig zu Hause, bevor er ab dem 01.02.2011 eine Rehabilitationsmaßnahme begann. Diese brach er nach 5 Tagen ab. Hieraus resultieren 26 Arbeitstage Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2011. Der Kläger nahm zwei Wochen Alturlaub und kehrte dann an den Arbeitsplatz in der Brotabteilung zurück.

    Am 11.03.2011 führte der unmittelbare Vorgesetzte mit dem Kläger ein Rückkehrgespräch.

    Mit Schreiben vom 15.03.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2011.

    Hiergegen hat der Kläger am 04.04.2011 Klage erhoben.

    Mitte Juli 2011 arbeitete der Kläger nach Anfrage durch den Backstubenleiter während drei Wochen 6 statt 5 Tage in der Woche.

    Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, dass er im Jahr 2010 wegen einer Lungenerkrankung gefehlt habe. Die Rehabilitationsmaßnahme im Februar 2011 habe er aus finanziellen Gründen abgebrochen, da er auf den Arbeitslohn der Beklagten angewiesen sei. Er sei noch nie aufgrund alkoholbedingter Probleme im Betrieb aufgefallen und arbeite nach wie vor unbeaufsichtigt.

    Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 15.03.2011 nicht aufgelöst worden ist,

    im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Bäcker weiter zu beschäftigen.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe im Rückkehrgespräch keine Erklärung für die Unterbrechung des Heilungsprozesses gegeben. Er sei weder therapiebereit noch -fähig gewesen, so dass mit zukünftigen Ausfällen wegen der Suchterkrankung gerechnet werden müsse. Es dürfe als gerichtsbekannt unterstellt werden, dass Alkoholiker unter einem erheblichen Kontrollverlust leiden und ein unbeaufsichtigtes Arbeiten im Produktionsbetrieb unmöglich sei. Hinzu käme, dass die erheblichen Fehlzeiten die Planungssicherheit im Betrieb beinträchtigten.

    Das Arbeitsgericht Koblenz hat der Klage mit Urteil vom 13.01.2012 stattgegeben und hat zur Begründung im Wesentlichen folgendes ausgeführt:

    Krankheitsbedingte Fehlzeiten könnten dann zur Grundlage einer personenbedingten Kündigung gemacht werden, wenn dem Arbeitnehmer über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren in jedem Jahr Entgeltfortzahlung für mehr als 6 Wochen zu gewähren war und daher anzunehmen ist, dass sich dieser Zustand nicht ändern werde. Diese Voraussetzung läge hier nicht vor, weil der Kläger mit seinen krankheitsbedingten Fehlzeiten im Jahr 2011 vor Ausspruch der Kündigung den sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum nicht überschritten habe.

    Hinsichtlich der behaupteten betrieblichen Beeinträchtigungen fehle es an einem substantiierten Vortrag der Beklagten.

    Das Urteil ist der Beklagten am 06.03.2012 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 04.04.2012 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 04.05.2012, eingegangen am 08.05.2012, innerhalb der bis zum 06.06.2012 verlängerten Frist begründet.

    Die Beklagte ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verkannt, denn dieses stelle für die Fehlzeiten in der Vergangenheit nicht auf feste mathematische Größen ab, sondern betrachte durchaus auch den Einzelfall. Bei einem Alkoholiker stehe die Prognose künftiger Fehlzeiten und ihrer betrieblichen Auswirkungen im Vordergrund. Entscheidend sei, dass man dem Kläger die Möglichkeit zur Reha gewährt und er diese Maßnahme nach 5 Tagen abgebrochen habe. Der Kläger sei weder therapiebereit noch therapiefähig gewesen, so dass ohne Weiteres unterstellt werden dürfe, dass zukünftig erhebliche Fehlzeiten anfallen werden.

    Mit der Tatsache, dass zur Einhaltung der Sicherheits- und Hygienevorschriften im Produktionsbereich eine ständige Aufsicht des Klägers notwendig sei, habe sie die betrieblichen Belange hinreichend erläutert. Ihr sei es schlichtweg unzumutbar, den Kläger unter diesen Bedingungen zu beschäftigen, da auch nicht ansatzweise eine Besserung in Sicht sei.

    Die Beklagte beantragt,

    unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.01.2012, Aktenzeichen 2 Ca 1213/11, die Klage abzuweisen.

    Der Kläger beantragt,

    die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

    Der Kläger ist der Auffassung, es fehle substantiierter Vortrag der Beklagten für eine negative Zukunftsprognose. Er habe unbeanstandet im Betrieb gearbeitet. Es habe nie alkoholbedingte Ausfallerscheinungen oder betriebliche Störungen gegeben. Eine ständige Aufsicht sei nicht erforderlich.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf sämtliche Schriftsätze der Parteien und die Feststellungen in den Sitzungsprotokollen verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die nach § 64 Abs. 2c ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.

    In der Sache ist die Berufung jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Kündigung vom 15.03.2011 ist nicht nach § 1 Abs. 1 und 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

    I. Eine Kündigung wegen Alkoholsucht ist nach den für die krankheitsbedingte Kündigung geltenden Grundsätzen zu beurteilen (vgl. unter vielen BAG 16.09.1999 - 2 AZR 123/99 - NZA 2000, 141; BAG 09.07.1998 - 2 AZR 201/98 - EzA § 626 BGB Krankheit Nr. 1; BAG 13.12.1990 - 2 AZR 336/90 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 33; LAG Rheinland-Pfalz 27.03.2008 - 10 Sa 669/07 - zitiert nach [...]; LAG Rheinland-Pfalz 20.03.2008 - 2 Sa 612/07 - zitiert nach [...]).

    Die krankheitsbedingte Kündigung ist im Rahmen einer dreistufigen Überprüfung nur dann sozial gerechtfertigt, wenn aufgrund objektiver Umstände (insbesondere bisheriger Fehlzeiten) bei einer lang anhaltenden Erkrankung mit einer weiteren Arbeitsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit bzw. bei häufigeren Kurzerkrankungen auch weiterhin mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten gerechnet werden muss; die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers führen und sich im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall eine unzumutbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers ergibt (BAG 07.11.1985 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25; 16.02.1989 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26; 19.04.2007 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 53; LAG Rheinland-Pfalz 30.08.2004 NZA-RR 2005, 368).

    II. Es ist bereits fraglich, ob der kurze Zeitraum von Januar 2010 bis März 2011 ausreichend ist, um hierauf seitens des Arbeitgebers eine negative Gesundheitsprognose stützen zu können. In der Regel werden die zurückliegenden zwei bis drei Jahre als Prognosebasis herangezogen. Zwingend ist das allerdings nicht (BAG 10.11.2005 - 2 AZR 44/05 - zitiert nach [...], Rn. 24). Eine hinreichende Indizwirkung kann sich auch aus kürzeren Zeiträumen ergeben (BAG 19.05.1993 - 2 AZR 598/92 - zitiert nach [...], Rn. 19).

    III. Doch selbst wenn zugunsten der Beklagten eine negative Gesundheitsprognose aufgrund des Abbruchs der Rehabilitationsmaßnahme unterstellt würde, so hat die Beklagte versäumt, ausreichend zu den erheblichen betrieblichen und wirtschaftlichen Beeinträchtigungen durch die bisherigen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers vorzutragen.

    Kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastungen in Form der zu zahlenden Entgeltfortzahlungskosten sind von der Beklagten gar nicht angeführt worden.

    Soweit sie sich auf betriebliche Beeinträchtigungen berufen hat, verblieb ihr Vortrag hierzu abstrakt und damit nicht ausreichend. Es wird kein einziger suchtbedingter Ausfall bzw. keine suchtbedingte Reaktion des Klägers dargestellt, aufgrund derer sie sich verpflichtet sehen musste, die Arbeit des Klägers ständig zu überwachen. Der Kläger ist noch nie aufgrund alkoholbedingter Probleme im Betrieb aufgefallen. Selbst wenn ein singulärer alkoholbedingter Vorfall angeführt worden wäre, hätte das noch nicht die Annahme des Arbeitgebers gerechtfertigt, dieser Vorfall führe - sozusagen zwangsläufig - zu erheblichen betrieblichen Störungen (LAG Rheinland-Pfalz 10.02.2011 - 10 Sa 419/10 - zitiert nach [...], Rn. 43).

    Die angeblich erforderliche ständige Überwachung des Klägers ist nicht konkret dargestellt worden. Es ist mangels Vortrags der Beklagten nicht ersichtlich, inwieweit der Kläger seit dem Bekenntnis zu seinem Alkoholproblem stärker überwacht wird als seine Arbeitskollegen. Jedenfalls kann hiermit kein schwerwiegender Eingriff in die Organisation der Beklagten verbunden sein, denn sie hat es für sich noch als zumutbar erachtet, ihn im Juli 2011 für die Dauer von drei Wochen an 6 statt 5 Wochentagen einzusetzen.

    Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass der Einsatz des Klägers nur noch eingeschränkt möglich sei. Gefährdungen für ihn selbst oder andere durch seine Tätigkeit als Bäcker sind nicht dargelegt worden.

    Ebenso fehlt konkreter Vortrag zu den Zeiten, in denen der Kläger krankheitsbedingt im Betrieb gefehlt hat. Die Beklagte hat nicht dargelegt, weshalb es ihr nicht auch zukünftig zumutbar ist, mit den Fehlzeiten des Klägers umzugehen. Soweit sie auf Beeinträchtigungen in der Planungssicherheit des Betriebs verwiesen hat, stellt sie nicht dar, welche konkreten Schwierigkeiten in der Vergangenheit aufgetreten sind und wie sie hiermit umgegangen ist.

    Entgegen der Auffassung der Beklagten reicht es nicht aus, auf den gerichtsbekannten erheblichen Kontrollverlust von Alkoholikern zu verweisen. Auf abstrakte Kriterien allein kann es nicht ankommen, da anderenfalls die zweite Prüfungsstufe der krankheitsbedingten Kündigung bei der Alkoholkrankheit obsolet würde. Dies stände der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die oben zitiert worden ist, entgegen.

    Nach alledem ist die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

    Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

    VorschriftenKSchG § 1 Abs. 1, 2